Inanspruchnahme des Veräußerers als Zustandsstörer; Ordnungsverfügung versus Wohnungseigentümerbeschluss

OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.08.2022 – 2 B 104/22

 

Leitsätze (amtlich)

  1. Solange die Übertragung des Eigentums auf den Erwerber noch nicht erfolgt ist, stehen weder der Abschluss des notariellen Kaufvertrags noch die mangelnde Sachherrschaft an den veräußerten Wohnungseigentumsanteilen der Inanspruchnahme des Veräußerers als Zustandsstörer entgegen.
  2. Bei einer geforderten brandschutzrechtlichen Ertüchtigung von Wohnräumen handelt es sich nicht um eine Maßnahme, deren Vornahme zur Disposition der Wohnungseigentümer steht, sondern um eine behördliche Anordnung im Rahmen der Gefahrenabwehr, die erforderlichenfalls im Wege der Verwaltungsvollstreckung auch ohne entsprechende Beschlusslage der WEG durchgesetzt werden könnte. Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer wird sich ihrer Verpflichtung zur Vornahme dieser zwingend erforderlichen Maßnahmen zur Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Anforderungen an das gemeinschaftliche Eigentum daher nicht durch eine ablehnende Beschlussfassung entziehen können.

 

Sachverhalt

A ist Eigentümer der Nutzungseinheiten Nr. 1, 2, 5, 6, 7, 9 und 10 und ehemaliger Verwalter der WEG. Seine Nutzungseinheiten veräußerte er mit notariellem Vertrag vom 16.09.2019 an E. Im Grundbuch wurde eine Auflassungsvormerkung zugunsten E eingetragen. Das Eigentum sollte erst mit vollständiger Zahlung des Kaufpreises i.H.v. 200.000€ (Anzahlung i.H.v. 20.000€, Monatsraten i.H.v. 1.500€) übergehen. E übernimmt seit der Beurkundung auch die Verwaltung der WEG.

Infolge diverser brandschutzrechtlicher Mängel und der illegalen Umnutzung von drei Nutzungseinheiten (Nr. 6, 9, 10) sowie der illegalen Errichtung einer Nutzungseinheit (Nr. 2) kündigte die zuständige Behörde nach Anhörung aller Eigentümer und Bewohner mit Schreiben vom 30.10.2018/02.12.2019 eine Nutzungsuntersagung an, falls die Mängel nicht zeitnah behoben würden.

Die zuständige Behörde forderte mit Bescheid vom 27.01.2020 A zur Einreichung eines entsprechenden Bauantrages auf und erließ eine Anordnung zur Beseitigung der brandschutzrechtlichen Mängel mit der Anordnung des Sofortvollzugs gegen A „als Eigentümer mit Mehrheitsanteil, Verwalter, Bauherr sowie Handlungs- und Zustandsstörer“. Sollte dieser dem nicht fristgerecht nachkommen, setzte die Anordnung ein Zwangsgeld aufschiebend bedingt fest. Hiergegen erhob A am 21.02.2020 Widerspruch, der noch nicht beschieden wurde.

Am 28.09.2020 forderte die zuständige Behörde sodann das Zwangsgeld i.H.v. 13.500€, da A die Anordnungen zur Beseitigung der brandschutzrechtlichen Mängel nicht umgesetzt habe. Daraufhin stellte A beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid vom 27.01.2020 und trug vor, er habe die Nutzungseinheiten an E veräußert und daher keine Zutrittsbefugnis mehr. Das Verwaltungsgericht hörte E an und setzte das Verfahren aus, bis eine rechtskräftige Duldungsverfügung gegen E vorliege. Nach Erledigungserklärungen der Beteiligten wurde das Verfahren schließlich eingestellt. Die bestandskräftige Duldungsverfügung gegen E wurde mit Bescheid vom 14.08.2020 erwirkt. Die zuständige Behörde forderte von A nochmals die in dem Bescheid vom 27.01.2020 angedrohten Zwangsgelder i.H.v. 15.500€. Dieser beantragte wiederum am 04.01.2022 beim Verwaltungsgericht einstweiligen Rechtsschutz gegen den Bescheid vom 27.01.2020 und gegen die zwischenzeitlich eingeleitete Zwangsvollstreckung. Er beantragte u.a. die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 21.02.2020 und der nachfolgenden Klage gegen die Anordnung vom 27.01.2020. Ihm als einzelnen Wohnungseigentümer sei die Umsetzung der angeordneten Maßnahmen, die zur Beseitigung der brandschutzrechtlichen Mängel nötig seien, rechtlich und tatsächlich unmöglich. Dies führe zur fehlenden Vollstreckbarkeit, insb. zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Er sei nach der Aufgabe der Sachherrschaft nicht mehr als (Zustands-)Störer i.S.d. LBO anzusehen.

