Schadensersatzberechnung für den unzureichend aufgeklärten Mandanten

BGH, Urteil vom 15.1.2009 — Aktenzeichen: IX ZR 166/07

Leitsatz
1. Die Pflicht eines Rechtsanwalts, seinen Mandanten über den Inhalt eines möglichen Vergleichs aufzuklären, dient auch dem Schutz der ohne den Vergleich bestehenden Rechtsposition des Mandanten.

2. Schließt der Mandant einen Vergleich, weil ihn sein Rechtsanwalt über dessen Inhalt unzureichend aufgeklärt hat, so kann sein Anspruch auf Schadensersatz nicht unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der verletzten Pflicht auf die Differenz zu der Vermögenslage beschränkt werden, die er – nicht aber die Gegenpartei – als Inhalt des Vergleichs akzeptiert hätte.

Sachverhalt
Der Kläger schloss als damaliger Anwalt für den Beklagten im Jahre 2002 zur Erledigung eines Kündigungsschutzprozesses einen Vergleich. Dieser hatte zum Inhalt, dass das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2002 beendet wurde. Der Vergleich beinhaltete auch die noch zu zahlende Vergütung. In der Folgezeit stellte sich heraus, dass der Vergleich in zwei Punkten nicht den Vorstellungen des Beklagten entsprach. Zum einen war der frühere Arbeitgeber entgegen der Annahme des Beklagten nach dem Vergleich nicht verpflichtet, die Vergütung für die Altersteilzeit aufzustocken. Zum zweiten musste es der Beklagte hinnehmen, dass ihm der frühere Arbeitgeber eine um monatlich 321,34 € gekürzte Altersrente bezahlte. Einen den Vorstellungen des Beklagten entsprechenden Vergleich hätte der frühere Arbeitgeber nicht abgeschlossen.

In der Folgezeit beglich der Beklagte verschiedene Rechnungen des Klägers nicht. Dieser klagte im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung seines Anwaltshonorars. Der Beklagte erhob daraufhin Widerklage und forderte Schadensersatz in Höhe von 163.273,43 €; dies insbesondere mit der Behauptung, der Kläger habe die ihm als Rechtsanwalt im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vergleiches obliegenden Pflichten verletzt. Er verlangt so gestellt zu werden, als wäre der Vergleich nicht geschlossen worden und das Arbeitsverhältnis bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres mithin bis zum 30.09.2006, fortgesetzt worden.

Die Widerklage hatte beim Landgericht keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat den Kläger auf die Widerklage hin verurteilt, an den Beklagten 14.460,30 € zu zahlen. Im übrigen hat es die Widerklage abgewiesen. Gegen die Abweisung der Widerklage richtete sich die Revision des Beklagten.

Entscheidung
Die Revision hatte Erfolg. Sie führte im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Der BGH führt im einzelnen aus, dass der mit der Widerklage geltend gemachte Schaden Folge der Pflichtverletzung des Klägers sei. Ein Vergleich wäre nicht zustande gekommen, wenn der Beklagte vom Kläger pflichtgemäß über den genauen Inhalt des vereinbarten Vergleichs aufgeklärt worden wäre. Einem Vergleich mit dem Inhalt, den der Beklagte akzeptiert hätte, hätte sein Arbeitgeber nicht zugestimmt. Der Prozess wäre daher bei pflichtgemäßer Aufklärung streitig fortgeführt worden. Der Beklagte hätte in diesem Prozess obsiegt, so dass sein Arbeitsverhältnis bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres fortgedauert hätte.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes sei der Schadensersatzanspruch des Beklagten nicht auf die Herstellung der Vermögenslage begrenzt, die sich für ihn ergeben hätte, wenn der Inhalt des Vergleiches seinen Vorstellungen entsprochen hätte. Denn die Pflicht eines Rechtsanwalts, seinen Mandanten über den Inhalt eines möglichen Vergleichs aufzuklären, solle nicht nur sicherstellen, dass der Vergleich den Vorstellungen des Mandanten entspricht, sondern dient auch dem Schutz der ohne den Vergleich bestehenden Rechtsposition des Mandanten. Eine Beschränkung des ersatzfähigen Schadens auf den Umfang des Erfolgs, den der Mandant im Vergleichswege erzielen wollte, könne nur dann in Betracht kommen, wenn der Mandant einen Vergleich schließen möchte, weil er das Prozessrisiko scheut und hierbei aufgrund einer unzureichenden Belehrung über den Inhalt des Vergleichs rechtliche oder tatsächliche Positionen aufgibt, über die der Prozessgegner noch verhandlungsbereit war. Dann kann dem Mandanten als Schadensersatz nicht dasjenige zugesprochen werden, was er durch ein voll obsiegendes Urteil erhalten hätte.

Im vorliegenden Fall musste der Beklagte sich aber zwischen der nicht gewollten durch den Vergleich herbeigeführten Vermögenslage und der bei einer Fortführung des Prozesses bestehenden Vermögenslage entscheiden. Die Pflicht zur sachgerechten Aufklärung durch den Kläger hatte somit auch den Zweck, den Beklagten davor zu bewahren, aufgrund einer Fehlvorstellung über den Inhalt des Vergleichs auf die Fortführung des Prozesses und die damit zu wahrenden Rechtsposition zu verzichten.

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