Recht im Winter – Sommerreifen bei Winterwetter

Michael PeusMichael Peus

AG Lüdinghausen, Urteil vom 29.09.2023, Az. 11 C 65/22  

Sachverhalt Unfall mit Sommerreifen bei Winter

Fahrer F fuhr mit seinem Pkw, auf welchem Sommerreifen montiert waren, bei Winterwetter (leichter Schneefall) im öffentlichen Straßenverkehr. Er konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen und kollidierte mit dem Fahrzeug des A, welches seinerseits bereits vor diesem Zusammenstoß in einen Unfall verwickelt war und daher am Unfallort auf der Fahrbahn stand. Streitig war – und konnte letztlich auch nicht durch Sachverständigengutachten geklärt werden –, ob sich die erste Kollision in einem erheblichen Zeitraum vor der zweiten Kollision (F in A) ereignete, sodass die verminderte Bremswirkung der Sommerreifen unfallursächlich war oder ob die erste Kollision sich derart ereignete, dass sie unmittelbar im Fahrweg des F erfolgte, daher der Bremsweg verkürzt wurde und F selbst im Falle von montierten Winterreifen nicht mehr unfallvermeidend hätte bremsen können.

Der Kfz-Haftpflichtversicherer von F regulierte 2/3 des Schadens des A, der aus dem zweiten Unfall entstand. A klagte gegen F und seinen Kfz-Haftpflichtversicherer auf das übrige Drittel.

Entscheidungsgründe

Das Gericht wies die Klage ab. Der Kläger hatte keine weitergehenden Ansprüche, da seine Ansprüche durch Erfüllung (§ 362 BGB) erloschen waren.

Da zwei Kraftfahrzeuge beteiligt waren, welche jeweils der Betriebsgefahr unterlagen und das Unfallereignis für niemanden unabwendbar war (, wobei auf den Idealfahrer abzustellen ist, OLG Hamm, Urteil vom 11. September 2012, I-9 U 32/12), hin die Haftungsverteilung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 StVG davon ab, inwieweit der Unfall von dem einen oder anderen verursacht worden ist. Nur unstreitige oder erwiesene Tatsachen konnten hier Berücksichtigung finden.

Unstreitig war, dass das Fahrzeug des F mit Sommerreifen ausgestattet war, obwohl die Wetterverhältnisse Winterreifen erfordert hätten (vgl. § 2 Abs. 3a StVO). Das führt zur Erhöhung der Betriebsgefahr des Fahrzeuges des F.

Aufgrund des Sachverhaltes stand nicht fest, ob diese Pflichtverletzung (Sommerreifen statt Winterreifen) unfallursächlich gewesen ist. Dies war auch durch einen Sachverständigen nicht feststellbar.

Daher bestand kein Anspruch des A über den regulierten Teil hinaus.

 

Anmerkung

Ob A überhaupt 2/3 verlangen konnte, musste das Gericht nicht mit Rechtskraft entscheiden. Es führte aus, dass es die vorgerichtliche Regulierung als zutreffend ansähe. Hierüber könnte man indes streiten. Denn eine Pflichtverletzung, welche sich nicht kausal ausgewirkt hat (vgl. BGH NJW 1995, 1029 zur absoluten Fahruntüchtigkeit), müsste unbeachtet bleiben. Dann wäre die Quote 50-50 gewesen. Darauf kam es indes vorliegend nicht an.

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Keine Nutzungsausfallentschädigung für Porsche bei mittelklassigem Zweitwagen

Michael PeusMichael Peus

OLG Frankfurt, Urt. v. 21.07.2022 – 11 U 7/21

 

Leitsatz (amtlich)

Einem Unfallgeschädigten steht während der Reparaturzeit eines beschädigten Porsche keine Nutzungsausfallentschädigung zu, wenn ihm ein Ford als Zweitfahrzeug zur Verfügung steht; auf eine Einschränkung des Fahrvergnügens kann er sich nicht berufen.

 

Sachverhalt

Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall. Hierbei wurde der Porsche 911 des Klägers beschädigt. Die Haftung ist unstreitig.

Er führte aus, er habe seinen Porsche für 112 Tage nicht nutzen können. Nutzungswille und subjektive Nutzungsmöglichkeit hätten bestanden. Die Nutzung eines anderen Fahrzeugs sei für ihn nicht zumutbar. Er habe zwar noch vier andere Fahrzeuge, jedoch würden zwei von Familienmitgliedern genutzt, bei dem dritten handele es sich um einen BMW (Rennfahrzeug), das für Rennen ausgestattet sei und ihm daher die Nutzung im normalen Verkehr nicht zumutbar sei. Das vierte Fahrzeug (Ford Mondeo, Baujahr 2014) werde von der ganzen Familie lediglich für Lasten- und Urlaubsfahrten genutzt. Für Fahrten zur Arbeit und Privatfahrten habe ihm nur der Porsche zur Verfügung gestanden. Dieser habe gänzlich andere Eigenschaften als der für den Stadtverkehr zu sperrige Ford.

