Haftung des Abschlussprüfers

Simone EibenSimone Eiben

BGH, Urteil vom 12.3.2020 – Aktenzeichen: VII ZR 236/19

Leitsatz

1. Eine Haftung des Abschlussprüfers nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 332 Abs. 1 HGB setzt voraus, dass Gegenstand der Prüfung eine nach Maßgabe des Handelsrechts vorgeschriebene Pflichtprüfung ist. Eine solche Pflichtprüfung liegt nicht vor, wenn die Prüfung der Jahresabschlüsse und der Lageberichte lediglich auf der Grundlage wertpapierrechtlicher Vorschriften über den notwendigen Inhalt eines Prospekts für die Emission einer Orderschuldverschreibung erforderlich ist.

2. Ein Anspruch eines Anlegers aus § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gegen einen Wirtschaftsprüfer kommt in Betracht, wenn der in einem Wertpapierprospekt enthaltene Bestätigungsvermerk nicht nur unrichtig ist, sondern der Wirtschaftsprüfer seine Aufgabe nachlässig erledigt, zum Beispiel durch unzureichende Ermittlungen oder durch Angaben ins Blaue hinein und dabei eine Rücksichtslosigkeit an den Tag legt, die angesichts der Bedeutung des Bestätigungsvermerks für die Entscheidung Dritter als gewissenlos erscheint (Anschluss an BGH, Urteil vom 19. November 2013 – VI ZR 336/12, NJW 2014, 383).

 

Sachverhalt

Der Kläger hat den Beklagten als Wirtschaftsprüfer wegen Erstellung von in Anlageprospekten veröffentlichten Bestätigungsvermerken über die Prüfung der Jahresabschlüsse nebst Lageberichten einer Anlagegesellschaft auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen.

Der Kläger zeichnete im Oktober 2012 sowie im Januar 2013 jeweils eine Orderschuldverschreibung der Anlagegesellschaft. Beide Zeichnungen beruhten auf mit einer Vermittlerin geführten Beratungsgesprächen, wobei die Anlageentscheidungen nach den Angaben in den Zeichnungsanträgen aufgrund der Emissionsprospekte, insbesondere des Basisprospekts für Orderschuldverschreibungen 2011/2012 und der Geschäftsberichte der Anlagegesellschaft sowie infolge der mündlichen Erläuterungen der Vermittlerin getroffen worden sein sollen. Der Basisprospekt enthielt für die Geschäftsjahre 2009 und 2010 Bestätigungsvermerke des Beklagten, in denen jeweils bekundet wurde, dass die Prüfungen zu den Jahresabschlüssen zu keinen Einwendungen geführt hätten und die Lageberichte der Gesellschaft im Einklang mit den Jahresabschlüssen stünden, insgesamt ein zutreffendes Bild von der Lage der Gesellschaft vermittelten sowie die Chancen und Risiken der zukünftigen Entwicklung zutreffend darstellten. Im April 2014 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Anlagegesellschaft eröffnet.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Anlagebetrages Zug um Zug gegen Übertragung aller Rechte aus den Orderschuldverschreibungen gem. § 823 Abs. 2, § 830 Abs. 1, § 249 Abs. 1 BGB i.V.m. § 332 Abs. 1 HGB sowie gem. § 826 BGB verurteilt sowie festgestellt, dass die Ansprüche des Klägers aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung resultierten.

 

Entscheidung

Die Revision des Beklagten hatte keinen Erfolg. Es verblieb bei seiner Verurteilung.

 

Allerdings hat der BGH ausgeführt, dass der Kläger entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts keinen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 332 Abs. 1 HGB hat. Der Beklagte habe keine Pflichtprüfung, wie sie von § 332 Abs. 1 HGB erfordert wird, durchgeführt. Im Ausgangspunkt zutreffend habe das Berufungsgericht angenommen, dass § 332 Abs. 1 HGB auch im Hinblick auf einen Anleger ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstelle. Ein Schadensersatzanspruch könne daher grundsätzlich bestehen, wenn der Abschlussprüfer sich nach § 332 Abs. 1 HGB strafbar gemacht habe.

