Schuldrechtsreform 2022 – was ist neu im BGB?

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

Schuldrechtsreform 2022

 

Alles wird digitaler. Verträge werden online abgeschlossen, Daten werden online übermittelt. So war es nur eine Frage der Zeit, bis die Digitalisierung auch das BGB erreicht.

Der Gesetzgeber hat im vergangenen Jahr die größte und wichtigste Reform des Schuldrechts seit 2002 beschlossen.

Unter anderem will der Gesetzgeber mit den neuen Regelungen vor allem den Verbraucherschutz stärken, sowie die Digitalisierung im Vertragsrecht – insbesondere bei Kaufverträgen über digitale Elemente – und die Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen direkt einbeziehen.

Die Änderungen sind – mit einigen Ausnahmen – bereits am 01.01.2022 in Kraft getreten. Daher ist es notwendig, sich einen Überblick über die Änderungen zu verschaffen. Im Folgenden werden die wichtigsten Neuerungen dieser umfassenden BGB-Reform in gebotener Kürze verständlich dargestellt und erläutert.

 

Die Schuldrechtsreform untergliederte sich in vier Reformgesetze:

 

1.Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags

Ein Kaufvertrag wird schon seit einem längeren Zeitraum nicht mehr nur über „Ware zum Anfassen“ abgeschlossen. In den letzten Jahren ist vielmehr besonders der Verkauf von digitalen Medien und Waren sowie von Sachen mit digitalen Elementen angestiegen. Das sind also Produkte, die man nicht greifen kann, sondern die nur oder u.a. in digitaler Form dem Verbraucher zur Verfügung gestellt werden – beispielsweise Apps oder eine Smartwatch mit entsprechender Software.

Doch wie verhält es sich, wenn die digitale Ware einen Sachmangel aufweist?

Im Rahmen dieser Reform wurde der Sachmangelbegriff allgemein neu geregelt. Nach § 434 Abs. 1 BGB ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn die Sache bei Gefahrübergang den subjektiven und objektiven Anforderungen sowie den Montageanforderungen entspricht.

Unter den Sachbegriff fallen neben den klassischen „analogen“ Waren jetzt über den Verweis des § 327a Abs. 3 S. 1 BGB n.F. auch Waren mit digitalen Elementen (z.B. Smart-TV, Smartwatch). Bei digitalen Elementen, die mit einer Sache gar nicht besonders verbunden sind (z.B. rein digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen wie Computerprogramme, Apps, eBooks, Musikdateien) richtet sich die Mangelfreiheit jedoch speziell nach den §§ 327 e BGB n.F.

Was nun genau unter den subjektiven, objektiven und den Montageanforderungen von Sachen zu verstehen ist, regeln in § 434 BGB die Absätze 2-4.

Den subjektiven Anforderungen entspricht die Kaufsache nicht, wenn z.B. ein Fernseher als „Smart-TV“ verkauft wird, aber über keine Internetfähigkeit oder über keine funktionierende Software verfügt.

Den objektiven Anforderungen genügt eine Sache nicht, wenn z.B. in der Werbung angepriesen wird, dass eine Smartwatch den Blutdruck kontrollieren kann, in Wahrheit aber gar nicht über eine solche Funktion verfügt oder eine bestimmte Wandfarbe nicht der des Musters der RAL-Tabelle entspricht.

Den Montageanforderungen entsprechen beispielsweise Möbel nicht, die unsachgemäß zusammengebaut sind oder unmontiert sind und nur eine sehr schlechte Aufbauanleitung enthalten.

Der neue Sachmangelbegriff kennt keinen Vorrang der Beschaffenheitsvereinbarung mehr. Die Anforderungen sind nun gleichrangig. Jedoch können die Parteien abweichende Vereinbarungen treffen, § 476 BGB. Dies muss allerdings ausdrücklich und gesondert im Vertrag vereinbart werden, sodass die AGB allein nicht ausreichen.

Weiterhin wurde für den Verbrauchsgüterkauf die neue Kategorie des „Sachmangels einer Ware mit digitalen Elementen“ eingeführt, § 475b BGB. Dies sind gem. § 327a Abs. 3 S. 1 BGB n.F. Waren, die digitale Produkte enthalten oder mit ihnen verbunden sind, sodass die Waren ihre Funktion ohne die digitalen Produkte nicht erfüllen können (z.B. Smartphones, Tablets).

