Haftung von Versicherungsmaklern: Sachwalterhaftung des Versicherungsmaklers vs. „Sphärentheorie‟

Norbert ElfertNorbert Elfert

LG Lübeck 4 O 287/16, Urteil vom 21.10.2020 – Az. 4 O 287/16 und 

Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 01.02.2021 – Az. 16 U 135/20

 

Sachverhalt

Die Klägerin vermittelte als Maklerin Finanzdienstleistungsprodukte und Versicherungen. Die Beklagte war als Versicherungsmaklerin für die Klägerin im Jahr 2000 mit dem Abschluss einer Vermögensschadenhaftpflichtversicherung für die Vermittlung von Finanz- und Anlageprodukten bei der Versicherung VR befasst. Ab 2012 vermittelte die Klägerin an Privatkunden (Anleger) Verträge, deren Gegenstand der Ankauf nicht mehr gewünschter Lebensversicherungen (unter Stundung der Kaufpreisforderungen der Anleger) zwecks Anlage des Kapitals war.  Nachfolgend nahmen Anleger, denen die Klägerin entsprechende Anlagen vermittelt hatte, die Klägerin mit der Behauptung einer Falschberatung auf Schadenersatz in Anspruch.  Die VR lehnte eine Deckung innerhalb der bestehenden Vermögensschadenshaftpflichtversicherung ab, da die Vermittlung derartiger Anlageprodukte nicht versichert sei.  Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte ihr den entstandenen Schaden zu ersetzen habe, der aufgrund der „lückenhaften“ Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung entstanden sei bzw. entstehe.

Das Landgericht Lübeck wies die Klage ab. Das Schleswig-Holsteinische OLG wies die nachfolgende Berufung zurück. Die Revision wurde nicht zugelassen

 

Entscheidung

Das Landgericht begründet die Klageabweisung wie folgt:

  1. Eine Schadensersatzpflicht der Beklagten aus § 63 VVG bestehe nicht. Danach habe ein Versicherungsvermittler nur Schadenersatz zu leisten, wenn durch eine Pflichtverletzung aus §§ 60, 61 VVG dem Versicherungsnehmer ein Schaden entstehe. Der Versicherungsmakler habe die Verpflichtung, den Versicherungsnehmer nach seinen Wünschen und Bedürfnissen im Zusammenhang mit der Vermittlung eines Versicherungsvertrages zu befragen und zu beraten. Dass die Beklagte bei der Vermittlung im Jahre 2000 gegen diese Pflichten verstoßen habe, sei nicht ersichtlich.
  2. Der Versicherungsmakler schulde außerdem die Beschaffung und Aufrechterhaltung eines bestmöglichen individuellen Versicherungsschutzes und eine Beratung und Betreuung des Versicherungsstandes während der Vertragslaufzeit. Dabei stelle die Bedarfsermittlung die Hauptleistungspflicht des Maklers dar. Eine ständige aktive und unaufgeforderte Betreuung des Kunden müsse hingegen von den Parteien zuvor durch eine Regelung festgelegt werden. Ob insoweit eine Pflicht zur ungefragten Überprüfung des Versicherungsinteresses bestehe, sei anhand der „Sphärentheorie“ zu beurteilen: Wenn eine Veränderung innerhalb der Sphäre des Versicherungsnehmers entstehe, wie z.B. eine Neuanschaffung oder Werterhöhungen der versicherten Ware, könne und müsse der Makler nur dann tätig werden, wenn der Kunde ihn darüber in Kenntnis setze. Bei Änderungen außerhalb der Sphäre des Kunden, wie z.B. Änderungen der Geschäfts- oder Rechtslage, müsse der Makler von sich aus tätig werden. Dafür müsse es jedoch einen konkreten Anlass geben. In diesem Fall stelle die Angebotserweiterung, die die Klägerin im Jahre 2012 bei den von ihr vermittelten Finanzprodukten vorgenommen habe, eine Änderung innerhalb der Sphäre der Klägerin dar, sodass die Beklagte erst auf Initiative der Klägerin hätte tätig werden müssen.
  3. Eine ständige (präventive) Überprüfung, Beobachtung und Kenntnis des Maklers, hier also der Beklagten, über für den Vertrieb bei der Klägerin in Frage kommende Produkte oder Produktarten sei für den betreuenden Versicherungsmakler unmöglich zu erbringen. Es läge in der Natur der Sache, dass ständig neuartige Produkte auf den Markt kämen. So auch im Bereich der Versicherungs- und Finanzprodukte.
  4. Da die Klägerin der Beklagten keinen Hinweis auf die Produkterweiterung habe zukommen lassen, sei der Beklagten keine Pflichtverletzung anzulasten.

Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Klägerin mit folgenden weiteren Begründungsansätzen zurück.

  1. Ein Anspruch nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB bestehe nur, wenn der Schuldner (in diesem Fall: die Beklagte) eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis (als Versicherungsmaklerin) verletzt habe. Wenn dies der Fall wäre, könne der Gläubiger (hier: die Klägerin) den Ersatz des dadurch entstandenen Schadens verlangen.
  2. Eine Pflichtverletzung der Beklagten läge jedoch nicht vor.
  3. Der Senat betont, dass die Pflichten eines Versicherungsmaklers weitgehend seien. Aufgrund dieser umfassenden Pflichten könne der Versicherungsmakler als treuhänderähnlicher Sachwalter des Versicherungsnehmers bezeichnet werden.
  4. Die „Sphären-Rechtsprechung“ ergänze allerdings dabei sachgerecht die Sachwalter-Rechtsprechung des BGH.
    Bei Veränderungen in der Sphäre des Versicherungsnehmers (z.B. Neuanschaffungen und Werterhöhungen oder wie hier vorliegend die Änderung im Umfang der vertriebenen Produkte) müsse der Makler nur auf Initiative des Kunden hin tätig werden. Die vollständigen Produktpaletten aller ihrer Kunden zu kennen und ständig zu überprüfen, ob sie noch dem bestehenden Versicherungsschutz unterfielen, würde den Rahmen des Pflichtenkanons sprengen und einen Versicherungsmakler maßlos überfordern. Dem könne auch die Beklagte offensichtlich nicht gerecht werden.

Die von der Klägerin nachfolgend eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde zur Revision wurde durch Beschluss des BGH vom 25.11.2021 zurückgewiesen.