Das Landgericht führte aus, dass dem Kläger kein Anspruch auf Vorhaltekosten zustünde. Der Ford sei gerade nicht angeschafft worden, um fremdverschuldete Ausfälle auszugleichen, sondern für Lasten- und Urlaubsfahrten. Er habe auch keinen Anspruch auf eine Nutzungsausfallentschädigung, da er über ein anderes Fahrzeug, den Ford, verfüge und ihm dessen Einsatz möglich und zumutbar sei. Hierbei handele es sich um ein Fahrzeug der Mittelklasse und auch die Sperrigkeit führe nicht zur Untauglichkeit für den städtischen Bereich.

Dies stellte der Kläger zur Überprüfung durch die Berufungsinstanz.

 

Entscheidung

Die Berufung hatte zu den Fragen des Nutzungsausfalls und der Vorhaltekosten keinen Erfolg.

Vorhaltekosten sind Kosten, die entstehen, wenn zusätzlich zu den benötigten Fahrzeugen, weitere Fahrzeuge angeschafft werden, um im Falle der Beschädigung eines Fahrzeugs einen Ausfall des Fahrbetriebs zu vermeiden. Davon umfasst ist der betriebliche Aufwand für die Fahrzeuganschaffung, Kosten des Kapitaldienstes und des Unterhalts und der Wertverlust. Werden Vorhaltekosten geltend gemacht, ist eine Nutzungsausfallentschädigung grds. nicht geschuldet.

Im vorliegenden Fall habe der Kläger auch faktisch keine Erstattung von Vorhaltekosten begehrt, sondern wollte vielmehr eine Nutzungsausfallentschädigung geltend machen. Er trug keine Kosten für z.B. Anschaffung, Versicherung oder Unterhaltung für den Ford vor, sondern machte geltend, dass dieses Fahrzeug als Lasten- und Urlaubsfahrzeug angeschafft worden sei.

Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung zu. Der Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung besteht nicht, wenn bei bestehendem Nutzungswillen ein Zweitwagen vorhanden ist und dessen Nutzung möglich und zumutbar ist.

Dem Kläger stand der Ford zur Verfügung. Trotz der von dem Kläger bemängelten Untauglichkeit für den städtischen Bereich aufgrund der „Sperrigkeit“, handelt es sich um ein Mittelklassefahrzeug, das für die Fahrten zur Arbeit und für private Fahrten eingesetzt werden kann. Auch wenn es sich bei dem Porsche um einen Sportwagen handelt, führt dies nicht zu einer Unzumutbarkeit der Nutzung des Fords. Die Nutzung des Fords anstelle des Porsches führt nur zu einer Beeinträchtigung des Fahrvergnügens, das als subjektive Wertschätzung eine immaterielle und damit nicht zu ersetzende Beeinträchtigung darstellt. Der objektive Schaden, die Verfügbarkeit des Porsches für Fahrten zur Arbeit und privaten Fahrten wird mit der Nutzungsmöglichkeit des Fords ausgeglichen.

Nutzungsersatz kann nur für eine vermögensmehrende, erwerbswirtschaftliche Verwendung der Sache (hier des Fahrzeugs als Fortbewegungsmittel) als Wirtschaftsgut mit vergleichbarem eigenwirtschaftlichem und vermögensmäßig erfassbarem Einsatz zugesprochen werden, dessen Funktionsstörung sich auf die materielle Grundlage der Lebenshaltung signifikant auswirkt. Sonst bestünde die Gefahr, dass die Ersatzpflicht auch auf Nichtvermögensschäden ausgedehnt wird. Dies wäre mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit und der Berechenbarkeit des Schadens nicht zu vereinbaren.

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Keine Straßenverkehrssicherungspflicht der Gemeinde für Schäden an tiefergelegten Fahrzeugen

OLG Koblenz, Hinweisbeschl. v. 07.12.2021 – 12 U 1012/21

 

Leitsätze (amtlich)