Nach § 332 Abs. 1 HGB werde mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bestraft, wer als Abschlussprüfer über das Ergebnis der Prüfung eines Jahresabschlusses oder eines Lageberichts unrichtig berichtet, im Prüfungsbericht erhebliche Umstände verschweigt oder einen inhaltlich unrichtigen Bestätigungsvermerk nach § 322 HGB erteilt. Das Berufungsgericht hatte die Annahme einer Strafbarkeit auf die letztgenannte Alternative der Strafnorm wegen eines inhaltlich unrichtigen Bestätigungsvermerks hinsichtlich der Lageberichte gestützt und ausdrücklich offen gelassen, ob eine Versagung oder Einschränkung der Bestätigungsvermerke aufgrund von Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten in den Jahresabschlüssen der Anlagegesellschaft veranlasst war.

Die Voraussetzungen dieser Strafnorm sind, so der BGH, jedoch nur dann erfüllt, wenn Gegenstand der Prüfung eine gesetzlich vorgeschriebene Pflichtprüfung ist. Dies rechtfertige sich daraus, dass bei gesetzlich nicht vorgesehenen Prüfungen dem Prüfer gerade keine besondere Funktion als Kontrollorgan zugewiesen ist. .

Im streitgegenständlichen Fall sei die Anlagegesellschaft als im maßgeblichen Zeitraum kleine Kapitalgesellschaft nach § 267 Abs. 1 HGB nicht gemäß § 316 Abs. 1 HGB verpflichtet gewesen, den Jahresabschluss und den Lagebericht durch einen Abschlussprüfer zu prüfen. Eine gesetzlich vorgeschriebene Pflichtprüfung, die eine Strafbarkeit nach § 332 Abs. 1 HGB begründen könne, liege – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – nicht vor, wenn die Prüfung der Jahresabschlüsse und der Lageberichte lediglich auf der Grundlage wertpapierrechtlicher Vorschriften über den notwendigen Inhalt eines Prospekts für die Emission einer Orderschuldverschreibung erforderlich sei.

Es könne dahinstehen, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen aus § 7 WpPG in der bis zum 25. Juni 2011 geltenden Fassung, in dem für die in einen Prospekt aufzunehmenden Mindestangaben auf die Verordnung (EG) Nr. 809/2004 der Kommission vom 29. April 2004 (Prospektverordnung, ABl. EU Nr. L 149, S. 1) verwiesen werde, eine generelle oder zumindest im Streitfall bestehende Verpflichtung zur Aufnahme von Lageberichten in den Prospekt folgt. Selbst wenn es im Streitfall erforderlich gewesen sein sollte, nicht nur die Jahresabschlüsse, sondern auch die Lageberichte nebst Bestätigungsvermerk in den Prospekt aufzunehmen, würde dies der Prüfung nicht den Charakter einer gesetzlichen Pflichtprüfung im Sinne von § 332 Abs. 1 HGB geben. Die Ausgabe von Orderschuldverschreibungen erfolgte freiwillig, auch wenn sie der Verwirklichung des zentralen Geschäftsmodells der Anlagegesellschaft diente. Es komme nicht darauf an, ob sich die Gesellschaft durch ihr tatsächliches Geschäfts- und Finanzierungsverhalten wegen § 7 WpPG a.F. einer Abschlussprüfung nicht entziehen konnte. Die Annahme einer gesetzlichen Pflichtprüfung im Sinne des § 332 Abs. 1 HGB setze eine nach Maßgabe des Handelsrechts vorgeschriebene Regelprüfung voraus und gelte nicht für andere Prüfungsanlässe. Eine solche gesetzlich vorgeschriebene Abschlussprüfung unterscheide sich nach ihrem Schutzzweck deutlich von den Regelungen zum notwendigen Inhalt von Prospekten.