[ähnlich auch OLG München, Urteil vom 02.04.2020 – Az. 14 U 1296/18]

 

 

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Haftung von Versicherungsmaklern – „Sphärentheorie‟

Norbert ElfertNorbert Elfert

OLG München, Urteil vom 02.04.2020 – Az. 14 U 1296/18

 

Zum Fall

Die Beklagte war als Spezialmaklerin für Vermögensschadenshaftpflichtversicherungen tätig. Sie stellte als Versicherungsmaklerin dem Kläger den streitgegenständlichen Versicherungsvertrag in der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung vor.
Einige Jahre nach dem Versicherungsabschluss, begann der Kläger, zusätzlich – vom Versicherungsschutz nicht umfasste – Lebensversicherungs-Fonds zu vermitteln. Darüber, dass diese nicht versichert seien, habe die Beklagte den Kläger nicht aufgeklärt und so ihre Pflicht verletzt. Den entstandenen Schaden verlangt der Kläger von der Beklagte ersetzt.

 

Entscheidung

Die Berufung habe keine Aussicht auf Erfolg.

Ein Anspruch aus § 63 i.V.m. §§ 61 f. VVG bestehe nicht. Diese Regelungen seien lediglich bis zum Abschluss des Versicherungsvertrages anwendbar. Die in diesem Fall relevanten Fonds seien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses der Vermögensschadenshaftpflichtversicherung noch nicht auf dem Markt gewesen bzw. noch nicht vom Kläger vermittelt worden.

Auch ein Anspruch aus § 280 I BGB wird abgelehnt. Eine Pflichtverletzung der Beklagten käme nur in Betracht, wenn sie eine Pflicht aus einem geschlossenen Maklervertrag mit dem Kläger verletzt habe. Hier sei schon umstritten, ob solch ein Vertrag überhaupt zwischen dem Kläger und der Beklagten zustande gekommen sei. Selbst bei bestehendem Vertrag läge aber jedenfalls keine Pflichtverletzung vor:

Grundsätzlich sei ein Versicherungsmakler zwar verpflichtet, gegenüber dem Versicherungsnehmer den abgeschlossenen Versicherungsvertrag weiter zu betreuen. Die fortlaufende, unaufgeforderte Überwachung des versicherten Risikos sei allerdings daran geknüpft, ob der Versicherungsmakler Kenntnis darüber habe. Dabei sei nach Sphären zu differenzieren. Außerhalb der Sphäre des Versicherungsnehmers, müsse der Versicherungsmakler unaufgefordert überprüfen, ob eine weitere Beratung benötigt werde und daher Vertragsanpassungen relevant wären. Das seien beispielsweise Änderungen der Rechtslage, die relevant für den Versicherungsvertrag seien.
Hingegen müsse der Versicherungsmakler bei Änderungen innerhalb der Sphäre des Kunden – z.B. bei Neuanschaffungen, Werterhöhungen oder neuen Gefahrenpotenzialen – nicht (von sich aus) tätig werden, wenn er davon nicht in Kenntnis gesetzt werde. Eine Ausnahme stelle dabei nur eine zuvor vertraglich vereinbarte Regelung zwischen den Parteien dar, die es hier nicht gäbe.

Die Angebotserweiterung des Klägers sei eine Änderung innerhalb der Sphäre des Klägers. Demnach müsse die Beklagte nur tätig werden, wenn der Kläger sie darüber informiert hätte, was er jedoch nicht getan habe.

 

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§ 110 SGB VII: Keine Verschuldenszurechnung gem. § 278 BGB

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

BGH, Urt. v. 09.12.2021 – VII ZR 170/19

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Rückgriffsanspruch des gesetzlichen Unfallversicherers gegen den Unternehmer gem. § 110 Abs. 1 SGB VII setzt voraus, dass der Unternehmer, dessen Haftung nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII beschränkt ist, selbst oder durch eine in § 111 Satz 1 SGB VII genannte, in Ausführung der ihr zustehenden Verrichtungen handelnde, vertretungsberechtigte Person den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Eine Zurechnung des Verschuldens sonstiger Personen, die den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben, gemäß § 278 BGB kommt im Rahmen des Rückgriffsanspruchs gem. § 110 Abs. 1 SGB VII nicht in Betracht.

 

Sachverhalt

Die Beklagte zu 1) wurde beauftragt, Dachdeckerarbeiten durchzuführen. Der Bauleiter und zugleich Beklagter zu 2) ist ihr Geschäftsführer. Zur Durchführung dieser Arbeiten beauftragte die Beklagte zu 1) die Beklagte zu 3) mit der Errichtung eines Gerüsts. Diese wiederum beauftragte die Beklagte zu 5) als Subunternehmerin, die das Gerüst schließlich errichtete.

D., Dachdeckergeselle bei der Beklagten zu 1), stürzte während der Arbeiten vom Dach und verletzte sich schwer. Das am Gerüst errichtete Fanggitter, welches vor Abstürzen schützen sollte, genügte nicht vollständigen den Anforderungen. Die Klägerin, ein gesetzlicher Unfallversicherer, bei dem die Beklagte zu 1) Mitgliedsunternehmen ist, erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an und erbrachte Leistungen an D und verlangte daraufhin von den Beklagten klageweise Rückerstattung der von ihr erbrachten Leistungen infolge des Arbeitsunfalls.

Das Landgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht bejahte den Regressanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) als Gesamtschuldnerin neben den Beklagten zu 3) und 5). Zur Begründung führte das Berufungsgericht aus, der Klägerin stehe ein Anspruch des D. auf Aufwendungsersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. den Grundsätzen des Vertrages zugunsten Dritter aus übergegangenem Recht gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X zu. Die Beklagte zu 5) habe das Gerüst nicht mit Fangnetzen oder Fanggittern ausgestattet und dadurch ihre Vertragspflichten verletzt. Diese Pflichtverletzung sei der Beklagten zu 1) gem. § 278 BGB zuzurechnen.