  1. Wird im Straßenverkehr eine Gefährdung durch solche risikoerhöhenden Umstände wesentlich (mit-)begründet, die sich aus einer besonderen Bauart des gefährdeten Fahrzeugs ergeben, wie etwa eine – auch serienbedingte – Tieferlegung und/oder sonstige konstruktive Besonderheit, die zu einer Verringerung der üblicherweise zu erwartenden Bodenfreiheit führen und so ein Aufsetzen begünstigen, muss der Fahrzeugführer dieses seinem Gefahrenkreis zuzurechnende Risikomoment durch erhöhte eigene Aufmerksamkeit und Vorsicht kompensieren (hier: Ferrari F 40 mit serienmäßiger Bodenfreiheit von 12,5 cm).
  2. Der Fahrer eines solchen Fahrzeugs muss nicht nur Bodenunebenheiten eine besondere Aufmerksamkeit zuwenden, sondern auch bei starker Fahrbahnwölbung mit einem seitlich abfallenden Fahrbahnrand darauf achten, ob die Straße für sein „nicht alltagstaugliches“ Fahrzeug gefahrlos nutzbar ist.
  3. Die für die Verkehrssicherungspflicht zuständige Straßenbehörde muss nicht sicherstellen, dass eine Straße von jedem zum Straßenverkehr zugelassenen Fahrzeug befahren werden kann; eine Zulassung für den Straßenverkehr besagt nichts darüber, in welchen Verkehrssituationen ein Fahrzeug mit einer geringen Bodenfreiheit verkehrstauglich ist oder nicht.

 

Sachverhalt

Die Klägerin, eine Kaskoversicherung begehrt von der beklagten Gemeinde Schadensersatz wegen einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. Ihr Versicherungsnehmer sei mit seinem Ferrari aufgrund von Straßenschäden (Fahrbahnwölbung mit seitlich abfallendem Fahrbahnrand und dadurch überstehender Gullydeckel) auf der Straße aufgesetzt. Hierbei entstand ein Sachschaden i.H.v. 60.000€.

Das Landgericht wies die Klage ab.

 

Entscheidung

Das OLG Koblenz bestätigte die Entscheidung des Landgerichts. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung der von ihr getragenen Versicherungsleistungen. Bei der Unfallstelle handelt es sich nicht um eine Gefahrenstelle, die die Beklagte beseitigen müsse. Die Beklagte haftet daher schon mangels Verkehrssicherungspflicht nicht.

Die Verkehrssicherungspflicht stellt eine allgemeine Rechtspflicht dar, nach der im Verkehr auf die Rechtsgüter anderer Rücksicht zu nehmen ist. Insbesondere ist derjenige, der eine Gefahrenquelle für die Rechtsgüter anderer schafft, verpflichtet, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, um Gefahren oder Schädigungen dieser Rechtsgüter möglichst zu verhindern. Wird diese Pflicht verletzt, stellt dies ein deliktisches Verhalten dar, das eine Schadensersatzpflicht begründet.

Die zu treffenden Vorkehrungen richten sich nach dem, was ein umsichtiger, verständiger und in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend zur Schadensverhinderung hält. Inhalt, Umfang und Grenzen bestimmen sich nach den berechtigten Sicherungserwartungen des Verkehrs (Vertrauensschutz, legitime Erwartungen des regulären Nutzers) aber auch nach der tatsächlichen und wirtschaftlichen (finanziellen, organisatorischen und personellen) Zumutbarkeit. Für das allgemeine Lebensrisiko hat der Verkehrssicherungspflichtige hingegen nicht einzustehen. Weiterhin sind nur diejenigen Maßnahmen vorzunehmen, die objektiv erforderlich und objektiv zumutbar sind.

Die Verkehrssicherungspflicht ist zum einen auf der Grundlage der verkehrssicherungspflichten Straße zu beurteilen. Maßgeblich ist dabei die Art des Verkehrsweges, die Lage und das Umfeld sowie die Verkehrsbedeutung. Zum anderen ist auf den Vertrauensschutz des Verkehrssicherungspflichtigen, dass Dritte sich in verständiger Weise auf erkennbare Gefahren einstellen, abzustellen. Kann der Verkehrsteilnehmer die konkreten Gefahren erkennen, ist er nicht mehr schutzwürdig und die Gemeinde treffen keine weiteren Schutzpflichten, solange der Straßenbenutzer die erkennbare Gefahr bei zweckgemäßer Nutzung unter der gebotenen Aufmerksamkeit selbst abwenden kann. Daher ist der Verkehrssicherungspflichtige ist auch nur verpflichtet, diejenigen Gefahren zu beseitigen oder vor ihnen zu warnen, die für einen sorgfältigen Benutzer nicht (rechtzeitig) erkennbar sind oder er sich hierauf nicht mehr (rechtzeitig) einstellen kann.

 

Es kann jedoch ein Mitverschulden begründen, wenn die Straße mit einem tiefergelegten oder einem sich aus sonstiger besonderer Bauart ergebende geringere Bodenfreiheit aufweisenden Fahrzeug befahren wird. Der Fahrzeugführer muss sich dieses Risiko zurechnen lassen und besondere Aufmerksamkeit und Vorsicht walten lassen. Wird eine Straße im schlechten Allgemeinzustand befahren, die aber erkennbare Unebenheiten aufweist, auf die sich der Fahrzeugführer einstellen kann, tritt die Haftung des Straßenbaulastträgers hinter dem Mitverschulden des Fahrzeugführers zurück. Diese bedürfen auch keiner Sicherung oder Warnung.

