Schützt die ununterbrochene Mittelleitlinie den einbiegenden Verkehr?

OLG München, Urteil vom 15.3.2019 — Aktenzeichen: 10 U 2655/18

Mit dieser Frage hat sich das OLG München beschäftigt und vertritt die Auffassung, dass auch, wenn sich das Vorfahrtsrecht bekanntlich auf die gesamte Fahrbahnbreite und das Einmündungsviereck erstreckt, sich der Schutzbereich einer ununterbrochenen Mitteilleitlinie (Zeichen 295) auch auf den aus der untergeordneten Straße einbiegenden Verkehrsteilnehmer erstreckt.

Sachverhalt
Im Rahmen der alltäglichen Situation eines Rückstaus vor einem Kreuzungsbereich fährt die Klägerin mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h unter teilweisem Überfahren der durchgezogenen Mittelleitlinie und einer Sperrfläche an dem Rückstau vorbei in den Einmündungs- und Kreuzungsbereich ein. Zeitgleich biegt die beklagte Fahrzeugführerin nach rechts in die bevorrechtigte Straße ein und kollidiert auf „ihrer“ Fahrspur mit dem klägerischen Fahrzeug.

Entscheidung
Im Rahmen der Abwägung der Verursachungsbeiträge ist zu Lasten der Beklagten selbstverständlich ein Vorfahrtsverstoß zu berücksichtigen, da das klägerische Fahrzeug im Zeitpunkt des Anfahrentschlusses erkennbar gewesen ist und unabhängig von der Fahrbahnmarkierung sich das Vorfahrtsrecht auf die gesamte Fahrbahnbreite erstreckt.

Um die Frage einer Mitverantwortung der Klägerin zu beantworten ist zunächst zu klären, welche Wirkung die ununterbrochene Mittelleitlinie entfaltet. Grundsätzlich dient Zeichen 295, wenn die Markierung die Fahrbahnhälften einer Straße trennt, zur Abgrenzung des für den Gegenverkehr vorgesehenen Fahrbahnteils. Daher schützt Zeichen 295 in erster Linie den Gegen- und nicht den einbiegenden Verkehr.

Allerdings sollen, so der Senat weiter, durch die Vorschriften der StVO die Gefahren des Straßenverkehrs abgewendet und Unfälle vermieden werden. Daher rückt bei Nichteinhaltung der Regeln die Gefahr eines Unfalls in den Bereich des Möglichen, weshalb ein unfallkausaler Verstoß bei der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge grundsätzlich zu berücksichtigen sei. Dies soll unabhängig davon gelten, ob der andere Unfallverursacher in den Schutzbereich der Vorschrift einbezogen sei.

Unter Berücksichtigung der geringen Einbiegegeschwindigkeit des beklagten Fahrzeugs und der in der konkreten Situation deutlich überhöhten Geschwindigkeit der Klägerin sei eine Schadenteilung angemessen. Eine überwiegende Haftung der Klägerin komme nur auf Grund des Umstandes, dass ein Motorradfahrer an dem Rückstau ohne ein Überfahren der Mittelleitlinie hätte vorbeifahren können, nicht in Betracht.

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Berechnung Haushaltsführungsschaden/Schmerzensgeld Tagesberechnung

OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 18.10.2018 — Aktenzeichen: 22 U 97/16

Das OLG Frankfurt setzt neue Maßstäbe bei der Berechnung des Haushaltsführungsschadens und insbesondere des Schmerzensgeldes. Wird sich die taggenaue Berechnung des Schmerzensgeldes durchsetzen?

Leitsatz
1. Hat der Geschädigt Ansprüche auf Verdienstausfall, die ihm gegen den Schädigen zu stehen, ausdrücklich an Arbeitgeber oder Krankentagegeld-Versicherung abgetreten, verliert er diesen Anspruch. Es kommt dabei nicht darauf an, ob die von ihm erbrachten Leistungen nach der normativen Schadenberechnung auf den Ersatzanspruch anzurechnen ist.

2. Für die Ermittlung des Haushaltsführungsschadens muss der Geschädigte im Einzelnen vortragen, in welchem Umfang er durch die Verletzung in der Erbringung der dafür erforderlichen Leistung eingeschränkt war. Tabellenwerke zur Berechnung ersetzen den Sachvortrag nicht, dienen aber für den Richter zur Überprüfung der Plausibilität des Parteivortrags. Der Senat hält die dafür bisher zur Verfügung stehenden Quellen (zum Beispiel Pardey, Haushaltsführungsschaden) — gerade im Bereich des Haushaltszuschnitts für nicht mehr zeitgemäß und orientiert sich an den Tabellen von Schah Sedi, Praxishandbuch Haushaltsführungsschaden, 2017. Für die fiktive Abrechnung des Schadens erscheint bei einfacher Arbeit im Haushalt ein Stundensatz von 8,50 € angemessen, der aber hinsichtlich des Zuschnitts des Haushalts auf 10 € angehoben werden kann.

3. Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind sämtliche Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Schmerzensgeldentscheidungen anderer Gerichte sind weder Maßstab noch Begrenzung. Angesichts der mangelnden Vergleichbarkeit vieler Fallgestaltungen fehlt es oft an brauchbaren Kriterien, wie insbesondere auch die Dauer der Beeinträchtigung ausreichend berücksichtigt wird. Der Senat hält deshalb eine Methode, das Schmerzensgeld nach der Art der Behandlung (Krankenhaus, Rehabilitation) und der Dauer der Beeinträchtigung zu bemessen für geeignet, eine angemessene und vergleichbare Entschädigung zu errechnen. Die im Handbuch Schmerzensgeld 2013 unter Berücksichtigung des Grads der Schädigungsfolgen (GdS) dargelegten Ansätze können dazu dienen.