Die Beklagte zu 1) hafte der Klägerin gem. § 110 Abs. 1 SGB VII. Sie sei als Arbeitgeberin des D. gem. § 104 Abs. 1 SGB VII haftungsprivilegiert und handelte grob fahrlässig, da sie sich das Verhalten der Beklagten zu 5) gem. § 278 BGB zurechnen lassen müsse. Dass entgegen der Sicherheitsvorschriften gänzlich von den Sicherheitsvorkehrungen abgesehen wurde, rechtfertige den Schluss auf ein subjektives gesteigertes Verschulden, welches zu dem objektiv groben Verstoß gegen elementare Sicherungsvorkehrungen hinzukomme.

Mit dieser Entscheidung konnte man nicht einverstanden sein. Mit der Revision verfolgt die Beklagte zu 1) ihr Begehren, die Klage abzuweisen.

 

Entscheidung

Der BGH hebt das Urteil des Revisionsgerichts, soweit es zum Nachteil der Beklagten zu 1) beschieden wurde, auf. Der geltend gemachte Anspruch scheide – so der BGH – gem. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII aus, nach dem Unternehmen den Versicherungen, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, die den Versicherungsfall verursacht haben, nur zum Ersatz verpflichtet sind, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 1 Nr. 1-4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Die Beklagte zu 1) hafte daher D. nicht, da D. mit der Beklagten zu 1) in einem Ausbildungsverhältnis stand und bei seiner betrieblichen Tätigkeit verunglückt sei. Die Beklagte zu 1) ist als Unternehmerin und Arbeitgeberin des D. gem. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII privilegiert.

Ein Rückgriffsanspruch gem. § 110 Abs. 1, § 111 S. 1 SGB VII könne so auch nicht dargestellt werden. Gem. § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII haften nach §§ 104-107 SGB VII haftungsbeschränkte Personen den Sozialversicherungsträgern nur, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben. Nach § 111 S. 1 SGB VII haften die Vertretenen nach § 110 SGB VII jedoch, wenn ein Mitglied ihres vertretungsberechtigten Organs, Abwickler oder Liquidatoren juristischer Personen, vertretungsberechtigte Gesellschafter oder Liquidatoren einer Personengesellschaft des Handelsrechts oder gesetzliche Vertreter der Unternehmen in Ausführung ihnen zustehender Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben. Eine Haftung nach § 110, § 111 SGB VII setzt also voraus, dass ein Mitglied ihres vertretungsberechtigten Organs den Versicherungsfall in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Insofern findet nach § 111 S. 1 SGB VII eine Zurechnung des Verschuldens der vertretungsberechtigten Organe, jedoch keine Zurechnung des Verschuldens der beauftragten Nachunternehmer statt. Im Rahmen des Rückgriffsanspruchs gem. § 110 Abs. 1 SGB VII kommt keine Verschuldenszurechnung nach § 278 BGB in Betracht.

Hierfür spreche – so der BGH –  auch der Wortlaut und die Systematik der §§ 110, 111 SGB VII. Der Gesetzgeber habe die Verschuldenszurechnung in den §§ 110 ff. SGB VII bewusst ausgestaltet und keine weitergehenden Zurechnungsnormen geschaffen. Daher widerspreche es dem Willen des Gesetzgebers, weitergehende Zurechnungsnormen anzuwenden. Für diese Ansicht spreche ebenso der Zweck der Regelungen, die präventive und erzieherische Ziele verfolgen. Angeknüpft werde daher an das besonders missbilligenswerte Verhalten der durch § 104 ff. SGB VII privilegierten Begünstigten oder z.B. ihrer vertretungsberechtigten Organe.

Die Voraussetzungen des § 278 BGB liegen nach Ansicht des BGH ebenfalls nicht vor. Für eine Zurechnung nach § 278 BGB müsse ein bereits vor dem Unfall bestehendes Schuldverhältnis zwischen den Gläubiger und dem Schuldner vorliegen. Hier entstehe das Schuldverhältnis gem. § 110 ff. SGB VII jedoch erst mit Eintritt des Versicherungsfalles.

Deshalb hat der BGH das Urteil aufgehoben und die Sache in die II. Instanz zurückverwiesen. Das Berufungsgericht wird sich damit auseinander zu setzen haben, ob der Beklagte zu 2) als vertretungsberechtigtes Organ der Beklagten zu 2) den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hat, indem er in seinen Aufgabenbereich fallende vertragliche Schutz- und Verkehrssicherungspflichten verletzt habe.

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Haftung eines Landwirts bei Nutzung einer Mähmaschine

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

BGH, Urteil vom 21.09.2021, Az. VI ZR 726/20

 

Sachverhalt
Der beklagte Landwirt mähte mit einer Mähmaschine, und zwar mit einem Traktor und dem von diesem angetriebenen Kreiselmäher, eine Wiesenfläche auf seinem Weideland. Während der Mäharbeiten wurde der Kläger, der sich auf dem angrenzenden Grundstück am Rande des dort befindlichen Reitplatzes aufhielt, durch einen Stein am rechten Auge getroffen und schwer verletzt.

 

Entscheidung

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz.

Der BGH begründet seine Entscheidung damit, dass die Haftungsvoraussetzungen für einen Anspruch aus § 7 StVG, § 115 VVG nicht gegeben seien. § 7 StVG setze im Absatz 1 die Verletzung oder Beschädigung der Rechtsgüter eines anderen beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs voraus. Der Begriff „beim Betrieb“ wird dabei weit ausgelegt, um den umfassenden Schutzzweck der Norm zu gewährleisten. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs stehe.

Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktionen sei es erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeuges als eine der Fortbewegung und dem Transport dienende Maschine (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) bestehe. Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfalle daher, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeuges keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt werde.

Hier liege die Besonderheit vor, dass der Traktor mit der Mähmaschine kein Kfz im klassischen Sinne sei. Der Traktor werde als Arbeitsmaschine genutzt und diene nicht ausschließlich der Fortbewegung. Eine gefährdungsunabhängige Haftung greife nur dann für Arbeitsmaschinen, wenn diese einen Unfall in der Nähe von Straßenverkehrsflächen verursachten. Auf landwirtschaftlichen Flächen mit ausreichend Abstand zum Straßenverkehr liege hingegen kein Haftungszweck vor.

Dabei sei unbedeutend, ob der Stein tatsächlich während des Arbeitsvorgangs des Mähens oder lediglich bei der Fahrt hochgeschleudert worden sei. Hier bestehe kein hinreichender Zusammenhang.

