Private Pflegeleistung als Schaden

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Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Dresden, Beschluss vom 09.10.2019, Az.: 4 U 1243/19

 

Leitsätze

1. Der pflegende Angehörige hat keinen Anspruch auf Beteiligung an dem Pflegebedürftigen gezahlten Pflegegeld.

2. Wird die Pflegeleistung durch enge familiäre Bindungen geprägt, spricht eine tatsächliche Vermutung dagegen, dass die Leistung aufgrund eines Dienstvertrages erbracht wird.

3. Auch Ansprüche aus Geschäftsführung ohne Auftrag kommen dann nicht in Betracht.

 

Sachverhalt

Die Klägerin hat ihren Bruder nach einem unverschuldeten Unfall selbst gepflegt hat. Wegen ihrer Pflege beansprucht sie einen Teil des Pflegegeldes von der Pflegekasse. Alternativ macht sie einen Anspruch aus §§ 611, 612 Abs. 2 BGB wegen einer mit dem Bruder abgeschlossene Pflegevereinbarung geltend und beruft sich hilfsweise auf Geschäftsführung ohne Auftrag.

 

Entscheidung

Das OLG erachtete die Berufung als aussichtslos und wies sie im Beschlusswege zurück:

Die Klägerin hat gegen die beklagte Pflegekasse keinen Anspruch auf einen Teil der an den Bruder gezahlten Pflegegeldleistungen und zwar unabhängig davon, ob und in welchem Umfang sie ihren Bruder selbst gepflegt hat. Bei dem Anspruch auf Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen gemäß § 37 SGB XI handelt es sich allein um einen Anspruch des pflegebedürftigen Versicherten, nicht der Pflegeperson. Das Pflegegeld soll kein Entgelt für die von der Pflegeperson erbrachten Pflegeleistungen darstellen, sondern den Pflegebedürftigen in den Stand setzen, Angehörigen und sonstigen Pflegepersonen eine materielle Anerkennung für die im häuslichen Bereich sichergestellte Pflege zukommen zu lassen. Mit Blick auf diese eindeutige gesetzliche Regelung lässt sich ein eigener Pflegegeldanspruch der Pflegeperson auch nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) stützen. Eine eigene Gestaltungsmöglichkeit des Pflegebedürftigen hinsichtlich der Verwendung seines Pflegegeldes setzt aber voraus, dass er selbst in der Lage ist, seine Vermögensverhältnisse zu überschauen und die Tragweite seiner diesbezüglichen Entscheidungen und seiner wirtschaftlichen Dispositionsmöglichkeiten einzuschätzen. Dies ist bei dem geistig behinderten Beklagten aber ganz offensichtlich nicht der Fall. Aus der gesetzgeberischen Wertung zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts folgt auch, dass grundsätzlich keine Verpflichtung des Pflegebedürftigen besteht, das Pflegegeld pflegenden Angehörigen entsprechend einem bestimmten und festgelegten Verteilungsschlüssel zukommen lassen zu müssen.