Sachverhalt
Der beklagte Fahrzeugführer wendete mit seinem Pkw auf einer Bundesstraße. Hierbei übersah er den entgegenkommenden Kläger auf seinem Motorrad. Da der Kläger nicht mehr ausweichen konnte, kollidierten die Fahrzeuge. Der Kläger erlitt unfallbedingt erhebliche Verletzungen, weshalb er u.a. 11 Tage stationär behandelt werden musste. Der Kläger erhielt von seinem Krankentagegeldversicherer eine Versicherungsleistung in Höhe von 9.790,00 €. In dieser Höhe hat der Kläger seinen Anspruch auf Ersatz des Verdienstausfalls an den Versicherer abgetreten. Des Weiteren erhielt der Kläger von seinem Arbeitgeber über den Zeitraum der Entgeltfortzahlung hinaus Zuschüsse zum Krankengeld in Höhe von 16.456,00 €. Die Zuschüsse hat der Kläger in vorbezeichneter Höhe an den Arbeitgeber abgetreten. Beider Zessionare machen ihre Ansprüche geltend. Nachdem dem Kläger über die bereits erfolgte Regulierung des KH-Versicherers durch das Landgericht Darmstadt einen weiteren Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 5.500,00 € zugesprochen worden ist, hat die Berufung der Beklagten teilweise Erfolg.

Entscheidung
Da dem Kläger ein Verschulden (etwa überhöhte Geschwindigkeit) nicht nachgewiesen werden konnte, haften die Beklagten für den Unfall zu 100 %. Problematischer ist die Frage der Schadenhöhe.

Den Verdienstausfall für den Zeitraum vom 13.04.2014 bis zum 31.07.2014 unter Berücksichtigung eines monatlichen Nettoeinkommens in Höhe von 10.169,74 € konnte der Kläger entsprechend nachweisen. Streitig war jedoch die Frage, ob der Kläger sich die erhaltenen Leistungen des Krankentagegeldversicherers und des Arbeitgebers über die Entgeltfortzahlung hinaus, anrechnen lassen muss.

Wie auch bei dem gesetzlichen Forderungsübergang nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz ist vom BGH anerkannt worden, dass unter normativer Betrachtung nicht sämtliche Leistungen Dritter an den Geschädigten den Schädigen entlassen sollen und eine Anrechnung daher nicht zu erfolgen hat. Insbesondere ist anerkannt, dass ein normativer Schaden auch bei Leistung des Arbeitgebers über das Entgeltfortzahlungsgesetz hinaus besteht, auch wenn ein gesetzlicher Forderungsübergang nicht stattfindet. Daher nimmt der Senat für beide Leistungen eines Dritten an, dass die Zahlungen den Schädigen nicht entlasten sollen und eine Anrechnung nicht erfolgt.

Da der Kläger seine Ansprüche jedoch ausdrücklich abgetreten hat, ist er nicht mehr aktivlegitimiert. Allerdings wendet der Kläger ein, dass die Zahlung des Arbeitgebers in Höhe von 16.456,00 € brutto erfolgt ist und er sich nur den Netto-Betrag in Höhe von 14.465,81 € entgegenhalten lassen muss. Dieser Ansicht folgt der Senat jedoch nicht, da der Kläger ausdrücklich in seiner Abtretungserklärung erklärt hat, dass er den Betrag in Höhe von 16.456,00 € abtritt. Eine Differenzierung in brutto oder netto ist nicht erfolgt. Daher muss sich der Kläger die Leistungen in voller Höhe entgegenhalten lassen. Im Rahmen der Darlegung der Anforderungen an den behaupteten Haushaltsführungsschaden betont das OLG, dass nicht auf die Minderung der Erwerbsunfähigkeit, sondern auf die konkrete haushaltsspezifische Beeinträchtigung abzustellen ist. Diese ist konkret darzulegen. Ein Verweis auf einen Tabellenwerk ist hierfür nicht ausreichend. Vielmehr dienen diese zur Überprüfung des Vortrag auf Plausibilität durch den Tatrichter. Neu ist der Ansatz, dass das Tabellenwerk von Pardey überholt sei, da die den Angaben zugrundeliegenden Statistiken veraltet sein.

Insbesondere werde nicht berücksichtigt, dass auch der Haushalt zunehmend durch den Einsatz von Küchenmaschinen, Saug- und Mährobotern automatisiert werde und daher ein geringer Umfang für die Haushaltsführung aufgewandt werde. Daher sei das Praxishandbuch Haushaltsführungsschaden der Autorin Schah Sedi besser geeignet, da es Erhebungen aus den Jahren 2012/2013 berücksichtige.

Des Weiteren hält der Senat ausdrücklich zur Frage des anzusetzenden Stundensatzes nicht mehr an der Entscheidung aus 2008 fest (6,26 €), sondern erachtet auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der gesetzliche Mindestlohn brutto sei, für einen einfachen Haushaltszuschnitt einen Betrag in Höhe von 8,50 € für angemessen, welcher auf bis zu 10 € erhöht werden kann. Es bleibt abzuwarten, dass der Senat jeweils mit der Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns auch den zu berücksichtigenden Stundensatz anpasst. Besonders hervorzuheben ist die Entscheidung jedoch bezüglich der Berechnung des Schmerzensgeldes. Der Senat erachtet die Berücksichtigung der Dauer der Beeinträchtigungen insbesondere bei schweren Dauerbeeinträchtigung als unterrepräsentiert. Vielmehr hänge nach der Erfahrung des Senats die Bemessung des Schmerzensgeldes von der persönlichen Situation des erkennenden Richters, den Vorstellung, die der Rechtsanwalt des Geschädigten äußert und auch von dem jeweiligen Landstrich ab. Daher sei eine zutreffende außergerichtliche Beratung nicht möglich. Daher sei, wie bereit in vielen europäischen Ländern üblich, das Schmerzensgeld nach festen Kriterien unter Berücksichtigung von Tabellenwerden zu berechnen. Hierfür bezieht sich der Senat auf das Handbuch Schmerzensgeld (Schwintowski/Schah Sedi, 2013). Hierbei ist in einer ersten Stufe grundsätzlich davon auszugehen, dass jeder Schmerz und jede Beeinträchtigung für jeden Menschen unabhängig vom Einkommen und der persönlichen Situation gleich sei. Daher sei von eine durchschnittlichen Einkommen auszugehen, welches nach Erhebung des Statistischen Bundesamtes 2.670,16 € brutto beträgt.