Eine analoge Anwendung der Strafnorm des § 332 Abs. 1 HGB zu Lasten des Abschlussprüfers sei gem. Art. 103 II GG ausgeschlossen.

 

Soweit das Berufungsgericht dem Kläger einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung durch den Beklagten zuerkannt hatte, hat der BGH diesen bestätigt.

Das Testat des Beklagten als Abschlussprüfer für die Jahresberichte 2009 und 2010, dass die jeweiligen Lageberichte den Anforderungen des § 322 Abs. 6 HGB entsprächen, sei unzutreffend gewesen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hätten die Lageberichte einem durchschnittlich informierten und unbefangenen Leser den Eindruck vermittelt, dass die Geschäftsentwicklung der Anlagegesellschaft unverändert dadurch geprägt gewesen sei, dass sie neben den Beteiligungs- und Immobiliengeschäften in ihrem bisherigen Hauptgeschäftsfeld des Erwerbs kapitalbildender Lebens- und Rentenversicherungen im Sekundärpolicenmarkt tätig gewesen sei, wobei das ursprüngliche Geschäftsmodell darin bestanden habe, die Policen regelmäßig bis zu ihrem vertragsgemäßen Ende fortzuführen und dann gewinnbringend zu verwerten. Tatsächlich habe die Anlagegesellschaft ihr Hauptgeschäftsfeld aber jedenfalls seit den Geschäftsjahren 2009 und 2010 nicht mehr in der in den Lageberichten und in den Jahresabschlusserläuterungen beschriebenen Art und Weise verfolgt. Vielmehr haben diese ihr Geschäftsmodell systematisch dahin umgestellt, dass sie im Rahmen von sogenannten Eigengeschäften großvolumige fondsgebundene, gewöhnlich auf unternehmenszugehörige Personen lautende Lebens- und Rentenversicherungen erwarb beziehungsweise vermittelte. Diese Neuausrichtung der Geschäfte weg von Zweitmarktgeschäften mit gebrauchten klassischen Lebens- und Rentenversicherungen hatte zur Folge, dass diese Eigengeschäfte auf die Generierung zusätzlicher Provisionseinnahmen zielten, die allerdings aufgrund stornohaftungsähnlicher Vereinbarungen nur dann fließen, wenn die versicherungsnehmende Gesellschaft beziehungsweise Person finanziell in der Lage war, die vereinbarten hohen Versicherungsprämien aufzubringen. Die Vermittlungsgeschäfte „zu eigenen Gunsten‟ hätten eine erhebliche Verbreiterung der Bilanz durch die Aktivierung von Provisionserlösen ermöglicht, die Anlagegesellschaft habe jedoch nicht mehr von den angeblich günstigen Zugriffsmöglichkeiten auf klassische Zweitmarktpolicen mit deren idealem Investitionsumfeld profitieren können.

Der Beklagte habe die dargestellten Mängel der Lageberichte in den Geschäftsjahren 2009 und 2010 im Rahmen seiner Prüfertätigkeit auch erkannt, so dass beanstandungspflichtige Einwendungen im Sinne des § 289 Abs. 4 und Abs. 6 HGB vorlagen. Danach habe der Beklagte in bewusster Abweichung von eigenen Erkenntnissen und den erzielten Prüfungsergebnissen zu Unrecht testiert, dass die Lageberichte ein zutreffendes Bild von der Lage des Unternehmens vermittelten und die Chancen und Risiken der künftigen Entwicklung richtig dargestellt seien.

Dies rechtfertige die Annahme, dass der Beklagte im Sinne des § 826 BGB sittenwidrig gehandelt habe.