Die Klägerin kann ihren Anspruch auch nicht aus §§ 611, 612 Abs. 2 BGB herleiten. Eine ausdrücklich oder konkludent abgeschlossene Pflegevereinbarung kann nicht festgestellt werden. Auch eine mit den jeweiligen Betreuern konkludent abgeschlossene Pflegevereinbarung kann nicht festgestellt werden. Zur Abgrenzung zwischen Leistungen, die auf der Grundlage eines Dienstvertrages bzw. eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses erbracht werden, gegenüber solchen, deren Grundlage allein familiäre Beziehungen sind und die damit ohne eine dahingehende rechtliche Verpflichtung erbracht werden, hat das Bundessozialgericht im Urteil vom 20.04.1993 (2 RU 38/92) darauf abgestellt, ob die Beziehung „ihr gesamtes Gepräge‟ von den familiären Bindungen zwischen Angehörigen erhält. Gerade die tatsächlichen Beziehungen zwischen der Klägerin, ihren beiden Schwestern und dem Beklagten sprechen hier für das Vorliegen einer engen Familiengemeinschaft, die den Rahmen der normalerweise zu erwartender Hilfeleistungen weit spannt. Eine der Schwestern, die neben der Klägerin auch erhebliche Leistungen zugunsten des Beklagten erbringt, wohnt in demselben Haus wie der Beklagte, bei dem es sich um das Elternhaus der Beteiligten handelt. Auch der Schriftwechsel zwischen den Betreuern und der Klägerin zeigt, dass es der Klägerin in erster Linie darum geht, dem Beklagten durch ihre Pflegeleistungen und ihren Einsatz den Verbleib in seiner gewohnten Umgebung und damit in der Wohnung abzusichern, die er zuvor zusammen mit der Mutter der Parteien bewohnt hat. Ihr Verhalten ist erkennbar von der auf der familiären Bindung geprägten Beziehung zu ihrem Bruder bestimmt, um dessen Wohlergehen sie sich kümmert. Zwar wäre dies grundsätzlich auch mit der Zuwendung zumindest eines Teils des gezahlten Pflegegeldes vereinbar, das auch dem Zweck dienen kann, eine materielle Anerkennung zu leisten und damit die Bereitschaft zur Pflege zu bestärken und aufrecht zu erhalten. Eine dahingehende ausdrückliche oder konkludente Einigung mit der früheren oder dem jetzigen Betreuer kann hier aber gerade nicht festgestellt werden. Vielmehr hat die frühere Betreuerin zeitweise einen Pflegevertrag mit einer der anderen Schwestern des Beklagten, nicht aber mit der Klägerin geschlossen und der jetzige Betreuer auf eine entsprechende Nachfrage der Klägerin zunächst nur mitgeteilt, dass er ihr Anliegen prüfen werde und im Ergebnis dann u.a. im Schreiben vom 11.03.2018, 05.04.2018 und 21.05.2018 darauf hingewiesen, dass eine Vergütung wegen der finanziell angespannten Situation des Beklagten zumindest solange nicht erfolgen kann, wie der Beklagte in der Wohnung verbleibt. Eine etwaige Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem Beklagten selbst wäre schon wegen des der Klägerin bekannten Aufgabenkreises der durch das AG Marienberg als Betreuungsgericht wirksam bestellten Betreuer unwirksam.

Gleiches gilt für Ansprüche aus entgeltlicher Geschäftsbesorgung gem. § 675 Abs. 1 BGB, die ebenfalls einen ausdrücklichen oder konkludent erklärten Dienstvertragsschluss voraussetzen. Der Geltendmachung von Pflegegeldansprüchen aus Geschäftsführung ohne Auftrag gem. § 670, § 677, 683 BGB steht entgegen, dass die Arbeitsleistung des Beauftragten auch dann keine Aufwendung darstellt, wenn zur Ausführung des Auftrags eine in sein Gewerbe oder seinen Beruf einschlagende Tätigkeit erforderlich ist und er deshalb einen Verdienstausfall erleidet . Dies folgt aus dem in § 670 BGB vorausgesetzten Merkmal der Unentgeltlichkeit. Die Ersatzfähigkeit des Verdienstausfalls würde der Unentgeltlichkeit des Auftrags widersprechen, selbst wenn man in Betracht zieht, dass eine nach § 675 Abs. 1 vereinbarte Vergütung auch höher hätte sein können als der etwaige Verdienstausfall.

Schließlich ergibt sich ein Anspruch der Klägerin auf Pflegegeldzahlung auch nicht aus Bereicherungsrecht gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB. Hinzu kommt, dass eine Leistungskondiktion dann gem. § 814 BGB ausscheidet, wenn der Leistende – wie hier die Klägerin – von nur in der Absicht geleistet hat, eine sittliche oder eine Anstandspflicht aber keine Rechtspflicht zu erfüllen. Hiervon ist auszugehen, da der Klägerin stets bewusst war, dass keine rechtsverbindliche entgeltliche Dienstvereinbarung bestand.

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