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Anmeldefähigkeit von vorgerichtlichen Gutachterkosten zur Klärung eines möglichen Versicherungsbetruges

Michael PeusMichael Peus

LG Hagen, Kostenfestsetzungsbeschluss – 6 O 178/17

 

Leitsatz (redaktionell)

Kosten vorgerichtlicher Gutachten zur Prüfung einer vermeintlichen Unfallmanipulation sind im Kostensetzungsverfahren anmeldefähig und zu erstatten, wenn sie zur Aufklärung sachdienlich sind.

 

Sachverhalt

Infolge eines Unfalls wurde u.a. eine Versicherung gerichtlich in Anspruch genommen.

Im anschließenden Kostenfestsetzungsverfahren tat sich die Frage offen, ob auch die Kosten eines vorgerichtlichen Gutachtens, das zur Klärung eines möglichen Versicherungsbetruges eingeholt wurde, anmeldefähig und damit zu erstatten sind. Für einen möglichen Versicherungsbetrug bestanden Anhaltspunkte.

 

Entscheidung

Nach dem LG Hagen sind auch solche Gutachterkosten anmelde- und erstattungsfähig, sofern sie der Aufklärung sachdienlich sind.

Die Erstattungsfähigkeit der angemeldeten Gutachterkosten richtet sich nach der Notwendigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, §§ 91 Abs. 1 S. 1, 103 Abs. 1 ZPO. Sachverständigengutachten sind zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig, soweit dies eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Person aus ex ante Sicht als sachdienlich ansehen durfte. Hierbei können alle zur vollen Wahrnehmung der Belange erforderlichen Schritte ergriffen werden.

Da im vorliegenden Fall Anhaltspunkte für den Verdacht eines versuchten Versicherungsbetruges bestanden, war das Sachverständigengutachten zur Aufklärung auch sachdienlich und somit anmelde- und erstattungsfähig.

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Grenzen des Regresses des Rechtsschutzversicherers

OLG München, Urteil vom 25.11.2020 – 15 U 2415/20

(nicht offizieller) Leitsatz:

In Grenzfällen zwischen erfolgloser Klage und Klage mit geringen Erfolgsaussichten ist ein Regress des Rechtsschutzversicherers gegenüber einem Anwalt nach erteilter Deckungszusage unabhängig von der Frage einer Pflichtverletzung oder eines kausalen Schadens abzulehnen, wenn der Rechtsschutzversicherer durch den Anwalt zuvor zutreffend über den Sachverhalt aufgeklärt worden ist.

Sachverhalt:

Die Klägerin, ein Rechtsschutzversicherer, macht gegen den beklagten Anwalt Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrags geltend.

Der Beklagte vertrat den Versicherungsnehmer der Klägerin. Der Versicherungsnehmer ist selbst Anwalt. Im Rahmen eines durch ihn betreuten Mandats wurde er wegen falscher Verdächtigung angezeigt. Der zuständige Staatsanwalt leitete ein Ermittlungsverfahren ein und ließ die Mandanten des Versicherungsnehmers über die Polizei als Zeugen vernehmen. Das Ermittlungsverfahren ist letztlich eingestellt worden. Der Versicherungsnehmer der Klägerin beauftragte anschließend den Beklagten, um zivilrechtliche Ansprüchen gegen den Staatsanwalt persönlich durchzusetzen. Die Klägerin erteilte auf Anfrage des Beklagten Deckungszusage für das außergerichtliche Tätigwerden und für das gerichtliche Verfahren in erster Instanz. Die daraufhin erhobene Klage wurde abgewiesen. Zur Begründung führte das mit der Klage befasste Gericht aus, dass der beklagte Staatsanwalt nicht passivlegitimiert sei, da er nicht neben seiner Amtstätigkeit als Privatperson tätig geworden sei. Für das Berufungsverfahren verweigerte die Klägerin die Deckungszusage.

Die Klägerin behauptet, dass ihr Versicherungsnehmer keinen Auftrag zum außergerichtlichen und gerichtlichen Tätigwerden erteilt hätte, wenn er durch den Beklagten über die fehlenden Erfolgsaussichten eines Vorgehens gegen den Staatsanwalt persönlich aufgeklärt worden wäre. Der Beklagte trägt vor, dass er seinen Mandanten hinreichend auf die Risiken und allenfalls geringen Erfolgsaussichten aufgrund eines rechtlichen „Einfalltors‟ hingewiesen habe. Er habe sogar von der Einholung einer Deckungszusage abgeraten. Sein Mandant habe aber sowohl auf die Einholung der Deckungszusage, als auch auf die Klageerhebung bestanden, sofern Deckungszusage erteilt wird.

Das Landgericht gab der Klage der Klägerin statt. Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass ein Vorgehen gegen den Staatsanwalt persönlich von vornherein keinerlei Aussicht auf Erfolgt gehabt hätte. Darüber habe der Beklagte den Versicherungsnehmer der Klägerin nicht ordnungsgemäß belehrt. Es stehe auch nach der Beweisaufnahme fest, dass der Mandant die Klage bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht erhoben hätte.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung rügt der Beklagte insbesondere, dass der Rechtsschutzversicherer seine aus § 128 VVG resultierende Pflicht verletzt habe, die Erfolgsaussichten der zu deckenden Rechtsverfolgung zu prüfen und im Falle eines negativen Ergebnisses dieses dem Versicherungsnehmer mitzuteilen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten hat Erfolg.