Im Bereich der Expertenhaftung für unrichtige Gutachten und Testate komme ein Sittenverstoß bei einer besonders schwer wiegenden Verletzung der einen Experten treffenden Sorgfaltspflichten in Betracht. Als sittenwidrig sei dabei zu beurteilen, dass der Auskunfterteilende aufgrund des Expertenstatus ein besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nehme, selbst aber nicht im Mindesten den an einen Experten zu richtenden Maßstäben genüge. Der Sittenverstoß setze ein leichtfertiges und gewissenloses Verhalten des Auskunftgebers voraus. Diese allgemeinen Grundsätze der Expertenhaftung seien unmittelbar anwendbar, wenn – wie im Streitfall – einem Wirtschaftsprüfer angelastet wird, ein unrichtiges Testat erteilt zu haben. Die Vorlage eines unrichtigen Bestätigungsvermerks allein reiche dabei nicht aus. Erforderlich sei vielmehr, dass der Wirtschaftsprüfer seine Aufgabe nachlässig erledigt, zum Beispiel durch unzureichende Ermittlungen oder durch Angaben ins Blaue hinein und dabei eine Rücksichtslosigkeit an den Tag legt, die angesichts der Bedeutung des Bestätigungsvermerks für die Entscheidung Dritter als gewissenlos erscheint.

Dies hat der BGH im vorliegenden Fall bejaht, da der Beklagte positive Kenntnis von der Unrichtigkeit seiner Testierung gehabt habe. Dies ergebe sich daraus, dass  sich der Beklagte der Abhängigkeiten und Risiken durch das auf Eigengeschäften basierendem geänderten Geschäftsmodell der Anlagegesellschaft bewusst gewesen sei und sich damit die punktuelle Erwähnung einzelner Risiken ohne Zusammenhänge und Wechselwirkungen in den Lageberichten als offensichtlich unzureichend darstellte. Der Beklagte sei seiner gesetzlichen Verpflichtung als unabhängiger Experte nicht nachgekommen und habe die potentiellen Anleger in trügerischer Sicherheit gewogen, indem er die Risikodarstellung in den Lageberichten der Geschäftsjahre 2009 und 2010 beanstandungsfrei testiert habe. Dadurch sei es der Gesellschaft möglich gewesen, ihre nahezu einzige Refinanzierungsquelle – die Orderschuldverschreibungen – aufrecht zu erhalten. Bei der gebotenen Gesamtschau sei dieses Verhalten des Beklagten als gewissenlos und verwerflich zu bewerten, wobei das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, den Beklagten gerade auch in Bezug auf die arglos zeichnenden Anleger treffe.

Der BGH hat auch die Kausalität der Pflichtverletzung bejaht. Insoweit sei es irrelevant, dass der Kläger die Bestätigungsvermerke des Beklagten nicht eigenständig zur Kenntnis genommen habe, da die Zeichnung der Orderschuldverschreibungen über die Vermittlerin erfolgt sei, die eine prospektgestützte Beratung durchgeführt habe und Kenntnis von den Basisprospekten nebst Jahresabschlüssen, Lageberichten und Bestätigungsvermerken des Beklagten gehabt habe.

Insoweit greifen die in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelten Grundsätze über die Beeinflussung der Anlageentscheidung durch Prospektfehler ein, die unabhängig davon gelten, ob das Schadensersatzbegehren auf vertragliche oder deliktische Ansprüche gestützt werde. Es entspreche der Lebenserfahrung, dass ein Prospektfehler auch ohne Kenntnisnahme des Prospekts durch den Anleger für die Anlageentscheidung ursächlich werde, wenn der Prospekt entsprechend dem Vertriebskonzept der Fondsgesellschaft von den Anlagevermittlern als Arbeitsgrundlage verwendet werde, weil dann die Anleger auf andere als die im Prospekt genannten Risiken nicht hingewiesen werden könnten.