Für einen Aufenthalt in einer Normalstation im Krankenhaus seien 10 % des Einkommens zu berücksichtigen. Ferner für jeden Tag der Arbeitsunfähigkeit 7 %. Da allerdings die Frage der Arbeitsunfähigkeit lediglich von der Einschätzung eines Arztes abhängt, sei über den Grad der Schädigungsfolge (GdS), wie er auf der Grundlage der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 bemessen wird, ein Korrektiv zu berücksichtigen. Hiernach sei vorliegend bis zum 27.04.2014 eine Beeinträchtigung von 50 % zu berücksichtigen. Mithin ergibt sich für die vorliegende AU von 46 Tage ein Betrag in Höhe von 4.298,96 € (2.670,16 € x 7 % x 46 Tage x 50 %). Für die weiteren 95 Tage sei eine Beeinträchtigung in Höhe von 25 % zu berücksichtigen (4.438,40 €). Unter Berücksichtigung der 11 Tage stationärer Behandlung ergibt sich ein Betrag in Höhe von 11.674,44 €.

In der zweiten Stufe soll individuelle Zu- oder Abschläge berücksichtigt werden können. Hierbei sollen Besonderheiten des Einzelfalls, wie etwa längerfristige Beeinträchtigungen oder Athrosebildung, berücksichtigt werden. Unser Berücksichtigung der eigenen Vorstellungen des Klägers erachtet der Senat daher ein Schmerzensgeld in Höhe von 11.000,00 € für angemessen.

Anmerkung: Tatsächlich kann die Höhe des im Erging zugesprochenen Schmerzensgeldes schwer vorhergesagt werden. Selbst im Instanzenzug können sich erhebliche Abweichungen ergeben. Bedauerlicherweise lassen sich die Gerichte von den Vorstellungen des Geschädigten beeinflussen („Ankerprinzip“). Es bliebt abzuwarten, ob sich diese Ansicht durchsetzt.

Kritische Anmerkungen hierzu von Bensalah/Hassel, NJW 2019, 403.

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Nachweis Erfoderlichkeit SV-Gebühren

BGH, Urteil vom 5.6.2018 — Aktenzeichen: VI ZR 171/16

Da die Instanzgerichte bedauerlicherweise regelmäßig ohne Problembewusstsein, über die Frage der Erforderlichkeit der nach einem Verkehrsunfall angefallenen Sachverständigengebühren hinweggehen, dürfen wir nochmal darauf hinweisen, dass allein die Vorlage einer Gebührenrechnung für den Nachweis nicht ausreichend ist. Vielmehr muss die Rechnung auch tatsächlich ausgeglichen sein. Erst dann verschiebt sich die Darlegungslast.

Leitsatz
Legt der Geschädigte oder der an seine Stelle getretene Zessionar lediglich die unbeglichene Rechnung über die Sachverständigenkosten vor, genügt ein einfaches Bestreiten der Schadenhöhe durch den beklagten Schädigen oder Haftpflichtversicherer, wenn nicht der Geschädigte oder der Zessionar andere konkrete Anhaltspunkte für den erforderlichen Herstellungsaufwand unter Berücksichtigung der speziellen Situation des Geschädigten beibringt.
Sachverhalt
Die Geschädigt hat nach einem Verkehrsunfall, welcher allein durch den Versicherungsnehmer des beklagten Haftpflichtversicherer verursacht worden ist, ihre Schadenersatzansprüche im Bezug auf das Gutachterhonorar an das Sachverständigenbüro ab, welches die Forderung an die Klägerin veräußert hat. Nachdem der Haftpflichtversicherer lediglich einen Teil der Sachverständigengebühren ausgeglichen hat, wurde Klage erhoben.

Das Amtsgericht Wuppertal hat die Klage abgewiesen, jedoch die Berufung zugelassen. Das Landgericht Wuppertal auf die Berufung das Urteil aufgehoben und der Klage stattgegeben. Im Rahmen der zugelassenen Revision wurde das Berufungsurteil erneut aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Entscheidung
Nachdem zunächst geklärt werden musste, ob die Abtretung hinreichend bestimmt gewesen und daher wirksam ist, wiederholt der BGH nochmal die ständige Rechtsprechung zu dem erforderlichen Herstellungsaufwand unter Berücksichtigung der speziellen Situation des Geschädigten und weist ebenso wie bei Mietwagenkosten daraufhin, dass eine Marktanalyse durch den Geschädigten grundsätzlich nicht verlangt werden kann.

Allerdings trifft den Geschädigten die Darlegungslast für den erforderlichen Herstellungsaufwand nach § 249 II 1 BGB. Dieser genügt der Geschädigte, so der BGH, durch Vorlage einer beglichenen Rechnung des mit der Begutachtung des unfallbedingt beschädigten Fahrzeugs beauftragten Sachverständigenbüro. Ein einfaches Bestreiten der Erforderlichkeit reicht dann grundsätzlich nicht mehr aus.

Der Grund für die vom BGH angenommene Indizienwirkung für einen vom Geschädigten tatsächlichen Aufwand ist in den nach § 249 II 1 BGB zu berücksichtigen besonderen Umständen und dessen möglicherweise begrenzten Erkenntnismöglichkeiten zu sehen. Diese schlagen sich jedoch nicht in der Höhe des vom Sachverständigen abgerechneten Honorars, sondern in den tatsächlichen Aufwendung des Geschädigten nieder.

Selbstverständlich sind diese Grundsätze auch im Rahmen der Abtretungskette zu berücksichtigen. Da vorliegend der Ausgleich der Rechnung nicht behauptet worden ist, genügte das einfache Bestreiten der Erforderlichkeit.

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OLG Frankfurt: Taggenaue Schmerzensgeldberechnung und Neuerung bei der Berechnung des Haushaltsführungsschadens–Teil 2

Bei Unfällen, bei denen die Anwendbarkeit der Haftungsprivilegien nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, da sie sich außerhalb eines typischen Anstellungsverhältnisses vollziehen, wird das Aussetzungserfordernis nach § 108 SGB VII regelmäßig übersehen. So etwa bei Schadensfällen im Zusammenhang mit der Haltung von Tieren und Kraftfahrzeugen, im Rahmen ehrenamtlicher oder vereinsbezogener Tätigkeit sowie bei Hilfeleistungen von Verwandten, Nachbarn oder Freunden. War der Geschädigte im Unfallzeitpunkt Wie-Beschäftigter gemäß § 2 Abs. 2 SGB VII in einem im Unfallversicherungsrecht anerkannten Unternehmen, kann ihm Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung zustehen mit der Konsequenz, dass seinem Schädiger möglicherweise ein Haftungsprivileg aus den §§ 104 ff. SGB VII zugutekommt.

