Haftungsprivilegierung nach § 105 SGB VII – Drittausstrahlung wegen gestörten Gesamtschuldverhältnisses

AG Dorsten, Urteil vom 6.1.2006 — Aktenzeichen: 30 C 42/05

Das AG Dorsten hat durch Urteil vom 06.01.2006 entschieden, dass ein Geschädigter keine Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen einen Dritten hat, obschon ein unfallursächliches Mitverschulden des Dritten bejaht wird, wenn der Unfall im Wesentlichen durch einen Arbeitskollegen des Geschädigten verursacht wurde und den Geschädigten im Übrigen selbst ebenfalls ein Mitverschulden trifft.

Mit der Klage verfolgte der Kläger Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls. Der Kläger, angestellter Berufskraftfahrer eines Transportunternehmens, befand sich zum Unfallzeitpunkt in der Schlafkabine des Lkw. Ein weiterer Angestellter dieses Transportunternehmens, der Zeuge Z., steuerte zu diesem Zeitpunkt (nachts um 1.14 h) den Lkw-Zug auf der Autobahn. Als der Zeuge Z. sich während der Fahrt eine Zigarette anstecken wollte, fiel ihm das Feuerzeug aus der Hand und auf den Boden des Lkw. Während er versuchte, das Feuerzeug wieder aufzuheben, verlor er die Kontrolle über den Lkw-Zug. Dabei brach der Anhänger des Zuges komplett aus. Die Zugmaschine des Lkw kippte quer zur Fahrtrichtung der Autobahn auf die Seite und blockierte beide Fahrspuren der Autobahn. Die Unterseite des Lkw zeigte dabei in Richtung des auf der Autobahn herannahenden Verkehrs. Der in Anspruch genommene Beklagte befuhr mit seinem Pkw ebenfalls die selbe Autobahn. Bei Annäherung an die Unfallstelle erkannte er im Bereich des Standstreifens mehrere Fahrzeuge mit eingeschaltetem Warnblinklicht. Der Beklagte wie auch die weiteren Insassen seines Fahrzeuges gingen von einer Pannen-Situation aus. Als der Beklagte nach Passieren dieser Fahrzeuge das Fernlicht einschaltete, bemerkte er plötzlich die dunkle Fläche des Lkw, leitete noch eine Vollbremsung ein, ohne indes eine Kollision mit dem Führerhaus verhindern zu können.

Der Kläger behauptete im Rechtsstreit, durch den Anstoß des Beklagten-Fahrzeuges einerseits Verletzungen erlitten zu haben, andererseits Beschädigungen an ihm gehörenden, im Lkw befindlichen Gegenständen.

Nach durchgeführter Beweisaufnahme insbesondere durch Vernehmung des Zeugen Z. und die unfallaufnehmenden Polizeibeamten sowie die Insassen des Beklagten-Fahrzeuges hat das AG Dorsten die Klage abgewiesen, da der Beklagte bereits dem Grunde nach nicht hafte.

Das Amtsgericht bejaht bei seiner Entscheidung zwar, dass der Beklagte die hier entscheidende Kollision schuldhaft mitverursacht habe, insbesondere weil er ersichtlich nicht das Sichtfahrgebot auf Autobahnen, wonach ein Fahrzeugführer sein Fahrzeug innerhalb des einsehbaren Bereiches zum Stehen bringen können muss, eingehalten habe. Dieser Verursachungsbeitrag träte allerdings vollständig einerseits hinter einem Mitverschulden des Klägers selbst und andererseits – aufgrund eines gestörten Gesamtschuldverhältnisses – gegenüber dem überwiegenden Verursachungsbeitrag des Zeugen Z. zurück.

Der Zeuge Z. habe durch sein leichtfertiges Verhalten den Ausgangsunfall (Umstürzen des Lkw) verursacht. Insoweit hafte der Zeuge Z. grundsätzlich gesamtschuldnerisch neben dem Beklagten wegen des Unfallereignisses, wobei ihn in einer direkten Abwägung der Verursachungsbeiträge die überwiegende Haftung von 70 % träfe. Da der Kläger und der Zeuge Z. Angestellte desselben Unternehmens seien, könne der Kläger den Zeugen Z. aufgrund der nach § 105 SGB VII für Angestellte desselben Unternehmens geltenden Haftungsprivilegierung nicht auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch nehmen. Über das Institut des gestörten Gesamtschuldnerverhältnisses müsse sich der Kläger daher auch diesen Verursachungsbeitrag des Zeugen Z. anspruchsmindernd bereits entgegenhalten lassen, soweit er Ansprüche gegenüber den Beklagten geltend mache.

Hinzu käme – aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme – dass feststehe, dass der Kläger sich in unverantwortlicher Weise selbst weiter in Gefahr begeben habe, da er nicht unmittelbar nach dem Unfall den quer auf der Autobahn blockierend liegenden Lkw verlassen habe. Denn insoweKläger sich noch einen längeren Zeitraum im Fahrerhaus aufgehalten habe. Im Ergebnis träte daher das Verschulden des Beklagten hinter dem eigenen Mitverschulden des Klägers und dem ihm anzurechnenden Verursachungsbeitrag des Zeugen Z. vollständig zurück.

Das Urteil des AG Dorsten verdient deswegen besondere Beachtung, weil der dort zugrundeliegende Sachverhalt zeigt, dass die Haftungsprivilegien der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 104 ff. SGB VII) im Einzelfall auch Auswirkungen auf die Frage der Haftung von Außenstehenden (nicht Betriebsangehörigen oder sonstigen privilegierten Personen) erlangen über das Institut der sogenannten gestörten Gesamtschuldnerschaft. Dieser Aspekt war auch im vorliegenden Fall in der vorprozessualen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und der mitbeklagten Pkw-Haftpflichtversicherung völlig außer Acht gelassen worden.

Das Urteil ist rechtskräftig.

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