Es sei nicht erforderlich, dass der unrichtige Bestätigungsvermerk des Beklagten zum Scheitern der Anlage geführt habe, weil der Anlageentschluss des Anlegers regelmäßig das Ergebnis einer Gesamtentscheidung darstelle, bei der alle Vor- und Nachteile sowie Chancen und Risiken der betreffenden Anlage gegeneinander abgewogen worden seien und durch unzutreffende Informationen des Prospekts in das Recht des Anlegers eingegriffen worden sei, in eigener Entscheidung und Abwägung darüber zu befinden, ob er in die Anlage investieren wolle oder nicht.

Eine Widerlegung der Vermutung für die Ursächlichkeit der fehlerhaften Bestätigungsvermerke im Prospekt käme nur dann grundsätzlich in Betracht, wenn der Prospekt bei dem konkreten Vertragsschluss keine Verwendung gefunden hätte. Dies war vorliegend aber nicht der Fall. Auch wenn die Vermittlerin dem Kläger nicht alle in dem Prospekt aufgenommenen Einzelheiten mitgeteilt hatte und die Lageberichte und deren Bestätigungen durch den Beklagten nicht besprochen wurden, sei dennoch dieser Prospekt dem Vertriebskonzept entsprechend die Grundlage des Beratungsgesprächs und der Anlageentscheidung des Klägers gewesen.

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Beratung durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft: Wann ist ein Hinweis auf die Insolvenzreife des beratenen Unternehmens geschuldet?

OLG Frankfurt, Urteil vom 17.1.2018 — Aktenzeichen: 4 U 4/17

Sachverhalt
Die Klägerin macht als Insolvenzverwalter einer AG (Schuldnerin) gegen die Beklagte als Wirtschaftsprüfungsgesellschaft aus verschiedenen Beratungsverträgen Ansprüche geltend. Die Beratungsverträge wurden im Zusammenhang mit einer beabsichtigten Sanierung der Schuldnerin geschlossen. Die Klägerin macht einen Anspruch auf Ersatz eines Schadens wegen Verzögerung der Insolvenzantragsstellung geltend. Insbesondere behauptet die Klägerin, die Beklagte habe im Rahmen der erteilten Aufträge die Insolvenzreife der Schuldnerin überprüfen müssen. Inhaltlich hätten sich die Beratungsverträge mit der Fortführungsfähigkeit der Schuldnerin und etwaigen notwendigen Neuausrichtungen beschäftigt. Die Umsetzung solcher Maßnahmen sei bei einem Vorliegen von Insolvenzgründen unmöglich und jede weitere Beratung zu einer etwaigen Sanierung obsolet. Nach Auffassung der Klägerin sei im Rahmen der Erstellung des Sanierungsgutachtens daher das Nichtvorliegen von Insolvenzgründen zu prüfen gewesen. Dies ergebe sich nach Auffassung der Klägerin auch aus den heranzuziehenden Vorschriften nach dem IDWS 6 — Standard. Bei einer ordnungsgemäßen Prüfung hätte die Beklagte zu dem Ergebnis einer Insolvenzreife kommen müssen, da Verlustausgleichsansprüche von Tochtergesellschaften der Schuldnerin eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin begründet hätten. Bei einer solchen Feststellung wären weitere Zahlungen in Höhe von ca. 82 Mio. Euro nicht mehr geleistet worden. Diesen Betrag begehrt die Klägerin nun von der Beklagten.