Dem Zivilrechtsstreit vorgeschaltete Verwaltungs- oder Sozialgerichtsverfahren auf Anerkennung als Arbeitsunfall haben in den angesprochenen Sonderfällen regelmäßig nicht stattgefunden. Das Zivilverfahren muss daher gemäß § 108 Abs. 2 SGB VII grundsätzlich ausgesetzt werden.

Der Beitrag behandelt spezielle Fragen der Haftungsprivilegien bei Unfällen in Sonderrechtsverhältnissen sowie im Rahmen der Tier- und Kfz-Haltung unter Berücksichtigung der insoweit maßgeblichen sozialgerichtlichen Rechtsprechung. Ausführlich dargestellt wird die Person des Wie-Beschäftigten nach § 2 Abs. 2 SGB VII, seine Einordnung in das System der §§ 104 ff. SGB VII sowie damit im Zusammenhang stehende Fragen zur Bindungswirkung nach § 108 SGB VII.

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Mitverschulden des Beifahrers durch außergewöhnliche Sitzhaltung

OLG München, Urteil vom 12.1.2018 — Aktenzeichen: 10 U 2718/15

Wenn durch eine extrem vorgebeugte Sitzposition des Beifahrers die Schutzfunktion des Gurtes aufgehoben wird und sich dies auf den Verletzungsumfang auswirkt, so ist ein Mitverschulden des Beifahrers zu berücksichtigen.

Leitsatz
Dem Beifahrer ist grundsätzlich ein Verschulden „seines“ Fahrers gegenüber dem Unfallgegner nicht zuzurechnen.

Wird durch eine besondere Sitzposition die Schutzfunktion des Gurtes vollständig aufgehoben und führt dies zur Verletzungen, die andernfalls durch den Gurt verhindert worden wäre, ist ein Mitverschulden gem. § 254 Abs. 1 BGB, § 9 StVG anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

Bei der Berechnung des fiktiven Haushaltsführungsschadens ist ein Stundenlohn in Höhe von 8,00 € angemessen.

Sachverhalt
Der Ehemann der Klägerin befuhr eine mehrspurige Straße und wechselte unmittelbar vor der Beklagten ohne Einhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes auf den linken Fahrstreifen. Da das vorausfahrende Fahrzeug verzögerte, musste auch der Ehemann der Klägerin abbremsen. Hierdurch fuhr die Beklagte auf das vom Ehemann der Klägerin geführte Fahrzeug, in welchem die Klägerin sich als Beifahrerin befunden hat, auffuhr.

Während der Kollision war die Klägerin gerade nach hinunter gefallenen Gegenständen suchend in den Fußraum nach vorne gebeugt. Hierdurch ereignete sich ein Primäranstoß mit dem Kopf gegen das Armaturenbrett.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung hat teilweise erfolgte.

Entscheidung
Gegenüber der Klägerin haftet die Beklagte bereits allein aus der Betriebsgefahr (§ 7 Abs. 1 StVG), da Anhaltspunkte für eine höhere Gewalt im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG nicht erkennbar sind. Der Anspruch ist nicht durch ein Verschulden „ihres“ Fahrers zu kürzen. Hierzu bedürfte es einer besonderen Rechtsgrundlage, welche nicht erkennbar ist. Der Ehemann ist weder Erfüllungsgehilfe noch gesetzlicher Vertreter der Klägerin gewesen, sodass eine Zurechnung nach §§ 254 Abs. 2 Satz 2, 278 BGB ausscheidet. Eine weitere vertragliche Sonderbeziehung ist ebenfalls nicht dargelegt. Der Umstand, dass es sich bei dem Fahrer um den Ehemann der Klägerin gehandelt hat, genügt für eine Zurechnung nicht. Insbesondere ist der Ehemann kein weisungsgebundene „Verrichtungsgehilfe“ im Sinne des § 831 BGB.

Allerdings, so der Senat weiter, ist zu berücksichtigen, dass durch die besondere Sitzposition der Klägerin ausweislich des eingeholten Sachverständigengutachtens die Schutzfunktion des Gurtes aufgehoben worden ist. Des Weiteren bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin bei normaler Sitzhaltung und dann gegebener Rückhaltefunktion durch den Sicherheitsgurt die erlittene länger belastende Schädelprellung und das Hämatom am linken Arm als die schwersten der erlittenen Verletzungen der Klägerin ebenfalls eingetreten wäre. Die nicht ordnungsgemäße Verwendung des Sicherungssystems begründet wie ein Nichtanschnallen ein Mitverschulden im Sinne des §§ 254 Abs. 1 BGB, 9 StVG. Vorliegend bewertet der Senat das Mitverschulden mit 40%.

Hinsichtlich der Schadenhöhe bestätigt der Senat seine ständige Rechtsprechung und erachtet einen Stundensatz von 8,00 € bei der Berechnung des fiktiven Haushaltsführungsschadens für ausreichend und angemessen.

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Erstattungsfähigkeit Rückstufungsschaden auch bei anteiliger Haftung

BGH, Urteil vom 19.12.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 577/16

Auch wenn der Geschädigte erst nach der Regulierung durch den Haftpflichtversicherer seine Kaskoversicherung in Anspruch nimmt, ist der Rückstufungsschaden auch bei einer Mithaftung des Geschädigten ersatzfähig.

Leitsatz
Die Ersatzfähigkeit eines Rückstufungsschadens in der Kfz-Kaskoversicherung kann nicht mit der Begründung verneint werden, dass dieser nur im Hinblick auf den eigenen Haftungsanteil des Geschädigten eingetreten sei, denn der Nachteil der effektiven Prämienerhöhung tritt — unabhängig von der Regulierungshöhe — allein dadurch ein, dass Versicherungsleistungen in der Kaskoversicherung in Anspruch genommen werden.

