Keine Haftung wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten bei massivem Verstoß gegen Eigeninteressen des Verletzten

Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 14.3.2007 — Aktenzeichen: I-19 U 30/06

Leitsatz
Die Klage eines Geschädigten wegen angeblicher Verletzung von Verkehrssicherungspflichten und daraus resultierender Schäden (hier: Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderung) ist unbegründet, wenn feststeht, dass die jenige Gefahr, die im konkreten Fall zum Schaden geführt hat, jedermann vor Augen stehen muss und vor der sich deswegen jedermann durch die zu verlangende eigene Vorsicht ohne weiteres hätte selbst schützen können.

Sachverhalt
Das OLG Düsseldorf hat durch sein Urteil vom 14.03.2007 nochmals die Voraussetzungen für eine Haftung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten in Abwägung zu einem Eigenverschulden klargestellt.

Im konkreten Falle hatte die dortige Klägerin Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit einer Verletzung des Fußes geltend gemacht. Die Klägerin war am Unfalltag mit der Zehe ihres rechten Fußes unter eine 4 cm überstehende Deckplatte einer Glastür geraten, wodurch die Zehe nicht unerheblich verletzt worden war. Bei der Glastür handelte es sich um das Portal eines Kaufhauses. Dieses Glasportal konnte über die komplette Breite elektrisch zu im Boden versenkt werden. Die obere Abdeckplatte, die über die Glasfläche um ca. 4 cm hinaus ragte, diente bei völliger Versenkung dazu, den Schacht, in dem die Glastür versenkt wurde, abzudecken. Im konkreten Fall bestand darüber hinaus die Besonderheit, dass die eigentlichen Glasflächen an der Oberkante einen breiten, in Warnfarben schraffierten Balken aufwies, der während des Absenkvorgangs deutlich jedem in der Nähe stehenden vor Augen trat. Am Unfalltag hatte die Klägerin, die in dem Kaufhaus beschäftigt war, die Beklagte veranlasst, das Portal herabzusenken. Während des Absenkvorgangs war die Klägerin mit ihrem rechten Fuß unter die obere Abdeckplatte geraten. Die Einzelheiten hierzu waren zwischen den Parteien streitig.

Das Landgericht Wuppertal hatte bereits in erster Instanz die Klage der Klägerin abgewiesen mit der Begründung, dass eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten auf Seiten der Beklagten nicht bestehe.

Entscheidung
Das OLG Düsseldorf bestätigte das landgerichtliche Urteil und führte zur Begründung aus, dass nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Verkehrssicherungspflicht nicht allein schon durch jede theoretische Möglichkeit einer Gefährdung ausgelöst wird. Da eine jeglichen Schadensfall ausschließende Verkehrssicherung nicht erreichbar sei und auch die berechtigten Verkehrserwartungen nicht auf einen Schutz vor allen nur denkbaren Gefahren ausgerichtet seien, beschränke sich die Verkehrssicherungspflicht Dritter auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar seien und die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halte, um Andere vor Schaden zu bewahren. Haftungsbegründend werde die Nichtabwendung einer Gefahr erst, wenn sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergäbe, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden könnten. Es sei im Einzelfall daher eine Gesamtabwägung nach Ausmaß und Größe der Gefahr, Art und Umfang des Verkehrs und seiner berechtigten Sicherheitserwartungen, sowie der Zumutbarkeit der Aufwendungen für den Sicherungspflichtigen vorzunehmen.

Angesichts der konkreten Ausgestaltung des hier entscheidenden Glasportals habe allerdings die dortige Beklagte davon ausgehen dürfen, dass von diesem Portal keine besondere Gefahr ausgehe für eine Person, die zumindest einen Schritt entfernt von der Glastür stehe. Denn die Grenzen zwischen abhilfebedürftigen Gefahren und von den Benutzern hinzunehmenden Erschwernissen werde ganz maßgeblich – so das OLG Düsseldorf – durch die sich im Rahmen des vernünftigen haltenden Sicherheitserwartungen des Verkehrs bestimmt, die sich Wesentlich an dem äußeren Erscheinungsbild der Verkehrsfläche und der Verkehrsbedeutung orientierten. Die Sicherheitserwartungen des Verkehrs sei gegenüber denjenigen Gefahren herabgesetzt, die jedem vor Augen stehen müssten und von denen man sich deshalb durch die zu verlangende eigene Vorsicht ohne Weiteres selbst schützen könne.

Aus diesem Grunde habe die in Anspruch genommene Beklagte im konkreten Fall nicht damit rechnen müssen, dass die Klägerin, vor deren Augen sich das deutlich als Gefahr durch den Warnbalken gekennzeichnete Glasportal gesenkt habe, plötzlich einen Schritt nach vorne in den unmittelbaren Nahbereich des Glasportals und der Abdeckung machen würde, so dass keineswegs eine Verpflichtung bestanden haben, vorab durch ausdrücklichen Hinweis die Klägerin darauf aufmerksam zu machen, dass sie einen bestimmten Sicherheitsabstand einzuhalten habe. Die Beklagte habe nämlich gerade nicht damit rechnen müssen, dass die Klägerin, dem Portal näher trete, bevor dieses vollständig im Boden versenkt sei.

Erfreulich deutlich stellt das OLG Düsseldorf in diesem Zusammenhang nochmals klar, dass eine Verkehrssicherungspflicht jedenfalls nicht bei solchen Gefahren bestehen, die jedem vor Augen stehen müssen und vor denen man sich deshalb durch entsprechende eigene Vorsicht ohne weiteres schützen kann und muss.

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