Rechtsschutzpflicht begründet keinen Anwaltsvertrag

BGH, Urteil vom 10. Januar 2019, Az. IX ZR 89/18

amtlicher Leitsatz:
Ob ein Rechtsanwalt einen haftpflichtigen Versicherten in dessen Auftrag oder im Auftrag des Haftpflichtversicherers vertritt, hängt von den Umständen des Falles ab. Allein die Befugnis und die Verpflichtung des Versicherers, dem Versicherten durch Bestellung eines Rechtsanwalts Rechtsschutz zu gewähren, macht ihn nicht zum Vertragspartner des Rechtsanwalts.

Tatbestand:
Streitig ist, ob ein Rechtsanwalt einen Vergütungsanspruch für durchgeführte Tätigkeit gegenüber einem Haftpflichtversicherer hat. Der Anwalt vertritt die Ansicht, diesen unmittelbar aus dem Anwaltsvertrag herleiten zu können, weil der Vertrag zwischen Versicherer und Anwalt zustande gekommen sei und nicht zwischen dem Anwalt und den Versicherten. Hilfsweise verfolgt er Ansprüche aus abgetretenem Recht.

Dem Rechtsanwalt wurde zunächst in einem baurechtlichen selbständigen Beweisverfahren ein Mandat für drei getrennte GbR erteilt, nachdem diesen der Streit von der Antragstellerin verkündet worden war. Die Antragstellerin führte das selbständige Beweisverfahren gegen die mit der Bauausführung beauftragte Firma. Weil aber die drei Streitverkündeten wegen jeweils eigenständiger Pflichtverletzungen den vermeintlichen Baumangel zu vertreten haben konnten, wurde ihnen der Streit verkündet.

Nachdem die Streitverkündeten den Anwalt beauftragt hatten und mit dem Anwalt eine Honorarvereinbarung geschlossen hatten, unterrichteten sie ihren Versicherungsmakler, dass das Mandat zunächst ausgesetzt sei, und empfahlen über den Makler dem Versicherer, den Anwalt zu beauftragen.
In den Versicherungsbedingungen heißt es:

„Kommt es zum Prozess über den Haftpflichtanspruch, so hat der Versicherungsnehmer die Prozessführung den Versicherern zu überlassen, dem von den Versicherern bestellten oder bezeichneten Anwalt Vollmacht und alle von diesem oder den Versicherern für nötig erachteten Aufklärungen zu geben.‟

Sodann gab es ein Telefonat zwischen dem Anwalt und dem Versicherer sowie ein anschließendes Schreiben des Anwalts. Darin warb der Rachtsanwalt beim Versicherer um die Wiederaufnahme des ausgesetzten Mandats. Der Versicherer erklärte über den Makler nach dem Erhalt des Schriebens des Anwalts:

„…bestätigen wir gern, dass wir im vertraglichen Umfang Rechtsschutz für das Beweisverfahren gewähren. Wie besprochen, sind wir auch damit einverstanden, dass sich die IB. und die … (IP. ) … vorsorglich durch Rechtsanwalt L. in dem Beweisverfahren vertreten lassen, wenn wir von Herrn Rechtsanwalt L. über den Fortgang des Verfahrens unterrichtet gehalten werden und das Vorgehen auch mit uns abgestimmt wird.‟

Der Anwalt stellte dem Versicherer eine Vorschussrechnung, die vollständig beglichen wurde. Später stellte der Anwalt eine weitere Rechnung, die teilweise von dem Versicherer bezahlt wurde.
Die Versicherten traten ihre Ansprüche gegen den Versicherer an den Anwalt ab.

Das selbständige Beweisverfahren endete. Der Anwalt rechnete gegenüber dem Versicherer weitere Gebühren ab. Der Versicherer lehnte eine weitere Leistung ab.
Die Klage des Anwaltes gegen den Versicherer auf Zahlung seiner Gebühren aus eigenem Recht, hilfsweise aus abgetretenem Recht, blieb in den Instanzen erfolglos.

Entscheidungsgründe:

Der BGH bestätigte die Entscheidungen. Der Anwalt konnte gegen den Versicherer keinen Honoraranspruch durchsetzen.