Kommt es hierzu durch ein Ereignis, das teils vom Schädiger, teils vom Versicherungsnehmer zu vertreten ist, so ist der Schaden wie jeder andere nach den hierfür geltenden Regeln zu teilen (Bestätigung des Senatsurteils vom 18. Januar 1966, VI ZR 147/64, BGHZ 44, 382, 387).

Sachverhalt
Nach einem Verkehrsunfall reguliert der beklagte Haftpflichtversicherer außergerichtlich unter Berücksichtigung einer 75-prozentigen Haftung den eingetretenen Schaden. Der weitere Schaden wird der Klägerin nach entsprechender Inanspruchnahme durch den Kaskoversicherer ausgeglichen.

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr den Schaden zu ersetzen, der durch die Inanspruchnahme der Kaskoversicherung im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Unfallereignis entstanden ist.

Entscheidung
Das LG Heilbronn (Berufungsgericht) hat sich auf den Standpunkt gestellt, dass gemäß § 17 StVG die Verpflichtung zum Ersatz des Schadens insbesondere davon abhinge, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Dies führe zu dem Ergebnis, dass der entstandene Sachschaden vom Unfallgegner nur quotal zu übernehmen sei und der Geschädigte seinerseits den sich hieraus ergebenen quotalen Eigenanteil selbst zu tragen habe. Nehme der Geschädigte nach Regulierung des Haftungsanteils des Unfallgegners ausschließlich hinsichtlich des von ihm selbst zu tragenden Teils seinen Kaskoversicherer in Anspruch, so habe der Geschädigte die damit einhergehenden Kosten und finanziellen Belastungen, die Selbstbeteiligung und Rückstufungsschadens, selbst zu tragen und können diese nicht gegenüber dem Unfallgegner geltend machen, da diese nicht in dessen Haftungsbereich lägen.

Zurecht hat der BGH dieses Urteil aufgehoben mit dem Hinweis, dass in ständiger Rechtsprechung auch bei einer anteiligen Schadensverursachung der Schädiger für den Rückstufungsschaden haftet. Dies folgt aus dem Grundsatz, dass eine Mitursächlichkeit einer Alleinursächlichkeit in vollem Umfang gleichsteht.

Auch der für die Zulassung der Revision maßgebliche Punkt, dass die Vollkaskoversicherung erst nach Regulierung des Haftpflichtversicherers ausschließlich hinsichtlich des selbst zu tragenden Schadenteils erfolgt sei, führt zu keiner anderen Beurteilung. Für die Ersatzfähigkeit des Rückstufungsschadens kann es nicht darauf ankommen, welcher Versicherer zu erst geleistet hat. Vielmehr ist der Nachteil der Prämienerhöhung dadurch begründet, dass Versicherungsleistungen in der Kaskoversicherung in Anspruch genommen werden. Liegt dieser Inanspruchnahme ein Ereignis zugrunde, welches Teils vom Schädiger, teils vom Versicherungsnehmer zu vertreten ist, so ist der Schaden wie jeder andere nach den hierfür geltenden Regeln zu teilen.

Im Unterschied zu den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten tritt der Rückstufungsschadens nach den allgemeinen Bedingungen für die Kfz–Versicherung insgesamt abhängig vom Schadenfall und unabhängig von der Regulierung Höhe ein. Eine Abgrenzung über die Zurechnung ist daher nicht vorzunehmen.

Der BGH nutzte die Entscheidung um nochmals zu betonen, dass der Rückstufungsschaden auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Schädiger evtl. durch die Inanspruchnahme der Kaskoversicherung höhere Kosten zu tragen hat, erstattungsfähig ist. Der Schädiger hat den Geschädigten schadensrechtlich so zu nehmen, wie er ihn trifft. Verfügt der daher über eine Kaskoversicherung, ist der dadurch entstehenden Schaden nach Inanspruchnahme zu ersetzen.

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Haftung des gerichtlich bestellten Sachverständigen

OLG München, Urteil vom 20.12.2017 — Aktenzeichen: 20 U 1102/17

Das OLG München bestätigt nochmals, dass die Haftungsverweisung nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG bei der Tätigkeit eines gerichtlich bestellten Sachverständigen nur auf solche Schäden anzuwenden ist, die aus einem erstellten Gutachten selbst herrühren. Schäden, die während eines Ortstermins zwecks Erstellung des Gutachtens entstehen, stellen keine Amtspflichtverletzung dar.

Leitsatz
1. Von einem gerichtlichen Sachverständigen anlässlich der Durchführung der Begutachtung verursachte Schäden stellen keine Amtspflichtverletzung in der Ausübung eines ihm anvertrauten Amts daran, weshalb eine Haftung aus Art. 34 GG nicht in Betracht kommt. Die Haftungsverweisung gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG ist nur bezüglich solcher Schäden anzuwenden, die aus einem erstellten Gutachten selbst herrühren.

2. Einen Sachverständigen, der im Rahmen einer Bauteilöffnung eine Wasserleitung beschädigt, trifft kein Fahrlässigkeitsvorwurf, wenn er sich zuvor bei den verantwortlichen über die Lage der Leitungen erkundigt und ihnen die nähere Abklärung des Leitungsverlaufs beim Eigentümer aufgegeben hat und diese die konkrete Baustelle als uneingeschränkt geeignet bezeichnen.

Sachverhalt
Im Jahr 2008 wurde die Klägerin als auf Sanierung von Brand- und Wasserschäden spezialisiertes Unternehmen in einem Schulgebäude tätig. In diesem Zusammenhang beauftragte die Klägerin für die Estricharbeiten einen Subunternehmer. Im Rahmen der Beauftragung wurde durch den Subunternehmer zugesichert, dass der Estrich nach 4 Tagen ausgetrocknet sei und der Boden eingebracht werden könne.

Im Rahmen der weiteren Arbeiten der Klägerin sollen sich jedoch der Boden und die Klebekanten aufgestellt haben, was, so der Vortrag der Klägerin, durch die Restfeuchte im Estrich verursacht worden sei. In dem Verfahren zwischen der Klägerin und dem Subunternehmer vor dem Landgericht München I wurde der Beklagte im hiesigen Verfahren mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens beauftragt.