Das OLG München betont, dass zwischen einer Klage ohne (jegliche) Erfolgsaussicht und einer Klage mit (äußerst) geringer Erfolgsaussicht zu differenzieren ist. Eine Zuordnung ist im Einzelfall äußerst schwierig zu treffen, einem Anwalt jedoch grundsätzlich zuzumuten. Auf der anderen Seite ist der Anwalt als Interessenvertreter seines Mandanten auch verpflichtet, den Wunsch nach einer Rechtsverfolgung zu berücksichtigen und soweit möglich umzusetzen. Nachdem der Beklagte mit seinem Mandanten die (äußerst) geringen Erfolgsaussichten besprochen habe, sei man so verblieben, dass eine Klage nur dann eingereicht werden solle, wenn eine entsprechende Deckungszusage erteilt wird. Dieses Vorgehen stellt nach Ansicht des OLG München keine Pflichtverletzung des Anwalts dar. In ausdrücklicher Abstimmung mit dem Mandanten kann die Frage der Klageerhebung von einer Deckungszusage abhängig gemacht werden. Die Belehrungspflichten eines Anwalts gegenüber einem rechtsschutzversicherten und einem nicht rechtsschutzversicherten Mandanten sind dieselben. Gerade in den Grenzfällen zwischen einer völlig aussichtslosen Klage und einer solchen mit nur geringen Erfolgsaussichten ist ein solches Vorgehen jedoch zulässig. Als Interessenvertreter des Mandanten darf der Anwalt insbesondere kostenwahrende Gesichtspunkte der alleinigen Beurteilung des Rechtsschutzversicherers überlassen. Solange der Anwalt den Rechtsschutzversicherer zutreffend über das tatsächliche Geschehen informiert, wird das Mandanteninteresse gewahrt. Der Versicherungsnehmer hat keine Aufklärungspflichten in rechtlicher Hinsicht. Wenn der Mandant zuvor das grundsätzliche Klagebegehren mitgeteilt hat, muss der Anwalt bei schwieriger Einordnung nicht immer von einer völlig aussichtslosen Klage ausgehen und daher gar keine Deckungsanfrage stellen. Vielmehr obliegt die Beurteilung der rechtlichen Erfolgsaussichten im Rahmen der Erteilung der Deckungszusage alleine dem Rechtsschutzversicherer.

Unabhängig davon, ob in dem jeweiligen Einzelfall eine Pflichtverletzung des Anwalts zu bejahen ist, ist in derartigen Grenzfällen ein Rückgriff des Rechtsschutzversicherers nach erteilter Deckungszusage jedenfalls dann abzulehnen, wenn eine zutreffende Aufklärung über das tatsächliche Geschehen erfolgt ist. Der Rechtschutzversicherungs- und der Mandatsvertrag sind voneinander zu trennen. Im Verhältnis zur Rechtsschutzversicherung hat der Anwalt die Obliegenheiten seines Mandanten zu beachten, insbesondere die vollständige und wahrheitsgemäße Unterrichtung über die tatsächlichen Umstände, jedoch nicht über rechtliche Fragen, erst recht nicht zu Ungunsten des Mandanten. Insofern ist der Anwalt Wissenserklärungsvertreter des Mandanten. Auf eine (evtl.) Aussichtslosigkeit muss der Anwalt daher nicht hinweisen. Folglich kann in einer Deckungsanfrage eines Anwalts auch dann kein zum Schadensersatz verpflichtendes Verhalten gesehen werden, wenn die Erfolgsaussichten objektiv extrem risikobehaftet oder nicht gegeben sind, solange über die zugrundeliegenden Tatsachen des Falles zutreffend informiert wurde.

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Keine Leistung aus Betriebs­schließungs­versicherung bei Covid-19 – LG Oldenburg

Michael PeusMichael Peus

LG Oldenburg, Urteil vom 14.10.2020 – 13 O 2068/20

amtlicher Leitsatz

Kein Anspruch eines Gastronomen aus einer Betriebsschließungsversicherung während der Corona-Pandemie, wenn lediglich für die in den AVB genannten Krankheiten und Krankheitserreger Deckungsschutz gewährt wird und das Corona-Virus (Sars-Cov2) bzw. die COVID-19-Erkrankung in dieser Liste nicht enthalten ist.

Tatbestand

Der Kläger begehrt mit der Klage Leistungen aus einer Betriebsschließungsversicherung.

Der Kläger ist Gastronom, unterhält seit dem 01.01.2017 eine Versicherung, die Versicherungsschutz im Fall der Betriebsschließung infolge einer Seuchengefahr umfasst. Auch Warenschaden ist für den Fall bedingungsgemäßer Schließungen versichert.

Dem Versicherungsvertrag liegen u.a. die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Betriebsschließungsversicherung (im Folgenden: AVB) , in denen unter Ziff. 1.2 geregelt ist:

„Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger

Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger: (…).‟

Daran schließt sich eine Auflistung von namentlich genannten Krankheiten (lit. a) sowie Krankheitserregern (lit. b) an.

Am 21.03.2020 erging eine Allgemeinverfügung des Landkreises … (Nr. 16/20), nach der Restaurants, Speisegaststätten u.dgl. für den Publikumsverkehr zu schließen waren. Der Außerhausverkauf und gastronomische Lieferdienste waren davon ausgenommen. Aufgrund dieser Anordnung musste der Kläger sein Restaurant in der Zeit vom 22.03.2020 bis mindestens zum 18.04.2020 schließen. Vor der Schließung hatte der Betrieb jeweils dienstags einen Ruhetag.

Entscheidungsgründe

Weil versicherte Krankheiten und Erreger in den Bedingungen aufgezählt waren und die COVID-19-Erkrankung oder das Corona-Virus (Sars-Cov2) dort nicht genannt sind, sei eine darauf beruhende Betriebsschließung nicht versichert.

