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Schülerunfall: Haftungsprivileg und Vorsatz

OLG Koblenz, Urteil vom 16.05.2019, Az.: 1 U 1334/18

 

Leitsätze

  1. Eine Schülerin, die im Rahmen eines Sportunterrichts einer privaten Schule einen Unfall erlitten hat, kann nicht erfolgreich den Sachkostenträger dieser Schule, der gemäß § 136 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 8 lit. b als Unternehmer im Sinne des SGB VII anzusehen ist, auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 253 BGB in Anspruch nehmen, da der Sachkostenträger für ein etwaiges, pflichtwidriges Verhalten einer Sportlehrerin nicht einzustehen hat. Der Sachkostenträger ist nicht gehalten, Vorkehrungen in Bezug auf eine Unterrichtung der an der Schule beschäftigten Sportlehrer zu treffen, wie diese ihrer Aufsichtspflicht während des Sportunterrichts beim Geräteturnen ausüben.
  2. Während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenhang mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen besteht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 lit. b SGB VII i.V.m. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII i.V.m. § 136 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII eine Haftungsprivilegierung dahingehend, dass eine Einstandspflicht für einen Versicherungsfall nur besteht, wenn dieser vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt wird.
  3. Für das Vorliegen eines vorsätzlichen Handels trifft die Schülerin die Darlegungs- und Beweislast.
  4. Für das Vorliegen eines vorsätzlichen Handels reicht bei einem Sportunfall bedingter Vorsatz aus .
  5. Die infolge des Sportunterrichts verletzte Schülerin kann nicht die Sportlehrerin, der sie eine Verletzung der Aufsichtspflicht vorwirft, persönlich in Anspruch nehmen, weil diese als Beamtin im haftungsrechtlichen Sinne nicht passivlegitimiert ist. Insoweit ist die Klage gegen die betreffende Anstellungs-Körperschaft der Sportlehrerin zu richten.

 

Sachverhalt

Die klagende Schülerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Unfallereignisses während des Sportunterrichts in Anspruch.

Die zum Unfallzeitpunkt 13 Jahre alte Klägerin besuchte die Schule X. (Sachkosten-)Trägerin der Schule ist die Beklagte zu 1), die Beklagte zu 2) ist die Sportlehrerin der Klasse. Die Beklagte zu 2) führte am 08.04.2013 im Rahmen der Unterrichtsreihe „Sprunghocke“ einen Stationsbetrieb zum Erlernen der „Stützsprunghocke“ durch. Dabei stand ein hoher Kasten mit einem Federsprungbrett davor quer zur Laufrichtung der Schülerin. Die Schülerinnen mussten den Kasten im Hocksprung überspringen. Die Übungen wurden in mehreren Stationen der Turnhalle durchgeführt. Bei jeder Station befanden sich durch die Beklagte zu 2), die Sportlehrerin, zugewiesene Schülerinnen als Hilfe. Nachdem die Beklagte zu 2) die Turnhalle verlassen hatte, blieb die Klägerin bei ihrem Sprung über den Kasten mit den Füßen in der vorderen Kante des Kastens hängen. Dabei geriet sie ins Straucheln, überschlug sich und landete mit dem rechten Arm dergestalt, dass sie sich am Ellenbogen verletzte. Die Klägerin erlitt eine rechtsseitige Ellenbogenluxation sowie eine Radiusköpfchenfraktur rechts und eine traumatische Bänderruptur. Die Fraktur des Radiusköpfchens wurde osteosynthetisch versorgt. Die Unfallkasse erkannte den Unfall als Schulunfall an und erbrachte entsprechende Leistungen an die Klägerin.

Mit der Klage fordert die Schülerin von den Beklagten Schmerzensgeld  sowie die Fesstellung der Ersatzpflicht des zukünftigen materiellen und immateriellen Schadens. der Haftpflichtversicherer der Beklagten lehnt die Einstandspflicht ab, weil ein Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII vorliege und damit das Haftungsprivileg nach §§ 104, 105, 106 SGB VII gegeben sei.