Im Rahmen eines durchzuführenden Ortstermins zwecks Erstellung des Sachverständigengutachtens musste eine Probebohrung in den Betonfußboden durchgeführt werden. Im Rahmen dieser Probebohrungen wurde eine Wasserleitung angeschnitten, weshalb es zu einem Wasseraustritt gekommen ist. Nachdem die Zuleitung durch den Hausmeister der Schule unmittelbar abgesperrt wurde, wurde durch die Klägerin das ausgetretene Wasser aufgenommen und anschließend eine Trocknung durchgeführt.

In dem nunmehr rechtshängigen Verfahren begehrt die Klägerin Ersatz der hierfür erforderlichen Aufwendungen von dem beklagten Sachverständigen.

Nachdem das Landgericht München II die Klage abgewiesen hat, verfolgt die Klägerin ihren Anspruch im Ergebnis ohne Erfolg in der Berufung weiter.

Entscheidung
Da ein vertraglicher Anspruch zwischen der Klägerin und dem gerichtlich bestellten Sachverständigen (Beklagten) ausscheidet, prüft das OLG München, ob ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 683, 670 BGB) besteht.

Hierbei stellt der Senat zutreffend für die Beurteilung der Frage, ob die Durchführung der Trocknung im Interesse des Beklagten liegt, darauf ab, ob der Beklagte die Beschädigung vorsätzlich oder fahrlässig hervorgerufen hat und sich daher gegenüber dem Eigentümer des Gebäudes schadensersatzpflichtig gemacht hat.

Das Landgericht München II hat an dieser Stelle bereits, so die Feststellung des Senates, rechtsfehlerhaft darauf abgestellt, dass der Beklagte als Sachverständige über die Haftungsverweisung gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG nicht passivlegitimiert sei. Dies ist jedoch, so der Senat weiter, nicht zutreffend, da nach herrschender Meinung ein während der Durchführung der Begutachtung verursachter Schaden keine Amtspflichtverletzung in Ausübung eines anvertrauten Amtes darstellt. Daher kommt eine Haftung des Landes aus Art. 34 GG nicht in Betracht.

Eine solche Amtspflichtverletzung kommt nur dann in Betracht, wenn ein Schaden durch das Gutachten selbst herbeigeführt wird.

Im Weiteren lehnt der Senat jedoch ein fahrlässiges Handeln des Sachverständigen ab, da die Klägerin im Rahmen der Beweisaufnahme nicht zur Überzeugung des Senates nachweisen konnte, dass der Beklagte den erforderlichen objektiv- abstrakten Sorgfaltsmaßstab verletzt hat. Denn der Beklagte hat in Kenntnis der Gefahr der Beschädigung von Leitungen bei der Probeentnahme sich bei den Verantwortlichen über die Lage der Leitungen erkundigt und diese die Abklärung des Leitungsverlaufs beim Eigentümer aufgegeben. Da im Rahmen des Ortstermins durch den Hausmeister der Schule, welcher die entsprechende Informationen über den Leitungsverlauf eingeholt hatte, angegeben wurde, dass an der gewählten Stelle für die Probebohrungen keine Leitungen verlaufen, ist der Beklagte dem erforderlichen Sorgfaltspflichtmaßstab nachgekommen. Hinzu kam, dass es sich um schwimmenden Estrich gehandelt hat, in welchem nach DIN 18560-2 Rohrleitungen nicht zulässig sind.

Da deliktische Ansprüche der Klägerin mangels Eigentumsverletzung nicht in Betracht gekommen sind, war der Schadenersatzanspruch abzuweisen.

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Muss sich ein Beifahrer bei der Geltendmachung eigener Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall ein Mitverschulden „seines“ Fahrers anrechnen lassen?

OLG München, Urteil vom 12.1.2018 — Aktenzeichen: 10 U 2178/15

Sachverhalt
Am 27.08.2013 war die Klägerin zusammen mit ihrem Ehemann mit dem Pkw unterwegs. Der Ehemann war auch gleichzeitig Halter des Pkw. Als sich die Klägerin in den Fußraum beugte, um etwas zu suchen, kam es zum Unfall zwischen dem vom Ehemann geführten Pkw und der späteren Beklagten zu 1). Nach einem Fahrstreifenwechsel durch den Ehemann der Geschädigte bremste dieser um auf eine Bremsung des vorausfahrenden Fahrzeugs der Beklagten zu 1) zu reagieren. Leider war es ihm nicht möglich, sein Fahrzeug rechtzeitig zum Stillstand zu bringen und so fuhr er auf das Fahrzeug der späteren Beklagten zu 1) auf. Die immer noch in den Fußraum vorgebeugte spätere Klägerin verletzte sich erheblich. Sie erlitt eine Schädelprellung und HWS-Distorsion sowie ein eingekapseltes Hämatom im Unterarm mit Resteinblutung.

Das Landgericht München hat die Schadensersatzansprüche der Klägerin erstinstanzlich verneint und die Klage voll umfänglich abgewiesen. Gegen das ablehnende Urteil hat die Klägerin Berufung vor dem OLG München eingelegt.

Entscheidung
Das OLG hat unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils der Klägerin ein Schmerzensgeld zugesprochen sowie einen teilweisen Schadensersatzanspruch. Das OLG befasste sich im Rahmen seiner Entscheidung mit der Frage, ob sich die Klägerin ein Mitverschulden ihres Ehemanns anspruchsmindern zurechnen lassen muss und verneinte diese Frage in Ermangelung einer Rechtsgrundlage.

So wies das Gericht daraufhin, dass eine Verschuldenszurechnung nach § 254 Abs. 2 Satz 2, 278 BGB nicht vorläge. Eine Zurechnung nach dieser Anspruchsgrundlage fehlt, da es zwischen der Klägerin und der Unfallgegnerin bzw. der Haftpflichtversicherung der Unfallgegnerin keinen zu erfüllenden schuldrechtlichen Vertrag gäbe. Auch eine mögliche Zurechnung eines etwaigen Mitverschuldens des Ehemanns am Unfallgeschehen aus § 831 BGB verneint das OLG. Danach sei der Ehemann kein weisungsgebundener Verrichtungsgehilfe. Dass es sich bei dem Fahrer um den Ehemann handelt, genüge nicht für die Zurechnung.

