Kausalverläufe beim Anwaltsregress

LG Münster, Urteil vom 16.4.2019 — Aktenzeichen: 09 S 99/17

Leitsatz
Im Rahmen der Kausalität muss das Regressgericht prüfen, wie das Gericht im Vorprozess entschieden hätte. Nicht in jedem Fall aber ist die Beweisaufnahme zu wiederholen – so die Berufungskammer des Landgerichts Münster.

Sachverhalt
Der Kläger hat die Beklagten wegen fehlerhafter anwaltlicher Vertretung in Anspruch genommen.

Im Vorprozess stritt der Kläger, vertreten durch die Beklagten, um folgenden Sachverhalt: Der Kläger verkaufte einem Käufer ein Wohnmobil mit einem Wasserschaden. Inwieweit er im Vorfeld über diesen und seinen Umfang aufgeklärt hatte, war streitig. Bei Übergabe, die in Anwesenheit eines weiteren Zeugen des Käufers geschah, wurde der Wasserschaden bemerkt. Der Käufer erklärte den Rücktritt und hilfsweise die Anfechtung des Kaufvertrages wegen arglistiger Täuschung; im Prozess nahm der Kläger den Käufer auf Erfüllung in Anspruch.

In einer ersten mündlichen Verhandlung wurde die Ehefrau des Klägers dazu angehört, welche Angaben der Kläger u.a. telefonisch gegenüber dem Käufer gemacht hatte. Ein eingeholtes Sachverständigengutachten bestätigte das Vorliegen eines älteren Wasserschadens.

In einer zweiten mündlichen Verhandlung wurde der gegnerische Zeuge zum Umfang des Wasserschadens bei Übergabe angehört.

Die beklagten Rechtsanwälte hatten versäumt, den Kläger über diesen Termin zu informieren und berichteten ihm auch nicht vom Ergebnis des Termins.

Der Kläger verlor den Vorprozess in erster Instanz. Das Gericht stützte sein Urteil hinsichtlich des Vorliegens eines Mangels auf das Sachverständigengutachten sowie die Aussage des gegnerischen Zeugen; hinsichtlich des arglistigen Verschweigens des Mangels stützte das Gericht sein Urteil auf die Aussage der Ehefrau.

Der Kläger wechselte zwischen den Instanzen den Rechtsanwalt; in der Berufungsinstanz wurde die Ehefrau als Zeugin dafür angeboten, dass der gegnerische Zeuge das streitgegenständliche Wohnmobil gar nicht betreten habe und überhaupt keine Aussagen zum Zustand des Wohnmobils haben machen können, weshalb es jedenfalls am Arglistnachweis fehle; der entsprechende Beweisantritt wurde in der Berufungsinstanz als verspätet zurückgewiesen; der Kläger verlor das Verfahren insgesamt.

Im Regressverfahren stellte der Kläger zwar unstreitig, dass das Fahrzeug grundsätzlich bei Übergabe mangelhaft war; er warf den Beklagten aber vor, dass man keine Gelegenheit gehabt habe, die Ehefrau noch einmal früher als Zeugin dafür zu benennen, dass der gegnerische Zeuge das Wohnmobil gar nicht betreten habe; er habe deshalb keine richtigen Angaben zum Umfang des Wasserschadens machen können; es sei dem Kläger nicht nachzuweisen gewesen, dass er arglistig gehandelt habe.

Entscheidung
Die Berufungskammer des Landgerichts Münster hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil in erster Instanz zurückgewiesen.

Nach der Rechtsprechung des BGH hat das Regressgericht nicht zu prüfen, wie das Gericht im Vorprozess hypothetisch bei anderer Handhabung entschieden hätte, sondern wie es richtigerweise hätte entscheiden müssen.

Im vorliegenden Fall bestand nach Auffassung der Berufungskammer jedoch keinerlei Verknüpfung zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden, sodass eine Wiederholung der Beweisaufnahme nicht geboten war. Der gegnerische Zeuge war im Vorprozess allein dazu angehört worden, ob bei Übergabe des Fahrzeuges ein Mangel in Form eines Wasserschadens vorlag. Auch das Urteil bezog sich insoweit nur auf die Frage, ob überhaupt ein Mangel vorlag.

Die Beantwortung der Frage wiederum, ob der Kläger den Käufer arglistig getäuscht hatte, hatte das Gericht im Vorprozess allein darauf gestützt, welche Angaben die Ehefrau des Klägers gemacht hatte; der Kläger hatte nach dieser Aussage gegenüber dem Käufer insofern „ins Blaue hinein“ Angaben gemacht, die der Arglist gleichstünden. Ohnehin war nach Auffassung der Berufungskammer eine Anhörung des Zeugen untunlich, da dieser über das Zustandekommen des Kaufvertrages keine Angaben machen konnte.

Der in Anspruch genommene Rechtsanwalt, der versäumt hat, einen Gegenzeugen zu benennen, muss daher bei seiner Verteidigung sorgfältig differenzieren. Die hypothetische Beweisaufnahme des Vorprozesses ist nicht zwingend nachzuholen. Vielmehr sind Konstellationen denkbar, in denen sich die behauptete Zeugenaussage gar nicht ausgewirkt hätte. Hierauf ist das Regressgericht hinzuweisen, damit es nicht davon ausgeht, es habe schlicht den Vorprozess unter Einbeziehung eines übersehenen Zeugen zu wiederholen.

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