  1. Der durchschnittlicher Versicherungsnehmer, auf dessen Auslegung es maßgeblich ankommt, werde bei verständiger Würdigung schon angesichts der Verwendung des Wortes „folgende‟ in Ziffer 1.2 AVB nur davon ausgehen, dass allein die in den Bedingungen im Einzelnen namentlich aufgezählten Krankheiten und Erreger vom Versicherungsschutz erfasst sein sollen. Für eine abschließende Auflistung spricht zudem, dass in Ziff. 1.2 AVB keine Öffnungsklausel etwa in Form der Verwendung des Wortes „insbesondere‟, „u.a.‟ oder „beispielsweise‟ enthalten ist. Gerade aufgrund der konkreten Formulierung kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass das Wort „namentlich‟ in Ziff. 1.2 AVB als Synonym für das Wort „insbesondere‟ verwendet wurde. Denn sie steht an einer Stelle, an der auf die §§ des IfSchG verwiesen wird, und bezieht sich eindeutig nicht auf den Teil des Satzes, der die „folgende‟ Auflistung betrifft.
  2. Auch der Umstand, dass die §§ 6 und 7 IfSG in Ziff. 1.2 AVB ohne weitere Eingrenzung etwa durch die Nennung von Absätzen und Nummern in Bezug genommen werden, spricht nicht dafür, dass sämtliche unter die §§ 6 und 7 IfSG fallenden Krankheiten und Erreger als Grundlage der Betriebsschließung in Betracht kommen sollten. Denn durch die Verwendung des Wortes „namentlich‟ im unmittelbaren Anschluss an die §§ 6 und 7 IfSG wird deutlich, dass gerade nur die namentlich in §§ 6 und 7 IfSG genannten Krankheiten und Erreger gemeint waren. Durch das Wort „folgende‟ erfolgt eine weitere Eingrenzung dergestalt, dass nur die folgenden, d.h. die in den Bedingungen genannten Krankheiten und Erreger zu bedingungsgemäßen Krankheiten zählen.
  3. Die Klausel ist auch nicht intransparent gemäß § 307 Abs.1 S.2 BGB, weil sie einerseits auf die folgenden Krankheiten und Erreger verweist, andererseits aber auf das Infektionsschutzgesetz Bezug nimmt. Der Regelungsgehalt dahin, dass folgende aufgezählte Krankheiten und Erreger versichert sind, ist für den verständigen Versicherungsnehmer eindeutig zu erkennen. Der Versicherungsschutz wird durch die Begrenzung auf die namentlich aufgeführten Krankheiten und Erreger auch nicht ausgehöhlt.
  4. Ein verständiger Versicherungsnehmer wird auch nicht davon ausgehen, dass spätere Änderungen der §§ 6 oder 7 IfSG auf den Vertrag Anwendung finden. Auch gegen eine solch weite Auslegung spricht der klare Wortlaut der Ziff. 1.2 AVB („folgende (…) namentlich genannte Krankheiten (…)‟) sowie die sich daran anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Erregern.

Weiteres

Ein Anspruch würde nach Ansicht des Landgerichts nicht daran scheitern, dass die Schließung nicht auf einer einzelfall- und betriebsbezogenen Schließungsverfügung beruht. Da Ziff. 1.1 AVB ohne nähere Ausgestaltung verlangt, dass die (zuständige) Behörde (…) den Betrieb schließt, und da die Versicherungsbedingungen keine verwaltungsrechtlichen Rechtsbegriffe verwenden, ist nach den Bedingungen allein entscheidend, dass die Schließung für den Kläger verpflichtend angeordnet worden ist. Ob die Anordnung der Schließung nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften rechtmäßig war und ob sie einer verwaltungsgerichtlichen Überprüfung standhalten würde, sei nicht entscheidend.

 

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Haftung des Architekten für Rechtsrat – aus unerwarteter Richtung

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

OLG Koblenz, Beschluss vom 07.05.2020, 3 U 2182/19

 

Leitsatz

  1. Erteilt ein beauftragter Architekt dem Bauherrn in einer unklaren Vertragssituation den Rat, ein konkretes Gestaltungsrechte (hier: Kündigung) auszuüben, handelt es sich dabei um eine Rechtsdienstleistung i. S. d. § 2 RDG, die nur im gesetzlich zugelassenen Umfang zulässig ist (§ 3 RDG).
    2. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Rechtsdienstleistung des Architekten denn nach § 5 Abs. 1 RDG als Nebenleistung zulässig ist, ist zwar ein großzügiger Maßstab anzulegen. Die Grenzen der erlaubte Nebenleistung werden aber spätestens dort verlassen, wo der Architekt konkrete Sekundärrechte im Außenverhältnis geltend macht. Denn hier handelt es sich in der Regel um komplexe Rechtsdienstleistungen, die häufig ein erhebliches Risikopotenzial für den Auftraggeber haben und damit – nach dem Zweck des RDG – den rechtsberatenden Berufen vorbehalten sind.

Sachverhalt:

Der Bauherr eines Einfamilienhauses gerät mit einem Bauunternehmer noch vor Ausführung der Arbeiten in einen Streit über Termine und Fristen. Daraufhin rät der Architekt zur Kündigung.
Der gekündigte Handwerker macht‟ entgangenen Gewinn‟ in Höhe von rund 12.000,00 € geltend. Anwaltlich beraten einigt sich der Bauherr schließlich auf einen Betrag von rund 5.000,00 €.
Diesen verlangt er nun von seinem Architekten zurück.

Entscheidung:

Mit Erfolg! Das Landgericht gibt dem Bauherrn Recht, das Oberlandesgericht Koblenz führt mit dem Hinweisbeschluss aus, die Berufung im schriftlichen Verfahren zurückweisen zu wollen. Der Architekt verstößt gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG), wenn er in einer komplexen Vertragssituation Rat zu konkreten Problemen erteilt und an der Umsetzung mitwirkt.
Das Rechtsdienstleistungsgesetz lässt zwar rechtlich geprägte Nebenleistungen zu, wenn sie zu einem Berufsbild gehören. Dies gilt für Architekten vielleicht in besonderem Maße, da die Bearbeitung bestimmter rechtlicher Aspekte geradezu zu deren Pflichtaufgaben gehören.

Hierzu gehört aber nicht die Beratung und Vertretung des Bauherrn in einem konkreten rechtlichen Konflikt mit einem Auftragnehmer. Diese Tätigkeit, die der Architekt auch nach außen hin entfaltet hat, verlässt den Rahmen der erlaubten Nebenleistung nach § 5 RDG. Der Architekt hat die Kündigung veranlasst und dem Handwerker gegenüber deren Wirksamkeit bestätigt.

Da diese Rechtsdienstleistung nicht erlaubter Teil des Architektenvertrages sein kann, ergeben sich konsequent keine vertraglichen Ansprüche. Der Verstoß stellt sich aber als fahrlässiger Verstoß gegen ein Schutzgesetz dar (§ 823 Abs. 2 BGB iVm §§ 2 Abs.1 und 3 RDG). Die rechtliche Beratung war dem Architekten verboten.

Dieser Verstoß hat einen zurechenbaren Schaden zur Folge gehabt. Das Gericht lässt sogar offen, ob die Kündigung bei vertiefter Prüfung aus wichtigem Grund gerechtfertigt war oder nicht. Jedenfalls sei eine schwierige rechtliche Konstellation entstanden, die durch die verbotene Tätigkeit des Architekten herausgefordert worden sei und in der es vernünftig war, den Streit mit einem Vergleich zu beenden.