Jedoch nahm das OLG eine Kürzung der Schadensersatzansprüche der Klägerin wegen einer eigenen schuldhaften Mitverursachung des Unfalls vor. Das OLG legte der Klägerin zur Last, dass sie durch ihr starkes Vor- bzw. Herabbeugen bis in den Fußraum des Fahrzeugs die Sturzfunktion des Sicherheitsgurtes vollständig aufgehoben habe. Das Gericht ging davon aus, dass, hätte die Klägerin in üblicher Sitzposition im Fahrzeug gesessen, der Sicherheitsgurt seiner üblichen Rückhaltefunktion nachgekommen wäre. Dies rechtfertige ein Mitverschulden von 40 %.

Auf Grund dessen wurde der Klage der Klägerin nur teilweise abgeholfen.

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Aktivlegitimation Grüne Karte Büro

OLG Hamm, Urteil vom 6.4.2017 — Aktenzeichen: 24 U 110/16

Als erstes Obergericht hatte sich das OLG Hamm mit der Frage zu befassen, wer eine Überzahlung des im Auftrag des Grüne-Karte-Büros tätigen Schadenregulierers zurückfordern kann.

Ausführlich mit Anmerkungen des Verfassers in: VersR 2018, 53 ff.

Leitsatz
Wird durch einen Schadenregulierer, der vom im Inland zuständigen Grüne-Karte-Büro beauftragt wurde, nach einem Verkehrsunfall der Schaden reguliert, bleibt das Grüne-Karte-Büro „Leistender“ i.S.v. § 812 BGB.

Sachverhalt
Nach einem Verkehrsunfall in Deutschland unter Beteiligung des klägerischen LKW aus den Niederlanden und einer in Spanien zugelassenen Sattelzugmaschine, regulierte der vom Grüne-Karte-Büro beauftragte Schadenregulierer einen Pauschalbetrag. In der Folge entstand Streit über die unfallbedingten Beschädigungen, weshalb eine weitere Regulierung abgelehnt worden ist und die pauschale Entschädigung durch das Grüne-Karte-Büro zurückverlangt wird, da eine Abgrenzung zu den Vorschäden nicht möglich sei und daher ein Schadenersatzanspruch nicht bestünde.

Nach dem die Klägerin die Rückzahlung verweigerte und im Klageverfahren einen weiteren Schadenersatz verfolgte, erhob das Grüne-Karte-Büro Widerklage, gerichtet auf Rückzahlung der vollständigen Entschädigung an sich.

Im Rahmen der Beweisaufnahme hat sich bestätigt, dass das klägerische Fahrzeug erhebliche Vorschäden aufgewiesen hat und die Reparaturkosten unterhalb der pauschalen Entschädigung lagen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage teilweise stattgegeben. Die Berufung, die auf die Abwehr der Widerklage beschränkt ist, hatte teilweise Erfolg.

Entscheidung
Ausreichender Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit deutschen Rechts nach Artt. 10 Abs. 1, 4 Abs. 1 Rom-II-Verordnung ist der gemeinsame Unfallort in Deutschland. Dass die beiden unfallbeteiligten Fahrzeuge im EU-Ausland zugelassen sind, ist insoweit für das anzuwendende Recht nicht erheblich.

Da das Grüne-Karte-Büro im Wege der Widerklage eine Regulierung des Schadenregulierers beansprucht, ist zu prüfen, wer „Leistender“ i.S.v. § 812 BGB und mithin aktivlegitimiert ist. Zutreffen hat das OLG die klägerische Ansicht, dass der Schadenregulierer „Leistender“ sein soll, abgelehnt. Denn die Antwort auf die Frage, wer die Leistung erbringt, richtet sich nach der Zweckbestimmung der Beteiligten und hilfsweise nach dem Empfängerhorizont.

Der Direktanspruch der Klägerin bestand unter Berücksichtigung der Passivlegitimation des Grüne-Karte-Büros gerade gegen dieses und nicht gegen den Schadenregulierer, dessen sich das Grüne-Karte-Büro lediglich zu Erfüllung, wenn auch einer nur vermeintlich, bestehenden Forderung bedient.

Insbesondere, so das OLG zutreffend weiter, sollte durch die Einführung des Systems Grüne-Karte die Schadenregulierung bei Auslandsbeteiligung vereinfacht werden. Wenn nun der Geschädigte jedoch von einem bisher unbeteiligten Dritten, entweder dem Schadenregulierer oder dem ausgleichspflichtigen ausländischen Haftpflichtversicherer, auf Rückzahlung einer (vermeintlichen) Überzahlung in Anspruch genommen würde, müsste dieser prüfen, ob diesem tatsächlich ein Anspruch zustünde. Dies sei systemwidrig.

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Berechnung Rechtsanwaltsgebühren beim Verkehrsunfall mit Kaskobeteiligung

BGH, Urteil vom 11.7.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 90/17

Regelmäßig stellt sich die Frage, aus welchem Streitwert die Rechtsanwaltsgebühren durch den einstandspflichtigen KH-Versicherer zu übernehmen sind, wenn der Schaden zwischenzeitlich durch den Kasko-Versicherer (teilweise) reguliert worden sind. Der BGH hatte nunmehr Gelegenheit sich mit der Frage zu befassen und einen weit verbreiteten Irrtum auszuräumen.

Leitsatz
1. Allein der Umstand, dass bei einer späteren Regulierung durch den Kaskoversicherer auch ein Quotenvorrecht des Geschädigten zu berücksichtigen sein kann, reicht nicht aus, um aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten die Erforderlichkeit der anwaltlichen Vertretung schon bei der ersten Kontaktaufnahme mit seinem Kaskoversicherer zu begründen (Fortführung von Senat, NJW 2005, 1112; NJW 2006, 1065; NJW 2012, 2194).

2. Wird in einem solchen Fall eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt im späteren Verlauf erforderlich, führt die zu frühe Einschaltung des Rechtsanwaltes – für sich genommen- nicht notwendig zu einem vollständigen Ausschluss des gemäß § 287 ZPO frei zu schätzenden Schadens wegen der Rechtsverfolgungskosten.

