beA-Pflicht bei Faxproblemen: BGH zweifelt

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Michael PeusMichael Peus

BGH, Beschluss vom 28. April 2020 – X ZR 60/19

amtlicher Leitsatz:
Ein Patentanwalt, der kurz vor Ablauf der dafür maßgeblichen Frist feststellt, dass die Telefax-Übermittlung einer Berufungsbegründung in einem Patentnichtigkeitsverfahren wegen nicht von ihm zu vertretender technischer Probleme voraussichtlich scheitern wird, ist nicht verpflichtet, nach einem Rechtsanwalt zu suchen, der den Versand für ihn über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) vornehmen kann.

 

Sachverhalt:
Ein Patentanwalt (Anmerkung: der kein Postfach des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs hat) wollte am Tag des Fristablaufs eine Berufungsbegründung von 39 Seiten faxen. Er begann um 22:40 Uhr mit dem Anwählen. Der Übermittlungsvorgang begann um 22:59 Uhr. Als um 23:30 Uhr der Versand noch nicht vollständig abgeschlossen war, suchte der Patentanwalt im Internet einen Faxanbieter, der ohne Registrierung ein Faxen ermöglichte. Hier begann er einen zweiten Faxversuch um 23:54 Uhr.

Im Ergebnis gingen nur 35 Seiten bei Gericht vor 0 Uhr des Folgetages ein. 4 Seiten fehlten, darunter wohl auch die letzte Seite mit der Unterschrift.

Das Berufungsgericht lehnte eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand ab.

 

Entscheidung:
Der BGH gewährte Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand.

Das begründet der BGH wie folgt:

  1. Fristen dürfen vollständig ausgenutzt werden (z.B. auch BGH, Urteil vom 25. November
    2004 – VII ZR 320/03).
  2. Bei einer Übermittlung per Telefax hat der Versender mit der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung begonnen hat, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss vor 0 Uhr zu rechnen gewesen ist. Das ist in der Regel der Fall, wenn eine Übermittlungszeit von dreißig Sekunden pro Seite angesetzt wird (BGH, Urteil vom 25. November 2004 -VII ZR 320/03, NJW 2005, 678, 679; Beschluss vom 27. September 2018 – IX ZB 67/17, NJW-RR 2018, 1398 Rn. 21) und der sich daraus ergebende Wert im Hinblick auf die Möglichkeit einer anderweitigen Belegung des Empfangsgeräts sowie schwankende Übertragungsgeschwindigkeiten um einen Sicherheitszuschlag von etwa zwanzig Minuten erhöht wird (BGH, Beschluss vom 17. Mai 2004 – II ZB 22/03, MMR 2004, 667; Beschluss vom 19. Dezember 2017 – XI ZB 14/17, FamRZ 2018, 610 Rn. 10).
  3. Angezeigte Störungen dürfen den Versender nicht veranlassen, von weiteren Versuchen abzusehen. Er muss mindestens weitere Übermittlungsversuche unternehmen, um auszuschließen, dass die Ursache der Übermittlungsschwierigkeiten in seiner Sphäre liegen.
  4. Die Wahl eines zweiten Systems ist nicht zu beanstanden. Insbesondere konnte dem Patentanwalt nicht abverlangt werden, die laufende Faxverbindung zu trennen, um einen neuen Versuch zu starten. Denn das hätte das sichere Scheitern des Versuchs und dazu noch das Fehlen eines „Berichts des Scheiterns‟ bedeutet.
  5. Wenn unter üblichen Verhältnissen mit einem Übersenden bis 23:20 Uhr gerechnet werden darf, ist ohne konkrete Anhaltspunkte (z.B. vorausgegangene Probleme mit dem Faxgerät) kein zweiter Übertragungsweg (z.B. ein zweites Faxgerät) vorzuhalten.
  6. Wenn erst gegen 23:30 Uhr zu erkennen ist, dass die Übertragung problematisch ist, ist dem Patentanwalt eine Zeit zuzugestehen, die zweite Übertragung zu organisieren.
  7. Da der Patentanwalt einerseits einen Mandanten auch in zweiter Instanz in einer Patentnichtigkeitsangelegenheit vertreten darf, er aber andererseits über kein beA-Postfach verfügt, ist dem Patentanwalt nicht zuzumuten, sich mit einem Rechtsanwalt zusammenzuschließen, damit dieser im Problemfall per beA etwas verschicken kann. Denn sonst wäre die eigenverantwortliche Stellung des Patentanwaltes konterkariert. Das gilt sogar bei einer Sozietät von Rechtsanwälten und Patentanwälten.

 

Weiteres aus der Entscheidung:

  1. Grundsätzlich ist mit dem Antrag auf Wiedereinsetzung die Prozesshandlung vorzunehmen, in die Wiedereinsetzung begehrt wird. Das soll nicht gelten, wenn die Prozesshandlung bereits vor dem Wiedereinsetzungsantrag bei Gericht eingegangen ist, wenn auch „nach Fristablauf‟. Ein erneutes Übersenden sei dann nicht notwendig.
  2. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen die Gerichte die Anforderungen an die den Prozessbevollmächtigten im Rahmen des § 233 Satz 1 ZPO obliegende Sorgfalt nicht überspannen. Von einem Prozessbevollmächtigten, der sich und seine organisatorischen Vorkehrungen darauf eingerichtet hat, einen Schriftsatz per Telefax zu übermitteln, kann daher beim Scheitern der gewählten Übermittlungen infolge eines Defekts des Empfangsgeräts oder wegen Leitungsstörungen nicht verlangt werden, dass er unter Aufbietung aller nur denkbaren Anstrengungen innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte Zugangsart sicherstellt (BGH, Beschluss vom 27. Juni 2017 – II ZB 22/16, NJW-RR 2017, 1084 Rn. 13 ff.).
  3. Offen bleibt, ob ein Rechtsanwalt, der – verpflichtet – über ein beA-Postfach verfügt, sich dessen bedienen muss. Angesichts der hohen Fehlerzahl im System äußert der BGH Zweifel an einer solchen Verpflichtung, lässt es aber ausdrücklich offen.

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