Rechtsschutzversicherung an Deckungszusage gebunden

Thüringer Oberlandesgericht, Urteil vom 31.01.2020, Aktenzeichen: 9 U 845/18

Leitsatz:

Hat eine Rechtsschutzversicherung Deckungszusage für einen Prozess erteilt, ohne dass diese durch falsche Angaben erlangt worden ist, so greift ein Anscheinsbeweis, dass der Versicherungsnehmer würde den Prozess nicht geführt haben, nicht ein.

Ein Rechtsschutzversicherer ist zu einer sorgfältigen Prüfung der Sach- und Rechtslage verpflichtet, bevor eine Deckungszusage erteilt. Kommt er dieser Prüfungspflicht nicht oder nur unzureichend nach, ist er an die Deckungszusage gebunden.

 

Sachverhalt:

Die Klägerin hat Ansprüche als Schadensabwicklungsgesellschaft einer Rechtsschutzversicherungs AG geltend (zusammengefasst im folgenden als Klägerin gegen Rechtsanwälte aus übergegangenem Recht gemäß § 86 VVG verfolgt.  Die Beklagten waren im Jahr 2011 für den Versicherungsnehmer der Klägerin mit einer Schadensersatzklage gegen einen Lebensversicherungskonzern wegen fehlerhafter Kapitalanlageberatung mandatiert. Im Dezember verfassten diese einen Antrag auf außergerichtliche Streitschlichtung. Der Güteantrag entsprach 12.000 ähnlich formulierten Güteanträgen anderer Anleger. Erst gut zehn Monate nach Eingang wurden die Güteanträge an die Fondsgesellschaft versandt.

Nach Scheitern der Schlichtung wurde nach Einholung einer Deckungszusage Klage erhoben.

Mit Urteil vom 18.06.2015, Az.: III ZR 198/14, entschied der BGH in anderer Sache, welche formellen Anforderungen an einen Schlichtungsantrag zu stellen sind, damit er die Verjährung hemmt.

Die Klage des Versicherungsnehmers wurde wegen Verjährung mit Urteil vom 01.02.2016 abgewiesen.

Die Klägerin erteilte am 08.03.2016 Deckungsschutzzusage für das Berufungsverfahren gegen das landgerichtliche Urteil. Das OLG Hamm wies die Berufung durch Beschluss vom 23.08.2016 ohne mündliche Verhandlung zurück.

Die Klägerin warf den beklagten Anwälten vor, zunächst keinen ausreichenden verjährungshemmenden Güteantrag gestellt und nachher nicht von einer Klage über den verjährten Anspruch abgeraten zu haben.

Nachdem schon das Landgericht die Klage abgewiesen hatte, hatte auch die Berufung vor dem OLG Jena keinen Erfolg.

 

Entscheidung: 

Zunächst hat das OLG Jena klargestellt, dass die erhöhten Anforderungen an eine Individualisierung des im Güteantrag geltend gemachten Anspruchs erst mit Veröffentlichung des Urteils des BGH vom 18.06.2015, AZ: III ZR 198/14 zu beachten waren. Zwar wurde der Güteantrag vom 29.12.2011 den Anforderungen nicht gerecht. In dieser Phase bei Einreichung des Güteantrags musste die entsprechende Rechtsprechung des BGH, den Rechtsanwälten aber noch nicht bekannt sein. Nach den Feststellungen des OLG Jena durften die Beklagten bei Klageeinreichung im Juni 2013 davon ausgehen, dass ihr Güteantrag den Anforderungen an eine Individualisierung des Streitgegenstands genügt hatte (so auch OLG Köln vom 23.05.2019, AZ: 24 U 122/18 sowie OLG Stuttgart vom 24.10.2017, AZ: 12 U 29/17). Die Beklagten brauchten auch bei Klageerhebung nicht auf ein Risiko hinweisen, dass sich die Rechtsprechung des BGH zum Güteantrag ändern könnte, weil dies nicht vorhersehbar war.