Bei Waren mit digitalen Elementen mit dauerhafter Bereitstellung der digitalen Elemente unterliegt die Gewährleistung strengeren Maßstäben. Der Unternehmer muss für den gesamten Bereitstellungszeitraum (von mindestens zwei Jahren) für die Mangelfreiheit einstehen und ist nun verpflichtet, Aktualisierungen bereitzustellen (insbesondere Sicherheitsupdates), §§ 475b BGB.

Weiterhin die digitalen Elemente betreffend wurden Sonderbestimmungen für Rücktritt, Schadensersatz und Verjährung eingeführt (vgl. §§ 475d, 475e BGB), sowie für den Rückgriff des Unternehmers und für Garantien (vgl. §§ 478, 479 BGB).

Außerdem wichtig ist die Beweislastumkehr, die nach § 477 BGB anstelle von sechs Monaten auf ein Jahr ab Gefahrübergang verlängert wurde. Bei digitalen Produkten, die dauerhaft bereitgestellt werden, gilt dieser Zeitraum für die gesamte Dauer der Bereitstellung (mindestens zwei Jahre).

 

 

2.Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen

 

Ab dem 01.01.2022 wird durch die Regelung in §§ 327b ff. BGB die europäische Digitale-Inhalte-Richtlinie umgesetzt, welche Verbraucherverträge über digitale Produkte erfasst. Davon umfasst werden die Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen, bei denen der Verbraucher gegen Zahlung eines Preises (Geld oder digitale Wertdarstellung) darauf zugreifen kann. Zu diesen zählen unter anderem Apps, Cloud-Speicher, soziale Netzwerke, aber auch E-Books und Musikdownloads. Es geht also um Produkte, die gar nicht mehr an eine körperliche Sache gebunden sind.

Der Unternehmer ist dabei verpflichtet, die erworbenen digitalen Produkte bereitzustellen, § 327b BGB. Wenn er seiner fälligen Bereitstellungspflicht nicht unverzüglich nachkommt, steht es dem Verbraucher nach § 327c BGB zu, den Vertrag zu beenden (bzw. Schadensersatz oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen geltend zu machen, vgl. Abs. 2).

Produktmangel- sowie Rechtsmängel werden in § 327e und § 327g BGB geregelt. Bei Mängeln kann der Verbraucher Nacherfüllung verlangen (§ 327l BGB), den Vertrag beenden bzw. den Preis mindern (§ 327m BGB) oder Schadensersatz (§ 280 Abs. 1, § 327m Abs. 3 BGB) bzw. den Ersatz vergeblicher Aufwendungen (§ 284 BGB) verlangen.

Ergänzend sind auf die Verträge zwischen Unternehmern die Vorschriften der §§ 327t bis 327u BGB anzuwenden, die unter anderem die Rückgriffe (Regress) unter Unternehmern regeln, bei denen ein Verbrauchsgüterkauf über digitale Produkte am Ende der Handelskette steht.

 

 

3.Faire Verbraucherverträge

 

Eines der zentralen neuen Gesetze soll die Position der Verbraucher gegenüber den Unternehmern verbessern. Unter anderem wurden die Regelungen über stillschweigende Vertragsverlängerungen geändert. Dem anderen Vertragsteil wird nach § 309 Nr. 9 BGB bei einem Vertragsverhältnis, das die regelmäßige Lieferung von Waren oder die regelmäßige Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen durch den Verwender zum Gegenstand hat (z.B. Mitgliedschaft im Fitnessstudio, Zeitschriftenabonnement, Streamingdienst), das Recht eingeräumt, nach Ablauf der Mindestlaufzeit (die weiterhin zwei Jahre betragen darf) das verlängerte Vertragsverhältnis jederzeit mit einer Frist von höchstens einem Monat zu kündigen. Bisher war gebräuchlich, dass sich nach der AGB-Regelung die Verträge ohne rechtzeitige Kündigungum ein ganzes Jahr verlängerten, was künftig nicht mehr zulässig sein wird.

