Belehrungspflicht des Notars bei Beurkundung eines Bauträgervertrags, wenn im Grundbuch ein Zwangsversteigerungsvermerk eingetragen ist

BGH, Urteil vom 22.7.2010 — Aktenzeichen: III ZR 293/09 und Beschluss vom 26.02.2009 – III ZR 135/08

Leitsatz
Auch im Rahmen der erweiterten oder betreuenden Belehrungspflicht ist ein Notar nicht verpflichtet, die wirtschaftliche Durchführbarkeit des Geschäfts bzw. die Angemessenheit zu überprüfen. Bei der Beurkundung eines Bauträgervertrags hat der Notar jedoch auch auf die Gefahren für die wirtschaftliche Durchführbarkeit des Vertrages hinzuweisen, wenn im Grundbuch ein Zwangsversteigerungsvermerk eingetragen ist.

Sachverhalt
Der BGH hatte folgenden Fall zu entscheiden:

Die Kläger hatten von einer Bauträgergesellschaft eine Eigentumswohnung gekauft, wobei sich die Verkäuferin verpflichtete, das Objekt bezugsfertig herzustellen. Der Kaufpreis sollte nach Maßgabe eines der Makler- und Bauträgerverordnung entsprechenden Ratenzahlungsplans entrichtet werden. Zum Zeitpunkt des Verkaufs war im Grundbuch ein Zwangsversteigerungsvermerk eingetragen. Der Zwangsversteigerungsvermerk wurde gelöscht, bevor der Beklagte, der beurkundende Notar, die erst Kaufpreisrate auskehrte. Die Verkäuferin konnte ihren vertraglichen Verpflichtungen wegen finanzieller Schwierigkeiten nicht mehr nachkommen. Die Kläger kündigten den Bauträgervertrag und ließen die Fertigstellung der Wohnung auf eigene Kosten ausführen.

Die Kläger werfen dem Notar die Verletzung seiner notariellen Amtspflicht vor, weil er sie nicht über den noch im Grundbuch eingetragenen Zwangsversteigerungsvermerk und die ihm nach ihrer Behauptung im Einzelnen bekannten wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Verkäuferin unterrichtet habe.

Entscheidung
Nach der Entscheidung des BGH vom 22.07.2010 ist ein Schadensersatzanspruch gegen den Notar begründet.

Grundsätzlich obliegt es dem Notar nach § 17 I S. 1 BeurkG zwar nicht, über die wirtschaftlichen Folgen und die wirtschaftliche Durchführbarkeit des beabsichtigten Geschäfts oder mögliche finanziellen Schwierigkeiten eines Vertragspartners zu belehren, weil der Notar nicht auf die wirtschaftliche Tragweite des Rechtsgeschäfts hinzuweisen hat. Der BGH bestätigt in der Entscheidung vom 22.07.2010 seine ständige Rechtsprechung, wonach sich die sogenannte erweiterte Belehrungspflicht eines Notars nur in Ausnahmefällen auch auf die wirtschaftlichen Folgen eines Rechtsgeschäfts erstreckt, dass damit aber nicht eine Aufklärung über die Werthaltigkeit des Kaufobjekts bzw. die Angemessenheit des Kaufpreises gemeint war, um die sich der Notar grundsätzlich nicht zu kümmern braucht (Beschluss vom 26.02.2009).

Ist im Grundbuch ein Zwangsversteigerungsvermerk eingetragen, dann hat jedoch der Notar nach Auffassung des BGH im Rahmen seiner Hinweis- und Belehrungspflichten, den bei einem im Grundbuch eingetragenen Zwangsversteigerungsvermerk (typischerweise) bestehenden Zusammenhang zwischen der rechtlichen und wirtschaftlichen Durchführbarkeit des Vertrags zu berücksichtigen. Bei der Beurkundung eines Bauträgervertrages ist der Notas wegen der mit dem Abschluss eines solchen Vertrags verbundenen wirtschaftlichen Risiken und der gegenüber Verbrauchern bestehenden besonderen Schutz- und Belehrungsfunktion der Beurkundung verpflichtet, nicht nur auf die durch den Zwangsversteigerungsvermerk für die rechtliche, sondern auch auf die für die wirtschaftliche Durchführbarkeit des Vertrages entstehenden Gefahren hinzuweisen. Dies gilt wegen der mit dem Abschluss eines solchen Vertrags verbundenen wirtschaftlichen Risiken und den gegenüber Verbrauchern bestehenden besonderen Schutz- und Belehrungsfunktionen der Beurkundung. Diese Pflicht ist Ausfluss der sich aus § 14 BNotO ergebenden sogenannten erweiterten Belehrungspflicht, die sich in Ausnahmefällen auch auf die wirtschaftlichen Folgen eines Rechtsgeschäfts erstrecken kann.

Da der Notar nicht ohne weiteres davon ausgehen kann, dass dem (privaten) Käufer eines Hauses oder Eigentumswohnung die wirtschaftliche Dimension der Eintragung eines Zwangsversteigerungsvermerks bewusst ist, ist der Notar regelmäßig gehalten, ihn vor Abschluss finanziell riskanter Verträge auf die „faktische Warnfunktion“ eines Zwangsversteigerungsvermerks hinzuweisen. Auf diese Weise soll der Kaufinteressent in die Lage versetzt werden, die für ihn bestehenden wirtschaftlichen Risiken (besser) abzuschätzen und ggf. weitere Erkundigungen anzustellen.

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