Die Behörde hält dem entgegen, dass A nach dem damaligen Wissensstand der Behörde der Verwalter der WEG gewesen sei. Er sei auch Zustandsstörer, da er im Grundbuch immer noch als Eigentümer mit einem Mehrheitsanteil von 65,5% eingetragen sei. Die Auflassungsvormerkung zugunsten des E beseitige nicht die Störereigenschaft des Antragstellers. Auch der fehlende Besitz mache den Bescheid oder die Zwangsgeldanforderung nicht rechtswidrig.

Das Verwaltungsgericht wies den Antrag des A mit Beschluss vom 09.05.2022 zurück. Gegen diese Zurückweisung richtet sich die seine nun erhobene Beschwerde. Die WEG habe zudem die Durchführung der brandschutzrechtlichen Maßnahmen abgelehnt. Mangels Stimmrechts habe er keine Möglichkeit, auf die Beschlussfassung der WEG über die angeordneten Maßnahmen einzuwirken. Die baulichen Änderungen des Gemeinschaftseigentums seien jedoch nur nach einer Beschlussfassung der WEG vorzunehmen. Daher sei ihm die Durchführung der angeordneten Maßnahmen ohne bzw. gegen den Willen der WEG unmöglich. Dies beeinflusse auch nicht nur die Rechtswidrigkeit der Vollstreckung. Weiterhin sei es grob unbillig, ihn als ehemaligen Verwalter, der als Eigentümer faktisch keine Mitwirkungsrechte mehr habe, als Störer in Anspruch zu nehmen. Dies sei nicht im Sinne einer effektiven und schnellen Gefahrenabwehr. Vielmehr sei E, da er die Bauanträge gestellt habe, für die baulichen Maßnahmen des Sondereigentums verantwortlich, daher sei er selbst nicht mehr Handlungsstörer. Die Maßnahmen hätten in der Baugenehmigung des E aufgeführt werden müssen. Deshalb hätte nur die WEG, vertreten durch Verwalter E als rechtsfähige Gemeinschaft in Anspruch genommen werden können.

 

Entscheidung

Die Beschwerde des Antragstellers hatte keinen Erfolg. Die Anordnung gem. § 57 Abs. 3 LBO war ermessensfehlerfrei.

Der notarielle Kaufvertrag und die mangelnde Sachherrschaft an den veräußerten Wohnungseigentumsanteilen machen die baulichen Maßnahmen nicht subjektiv unmöglich, denn das Eigentum der Nutzungseinheiten verblieb beim Antragsteller.

Ob gegenüber allen Wohnungseigentümern gleiche Bescheide ergehen oder nur ein Bescheid gegen die WEG ergeht, macht hinsichtlich der Effektivität der Gefahrenabwehr keinen Unterschied. E kann für die erheblichen Brandschutzmaßnahmen nicht alleine aufgrund seiner Verwaltereigenschaft in Anspruch genommen werden. Die alleinige ordnungsrechtliche Inanspruchnahme des Verwalters einer WEG sei nicht zulässig, da die eigenständigen Befugnisse des Verwalters überschritten würden. Die anderen Wohnungseigentümer seien hinsichtlich des Gemeinschaftseigentums unterhaltspflichtig und auch potentiell ordnungspflichtig.

Der Einwand der fehlenden Sachherrschaft ist zudem nicht für die Rechtmäßigkeit der Störerverantwortlichkeit von Bedeutung, sondern erst für die Durchsetzung der Maßnahme im Wege der Vollstreckung. Allerdings liegt hier eine bestandskräftige Duldungsverfügung gegenüber E vor, sodass dies selbst einer zwangsweisen Durchsetzung nicht entgegengehalten werden könnte.