Entscheidung
Das Oberlandesgericht hat die Klage bis auf einen geringen Teil — hierbei ging es um eine Vergütung der Beklagten — abgewiesen. Zunächst führt das OLG aus, dass durch die Verlustausgleichsansprüche der Tochtergesellschaften keine Insolvenzreife der Schuldnerin eingetreten war, die eine Hinweispflicht der Beklagten hätte begründen können. Die Verlustausgleichsansprüche führten nach Auffassung des OLG bis zur Insolvenzantragsstellung nicht zu einer Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin, da die Ansprüche bis zu diesem Zeitpunkt im insolvenzrechtlichen Sinne nicht fällig waren. Nach der Rechtsprechung des BGH führt die Fälligkeit einer Forderung nach § 271 Abs. 1 BGB nicht notwendig dazu, dass eine Forderung auch im insolvenzrechtlichen Sinne fällig und deshalb bei der Bestimmung der Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 InsO zu berücksichtigen ist. Sinn und Zweck des § 17 InsO verlangen vielmehr das Erfordernis des „ernsthaften Einforderns“ als Voraussetzung einer die Zahlungsunfähigkeit begründenden oder zu dieser beitragenden Forderung. Daher ist im Einzelfall zu prüfen, ob eine nach § 271 Abs. 1 BGB fällige Forderung den Schluss auf eine Zahlungsunfähigkeit zulässt. Eine Forderung ist in der Regel dann im Sinne von § 17 Abs. 2 InsO fällig, wenn eine Gläubigerhandlung feststeht, aus der sich der Wille, vom Schuldner Erfüllung zu verlangen, ergibt. Nach diesen Maßstäben war eine insolvenzrechtliche Fälligkeit der Verlustausgleichsansprüche nicht festzustellen. Es fehlte an einem „ernsthaften Einfordern“, weil die Ansprüche tatsächlich gestundet waren und die Stundung bis zur Stellung dieses Insolvenzantrages aufrechterhalten blieb. Dabei kann die insolvenzrechtliche Fälligkeit auch nicht daraus hergeleitet werden, dass eine Vereinbarung der Stundung von Verlustausgleichsansprüchen konzernrechtlich verbreitet für rechtlich unzulässig gehalten und eine Verpflichtung der abhängigen Gesellschaft angenommen wird, einen Verlustausgleichsanspruch bei Fälligkeit oder spätestens bei Jahresabschlusses geltend zu machen. Es kommt nämlich nicht auf die rechtliche Verbindlichkeit, sondern auf den tatsächlichen Willen des Gläubigers an, die Forderung nicht geltend zu machen. Nach Auffassung des OLG fehlte es daher bereits an der Insolvenzreife der Gesellschaft.

Des Weiteren lehnt das OLG generell eine Prüfungspflicht aus den bestehenden Verträgen ab. Für die Pflichten des Beraters aus einem im Zusammenhang mit einer Unternehmenssanierung geschlossenen Beratungsvertrag besteht keine gesetzliche Regelung. Daher ist für Art und Umfang der Pflichten des Sanierungsberaters ausschließlich das im Wege der Vertragsauslegung anhand der dienstvertraglichen Vereinbarung zu ermittelnde Pflichtenprogramm maßgebend. Im Rahmen der Verkehrssitte kommt zur Ermittlung der tatsächlichen Übung eine Heranziehung des zum Zeitpunkt des jeweiligen Vertragsschlusses geltenden IDW-Standards in Betracht. Dem IDW-Standard kann aber keine verbindliche Vorgabe für eine geschuldete Sanierungsberatung entnommen werden; denn der IDW-Standard entfaltet keine einer gesetzlichen Regelung vergleichbare Bindungswirkung, sondern kann lediglich als Kriterium zur Konkretisierung der sich ohnehin aus der vertraglichen Vereinbarung ergebenden Pflichten dienen. Nach diesen Maßstäben war aus den Beratungsverträgen keine vertragliche Verpflichtung der Beklagten zu entnehmen, dass Bestehen von Insolvenzgründen zu prüfen, die sich aus einer konzernrechtlichen Unzulässigkeit der Stundung von Verlustausgleichsansprüchen ergeben könnten. Der von der Beklagten zu erfüllende Pflichtenkatalog enthielt nach dem Vertragstext keinen ausdrücklichen Hinweis auf eine Verpflichtung der Beklagten zur Prüfung der Insolvenzreife. Vielmehr war der Pflichtenkatalog klar formuliert. Zudem sprach für die Vertragsauslegung, nach der die Beklagte keine Prüfung einer Insolvenzreife schuldete, dass die Schuldnerin das Fehlen einer solchen Prüfung zu keinem Zeitpunkt beanstandet hat.