  1. Kein Anspruch aus einem Anwaltsvertrag zwischen Anwalt und Versicherer
    Die Instanzgerichte haben die Ansicht vertreten, dass kein Anwaltsvertrag zwischen dem Anwalt und dem Versicherer geschlossen wurde.
    Die Bewertung, ob und mit wem ein Vertrag geschlossen wurde, obliegt dem Tatrichter. Die Revision kann nur überprüfen, ob bei der Erarbeitung des tatrichterlichen Ergebnisses Auslegungsfehler eingeflossen sind bzw. maßgebliche Umstände unberücksichtigt gelassen wurden.
    Der BGH konnte keine Auslegungsfehler der Instanzen erkennen. Denn diese hatten berücksichtigt, dass ein Anwaltsvertrag auch durch schlüssiges Verhalten geschlossen werden kann, wobei an das Zustandekommen eines Anwaltsvertrages durch schlüssiges Verhalten aber zur Rechtssicherheit hohe Anforderungen zu stellen sind. Es sei nicht zu beanstanden, dass die Instanzgerichte die Kostenzusage des Versicherers für das Beweisverfahren unter Berücksichtigung des Anwaltsschreibens und des Telefonats vom Vortag ausgelegt haben. In dem Schreiben habe der Anwalt für die Wiederaufnahme des ausgesetzten Mandats geworben, welches von den Versicherten an den Anwalt herangetragen worden war. Die Auslegung der Instanzen, dass der Versicherer Deckung für das Anwaltsverhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und den Versicherten bestätigte, sei revisionsrechtlich nicht angreifbar. Im Übrigen habe auch der Versicherungsmakler die Erklärung des Versicherers augenscheinlich so verstanden.
    Dem Ergebnis widerspricht insbesondere nicht, dass der Versicherer Rechnungen des Anwalts beglich. Denn Zahlungen des Haftpflichtversicherers an den Rechtsanwalt, der die Interessen des Versicherungsnehmers gegenüber einem Geschädigten vertritt, stellen sich regelmäßig auch für den Rechtsanwalt als Leistungen auf der Grundlage der versicherungsvertraglichen Pflicht des Versicherers zur Tragung solcher Kosten dar. Denn die Abwehr unberechtigter Ansprüche ist eine Hauptleistungspflicht des Versicherers und umfasst die Führung des Haftpflichtprozesses auf seine Kosten einschließlich der Auswahl und Beauftragung des Anwalts.
    Allein aus der versicherungsvertraglichen Hauptleisungspflicht zur Anwaltsbestellung könne jedoch nicht auf deren Einhaltung geschlossen werden. Ob ein eigener Auftrag des Versicherers gegenüber dem Rechtsanwalt vorliegt, ist nach den allgemeinen Regeln zu beurteilen. Dabei habe das Berufungsgericht mit Recht auch der Bestimmung in dem Versicherungsvertrag keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen, wonach der Versicherer die Prozessführung überlassen bleibe. Diese Bestimmung beinhalte aber lediglich eine Obliegenheit der Versicherungsnehmer, lasse aber keinen Schluss darauf zu, dass der Versicherer Vertragspartner werden wolle.
  2. Kein Anspruch aus § 150 VVG a.F. / § 101 VVG n.F.
    Die Pflicht des Versicherers, die Kosten der Rechtsverteidigung des Versicherungsnehmers zu tragen, begründet einen Anspruch des Versicherungsnehmers auf Freistellung oder Zahlung, aber keinen unmittelbaren Direktanspruch des Rechtsanwalts gegen den Versicherer.
  3. Kein Anspruch aus abgetretenem Recht
    Aus abgetretenem Recht der Versicherten stand dem Anwalt auch kein Anspruch gegen den Versicherer zu. Denn die Versicherten waren gegenüber dem Anwalt nicht verpflichtet, so dass der Versicherer auch keine Freistellung schuldete. Die Versicherten konnten dem Anwalt also keine Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag abtreten.

