Fristenkontrolle in der Anwaltskanzlei

BGH, Beschluss vom 12.09.2012, — Aktenzeichen: XII ZB 528/11

Leitsatz
Ein Rechtsanwalt ist zur gesonderten Prüfung der weisungsgemäßen Erstellung, Vorlage und Absendung eines fristgebundenen Schriftsatzes durch qualifizierte Mitarbeiter nur verpflichtet, wenn ihm aufgrund der ihm bekannten Umstände ein von diesen begangener Fehler offenbar wird.

Sachverhalt
Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem Mietverhältnis. Die Beklagte ist durch Urteil des Landgerichts u.a. zur Räumung verurteilt worden. Dagegen hat sie rechtzeitig Berufung eingelegt, die Frist zur Berufungsbegründung hingegen versäumt.

Die Beklagte hat daraufhin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und dies damit begründet, ihr Prozessbevollmächtigter habe an einem zunächst erstellten Entwurf der Berufungsbegründung noch in seinem PC eine Ergänzung vorgenommen und anschließend eine Mitarbeiterin angewiesen, die Berufungsbegründung „auszufertigen“, d.h. die Datei mit den erforderlichen Ausfertigungen auszudrucken und zur Unterschrift vorzulegen, und mit der zur Einsicht überlassenen Gerichtsakte an das Gericht abzusenden.

Der Rechtsanwalt, der sich im Laufe des Tages in Mandantengesprächen befand, ging dann davon aus, dass die Berufungsbegründung versandt und die Unterschrift von seinem Vertreter geleistet worden sei. Entgegen seiner Anweisung sei die Berufungsbegründung hingegen nicht ausgefertigt und dementsprechend auch nicht abgesandt worden. Die Frist wurde dennoch gelöscht.

Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Der BGH hat diesen Beschluss aufgehoben und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Entscheidung
Das Oberlandesgericht hat die Zurückweisung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand damit begründet, dass sich der Anwalt angesichts der Eilbedürftigkeit der Sache hätte vergewissern müssen, dass die Berufungsbegründung tatsächlich ausgefertigt und unterschrieben worden sei. Dies habe er nicht getan, weshalb ein Verschulden anzunehmen sei. Dieser Auffassung hat der BGH eine Absage erteilt.

Der BGH führt aus, dass der Anwalt nicht gehalten war, die Ausführung der von ihm erteilten Weisung – Ausfertigung der Berufungsbegründung – zu überprüfen oder die Ausführung durch organisatorische Vorkehrungen zu sichern, da es sich lediglich um eine Anweisung im Rahmen der Anfertigung fristgebundener Schriftsätze, deren Ausführung von der allgemeinen Fristen- und Ausgangskontrolle umfasst wird – handelte und die Ausführung der Weisung keine besondere Schwierigkeit aufwies.

Auch im Weiteren konnte der BGH kein Verschulden des Anwaltes feststellen. Die Fristen- und Ausgangskontrolle war vom Rechtsanwalt in zulässiger Weise seinen Büroangestellten übertragen. Dabei genügt er seinen Pflichten, indem er eine fachlich einwandfreie Kanzlei-Organisation sicherstellt, die betrauten Angestellten sorgfältig aussucht und durch Stichproben kontrolliert. Wird er diesen Anforderungen gerecht, so ist es ihm nicht als Verschulden anzulasten, wenn seine Angestellten im Einzelfall die Fristen- oder die Ausgangskontrolle nicht oder nicht sorgfältig durchführen. Ein Rechtsanwalt muss daher nur dann die Einhaltung von Fristen und den Postausgang selbst kontrollieren, wenn ihm ein Versäumnis seiner Angestellten offenbar wird. Zu einer allgemeinen Überwachung seiner Angestellten darauf, ob seine Anweisungen ausgeführt werden, ist er dagegen nicht verpflichtet.

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