Spielraum des Insolvenzverwalters bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit

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BGH, Urteil vom 20.7.2017 — Aktenzeichen: IX ZR 310/14

Leitsatz
1. Dem Insolvenzverwalter steht bei der Frage, zu welchem Zeitpunkt er die (drohende) Masseunzulänglichkeit anzeigt, ein weiter Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu. Dessen Einhaltung kann das Gericht des Haftungsprozesses umfassend nachprüfen.

2. Die vom Insolvenzverwalter bei der Anzeige der Masseunzulänglichkeit berücksichtigte voraussichtliche Verwaltervergütung kann das Gericht des Haftungsprozesses daraufhin überprüfen, ob der Insolvenzverwalter den ihm dabei zuzugestehenden Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschritten hat.

Sachverhalt
Der Beklagte ist Insolvenzverwalter einer GmbH. Er wird vom Kläger, dem ehemaligen Geschäftsführer der Gesellschaft, persönlich auf Schadensersatz in Anspruch genommen.

Der beklagte Insolvenzverwalter hatte in einem Vorprozess den Kläger auf Erstattung zurückgewährter Einlagen und auf Schadensersatz verklagt. Hierfür hatte der Beklagte eine Prozessfinanzierungsvereinbarung mit einem Prozessfinanzierer geschlossen. Die Klage aus dem Vorprozess wurde in allen Instanzen abgewiesen. Nach Abweisung der Klage in erster Instanz hatte der Beklagte Masseunzulänglichkeit angezeigt. Die zugunsten des hiesigen Klägers festgesetzten Kosten wurden deshalb nicht ersetzt. Der Kläger verlangt nunmehr vom Beklagten persönlich Ersatz seiner Anwaltskosten, die aus dem Vorprozess noch offen sind. Das Oberlandesgericht hat der Klage stattgegeben. Der BGH hat das Urteil aufgehoben und zu Lasten des Klägers entschieden.

Entscheidung
Nachdem das Oberlandesgericht in dem Verhalten des Beklagten eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB gesehen hat, hat der BGH dieser Auffassung einer Absage erteilt. Nach Auffassung des BGH ist das Verhalten des Beklagten nicht als sittenwidrig zu qualifizieren gewesen. Es sei vielmehr vertretbar gewesen, etwaige Ansprüche aus dem Prozessfinanzierungsvertrag nicht gegen den Prozessfinanzierer geltend zu machen, da vertragliche Unklarheiten bei der Verfolgung der in Rede stehenden Ansprüche zu erwarten waren. Auch aus anderen Gründen sei die Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht sittenwidrig gewesen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass dem Verwalter bei der Frage, zu welchem Zeitpunkt er die drohende Masseunzulänglichkeit anzeigt, ein weiter Handlungs- und Entscheidungsspielraum zusteht. Der Verwalter hat die Anknüpfungstatsachen und wirtschaftlichen Eckdaten sorgfältig zu ermitteln und seinen Bewertungsspielraum nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung auszuüben. Er muss von den im Zeitpunkt seiner Prüfung verfügbaren Erkenntnissen und Tatsachen ausgehen, zugleich aber die Geschäftsentwicklung für die Dauer der Fortführung des Insolvenzverfahrens berücksichtigen und die aus der Fortführung resultierenden tatsächlichen und rechtlichen Ungewissheiten einbeziehen. Bewertungsschwierigkeiten und Schätzungsungenauigkeiten sind einer solchen Prognoseberechnung immanent und hinzunehmen. Dies gilt auch für die Bewertung der voraussichtlichen Vergütung und Auslagen des Insolvenzverwalters, die im Rahmen eines Haftungsprozesses gerichtlich überprüfbar ist. Allerdings muss sich in einem Haftungsprozess die gerichtliche Überprüfung darauf beschränken, ob der Insolvenzverwalter einen ihm zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten hat. Eine solche Überschreitung konnte der BGH im vorliegenden Fall nicht feststellen. Vielmehr hatte der beklagte Insolvenzverwalter nachvollziehbar und nachprüfbar dargelegt, wie sich die von ihm in die Masseunzulänglichkeitsberechnung eingestellte Vergütungshöhe errechnete. Die Berechnungsgrundlage wurde angegeben; die jeweils angesetzten zu hohen Abschläge begründet. Es war daher nicht festzustellen, dass der beklagte Insolvenzverwalter seinen Beurteilungsspielraum so deutlich überschritten hätte, dass ein verwerfliches Handeln zu erkennen sei. Entsprechend habe der beklagte Insolvenzverwalter die Vergütung auch nicht verwirkt.

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