Der Antragsteller ist wie die anderen Wohnungseigentümer Zustandsstörer gem. § 5 Abs. 2 S. 1 SPolG.

Auch mit dem Argument, dass der Antragsteller kein Stimmrecht in der WEG mehr hat, kann dem nicht entgegengetreten werden. Nach der notariellen Vereinbarung übt E das Stimmrecht aus, soweit es die Gemeinschaftsvereinbarung der WEG es zulässt. Dass eine solche Gemeinschaftsvereinbarung besteht, wurde nicht nachgewiesen. Weiterhin kommt es für die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen nicht auf eine mögliche Beschlussfassung der WEG oder eine Einflussnahme auf diese Beschlussfassung an. Die angeordneten Maßnahmen stehen schon gar nicht zur Disposition der WEG. Im Falle einer ablehnenden Entscheidung der WEG könnten diese notfalls zwangsweise durchgesetzt werden.

Auch die Einwände in Hinblick auf die Inanspruchnahme der Maßnahmen an dem Sondereigentum haben keinen Erfolg. Der Antragsteller ist weiterhin Eigentümer und konnte daher auch als Zustandsstörer gem. § 5 Abs. 2 S. 1 SPolG in Anspruch genommen werden.

Einer Inanspruchnahme des Antragstellers steht es auch nicht entgegen, dass dieser keine Bauanträge gestellt habe und deshalb nicht Bauherr sei. Der Antragsteller konnte allein aufgrund seiner Eigentümerstellung ermessensfehlerfrei in Anspruch genommen werden. Vorliegend schied eine vorrangige Inanspruchnahme des E aus, da die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt der Anordnung keine Kenntnis von der Veräußerung der Nutzungseinheiten hatte. Zudem ist es unter Effektivitätsgesichtspunkten naheliegend, den Antragsteller als Eigentümer heranzuziehen, da hierdurch regelmäßig eine schnelle Beseitigung der Gefahr zu erwarten ist.

Aufgrund der Duldungsverfügung gegenüber E kann sich auch nicht auf zivilrechtliche Abreden berufen werden, dies wäre erst bei der zwangsweisen Durchsetzung zu berücksichtigen.

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Nutzungsverbot eines Parkhauses durch Mehrheitsbeschluss?

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

BGH, Urteil vom 15. Oktober 2021 – V ZR 225/20

Gegenstand der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist die Frage, ob Wohnungseigentümer die Nutzung des gemeinschaftlichen Eigentums mit einem Mehrheitsbeschluss aus Gründen der Verkehrssicherheit dauerhaft verbieten können, wenn auch das Sondereigentum infolge des Verbots nicht mehr genutzt werden kann.

 

Sachverhalt
Das Verfahren betrifft ein nach dem Wohnungseigentumsgesetz aufgeteiltes, über 40 Jahre altes und stark sanierungsbedürftiges Parkhaus. Drei der insgesamt elf Ebenen des Parkhauses stehen als eigene Teileigentumseinheit im Sondereigentum der Klägerin. Sie vermietet ihre Einheit an ein benachbartes Hotel. Die übrigen Ebenen mit den Einheiten der Beklagten sind seit Jahren außer Betrieb. Nachdem das Bauordnungsamt Nachweise für die Einhaltung der brandschutztechnischen Mindestanforderungen angefordert hatte, beschlossen die Wohnungseigentümer mehrheitlich, dass die Ebenen, die zu der Einheit der Klägerin gehören, nicht mehr genutzt werden dürfen. Vor dem Hintergrund, dass die Gemeinschaft eine Sanierung bereits zu einem früheren Zeitpunkt abgelehnt hatte, wurde der Klägerin gestattet, die brandschutztechnischen Mängel selbst und auf eigene Kosten zu beseitigen; erst nach Vorlage entsprechender Nachweise sollte sie die Nutzung wieder aufnehmen dürfen.