Im vorliegenden Fall hat der Versicherungsnehmer den Schaden alleine schuldhaft herbeigeführt. Seine Fahrweise entsprach nicht den gesteigerten Anforderungen, die aufgrund der Fahrzeugbeschaffenheit und den Straßenverhältnissen an den Tag zu legen waren. Der schlechte Zustand der Fahrbahn war für ihn erkennbar, sodass er sein Fahrverhalten danach ausrichten musste. Der geringen Bodenfreiheit des Fahrzeugs und die sich dadurch ergebende Gefährdung des Fahrzeugs durch Straßenunebenheiten war er sich bewusst. Vielmehr hätte er eine andere Strecke wählen, das Fahrzeug an anderer Stelle parken oder die Fahrzeughalter der am Straßenrand parkenden Fahrzeuge zum vorübergehenden Wegfahren beten müssen.

Die Straßenschäden erreichten auch kein unübliches Maß, dass einer Instandsetzung bedurft hätte. Die Beklagte ist ebenso nicht verpflichtet, die Straße zu sanieren, damit diese für alle Fahrzeuge ohne Gefahren befahren werden kann.

 

Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass es sich um ein serienmäßig tiefergelegtes Fahrzeug handelt, das über eine Zulassung für den allgemeinen Straßenverkehr verfüge und damit auch der Straßenverkehrssicherungspflicht unterliege, denn die Zulassung ist unabhängig von der Verkehrstauglichkeit und garantiert nicht die gefahrlose Nutzung auf den dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straßen.

(Wissenschaftl. Mitarbeiterin stud. jur. Antonia Hinte)

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Keine „taggenaue Berechnung‟ bei Schmerzensgeld

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

BGH Urteil vom 15. Februar 2022 – VI ZR 937/20

 

Sachverhalt

Der Kläger erlitt erhebliche Verletzungen aufgrund eines schweren Verkehrsunfalls.

In einem Zeitraum von mehr als zwei Jahren verbrachte er im Rahmen von 13 stationären Aufenthalten 500 Tage im Krankenhaus. Unter anderem musste der rechte Unterschenkel amputiert werden. Er ist nun zu mindestens 60 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert und kann nur bedingt einer Arbeit nachgehen.

Vor Gericht sollte geklärt werden, wie hoch das Schmerzensgeld ist, das der Unfallverursacher dem geschädigten Kläger zahlen muss.

 

Entscheidung

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat das Schmerzensgeld „taggenau berechnet“ und hat so ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 Euro ermittelt. Der Bundesgerichtshof erteilt dieser Berechnungsmethode des Oberlandesgericht Frankfurt eine Absage und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

 

Nach der vom Oberlandesgericht Frankfurt hierbei angewendeten Methode der sog. „taggenauen Berechnung‟ des Schmerzensgeldes ergibt sich dessen Höhe in einem ersten Rechenschritt (Stufe I) unabhängig von der konkreten Verletzung und den damit individuell einhergehenden Schmerzen aus der bloßen Addition von Tagessätzen, die nach der Behandlungsphase (Intensivstation, Normalstation, stationäre Reha-Maßnahme, ambulante Behandlung zuhause, Dauerschaden) und der damit regelmäßig einhergehenden Lebensbeeinträchtigung gestaffelt sind. Das Oberlandesgericht hat diese Tagessätze für die verschiedenen Behandlungsstufen auf 150 € (Intensivstation), 100 € (Normalstation), 60 € (stationäre Reha) und 40 € bei 100 % Grad der Schädigungsfolgen angesetzt. In einem zweiten Rechenschritt (Stufe II) können von der zuvor „taggenau‟ errechneten Summe je nach Gestaltung und Schwere des Falles individuelle Zu- und Abschläge vorgenommen werden. Das Oberlandesgericht hat auf dieser Stufe wegen der erheblichen Vorerkrankungen des Klägers einen Abschlag vorgenommen. Von der nach der oben aufgeführten Methode grundsätzlich vorgesehenen abschließenden Erhöhung des Schmerzensgeldes bei Dauerschäden und besonders schwerwiegenden Verfehlungen des Schädigers (Stufe III) hat das Oberlandesgericht in diesem Fall keinen Gebrauch gemacht.

Der Bundesgerichtshof hat dies nicht mitgemacht. Der u.a. für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Kfz-Unfällen zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes seien im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das unfallbedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei gehe es nicht um eine isolierte Betrachtung einzelner Umstände, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei seien in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung sei eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lasse.