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Aufklärungspflichten des Notars bei Übertragung von Eigentumswohnungen einer WEG

OLG Schleswig, Urteil vom 14.12.2017 — Aktenzeichen: 11 U 43/17

Leitsatz
1. Klärt ein Notar den Wohnungseigentümer im Falle einer verwalterlosen WEG nicht über das Erfordernis der Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer zu einer beabsichtigten Eigentumsübertragung auf und holt der Notar im Rahmen des Vollzuges einer Eigentumsübertragung die Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer nicht ein, obwohl die Teilungserklärung das Zustimmungserfordernis durch diese oder den Verwalter vorsieht, verletzt er seine Amtspflichten.

2. Wird die Regelung des § 12 Abs. 2 S. 1 WEG, wonach die Zustimmung aus einem wichtigen Grund versagt werden darf, nicht in die Teilungserklärung aufgenommen, wird diese dadurch nicht unwirksam, weil die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 WEG zusätzlich gelten.

Sachverhalt
Der Kläger war Eigentümer mehrerer Wohnungen in einer Wohnungseigentümergemeinschaft. Er beabsichtigt, einige Wohnungen zu verkaufen. In der Teilungserklärung war aufgenommen, dass eine Eigentumsübertragung unter dem Vorbehalt der Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer oder des Verwalters steht. Nicht aufgenommen war der gesetzlich in § 12 Abs. 2 Abs. 1 WEG geregelte Passus, wonach die Zustimmung nur aus einem wichtigen Grund versagt werden kann.

Nach erfolgter Beurkundung konnte der Kläger eine Zustimmung der anderen Wohnungseigentümer nicht erlangen. Die Versagung der Zustimmung war auch zulässig, da der Kläger mit dem Verkauf der Wohnungen den alleinigen Zweck verfolgte, eine Stimmrechtsmehrheit zu schaffen. Auf die in Folge der Beurkundung entstandenen Kosten nimmt der Kläger nun den beklagten Notar in Anspruch.

Entscheidung
Nach Auffassung des OLG Schleswig war der Notar gem. § 17 abs. 1 und 2 BeurkG verpflichtet, über die rechtliche Tragweite des Geschäfts zu belehren. Hierzu gehört auch die Belehrung, dass nach den Bestimmungen in der Teilungserklärung eine Zustimmung der anderen Eigentümer zu einer Eigentumsübertragung erforderlich ist. Die Regelung in der Teilungserklärung war auch nicht deshalb unwirksam, weil die gesetzliche Regelung des § 12 Abs. 2 Satz 1 WEG, wonach die Zustimmung nur aus einem wichtigen Grund versagt werden darf, nicht aufgenommen war. Die Teilungserklärung ist nach Auffassung des OLG nicht sittenwidrig und verstößt nicht gegen ein gesetzliches Gebot, da die Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 WEG zusätzlich Wirkung entfalten.

Im Ergebnis war deshalb der Notar verpflichtet, auf das Zustimmungserfordernis hinzuweisen und ggf. die Zustimmung einzuholen. Die kausalen durch die Beurkundung verursachten Kosten müssen daher an den Kläger nach Auffassung des OLG Schleswig erstattet werden.

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Das Landgericht Düsseldorf äußert sich zu den Pflichten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft bei Erstellung eines Konzernabschlusses mit Blick auf eine mögliche Insolvenzreife der Gesellschaft

LG Düsseldorf, Urteil vom 12.12.2017 — Aktenzeichen: 13 O 481/14

Sachverhalt
Der Kläger macht als Insolvenzverwalter der Schuldnerin Ansprüche gegen die beklagte Wirtschafsprüfungsgesellschaft geltend. Die Beklagte war mit der Prüfung des Einzel- und des Konzernabschlusses beauftragt. Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe übersehen, dass die Schuldnerin aufgrund bestehender Verlustausgleichsansprüche ihrer Tochtergesellschaften bereits zum Zeitpunkt des Bilanzstichtages zahlungsunfähig gewesen sei.