 

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof hat den Beschluss der Mehrheitseigentümer für ungültig erklärt. Dabei hat sich der Bundesgerichtshof von folgenden Erwägungen leiten lassen:

Zwar könnten im Grundsatz Wohnungseigentümer im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung ein auf das gemeinschaftliche Eigentum bezogenes Nutzungsverbot zum Zwecke der Gefahrenabwehr beschließen. Das komme aber jedenfalls dann nur aus zwingenden Gründen und in engen Grenzen in Betracht, wenn dadurch die zweckentsprechende Nutzung des Sondereigentums nicht eingeschränkt oder – wie hier – sogar vollständig ausgeschlossen wird.

Denn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind die Wohnungseigentümer verpflichtet, die Behebung gravierender baulicher Mängel des gemeinschaftlichen Eigentums zu veranlassen, die eine Nutzung des Sondereigentums zu dem vereinbarten Zweck erheblich beeinträchtigen oder sogar ausschließen. Sie können sich nicht darauf berufen, dass ihnen die damit einhergehenden Kosten nicht zuzumuten seien. Dieser Verpflichtung zur Vornahme zwingend erforderlicher Maßnahmen können sich die Wohnungseigentümer auch nicht durch ein mehrheitlich verhängtes dauerhaftes Nutzungsverbot entziehen.

Als solches wirkt sich der angefochtene Beschluss faktisch aus, weil die Beseitigung der Brandschutzmängel der Klägerin überantwortet wurde. Ein dauerhaftes Nutzungsverbot könnte nur dann rechtmäßig sein, wenn eine Sanierungspflicht der Wohnungseigentümergemeinschaft gemäß § 22 WEG ausgeschlossen wäre; dann müsste die Gefahrenabwehr durch Stilllegung des Gemeinschaftseigentums erfolgen.

Der Bundesgerichtshof hat nun geklärt, dass die Sanierungspflichten der Wohnungseigentümer, die aus der Überalterung bzw. der mangelnden Instandhaltung des Gebäudes herrühren, durch die genannte Vorschrift nicht begrenzt werden. Zerstört im Sinne von § 22 WEG ist ein Gebäude nur dann, wenn seine Nutzbarkeit durch punktuelle Ereignisse (wie Brand, Überflutung oder Explosion) wesentlich beeinträchtigt oder aufgehoben ist. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Norm mit dem Zusammenhang von Zerstörung, Wiederaufbau und Versicherungsleistung. Nach dem normalen Sprachgebrauch ist ein Gebäude nur dann zerstört, wenn seine Nutzbarkeit ganz oder teilweise aufgehoben ist, nicht hingegen deshalb, weil eine Sanierung hohe Kosten verursacht.

Bestätigt wird diese Sichtweise dadurch, dass das Gebäude „zu mehr als der Hälfte seines Werts‟ zerstört sein muss, damit der Anspruch auf Wiederaufbau ausgeschlossen ist. Bei einem punktuellen Ereignis wie einem Flutschaden bezieht sich der Wertvergleich auf den realen Gebäudewert vor und nach der Zerstörung. Bei einem Sanierungsstau fehlt es schon an einem konkreten Zeitpunkt, auf den ein „Vorher-Nachher-Vergleich‟ realer Werte bezogen werden könnte.

Auch wenn die Gesetzesmaterialien unergiebig sind, dürften dem Gesetzgeber bei Abfassung der Norm kurz nach Kriegsende im Jahre 1951 Verschlechterungen von Gebäuden durch Bombenangriffe und damit durch punktuelle Ereignisse vor Augen gestanden haben. Eine analoge Anwendung der Norm scheidet nach Einschätzung des Bundesgerichtshofs aus. Das Gesetz enthält schon keine planwidrige Regelungslücke.

Die mit dem Ausschluss des Wiederaufbaus zusammenhängende rechtspolitische Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Gemeinschaft gegen den Willen einzelner Wohnungseigentümer beendet werden kann, darf nicht durch richterliche Rechtsfortbildung, sondern nur durch den Gesetzgeber entschieden werden.

In diesem Verfahren war nicht die Aufhebung der Gemeinschaft, sondern allein die Wirksamkeit eines dauerhaften Nutzungsverbots zu beurteilen.

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