Tiergefahr vs. Betriebsgefahr

OLG Celle, Urteil vom 20.1.2016 — Aktenzeichen: 14 U 128/13

Leitsatz
Kann im Fall des Scheuens eines Pferdes bei einem sich nähernden Kfz mit Ausnahme einer sich nachweislich auswirkenden Tier- und Betriebsgefahr weder ein Verschulden des Kfz-Führers noch des Reiters/Halters des Pferdes festgestellt werden, ist eine Haftungsteilung vorzunehmen.

Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Einstandspflicht der Beklagten für die der Klägerin bei einem Unfallereignis durch ihr Pferd zugefügten Verletzungen. Diese war durch ihr scheuendes Pferd zu Boden gerissen und mittels Huftritten ins Gesicht schwer verletzt worden.

Streitig war zwischen den Parteien insbesondere die Ursächlichkeit des Betriebs des vom Beklagten zu 2) gesteuerten und bei der Beklagten zu 1) versicherten Fahrzeugs für das Verhalten des klägerischen Pferdes. Während dieses nach Auffassung der Klägerin darauf zurückzuführen sei, dass der Beklagte zu 2) mit seinem Pkw verbotswidrig auf einem nur für land- und forstwirtschaftlichen Verkehr freigegebenen Weg mit aus ihrer Sicht erheblich überhöhter Geschwindigkeit dicht an ihr und dem von ihr geführten Pferd vorbeigefahren sei, nehmen die Beklagten einen Zusammenhang zwischen dem Betrieb ihres Fahrzeugs und dem Ausbrechen des klägerischen Pferdes mit der Behauptung in Abrede, bereits 10 bis 15 m vor der Stelle, an der der Beklagte zu 2) die Klägerin mit ihrem Pferd habe stehen sehen, nach links auf das Feld zu dem dort befindlichen Misthaufen abgebogen zu sein und dementsprechend die Klägerin und das Pferd mit seinem Wagen gar nicht passiert zu haben.

Entscheidung
Das OLG stellt zunächst fest, dass sich die Betriebsgefahr des Kfz im Unfall ausgewirkt habe, so dass die Beklagten aus § 7 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 VVG haften. Zwar sei die bloße Anwesenheit des Beklagtenfahrzeugs am Unfallort keine Haftung begründet, sondern stattdessen müsse ein adäquater Ursachenzusammenhang zwischen dem Fahrzeugbetrieb und dem Schaden bestehen. Die Klägerin habe jedoch nachvollziehbar vorgetragen, dass sie infolge des Motorengeräusches auf das herannahende Fahrzeug aufmerksam geworden sei und ihr Pferd davon abgehalten habe, weiter zu grasen, um eine größere Distanz zwischen sich und dem Fahrzeug herbeiführen zu können, indem sie sich mit dem Tier aus der Gefahrenzone heraus weiter weg begeben wollte. Dies stelle eine adäquate Reaktion eines Pferdeführers dar, damit das Pferd von dem als gefährlich einzustufenden Objekt nicht überrascht wird und als Fluchttier instinktgesteuert fortzulaufen versucht. Da ein Orttermin sowie ein Sachverständigengutachten ergeben habe, dass sich die Situation in enger räumlicher Verbindung zwischen Pferd und Kfz ereignet habe, habe sich hier im konkreten Fall die Betriebsgefahr des Pkw ausgewirkt.

Auch die Klägerin hafte jedoch aus dem Gesichtspunkten der Gefährdungshaftung für die eigene, unfallursächliche Tiergefahr im Umfang von 50 %. Es sei zu berücksichtigen gewesen, dass sich vorliegend das einem Pferd wesensimmanent anhaftende Gefahrenpotential und die damit verbundenen weitaus geringeren Möglichkeiten, auf es steuernd einzuwirken, ausgewirkt habe. Demgegenüber stehe die besondere Gefährlichkeit eines Kraftfahrzeugs, die sich aus seiner Masse, seiner technischen Einrichtungen und seiner Geschwindigkeit zusammensetze und im zugrundeliegenden Fall das Scheuen des Pferdes verursacht habe. Beide Verursachungsbeiträge wiegen nach Auffassung des Senats in etwa gleich schwer. Motorbetriebene Kraftfahrzeuge seien typischerweise geeignet, geräuschempfindliche Tiere, wie Pferde, die zudem besonders auf Bewegungen in ihrem Umfeld zu reagieren, zu erschrecken, vor allem, wenn diese Gefährte auf sie zukämen. Umgekehrt seien auch Pferde, die an Straßenverkehr gewöhnt sind, nicht davor gefeit, ausnahmsweise schreckhaft auf Motoren- und Fahrgeräusche zu reagieren, insbesondere dann, wenn etwas geschehe, was sie nicht erwarten, wie hier der — als solcher nicht vorwerfbare — Abbiegevorgang des Beklagten zu 2) auf ein Feld, der überdies zu einer Veränderung der Geräuschkulisse geführt habe. Somit hätten weder die Betriebsgefahr für das Fahrzeug noch die Tiergefahr für das klägerische Pferd in größerem Umfange zur Schadensverursachung beigetragen als der jeweils andere Teil, sodass eine Haftungsquote von 50 % zu 50 % gerechtfertigt sei.

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