    1. kein Anspruch der Versicherten auf Freistellung von Rechtsverfolgungskosten
      Die Versicherten schuldeten dem Rechtsanwalt keine Bezahlung von Honorar für seine anwaltliche Tätigkeit. Denn der Anwaltsvertrag zwischen dem Anwalt und den Versicherten war nichtig. Denn der Anwalt hat gegen § 43a Abs. 4 BRAO verstoßen, indem er die drei Versicherten und damit widerstreitende Interessen vertrat.
      § 3 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) konkretisiert das Verbot aus § 43a Abs. 4 BRAO dahingehend, dass der Rechtsanwalt nicht tätig werden darf, wenn er eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45, 46 BRAO beruflich befasst war. Die Regelung in § 43a Abs. 4 BRAO verbietet es dem Rechtsanwalt allerdings nicht schlechthin, in derselben Rechtssache mehrere Mandanten zu vertreten. Zulässig ist die Vertretung mehrerer Mandanten, wenn das Mandat auf die Wahrnehmung gleichgerichteter Interessen der Mandanten begrenzt ist. Dies kann auch der Fall sein, wenn mehrere Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden und ihr gemeinsames Interesse im konkreten Verfahren ausschließlich auf die Abwehr des Anspruchs gerichtet ist. Die bloße (latente) Möglichkeit, dass später bei einem Ausgleich unter den Gesamtschuldnern unterschiedliche Interessen zutage treten, steht dem nicht entgegen. Die Vertretung mehrerer Mandanten ist dem Rechtsanwalt daher nur verboten, wenn dabei nach den konkreten Umständen des Falles ein Interessenkonflikt tatsächlich auftritt. Ein solcher Interessenkonflikt war im Streitfall, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, bei Übernahme des Mandats durch den Anwalt gegeben. Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens, in dem den Versicherten der Streit verkündet wurde, war ein vermeintlicher Baumangel. Der beauftragte Sachverständige sollte nicht nur das Schadensbild festhalten, sondern auch Feststellungen zu den Ursachen des Schadensbildes treffen. Die Antragstellerin begründete die Streitverkündungen gegenüber den Planungsgemeinschaften damit, dass als Schadensursache neben Ausführungsfehlern der Antragsgegner auch Handlungen der Fachplaner und Ingenieure in Betracht kämen. Weil das Ergebnis des selbständigen Beweisverfahrens in einem späteren Hauptsacheverfahren verwertet werden konnte, musste den Streitverkündeten daran gelegen sein, möglichen Feststellungen zu eigenen Verursachungsbeiträgen bereits jetzt entgegenzuwirken. Die jeweiligen Interessen der Streitverkündeten waren dabei nicht gleichgerichtet. Im Interesse der mit der Entwurfsplanung und der Prüfung von Sondervorschlägen der Bieter beauftragten streitverkündeten GbR lag es, dass der Schaden nicht durch Fehler aus ihrem Bereich verursacht wurde, sondern durch Fehler bei der Ausführungsplanung, die von den Antragsgegnern zu erstellen und von der weiteren Streitverkündeten zu prüfen war, oder durch Fehler bei der Bauausführung durch die Antragsgegner und damit möglicherweise auch durch Fehler der weiteren Streitverkündeten im Rahmen der von ihr geschuldeten Bauüberwachung. Auch die anderen Streitverkündeten hatten konträre Interessen.
      Ein Interessenwiderstreit wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Versicherten bei demselben Versicherer versichert sind. Denn ob widerstreitende Interessen vertreten werden, hängt von den Interessen der Mandanten ab und nicht von dem Interesse des hinter ihnen stehenden Versicherers. Weil der Tatbestand der Verbotsnorm objektiv erfüllt ist und ein Verschulden des Rechtsanwalts nicht erforderlich ist, war der Anwaltsvertrag nichtig, § 134 BGB. Auf die Nichtigkeit des Anwaltsvertrags durfte sich der Versicherer auch berufen. Zwar könne Rechtsausübung unzulässig sein, wenn sich objektiv das Gesamtbild eines widersprüchlichen Verhaltens ergibt, weil das frühere Verhalten mit dem späteren sachlich unvereinbar ist und die Interessen der Gegenpartei im Hinblick hierauf vorrangig schutzwürdig erscheinen. Aber der Versicherer hat die gemeinsame Vertretung der Streitverkündeten nicht gewünscht oder gar bestimmt, sondern ihr lediglich zugestimmt.
    2. kein Anspruch der Versicherten auf Freistellung von Vergütungsansprüchen aus GoA
      Weil die Tätigkeit des Anwalts gesetzwidrig war und der Anwalt sie deshalb nicht den Umständen nach für erforderlich halten durfte, schuldeten die Versicherten dem Anwalt auch keine Vergütung nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag. Sie hatten deshalb auch diesbezüglich keinen Anspruch gegen den Versicherer, den sie hätten abtreten können.
    3. kein Anspruch der Versicherten auf Freistellung von Verpflichtungen nach Bereicherungsrecht
      Die Versicherten schuldeten dem Rechtsanwalt keinen Ausgleich nach Bereicherungsrecht. Zwar kommt ein Anspruch auf Wertersatz nach § 812 Abs. 1 Satz 1, § 818 Abs. 2 BGB bei Leistungen auf einen nach § 134 BGB nichtigen Anwaltsvertrag grundsätzlich in Betracht. Die Höhe des Anspruchs richtet sich nach der üblichen, vom Vertragspartner ersparten Vergütung. Dem Wertersatzanspruch steht aber vorliegend die Regelung des § 817 Satz 2 BGB entgegen. Denn der Leistende (Anwalt) hat sich der Einsicht in das Verbotswidrige seines Handelns leichtfertig verschlossen. Der Anwalt kannte das Verbot aus § 43a Abs. 4 BRAO sowie alle Umstände, die das Tätigkeitsverbot in diesem Fall begründeten. Aus diesen Feststellungen muss sich der Anwalt zumindest leichtfertig der Einsicht in das Gesetzwidrige seiner Tätigkeit verschlossen haben. Die Anwendung von § 817 Satz 2 BGB ist nicht nach § 242 BGB ausgeschlossen. Denn das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, richtet sich an den Rechtsanwalt. Es dient nicht nur dem Schutz des Mandanten, sondern auch Interessen der Rechtspflege. Der (auch) generalpräventive Schutzzweck wäre gefährdet, wenn ein Rechtsanwalt stets damit rechnen könnte, trotz seines Verstoßes gegen das Verbotsgesetz einen an den gesetzlichen Gebühren orientierten Wertausgleich zu erhalten.

Anmerkung:
Auch wenn der Anwaltsvertrag nichtig war, waren die Prozesshandlungen wirksam. Denn die Nichtigkeit des Anwaltsvertrages schlägt nicht auf die Vollmacht durch, vgl. BGH im Urteil vom 14.05.2009, Az. IX ZR 60/08

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