Diesen Grundsätzen werde – so der Bundesgerichtshof – die vom Oberlandesgericht vorgenommene „taggenaue Berechnung‟ des Schmerzensgeldes nicht gerecht. Die schematische Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht habe und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch werde leben müssen, lasse wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Acht. So sei unbeachtet geblieben, welche Verletzungen der Kläger erlitten habe, wie die Verletzungen behandelt worden seien und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst worden sei. Gleiches gelte für die Einschränkungen in seiner zukünftigen individuellen Lebensführung. Auch die Anknüpfung an die statistische Größe des durchschnittlichen Einkommens trage der notwendigen Orientierung an der gerade individuell zu ermittelnden Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten nicht hinreichend Rechnung.

 

Das Berufungsgericht wird daher erneut über die Höhe des Schmerzensgeldes zu befinden haben.

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Haftung und Beweislast des Fahrzeugführers bei einem Unfall mit Fußgänger

Michael PeusMichael Peus

OLG Hamm, Urteil vom 06.09.2019 – 7 U 18/17

 

Leitsätze (amtlich)

  1. Zum verkehrsrichtigen Verhalten im Vorfeld einer erkennbaren bzw. bekannten Geschwindigkeitsbegrenzung.
  2. Zur Führung des Entlastungsbeweises des § 18 Abs. 1 S. 2 StVG obliegt es dem von einem Fußgänger wegen eines Verkehrsunfalls mit einem Kfz in Anspruch genommenen Fahrer, darzulegen und zu beweisen, dass der Fußgänger auch bei einer geringeren Kollisionsgeschwindigkeit des Kfz infolge verkehrsrichtiger moderater Beschleunigung ebenso schwere Verletzungen erlitten hätte.

 

Sachverhalt

Der Kläger verlangt u.a. Schmerzensgeld, Schadensersatz für Erwerbsschäden und vermehrte Bedürfnisse und eine Geldrente aus einem Verkehrsunfall. Bei diesem überquerte er zu Fuß eine Straße, als er von dem Auto der Beklagten zu 1), das bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist, erfasst wurde. Er erlitt schwerste Verletzungen und ist seitdem dauerhaft an einen Rollstuhl gebunden. Dadurch ist es ihm unmöglich geworden, seinen Beruf auszuüben. Er lebt nun in einer Eigentumswohnung, die behindertengerecht ausgebaut werden musste.

Das Landgericht wies die Klage ab. Ein Anspruch gem. §§ 7 StVG, 115 VVG, 1 PlfVG gegen die Beklagte zu 2) scheide aus, da der Kläger durch grob fahrlässiges Verhalten den Unfall verursacht habe, indem er trotz herannahendem Fahrzeugs des Beklagten zu 1) die Fahrbahn überquerte und so in besonders schwerer Weise gegen § 25 Abs. 2 StVO verstieß. Die von dem Pkw ausgehende Betriebsgefahr trete deshalb hinter dem Mitverschulden des Klägers zurück. Gegen die Beklagte zu 1) komme auch kein Anspruch aus § 18 StVG in Betracht, da die Ersatzpflicht des Beklagten zu 1) gem. § 18 Abs. 1 S. 2 StVG ausgeschlossen sei.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger weiterhin seine Begehren und ist der Ansicht, dass die Betriebsgefahr des Pkw des Beklagten zu 1) mit 20% berücksichtigt werden müsse und diese nicht hinter seinem Verschulden zurücktrete.

 

Entscheidung

Das OLG Hamm spricht dem Kläger Ersatz der unfallbedingten Schäden nach einer Haftungsquote von 20% zu Lasten der Beklagten zu. Bzgl. der Beklagten zu 1) ergibt sich dieser Anspruch aus § 18 Abs. 1 StVG, bzgl. der Beklagten zu 2) aus §§ 7, 18 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 S. 1 VVG.

Nach § 18 Abs. 1 StVG wird das Verschulden des Fahrzeugführers vermutet, bis dieser seine Entlastung gem. § 18 Abs. 1 S. 2 StVG beweisen kann. Vorliegend hat der Beklagte zu 1) jedoch nicht nachgewiesen, sich in der Verkehrssituation richtig verhalten zu haben.

Der Beklagte zu 1) fuhr maximal 75 km/h bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h, sodass kein Verstoß gegen § 41 Abs. 1 StVO vorliegt.

Jedoch befand sich der Kläger nur 8,1m vor dem die Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h beschränkenden Verkehrszeichen. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit muss bereits ab dem Standort des die Höchstgeschwindigkeit vorschreibenden Schildes eingehalten werden. Auf diesem Stück, das zwischen einer Kreisverkehrausfahrt und dem die Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h beschränkenden Schild liegt, beschleunigte der Beklagte zu 1) trotz seiner Ortskundigkeit, mehr als moderat. Eine Erreichung von 100 km/h ist auf dieser Strecke aufgrund der kurzen Distanz nicht möglich.