 

Anmerkung:

Zunächst einmal gilt mein Mitgefühl an dieser Stelle allen Architekten (und dementsprechend tätigen Ingenieuren). Auf der einen Seite verlangen Bauherren als Teil der Planungsleistung selbstverständlich gute rechtliche Kenntnisse und erwarten, dass der Dienstleister baurechtliche Fragen aller Art im Griff hat. Da wird manchmal sogar mit Schadensersatz gedroht, wenn der Architekt bestimmte rechtliche Aufgaben nicht übernehmen will, z.B. die Erarbeitung eines „ausgefuchsten‟ Vertrages.

Auf der anderen Seite droht jedoch das „Zuviel‟. Der Architekt soll sich nicht als Ersatz- Rechtsanwalt in juristischer Auseinandersetzungen einmischen; dies verstößt gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz. Kein Wunder, wenn das Unsicherheiten schafft!

Falsch ist die Entscheidung jedoch nicht.

Wie stets in solchen Fällen muss die erlaubte „rechtliche Nebenleistung‟ von der nicht mehr erlaubten „rechtlichen Hauptleistung‟ abgegrenzt werden. Dies macht das OLG Koblenz plausibel unter Zuhilfenahme des Zwecks des Gesetzes, nämlich den Rechtssuchenden vor nicht ausreichend qualifizierter Rechtsdienstleistung zu schützen.

Für Architekten (und Ingenieure) gilt die Faustformel:

Was bei der Begleitung eines Bauvorhabens auch bei ordentlichen Verlauf an rechtlicher Tätigkeit wiederkehrend erforderlich wird, darf im Normalfall auch geleistet werden, so etwa

  • Diskussion mit der Baubehörde über bauplanungsrechtliche Fragen
  • Beurteilung vergaberechtlicher Fragen bei Vergaben öffentlicher Auftraggeber
  • Verwendung eines Standardvertrages
  • Aufforderung zur Mangelbeseitigung, Gespräche über Mängel, Nachträge oder andere Vertragsfragen, wenn das Recht nicht offensichtlich im Vordergrund steht

Die Warnlampe sollte immer dann angehen, wenn tiefgreifender Streit zwischen Bauvertragsparteien entsteht oder wenn rechtlich geprägte endgültige Entscheidungen von einiger Bedeutung getroffen werden.

Auffällig ist übrigens, dass der verursachte Schaden anders hergeleitet wird als bei anwaltlichem Rat.
Da die Pflichtverletzung schon in der Beratung als solcher liegt (egal, ob der Rat gut oder schlecht war), besteht der Schaden ggf. bereits in Kosten, die der Bauherr vernünftigerweise aufwendet, um der geschaffenen Situation zu entkommen. Der Anwalt könnte sich durchaus darauf berufen, der Bauherr sei nach ausführlicher Beratung ein Risiko bewusst eingegangen (keine Pflichtverletzung). Der Architekt kann das so nicht, denn seine Pflichtverletzung ist unabhängig von der Qualität des Ratschlags gegeben. Bei klar richtigen Empfehlungen wird der Bauherr aber in keine Situation kommen, in der durch den Rat in eine objektiv schwierige Lage gerät.

Vertrackter Nebeneffekt eines solchen Urteils: Die Haftpflichtversicherung deckt im Normalfall nur, was zum Berufsbild gehört. Und dazu gehört verbotene Rechtsdienstleistung definitionsgemäß nicht. Der Architekt muss den Schaden also hier wohl aus eigener Tasche bezahlen.

Kleiner Trost nach so vielen schlechten Neuigkeiten: So ein Urteil kann auch das Argument sein, unbequeme Rechtsberatung überzeugend ablehnen zu können! Schließlich ist die Aussicht auf Beratung über komplizierte juristische Feinheiten kaum je der Grund, warum der Architekt oder die Ingenieurin ihre Berufe ergriffen haben…

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Prüfung von Antragsfragen durch einen Versicherungsmakler

Dr. Michael Kunzmann LL.M.Dr. Michael Kunzmann LL.M.

Urteil des LG Stuttgart, Az.: 16 O 493/10

 

Immer wieder kommt zu Verfahren des Versicherungsnehmers gegen seinen Versicherungsmakler wegen der Falschbeantwortung von Gesundheitsfragen/Antragsfragen im Antragsformular des Versicherers. Im vorliegenden Fall hat die Kundin ihrem Versicherungsmakler vorgeworfen, er hätte ihre falschen Angaben im Antrag prüfen (und korrigieren) müssen.

 

Dieser fehlerhaften Rechtsauffassung hat das Landgericht Stuttgart mit Urteil vom 30.03.2020 eine Absage erteilt. Mit dem Urteil hat es klargestellt, dass ein Versicherungsmakler regelmäßig darauf vertrauen darf, dass der Versicherungsnehmer die Fragen in einem Antrag wahrheitsgemäß beantwortet. Eine Prüfpflicht besteht nur, wenn der Versicherungsmakler Anlass dazu hat, an der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Fragen zu zweifeln.

 

Sachverhalt

 

Der Beklagte ist Versicherungsmakler. Er vermittelte der Klägerin im Jahr 2010 eine Berufsunfähigkeitsversicherung beim Versicherer A. Im Jahr 2013 vermittelte er eine weitere Dienstunfähigkeits- und Berufsunfähigkeitsversicherung beim Versicherer B. Im Antrag hat der Versicherer B nach bestehenden Berufs- oder Dienstunfähigkeitsversicherungen gefragt. Die Frage ist verneint worden.

 

Die Klägerin hat behauptet, im Jahr 2016 wäre sie dienstunfähig erkrankt. Es wäre Dienst- und Berufsunfähigkeit eingetreten.

 

Im Jahr 2018 kündigte der Versicherer B den Versicherungsvertrag. Er berief sich auf die falsche Verantwortung der Antragsfrage zu bestehenden Versicherungen.

 

Mit der Klage macht die Klägerin geltend, der Beklagte hätte das von ihr ausgefüllte Antragsformular auf seine Richtigkeit hin überprüfen müssen. Sie sei sich nicht sicher, ob sie das „nein“ selbst angekreuzt hätte.