Aus Sicht des OLG Jena hätte die Klage zu diesem Zeitpunkt, als das Urteil des BGH bekannt wurde, noch zurückgenommen werden können, um so den Kostenschaden zu reduzieren. Gleichwohl versagte es der Klägerin Schadensersatzansprüche auch im Übrigen – weder habe die Klage zurückgenommen werden müssen, noch von Einleitung des Berufungsverfahrens abgesehen werden müssen.

Das OLG Jena hat in diesem Zusammenhang zunächst offengelassen, ob die Beklagten den Versicherungsnehmer auf die nunmehr nach dem BGH-Urteil gestiegenen Risiken der Klage bzw. einer Berufung bzw. auf die Möglichkeit einer Kostenersparnis hätten hinweisen müssen, da die Schadenskausalität sich allein nach der Frage bemesse, ob der Mandant dem Rat des Anwalts auch gefolgt wäre. Den Beweis, dass der Versicherungsnehmer sich bei anderer Art der Beratung gegen die Fortführung der Klage und ein Berufungsverfahren entschieden hätte, hat die Klägerin nicht geführt.

Auf einen Anscheinsbeweis bzw. die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens konnte die Klägerin sich nicht berufen. Das OLG Jena führte insoweit aus: Hat eine Rechtsschutzversicherung eine Deckungszusage für einen Prozess erteilt, ohne dass diese durch falsche Angaben erlangt worden ist, so greift ein Anscheinsbeweis gerade der Gestalt, dass der Versicherungsnehmer den Prozess bei anderer Beratung und Kenntnis geringer Erfolgsaussichten nicht geführt haben würde, nicht ein; denn auch für einen vernünftig handelnden, kostenempfindlichen Mandanten würde bei Vorliegen einer Deckungsschutzzusage der Rechtsschutzversicherung das Wagnis einer nur gering erfolgversprechenden Prozessführung als ergreifungswürdige Chance erscheinen (vgl. so auch OLG Hamm, NJW-RR 2005, 134; KG NJW 2014, 397). Das OLG Jena meint, dass etwas anderes nur dann gelten kann, wenn die Klägerin berechtigt gewesen wäre, ihre Deckungszusage zu widerrufen, was vorliegend aber nicht der Fall war. Hierfür müssen bestimmte Voraussetzungen gegeben sein, so insbesondere das nachträglich hervortreten eines Risikoausschlusses oder die vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls.

Hinzukam, dass auch die Klägerin richtig informiert war. Bei Einholung der Deckungszusage durch die Beklagten wurde die Klägerin ausdrücklich auf die geänderte BGH-Rechtsprechung hingewiesen. Mit den darin enthaltenen Angaben war der Klägerin eine eigene Prüfung der Rechtslage und der Risiken möglich. Nach Auffassung des OLG Jena war der Rechtsschutzversicherer dann zu einer sorgfältigen Prüfung bedingungsgemäß verpflichtet, bevor er eine Deckungszusage erteilt.

Da die Deckungszusage vom Versicherer bei sachgerechter Information nicht widerrufen werden konnte, war vielmehr zu erwarten, dass der Versicherungsnehmer stets ein Berufungsmandat erteilt hätte. Nach Erteilung der Deckungszusage bestand für den Mandanten keinerlei Kostenrisiko mehr. Es war deshalb nicht pflichtwidrig, sondern – so das OLG – sogar gerade im Interesse der Mandanten liegend, dass die Beklagten zu einer Berufung geraten haben.

Anmerkung: 

Das OLG Jena setzt sich ausdrücklich nicht in Widerspruch zu anderen OLG-Entscheidungen, die die Bindung eines Rechtsschutzversicherers im Zusammenhang mit Anwaltshaftungsansprüchen an Deckungszusagen verneint haben, sondern sieht dies als reine Kausalitätsfrage an.

 

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