Schmerzensgeldanspruch bei mehreren Behandlungsfehlern im Rahmen derselbern Operation

BGH, Urteil vom 14.3.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 605/15

Leitsatz
1. Der Schmerzensgeldanspruch, den ein Patient auf verschiedene, den Ärzten im Rahmen derselben Operationen der damit im unmittelbaren Zusammenhang stehenden Nachbehandlung unterlaufende Behandlungs-fehler stützt, begründet einen einzigen, alle Behandlungsfehler umfassenden Streitgegenstand.

2. Mehrere Behandlungsfehler, die den Ärzten im Rahmen derselben Operation unterlaufen sind, begründen einen einheitlichen Schmerzens-geldanspruch, dessen Höhe aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der dem Schadensfall prägenden Umstände zu bemessen ist. Der Schmerzensgeldanspruch kann nicht in Teilbeträge zum Ausgleich einzelner im Rahmen eines einheitlichen Behandlungsgeschehens unterlaufener Behandlungsfehler aufgespalten werden.

Sachverhalt
Die Klägerin hat die Beklagte wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch genommen.

Die Klägerin befand sich im Jahre 2009 wegen Beschwerden im Unterbauch im gynäkologischer Behandlung. Ein operativer Eingriff wurde dort am 07. August 2009 vorgenommen. Es sollten Verwachsungen und Zysten in der gynäkologischen Klinik der Beklagten operativ entfernt werden.

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass die Lösung der Verwachsung im Rahmen der Operation vom 07.08.2009 fehlerhaft erfolgt sei. Die dabei aufgetretenen oberflächigen Verletzungen des Darms sei nicht ordnungsgemäß versorgt worden. Das Vernähen sei standardwidrig zu eng erfolgt, was zu einem vermeidbaren mechanischen Verschluss des Darms geführt habe. Außerdem hätte es die Ärzte bei der Operation vom 07.08.2009 behand-lungsfehlerhaft unterlassen, auch den rechten Eileiter zu entfernen, der aufgrund der massiven Chlamydieninfektion endgültig funktionsunfähig sei. Sein Belassen begründet die Gefahr einer potentiellen lebensbedrohlichen Eileiter-schwangerschaft. Denn infektionsbedingt sei der Eileiter nicht in der Lage, ein Ei in die Gebärmutter zu transportieren. Ein befruchtetes Ei bleibe deshalb notwendigerweise im Eileiter stecken. Schließlich hätten die Ärzte zu spät auf den Verschluss des Darmes reagiert. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe sie in das Ermessen des Gerichtes gestellt hat, mindestens jedoch 38.000 € sowie materiellen Schadensersatz in Höhe von 37.500 € zu zahlen. Sie hat darüber hinaus die Feststellung der Ersatzverpflichtung der Beklagten beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, soweit die Klägerin aus dem Belassen des rechten Eileiters im Rahmen der Operation vom 07.08.2009 Schadensersatz herleitet. Die weitergehende Berufung hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Zulassung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 8.000 € weiter.

Entscheidung
Nach Auffassung des Berufungsgerichtes ist die Berufung unzulässig, da die Klägerin ihre Berufung nicht begründet habe. Sie habe sich mit der Abweisung des auf diesen Behandlungsfehler gestützten und von ihr selbst mit mindestens 8.000 € bewerteten Schmerzensgeldanspruches in der Berufungsbegründung nicht auseinandergesetzt. Denn die Klägerin habe mit dem in dem Belassen des Eileiters liegenden Behandlungsfehler einen weiteren prozessualen Anspruch geltend gemacht, der abgewiesen worden ist. Wenn ein eigenständiger prozessualer Anspruch mit der Berufung weiterverfolgt werde, bedürfe es einer entsprechenden Berufungsbegründung. Im Übrigen sei die Berufung unbegründet.

Die Revision hat Erfolg. Sie führt im Umgang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht. Gegenstand des Revisionsverfahren ist nur noch der auf eine fehlerhafte ärztliche Behandlung im Rahmen der Operation vom 07.08.2009 gestützten Schmerzensgeldanspruch in einer reduzierten Größenordnung von 8.000 €. Auf diesen Anspruch hat die Klägerin ihr Rechtsmittel in der Revisionsbegründung in zulässiger Weise beschränkt. Nach Auffassung des erkennenden Senats hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin gegen die Abweisung ihres Antrags auf Zahlung eines angemessenen Schmerzens-geld rechtsfehlerhaft hinsichtlich eines Teilbetrages in Höhe von 8.000 € als unzulässig verworfen. Der Senat führt insoweit aus, dass grundsätzlich das gesamte konkrete Behandlungsgeschehen, aus dem der Kläger seine Ansprüche herleitet, den Gegenstand des Rechtsstreites bildet. Der Sachverhalt würde unnatürlich zersplittert, wenn jeder bei einem operativen Eingriff und der damit im unmittelbar Zusammenhang stehenden Nachbehandlung unterlaufene Behandlungsfehler einen eigenen Streitgegenstand begründe. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats sind an die Substaniierungspflichten des Patienten im Arzthaftungsprozess nur maßvolle Anforderungen zu stellen. Der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch bildet keinen teilbaren Streitgegenstand in dem Sinne, dass auf die verschiedenen, den Ärzten nach der Behauptung der Klägerin bei der Operation vom 07.08.2009 unterlaufenen Behandlungsfehler unterschiedliche Schmerzensgeldbeträge entfielen und dieser einer gesonderten rechtlichen Beurteilung zugänglich wären. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zieht nicht jeder Behandlungsfehler einen eigenen Schmerzensgeldanspruch nach sich. Mehrere Behandlungsfehler, die den Ärzten im Rahmen derselben Operation unterlaufen sind, begründen vielmehr nur einen einheitlichen Schmerzensgeldanspruch, dessen Höhe aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadenfall prägenden Umstände zu bemessen ist. Der dem Patienten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung zustehende Schmerzensgeldanspruch kann nicht in Teilbeträge zum Ausgleich einzelner im Rahmen eines einheitlichen Behandlungsgeschehen unterlaufenen Behandlungsfehler aufgespalten werden. Dem steht der Grundsatz der Einheitlichkeit der Schmerzensgeldbemessung entgegen. Nach diesen Grundsätzen genügt die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Schon die Berufungsangriffe gegen die Beurteilung des ärztlichen Vorgehens im Zusammenhang mit der Versorgung der Darmverletzung und der Nachbe-handlung waren geeignet, so der Senat, der Begründung des angefochtenen Urteils insgesamt die Tragfähigkeit zu nehmen. Das Berufungsgericht war nicht gehindert, der Klägerin das begehrte Schmerzensgeld in Höhe von 38.000 € allein aufgrund der in der Berufungsbegründung angegebenen Umstände zuzuerkennen.

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