Ein Durchschnittsfahrer hätte aufgrund seiner Ortskenntnis nicht mehr als moderat beschleunigt, sodass seine Geschwindigkeit am Standort des Verkehrszeichens nicht mehr als 70 km/h betragen hätte. Die Geschwindigkeit im Bereich der Unfallstelle hätte somit auch nur 60 km/h betragen. Dadurch wäre der Kläger nicht mittig, sondern weiter außen vom Pkw erfasst worden, womit auch die Wahrscheinlichkeit geringerer Verletzungsfolgen größer ist. Hiergegen trat der Beklagte keinen Entlastungsbeweis an, sodass seine Haftung aus § 18 StVG nicht entfällt.
Der Unfall selbst war hingegen auch bei einer angepassten Geschwindigkeit räumlich und zeitlich nicht vermeidbar.

 

Im Rahmen der Abwägung der Unfallverursachungsbeiträge ist auf Seiten des Klägers ein Verstoß gegen § 25 Abs. 3 S. 1, 2 StVO anzulasten.
Auf Beklagtenseite ist eine einfache Betriebsgefahr des Pkw i.H.v. 20% zu berücksichtigen. Diese tritt auch – entgegen der Ansicht des Landgerichtes – nicht hinter dem (nicht bewiesenen) Verschulden des Klägers zurück. Zwar kann die Gefährdungshaftung für den Betrieb eines Kraftfahrzeuges in den Fällen überwiegend zurücktreten oder gänzlich entfallen, in denen das nicht motorisierte Unfallopfer durch ein grob verkehrswidriges Verhalten eine Unfallursache gesetzt hat, jedoch kommt ein Haftungsausschluss nur in Ausnahmefällen in Betracht. Dies ist z.B. bei der Haftung wegen überwiegenden Mitverschuldens bei Fußgängerunfällen der Fall, wenn besondere Umstände das Verschulden als außergewöhnlich schwer erscheinen lassen.
Bei grober Fahrlässigkeit lässt sich ein Haftungsausschluss bei Fußgängerunfällen nur dann rechtfertigen, wenn die Betriebsgefahr des Pkw geringer zu werten ist. Dieser Haftungsausschluss z.B. ist in Betracht zu ziehen, wenn sich der Fahrzeugführer nachweislich wie ein Idealfahrer verhalten hat. Wenn auch ein Idealfahrer den Unfall hätte nicht vermeiden können, spricht dies dafür, die betriebsbedingte Haftung komplett zurücktreten zu lassen.
Dass der Beklagte zu 1) sich wie ein Idealfahrer verhalten hat, steht jedoch nicht fest. Hierzu hätte es eines weitergehenden Entlastungsbeweises bedurft.

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Eine fiktive Abrechnung auf Neuwagenbasis ist ohne entsprechende Ersatzbeschaffung nicht zulässig

Michael PeusMichael Peus

BGH, Urteil vom 29.09.2020 – VI 271/19

 

Leitsatz (redaktionell)

Eine fiktive Abrechnung auf Neuwagenbasis ist nicht zulässig. Der Vortrag, die Anschaffung eines Neuwagens aus finanziellen Gründen unterlassen zu haben, ändert hieran nichts.

 

Sachverhalt

Der Kläger verlangt Schadensersatz i.H.v. 37.923,32€ aus einem Verkehrsunfall, bei dem sein neu erworbenes Fahrzeug (Kilometerstand: 571km) beschädigt wurde. Hierbei rechnet er die Kosten für einen Neuwagen fiktiv ab (37.181€) und verlangt weiterhin Sachverständigenkosten i.H.v. 712,32€ und eine Kostenpauschale i.H.v. 30€. Die Beklagten sind dem Grunde nach voll einstandspflichtig. Das Landgericht gab der Klage i.H.v. 37.918,32€ statt und wies einen Teil der Kostenpauschale ab.

Auf die Berufung der Kläger hin sprach das OLG dem Kläger nur noch die Reparaturkosten, die Sachverständigenkosten, eine Wertminderung und eine Kostenpauschale von insgesamt 6.180,54€ zu.

Mit der Revision verfolgt der Kläger weiterhin seinen Anspruch auf Neuwagenentschädigung i.H.v. 31.787,78€.

 

Entscheidung

Die Revision hat jedoch keinen Erfolg. Der Schadensersatzanspruch kann nicht geltend gemacht werden, da der Kläger sich keinen Neuwagen angeschafft hat. Eine fiktive Abrechnung auf Neuwagenbasis ist nur möglich, wenn ein fabrikneues Fahrzeug mit einer Laufleistung von weniger als 1.000km erheblich beschädigt und ein gleichwertiges Neufahrzeug als Ersatz angeschafft wurde. Auch der Vortrag des Klägers, die Anschaffung aus finanziellen Gründen unterlassen zu haben, genügt für eine fiktive Abrechnung nicht.