 

Entscheidung

das OLG weist die Klage zurück:

Eine Schülerin, die im Rahmen eines Sportunterrichts einer privaten Schule einen Unfall erlitten hat, könne nicht erfolgreich den Sachkostenträger dieser Schule, der gemäß § 136 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 8 lit. b als Unternehmer im Sinne des SGB VII anzusehen ist, auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 253 BGB in Anspruch nehmen, da der Sachkostenträger für ein etwaiges, pflichtwidriges Verhalten einer Sportlehrerin nicht einzustehen habe. Der Sachkostenträger sei nicht gehalten, Vorkehrungen in Bezug auf eine Unterrichtung der an der Schule beschäftigten Sportlehrer zu treffen, wie diese ihrer Aufsichtspflicht während des Sportunterrichts beim Geräteturnen ausüben. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für eine Haftung des Beklagten zu 1) auch deshalb nicht vor, weil zugunsten des Beklagten zu 1) für Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenhang mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen gemäß § 2 Abs. 1 Ziffer 8 b) SGB VII i. V. m. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII i. V. m. § 136 Abs. 3 Ziffer SGB VII die Haftungsprivilegierung gelte, wonach eine Einstandspflicht für einen Versicherungsfall nur bestehe, wenn dieser vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs.2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt wird.

Keinen Erfolg habe die Klage auch betreffend der Beklagten zu 1), weil sie nicht passivlegitimiert sei. Auch wenn die Beklagte zu 2) an der Schule nicht als Beamtin im statusrechtlichen Sinne, sondern als Angestellte tätig war, sei sie amtshaftungsrechtlich als Beamtin im haftungsrechtlichen Sinne zu betrachten, so dass gemäß Art. 34 GG i. V. m. § 839 Abs. 1 BGB nur Ansprüche gegen die betreffende Anstellungs-Körperschaft möglich wären. Insoweit ist die Klage gegen die Anstellungskörperschaft zu richten.

Die Einstandspflicht für einen Versicherungsfall bestehe aber nur, wenn dieser vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs.2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt wird. Für das Vorliegen eines vorsätzlichen Handelns der Beklagten zu 2) treffe die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast. Für das Vorliegen eines vorsätzlichen Handelns reiche bei einem Sportunfall bedingter Vorsatz bezüglich des Verletzungserfolgs aus. Nach der gefestigter Rechtsprechung müsse sich der Vorsatz nicht nur auf das Schadensereignis und das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit beziehen, sondern darüber hinaus auch auf die Schadensfolgen. Das Landgericht habe unter Berücksichtigung der dargestellten Anforderungen ein vorsätzliches, pflichtwidriges, auch die Verletzungsfolgen bei der Klägerin umfassendes Handeln der Beklagten zu 2) verneint. Selbst, wenn man als wahr unterstelle, dass die Beklagte zu 2) mit dem Verlassen der Turnhalle für eine gewisse Weile ihrer Aufsichtspflicht gegenüber ihren Schülern nicht nachgekommen sei und sich der in der Turnhalle befindlichen Schüler, die bei den Turnübungen Hilfestellungen leisteten, als Verwaltungshelfer bedient habe, würde eine mit diesem Verhalten verbundene gewisse Gleichgültigkeit für die Bejahung eines bedingten Vorsatzes bezüglich der bei der Klägerin eingetretenen Verletzungsfolgen jedoch nicht ausreichen. Insbesondere könne aus dem Umstand, dass nach dem Unfallereignis eine Mitschülerin der Klägerin die Beklagte zu 2) vor der Halle angesprochen und auf das Unfallereignis aufmerksam gemacht haben will, die Beklagte zu 2) das Anliegen unter Hinweis, dass sie sich mit einer Kollegin unterhalten, zurückgewiesen habe, nicht rückblickend auf einen vor Eintritt des Unfallereignisses bestehenden bedingten Vorsatz bezüglich des Schadensereignisses, des Bewusstseins der Pflichtwidrigkeit und der möglicherweise eintretenden Schadensfolgen geschlossen werden.

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