 

Ferner behauptet sie, sie hätte den Beklagten ausdrücklich mit der Prüfung der richtigen Beantwortung der Frage zu bestehenden Versicherungen beauftragt.

 

Entscheidung

 

Mit Urteil vom 30.03.2020 hat das Landgericht Stuttgart die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat die Kammer darauf abgestellt, dass eine allgemeine Pflicht eines Versicherungsmaklers zur nochmaligen Durchsicht und Prüfung eines vom Kunden ausgefüllten Versicherungsantrags nicht besteht. Eine solche Pflicht ergebe sich auch nicht aus der allgemeinen Risikoprüfungspflicht des Versicherungsmaklers. Im Hinblick auf die Beantwortung der Gesundheitsfragen dürfe ein Versicherungsmakler regelmäßig darauf vertrauen, dass der Versicherungsnehmer diese wahrheitsgemäß beantwortet habe, wenn der Versicherungsnehmer darauf hingewiesen worden sei, dass diese vollständig wahrheitsgemäß zu beantworten seien. Bei der Beantwortung der übrigen Antragsfragen in einem Versicherungsantrag gelte nichts Anderes.

 

Der Hinweis auf das Erfordernis einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Beantwortung befinde sich bereits auf dem Versicherungsantrag.

 

Im vorliegenden Fall lägen auch keine besonderen Umstände vor, die eine Pflicht des Beklagten zur nochmaligen Durchsicht und Prüfung der Antragsunterlagen begründet hätte. Für die Behauptung, sie hätte den Beklagten mit der Prüfung gesondert beauftragt, sei die Klägerin beweisbelastet. Ihr sei es vorliegend nicht gelungen, den diesbezüglichen Beweis zu führen.

 

Eine Prüfpflicht des Beklagten ergebe sich insbesondere auch nicht daraus, dass der Beklagte der Klägerin den Abschluss der Vorversicherung bei der A-Versicherung vermittelt hätte. Dies, da es aus der Sicht des Beklagten keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür gab, dass die Klägerin die Vorversicherung nicht ordnungsgemäß angegeben hätte. Die Vermittlung eines früheren Versicherungsverhältnisses begründe keine Verpflichtung des Versicherungsmaklers, im Rahmen einer späteren Vermittlung den Versicherungsantrag im Hinblick auf eine zutreffende Angabe der Vorversicherung gesondert zu prüfen. Dies gelte jedenfalls dann, wenn – wie vorliegend –  keine ernsthaften Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Ausfüllung des Antrags vorlägen.

 

Soweit die Klägerin vorgetragen habe, „sie tendiere dazu, das Kreuz bei der Antragsfrage freigelassen zu haben“, sei der Vortrag unschlüssig. Beim Vortrag der Klägerin handele es sich ersichtlich um Vortrag ins Blaue hinein, der unbeachtlich sei.

 

Praxishinweis

 

Die Entscheidung des Landgerichts Stuttgart ist in verschiedener Hinsicht von Bedeutung. Mit ihrer Entscheidung hat die Kammer die Entscheidung des OLG Braunschweig vom 28.12.2018 (Az.: 11 U 94/18) bestätigt, dass einen Versicherungsmakler keine Pflicht dahingehend trifft, die Beantwortung der Fragen in einem Versicherungsantrag durch den Versicherungsnehmer zu kontrollieren. Dies jedenfalls, solange er keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür habe, dass Unsicherheit oder ähnliches beim Versicherungsnehmer vorliegen.

 

Zu Recht hat das Gericht auch festgestellt, dass, wenn ein Versicherungsnehmer im Rahmen eines Prozesses gegen seinen Versicherungsmakler sodann behauptet, er hätte den Makler ausdrücklich mit einer Prüfung von einzelnen Antragsfragen beauftragt, er für einen solchen – über die gewöhnlichen Maklerpflichten hinausgehenden – Auftrag beweisbelastet ist.

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Keine Leistung aus Betriebs­schließungs­versicherung bei Covid-19

Michael PeusMichael Peus

Einstweiliger Rechtsschutz: OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.2020 – 20 W 21/20

Leitsatz (nicht amtlich)

Jedenfalls bei einem Versicherungsvertrag, der vor dem 30.01.2020 geschlossen wurde und eine abschließende Aufzählung von Erregern, Krankheiten und Keimen enthält, besteht kein Anspruch aus der Betriebsschließungsversicherung wegen „Corona-bedingter‟ Schließungen, wenn Covid-19 und Sars-Cov-2 nicht in der Auflistung (zumindest sinngemäß) genannt sind.

 

Sachverhalt

Eine Wirtin unterhielt einen Gastronomiebetrieb. Sie schloss vor dem 30.01.2020 eine Betriebsschließungsversicherung ab.

Am 30.01.2020 trat die Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht (mit Blick auf Covid-19) in Kraft.

Am 23.05.2020 trat eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes in Kraft.

Aus Gründen der Pandemiebekämpfung und -eindämmung musste die Wirtin ihren Geschäftsbetrieb einstellen.

Im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verlangte sie Leistungen aus dem abgeschlossenen Versicherungsvertrag. Sie unterlag vor dem LG Essen und nun auch vor dem OLG Hamm

Entscheidungsgründe

  1. Die Aufzählung der „versicherten‟ Krankheiten und Krankheitserreger in Teil B Nr. 8.2.2 der vereinbarten Bedingungen ist abschließend.
  2. Der Wortlaut „nur die im Folgenden aufgeführten (vgl. §§ 6 und 7 IfSG)‟ und die anschließende ausführliche Auflistung einer Vielzahl von Krankheiten und Erregern macht dem – für die Auslegung maßgeblichen – durchschnittlichen Versicherungsnehmer deutlich, dass der Versicherer nur für die benannten, vom Versicherer einschätzbaren Risiken einstehen will.
  3. Der Hinweis „vgl. §§ 6 und 7 IfSG‟ kann vor diesem Hintergrund nicht dahin verstanden werden, dass der Versicherer auch für eine spätere – hier nach Auffassung der Antragstellerin erfolgte – Erweiterung des Gesetzes Versicherungsschutz gewähren würde.
  4. Dass der Versicherungsnehmer an einem umfassenden Versicherungsschutz interessiert ist, ist – selbstverständlich – richtig, vermag aber an dieser Auslegung nichts zu ändern.

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