Außerdem werden mit § 308 Nr. 9 BGB AGB-Regelungen, die eine Abtretung ausschließen, für unwirksam erklärt.

Eine weitere zentrale Änderung, die ab dem 01.07.2022 in Kraft tritt, betrifft die Kündigung von Verbraucherverträgen im elektronischen Geschäftsverkehr. Dies gilt für Verträge, die Verbraucher über eine Website schließen, welche auf die Begründung eines Dauerschuldverhältnisses gerichtet sind und einen Unternehmer zu einer entgeltlichen Leistung verpflichtet.

Nach der neuen Fassung des § 312k BGB ist der Unternehmer nun verpflichtet, bei einfach zu schließenden Verträgen auf der Website ebenfalls eine gut lesbare und leicht zugängliche Kündigungsschaltfläche einzurichten, mit deren Gebrauch der Verbraucher seine ordentliche oder außerordentliche Kündigung erklären kann. Wenn diese Regelung missachtet wird, steht dem Verbraucher das Recht zu, den Vertrag jederzeit und ohne Einhaltung der Kündigungsfrist zu kündigen (vgl. § 312k Abs. 6 BGB n.F.). Ziel des Gesetzgebers war es, mit dieser Regelung eine verbraucherfreundliche, einfache, schnelle und unmittelbare Kündigungsmöglichkeit zu schaffen. Die Praxis, Vertragsabschlüsse bequem und online zu ermöglichen, Kündigungen aber nur schriftlich per Brief zuzulassen oder die prinzipiell mögliche Online-Kündigung durch bewusst unübersichtlich gestaltete Websites zu erschweren. Nicht mehr möglich sind nun z.B. Kündigungsmöglichkeiten, die nicht ständig verfügbar, langwierig, schwierig zu finden oder durch weitere Fenster und/oder Zwischenhandlungen unterbrochen sind (z.B. der Nachfrage, ob man wirklich kündigen möchte oder nicht doch noch ein gutes Angebot zur Vertragsfortführung erhalten möchte).

 

 

4.Durchsetzung und Modernisierung der Verbrauchervorschriften

Neu eingeführt werden außerdem die „Allgemeinen Informationspflichten“ für Betreiber von Online-Marktplätzen. Ein Online-Marktplatz ist eine Website oder auch App, die das Inventar verschiedener Anbieter den Kunden präsentiert, um einen möglichen Kauf zu erleichtern (ein typischer Fall ist eBay).

Nach § 312d Abs. 1 BGB ist der Betreiber eines Online-Marktplatzes verpflichtet, den Verbraucher nach der Maßgabe des Artikels 246a EGBGB zu informieren. Diese Informationspflicht umfasst unter anderem die wesentlichen Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen, die Identität des Verkäufers und den Gesamtpreis einschließlich aller Steuer und Abgaben.

Ergänzend dazu wurden die Regelungen über das Erlöschen des Widerrufsrechts bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen gem. § 356 Abs. 4 und 5 BGB geändert. Die Rechtsfolgen des Widerrufs nach § 357 BGB wurden ebenfalls angepasst.

 

 

Anmerkung

Der Gesetzgeber hat mit der Reform das Kaufrecht an den digitalen Wandel angepasst, um Rechtsprobleme und Anwendungsunsicherheiten auszuräumen. Ob dies fehlerfrei gelingt oder ob einige Gesetzeslücken bleiben, wird sich in den kommenden Jahren in der Praxis zeigen. Besonders darf man darauf gespannt sein, ob die aus dem EU-Recht kommenden Vorgaben für Verbrauchergeschäfte mit digitalen Produkten auch auf das B2B-Geschäft ausstrahlen werden. Wir erwarten angesichts der bisher großen Unsicherheiten bei der rechtlichen Einordnung solcher Geschäfte zumindest einen „Anlehnungseffekt“.

 

Falls Sie Fragen haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

 

(Rechtsanwalt Dr. Harald Scholz unter maßgeblicher wissenschaftlicher Mitarbeit von Frau stud. iur. Elif-Nur Okcu und Frau stud. iur. Antonia Hinte)

 


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