Entscheidung
Das Landgericht sieht keine Pflichtverletzung der beklagten Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Die Kammer ist der Auffassung, dass die Grundsätze über die Bilanzierung nach Fortführungswerten, die der BGH für den Steuerberater aufgestellt hat, als Mindestvoraussetzungen auch für die Tätigkeit einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft als Abschlussprüfer gelten. Geschuldet ist die Erstellung des Jahresabschlusses nach den handelsrechtlichen Vorschriften, ohne die Grenzen der zulässigen Gestaltungsmöglichkeiten zu überschreiten. Konkret bedeutet dies, dass die Beklagte als Wirtschaftsprüferin den nach Fortführungswerten aufgestellten Jahresabschluss nicht ohne eine hinreichende Fortführungsprognose attestieren durfte, wenn sie ernsthafte Indizien kannte, die eine Unternehmensfortführung zweifelhaft erscheinen ließen. Dies könnte vorliegend der Fall gewesen sein, wird aber von der Klägerseite nicht geltend gemacht. Der einzige von der Klägerseite vorgeworfene Umstand, die Beklagte habe Verlustausgleichsansprüche der Tochtergesellschaften unzutreffend eingeordnet, greift nach Auffassung des Landgerichts nicht durch. Nach Auffassung des Landgerichts hat die Beklagte nicht pflichtwidrig verkannt, dass die Vereinbarung über das Stehenlassen der Verlustausgleichsansprüche unzulässig gewesen sein könnte. Der Abschlussprüfer schuldet keine umfassende Rechts- und Wirtschaftsprüfung. Vor diesem Hintergrund konnte und musste die Beklagte die etwaige Unzulässigkeit der Verrechnungspraxis nicht erkennen. Da durch das Stehenlassen der Verlustausgleichsansprüche in der Vergangenheit diese Ansprüche insolvenzrechtlich nicht fällig waren, musste die Beklagte die Ansprüche bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit nicht berücksichtigen. Folglich hatte die Beklagte auch keine über die Testierung des nach Fortführungswerten aufgestellten Jahresabschluss hinausgehende Hinweispflicht auf eine etwaige Insolvenzreife. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass dem Vorstand der Schuldnerin die existenzbedrohliche Situation bekannt war.

Im Ergebnis hat das Landgericht daher die Klage abgewiesen.

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Der BGH äußert sich zu den Voraussetzungen der Prospekthaftung

BGH , Urteil vom 23.11.2015 — Aktenzeichen: XI ZR 519/14

Die Frage der Prospekthaftung spielt im Kapitalanlagebereich eine immer größere Rolle. Der BGH hat sich dazu geäußert, wann ein Dokument Grundlage für eine Prospekthaftung sein kann.

Entscheidung
Der BGH hat in dem genannten Beschluss Feststellungen hinsichtlich des Umfanges der zivilrechtlichen Prospekthaftung getroffen. Die Klägerseite hatte behauptet, dass eine Broschüre, die bei der Vermittlung benutzt worden sein soll, eine Prospekthaftung habe begründen können. Der BGH hat hierzu festgestellt, dass die Prospekthaftung ein marktbezogenes schriftliches Dokument voraussetzt, dass für die Anlageentscheidung umfassende Informationen enthält oder einen entsprechenden Eindruck erweckt. Darstellungen, die erkennbar nur allgemein-werblichen Charakter haben oder einen solchen Eindruck erwecken, reichen hierfür nicht aus.

Der BGH hat hiermit der Auffassung einiger Anlegerschützer eine Absage erteilt, dass quasi jegliches bei einer Vermittlung verwandte Dokument eine Prospekthaftung auslösen kann. Vielmehr ist im Einzelfall zu entscheiden, ob das jeweilige Dokument die vom BGH geforderte Qualität aufweist, um Gegenstand einer Prospekthaftung zu sein.

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