Bieter muss in der Regel nicht auf Mängel in der Ausschreibung hinweisen

OLG Naumburg, Urteil vom 18.08.2017 – 7 U 17/17;
BGH, Beschluss vom 21.02.2018 – VII ZR 214/17 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

 

Leitsatz

1. Ein Bieter muss nur dann auf Mängel der Ausschreibungsunterlagen hinweisen, wenn er die Ungeeignetheit der Ausschreibung vor Vertragsschluss positiv erkennt bzw. etwaige Unstimmigkeiten und Lücken des Leistungsverzeichnisses auf der Hand liegen.

2. Über die von ihm erkannten und offenkundigen Mängel der Vergabeunterlagen muss der Bieter den Auftraggeber dann aufklären, wenn diese ersichtlich ungeeignet sind, das mit dem Vertrag verfolgte Ziel zu erreichen.

 

Sachverhalt

Der spätere Auftragnehmer (AN) nimmt an einer öffentlichen Ausschreibung zum Bauvorhaben „Erweiterung des Hochwasserschutzes einer Kläranlage“ teil. Der Planer (P) hat dazu ein Leistungsverzeichnis erstellt. Darin sind die Spundwandprofile über die gesamte Länge des Schutzdeiches mit einer Länge von 2 m anzubringen. Der AN gibt ein entsprechendes Angebot ab und erhält den Zuschlag. Vor Baubeginn meldet der AN Bedenken gegen die vorgesehene Art der Ausführung an. Daraufhin erfolgt eine Neuberechnung der Statik, die nun Spundwandlängen von bis zu 5 m verlangt. Auf der Grundlage der geänderten Bohlenlängen unterbreitet der AN ein Nachtragsangebot und rechnet später knapp über 250.000,00 € ab. Diesen Betrag macht der AG gegenüber P als Schadensersatz wegen eines Planungsmangels geltend. P zahlt 198.000,00 € an den AG als Schadensersatz und verlangt vom AN im Wege des Gesamtschuldnerausgleiches Ersatz in Höhe von 99.000,00 € mit der Begründung, der AN habe die Ausschreibung vor Angebotsabgabe nicht ordnungsgemäß geprüft.

 

Entscheidung

Die Klage hat keinen Erfolg.

Der Gesamtschuldnerausgleichsanspruch setzt voraus, dass der AN dem AG wegen der falsch dimensionierten Spundwandbohlenlänge gesamtschuldnerisch neben dem Planer auf Schadensersatz haftet. Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Eine Haftung des AN ist nicht gegeben, denn der Schadensersatzanspruch kann nicht auf eine schuldhafte Verletzung vorvertraglicher Prüf- und Hinweispflichten gestützt werden. Zwar könne aus dem allgemeinen Gebot zu korrektem Verhalten und Rücksichtnahme bei den Vertragsverhandlungen eine vorvertragliche Prüfungs- und Hinweispflicht des Bieters bestehen, wenn die Vergabeunterlagen evident fehlerhaft sind und etwa Plausibilitätsdefizite aufweisen. Darüber gehen die Hinweispflichten eines Bieters im vorvertraglichen Bereich allerdings nicht hinaus. Andernfalls, so das OLG Naumburg, werde das Gefüge der widerstreitenden Interessen zwischen AG und AN zu sehr verschoben. Mithin ist ein Bieter nur dann verpflichtet, auf mangelhafte Ausschreibungsunterlagen hinzuweisen, wenn er deren Ungeeignetheit vor Vertragsschluss positiv erkennt bzw. etwaige Unstimmigkeiten und Lücken des LV klar auf der Hand liegen. Über die von ihm erkannten und offenkundigen Mängel muss der AN den AG dann aufklären, wenn diese ersichtlich ungeeignet sind, das mit dem Vertrag verfolgte Ziel zu erreichen. Dafür haben in dem vorliegenden Rechtsstreit jedoch keine Anhaltspunkte bestanden.

 

Fazit

Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass sich der (öffentliche) Auftraggeber erkannte Kalkulationsfehler im Angebot eines Bieters durchaus zu Nutze machen und den Zuschlag auf ein solches Angebot erteilen darf. Etwas Anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn das Äquivalenzinteresse zwischen Leistung und Vergütung so erheblich gestört wird, dass dem Auftragnehmer die Ausführung der Leistung schlechterdings nicht zugemutet werden kann. Umgekehrt bedeutet dies allerdings auch, dass ein Bieter Fehler im LV grundsätzlich zu seinen Gunsten ausnutzen darf und vom Bestehen vorvertraglicher Hinweispflichten nur in absoluten Ausnahmefällen ausgegangen werden kann.

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