3. Im Fall einer quotenmäßigen Haftung des Schädigers sind diesem Rechtsverfolgungskosten, die dadurch entstehen, dass der Geschädigt seinen Kaskoversicherer nur im Hinblick auf den ihm selbst verbleibenden Schadenteil in Anspruch nimmt, nicht zuzurechnen.

Sachverhalt
Nach einem Verkehrsunfall, bei welchem beide Fahrzeuge frontal zusammengestoßen sind, verlangt der Kläger von den Beklagten zu 1) – 3) (Fahrer, Halter, KH-Versicherer) materiellen und immateriellen Schadenersatz. Hierzu beauftragte der Kläger seinen Prozessbevollmächtigten (PV) nach Geltendmachung gegenüber dem KH-Versicherer auch mit der Beanspruchung der Versicherungsleistung gegenüber dem Kaskoversicherer. Hierzu übermittelte der PV mit Schreiben vom 30.01.2014 das an den KH-Versicherer gerichtete Anspruchschreiben an den Kaskoversicherer ohne das vorher der Kläger selbst den Schaden angemeldet hatte. Nach Eingang des Abrechnungsschreibens des KH-Versicherers vom 15.05.2014, leitete der PV dieses an den Kaskoversicherer weiter und bat um Regulierung unter Berücksichtigung des Quotenvorrechts. Der Kaskoversicherer rechnete am 12.06.2014 ab und zahlte auf den Fahrzeugschaden in Höhe von 8510,00 € abzüglich der Selbstbeteiligung in Höhe von 300,00 € und der bereits erfolgten Regulierung durch den KH-Versicherer in Höhe von 4255,00 € einen Betrag in Höhe von 3955,00 €.

Mit Schreiben vom 20.06.2014 wies der PV den Kaskoversicherer daraufhin, dass weitere kongruente Schadenpositionen (Abschleppkosten und Sachverständigenkosten) zu erstatten seien, weshalb dieser „den Vollkaskoschaden anteilig mit 4871,46 €“ regulierte und einen weiteren Betrag in Höhe von 300,00 € auszahlte. Hierbei entspricht der Betrag in Höhe von 4871,46 € der Hälfte der Reparaturkosten in Höhe von 8510,00 €, Abschleppkosten in Höhe von 606,84 € und den Sachverständigenkosten in Höhe von 626,08 €. Bei der Abrechnung seiner Gebühren gegenüber dem Kläger berücksichtigte der PV einen Gegenstandswert in Höhe von 4871,46 € und begehrte unter Berücksichtigung einer 1,3 Geschäftsgebühr einen Betrag in Höhe von 492,54 €. Der Kläger nimmt die Beklagten auf Erstattung dieses Betrages sowie weiteren materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch.

Das LG Gera hat bei Berücksichtigung einer 50%-igen Haftung unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils einen weiteren Schadenersatz zugesprochen, eine Erstattung der Rechtsanwaltsgebühren jedoch abgelehnt und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Revision zugelassen. Mit der Revision verfolgt der Kläger unter Berücksichtigung der Haftungsquote von 50 % die Erstattung der Rechtsanwaltsgebühren weiter.

Entscheidung
Die Erstattungsfähigkeit vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten wird regelmäßig zu einem Streitpunkt mit dem KH-Versicherer, wenn der Geschädigte seinen Schaden, aus welchen Gründen auch immer, ebenfalls beim Kaskoversicherer einfordert und dies, so nebenbei, durch den beauftragten Rechtsanwalt erfolgt, da der KH-Versicherer lediglich die Gebühren aus dem von ihm regulierten Wert übernimmt und die Regulierung gegenüber und durch den Kaskoversicherer unberücksichtigt lässt.

Einleitend führt der BGH aus, dass zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen des Geschädigten auch die durch das Schadenereignis erforderlich gewordenen und adäquat kausal verursachten Rechtsverfolgungskosten zählen. Wenn aus Sicht des Geschädigten und unter Berücksichtigung seiner besonderen Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte sowohl gegenüber dem KH- als auch dem Kaskoversicherer eine Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe erforderlich und zweckmäßig ist, sind diese Kosten zu erstatten.

Vollkommend zutreffend bestätigt der BGH jedoch erneut, dass ohne Anhaltspunkte für eine Regulierungsverweigerung durch den Kaskoversicherer, ein erstes Anspruchschreiben an diesen einem durchschnittlichen VN möglich und zumutbar ist. Auch eine etwaig erforderliche spätere Berücksichtigung des Quotenvorrechts rechtfertigt nicht die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe. Anders könnte es zu beurteilen sein, wenn bei der ersten Inanspruchnahme des Kaskoversicherers die Leistungen des KH-Versicherer unter Berücksichtigung des Quotenvorrechtes zu verrechnen gewesen wäre. Hierzu trägt die Revision jedoch nichts vor.

Entgegen einer weit verbreiteten Meinung entsteht jedoch eine Geschäftsgebühr nicht mit der ersten Tätigkeit in voller Höhe mit der Folge, dass bei einer zu frühen Beauftragung eines Rechtsbeistandes eine Gebührenerstattung ausscheide. Vielmehr handelt es sich bei der Geschäftsgebühr um eine Rahmengebühr, welche bei jeder neuen Tätigkeit erneut anfällt, jedoch gemäß § 15 Abs. 1 und Abs. 2 nur einmal höchstens bis zu einem Gebührenrahmen von 2,5 abgerechnet werden kann.

Sollte tatsächlich die Einschaltung eines Rechtsanwaltes erforderlich gewesen sein, ist zu prüfen, in welchem Umfang dies dem Schädiger zurechenbar ist. Hierbei bemisst sich der Gegenstandswert nach Ansicht des BGH weiterhin nach der Höhe des festgestellten Schadens. Entfallen die Anwaltskosten ausschließlich auf den vom Geschädigten selbst zu tragenden Teil, wie vorliegend gegeben, ist ein Erstattungsanspruch bezüglich der Rechtsanwaltsgebühren nicht gegeben.

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