OLG Hamm, Beschluss vom 07.05.2024 – 7 U 109/23
Sachverhalt
Bei Tiefbauarbeiten wurde ein Mittelspannungskabel getroffen. Das Landgericht gab der Klage des Netzbetreibers auf Schadensersatz gemäß dem „Qualitätselementschaden‟ (ohne Beweisaufnahme) statt. Das angerufene Oberlandesgericht Hamm sah sich als unzuständig an und verwies den Rechtsstreit an das OLG Düsseldorf. Was zunächst profan klingt, hat einen baurechtlich interessanten Hintergrund.
Entscheidungsgründe
Das Oberlandesgericht sieht die Sonderzuständigkeit nach §§ 102 EnWG als gegeben an, weil die Entscheidung nämlich Vorfragen betreffe, die nach dem EnWG (Energiewirtschaftsgesetz) zu beantworten seien. Das – und das ist praxisrelevant – EnWG sei nämlich sowohl relevant bei der Frage nach Verkehrssicherungspflichtverletzungen als auch dem Mitverschulden des Netzbetreibers:
Energiewirtschaftliche Vorfragen stellen sich jedoch sowohl bei der Feststellung der Verkehrssicherungspflichtverletzung als auch bei der Feststellung des auf dieser beruhenden Schadens als auch bei der Frage eines etwaigen Mitverschuldens in unterschiedlichem Maße gleichfalls regelmäßig. Anerkannt ist insoweit auch, dass sich eine Vorfrage allein aus einer Einwendung des Beklagten ergeben kann (vgl. OLG Düsseldorf Urt. v. 2.3.2023 – VI-5 U 3/22 (Kart), BeckRS 2023, 3210 = juris Rn. 37; Pastohr in BeckOK EnWG, Assmann/Peiffer, 9. Edition, Stand: 01.03.2024, § 102 Rn. 11 m. w. N.).
Schon bei der Frage, ob eine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorläge, komme es darauf an, ob der Netzbetreiber seine Pflichten erfüllt habe:
Etwa für die Feststellung der Verkehrssicherungspflichtverletzung kann es unter anderem darauf ankommen, ob der Netzbetreiber bei der Verlegung der Kabel seine Pflichten nach § 12 NAV ordnungsgemäß erfüllt hat. Die NAV stellt ausweislich § 1 Abs. 1 Satz 1 NAV eine VO zu § 18 Abs. 1 EnWG dar und fällt damit in den Anwendungsbereich von § 102 Abs. 1 EnWG.
Weiter komme es im Rahmen des Mitverschuldens darauf an, ob der Netzbetreiber ein sicheres Netz betrieben habe, wenn es doch zu einer Versorgungsunterbrechung komme:
Streitig wird regelmäßig – wie hier – auch die Frage, ob der Netzbetreiber den Vorgaben des § 11 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 EnWG, ein sicheres und zuverlässiges Netz zu betreiben (vgl. dazu BGH Urt. v. 10.5.2022 – EnZR 54/21, NVwZ-RR 2022, 756 Rn. 30), genügt hat, wenn es gleichwohl zu einer Versorgungsunterbrechung gekommen ist. Diese jedenfalls im Rahmen von § 254 Abs. 1 BGB relevante Vorfrage fällt damit gleichfalls in den Anwendungsbereich von § 102 Abs. 1 EnWG.
Anmerkung
Da das EnWG nicht nur Stromnetzbetreiber betrifft, kann auch bei anderen Versorgungsleitungen als Anknüpfungspunkt eines Schadensersatzanspruchs einerseits materiell-rechtlich der Pflichtenkreis unter Berücksichtigung des EnWG zu bestimmen sein aber andererseits auch prozessrechtlich die mögliche Sonderzuständigkeit (Eingangsinstanz: Landgericht; in NRW nach heutigem Stand: nur Köln, Düsseldorf und Dortmund und das OLG Düsseldorf) zu beachten – zumindest zu prüfen – sein.
(1) Zweck des Gesetzes ist eine möglichst sichere, preisgünstige, verbraucherfreundliche, effiziente, umweltverträgliche und treibhausgasneutrale leitungsgebundene Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität, Gas und Wasserstoff, die zunehmend auf erneuerbaren Energien beruht.
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