Der höhere Schadensausgleich durch die Abrechnung auf Neuwagenbasis dient dem besonderen Interesse des Geschädigten an seinem Eigentum und der Nutzung des Neuwagens. Dieses besondere Interesse besteht jedoch nur, wenn dieses im konkreten Einzelfall durch den Kauf eines Neuwagens nachgewiesen wird. Dann ist der höhere Schadensausgleich auch mit dem Wirtschaftlichkeitspostulat und dem Bereicherungsverbot vereinbar.

Der Revision kann auch durch ein nachträgliches Beschaffen eines Neuwagens nicht zum Erfolg verholfen werden, denn das OLG hatte diesen Sachverhalt gerade nicht zu entscheiden. Der Kläger hatte sich unstreitig keinen Neuwagen als Ersatz beschafft. Der Fall der Neubeschaffung ist somit nicht von der Rechtskraft umfasst.

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Schmerzensgeldbemessung: „Reiche bekommen nicht mehr“

Michael PeusMichael Peus

OLG Hamm, Beschlüsse vom 20.03.2020 und 29.05.2020– 7 U 22/19

 

Leitsätze (redaktionell)

  1. Die Bemessung der billigen Entschädigung in Geld erfolgt vorrangig nach dem Ausgleichsgedanken, nachdem die Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen grundlegend zu berücksichtigen sind.
  2. Ein Einzelfall enthält kein besonderes, wirtschaftliches Gepräge dadurch, dass der Geschädigte und der Schädiger gut situiert sind.
  3. Der Betrag des Schmerzensgeldes muss sich in die von den Gerichten entwickelte Schmerzensgeldjudikatur einfügen.

 

Sachverhalt

Der Kläger ist Geschäftsführer der B GmbH und verdiente Schadenjahr (2015) 555.555,01€ brutto. Der Beklagte zu 1) ist Begründer einer Mineralwassermarke und bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert. Der Kläger begehrt von den Beklagten Ersatz materieller und immaterieller Schäden aus einem Verkehrsunfall. Die Beklagten haften dem Grunde nach zu 100%.

Der Kläger erlitt durch den Unfall zahlreiche Verletzungen und musste mehrfach operiert werden. Er befand sich länger in stationärer Behandlung und musste eine Physio- und Ergotherapie machen. Nach seiner Entlassung war der Kläger eine Zeit lang auf einen Rollstuhl angewiesen. Vom 16.09.-30.10.2015 war er zu 100% und vom 31.10-14.11.2015 zu 60% arbeitsunfähig. Dem Kläger sind sieben Narben verblieben.

Vorgerichtlich zahlte die Beklagte zu 2) bereits ein Schmerzensgeld i.H.v. 20.000€.

Der Kläger macht geltend, dass bei der Bemessung des Schmerzensgeldes seine wirtschaftliche Situation sowie die günstige Vermögenslage des Beklagten zu 1) zu berücksichtigen seien. Erstinstanzlich verlangt der Kläger neben anderen Schadenspositionen ein weiteres Schmerzensgeld i.H.v. 60.000€.

Das Landgericht sprach dem Kläger kein weiteres Schmerzensgeld zu.

In der Berufung verfolgt der Kläger seine Begehren weiter. In seiner Begründung führt er an, das LG habe es rechtsfehlerhaft abgelehnt, bei der Bemessung des Schmerzensgeldes seinen Vermögens- und Berufsverhältnissen Rechnung zu tragen und meint, dass aufgrund der guten Vermögensverhältnisse ein Schmerzensgeld i.H.v. 20.000€ der Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes nicht genüge.

 

Entscheidung

Die Berufung wurde zurückgewiesen. Dem Kläger stand kein Anspruch auf ein höheres Schmerzensgeld zu.

Nach ständiger Rechtsprechung erfüllt das Schmerzensgeld eine Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion. D.h. dem Geschädigten soll für nichtvermögensrechtliche Schäden ein angemessener Ausgleich geboten und dem Gedanken, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet, soll Rechnung getragen werden.

Dabei ist der Gedanke des Ausgleichs die Grundlage für die Bemessung. Diese bestimmt sich nach der Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen. Die Höhe des Schmerzensgeldes hängt von dem Maß der Lebensbeeinträchtigung ab. Indem der Kläger sich weiterhin auf die guten Vermögensverhältnisse beruft und meint, dass dadurch der Ausgleichsfunktion nicht genüge getan ist, verkennt er, dass hierbei vorrangig auf die durch den Unfall erlittenen Schmerzen und Beeinträchtigungen abzustellen ist.

Es sind alle Umstände zu berücksichtigen, die dem Schadensfall ein besonderes Gepräge geben. Dies können im Einzelfall auch ausnahmsweise die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beteiligten sein, wenn die Genugtuungsfunktion dies erfordert. Im vorliegenden Fall spricht gegen die besondere Bedeutung der Genugtuungsfunktion, dass es sich um eine fahrlässige Körperverletzung aufgrund eines Verkehrsunfalls handelt, bei dem auch der Beklagte zu 1) erhebliche Verletzungen erlitt.

Weiterhin muss sich die Höhe des Schmerzensgeldes in die gerichtliche Schmerzensgeldjudikatur einfügen lassen. Der bereits gezahlte Betrag i.H.v. 20.000€ liegt hiernach bereits an der oberen Grenze der zugesprochenen Schmerzensgelder in vergleichbaren Fällen.

Nach dem OLG Hamm ist der Betrag von 20.000€ ausreichend, um die Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes zu erfüllen. Das besondere Gepräge ergibt sich nicht dadurch, dass der Beklagte zu 1) gut situiert ist. Hiergegen spricht bereits, dass die Beklagte zu 2) alleine einstandspflichtig ist.

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Betriebsgefahr eines überbreiten Landwirtschaftsfahrzeugs

Michael PeusMichael Peus

OLG Celle, Urteil vom 11.11.2020 – 14 U 71/20

 

Leitsätze (amtlich)

  1. Kann ein Fahrzeug mit Überbreite, das bereits den Grünstreifen neben der Fahrbahn mitbenutzt, wegen Alleebäumen nicht noch weiter rechts fahren, ist ein der Überbreite geschuldetes Überfahren der (gedachten) Mittellinie der Fahrbahn nicht vorwerfbar.
  2. Eine fehlende Ausnahmegenehmigung nach § 70 Abs. 1 StVZO ist im Rahmen der Haftungsabwägung nach §§ 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 Abs. 3 StVG nicht zu berücksichtigen, weil die Norm nicht dem Individualrechtsschutz anderer Verkehrsteilnehmer dient und deshalb ein Unfall bzw. der Unfallschaden außerhalb des Schutzzwecks der Norm liegt.
  3. Kommt es im Begegnungsverkehr auf einer gerade verlaufenden Straße ohne Fahrbahnmarkierungen bei Tageslicht zu einer Kollision zwischen einem landwirtschaftlichen Fahrzeug mit Überbreite, das so weit nach rechts gesteuert wird, wie es tatsächlich möglich ist, mit einem Pkw, der die Fahrbahnmitte grundlos leicht überschreitet, so tritt die Haftung aus Betriebsgefahr für das landwirtschaftliche Fahrzeug nicht zurück, sondern fließt mit 30% in die Haftungsquote ein.

 

Sachverhalt

Der Kläger (Fahrer eines Pkw) macht Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus einem Verkehrsunfall mit dem Beklagten (Fahrer eines Feldhäckslers) geltend. Der Feldhäcksler ist ein landwirtschaftliches Fahrzeug mit Überbreite (3,45m).  Zum Zeitpunkt des Unfalls verfügte dieser nicht mehr über eine Ausnahmegenehmigung i.S.d. § 70 Abs. 1 StZVO.

Der Beklagte fuhr mit dem Feldhäcksler ca. 25-30km/h schnell und musste wegen seiner Überbreite über die Fahrbahnmitte fahren. Er nutze jedoch bereits den am rechten Fahrbahnrand befindlichen Grünstreifen.
Der Kläger fuhr nach eigenen Angaben in der Fahrbahnmitte hinter einem Kleintransporter her und konnte den entgegenkommenden Feldhäcksler daher nicht kommen sehen. Aufgrund der Bäume am rechten Fahrbahnrand habe der Kläger nicht nach rechts ausweichen können.
Der Beklagte machte hingegen geltend, dass der Kläger über die Fahrbahnmitte ausgeschert sei, um möglicherweise den Gegenverkehr zu beobachten und den vorausfahrenden Kleintransporter zu überholen.

In der Mitte der Fahrbahn kam es zum Zusammenstoß.

Das Landgericht legte eine Haftungsquote von 60:40 zulasten des Klägers fest. In der nur vom Kläger geführten Berufung begehrt er eine höhere Haftungsquote des Beklagten.

 

Entscheidung

Das OLG Celle bewertet die Betriebsgefahr der landwirtschaftlichen Maschine mit 30%, konnte das Urteil jedoch nicht zu Gunsten des Beklagten ändern, weil dieser keine Berufung eingelegt hatte.

Im Einzelnen:

Auf der Klägerseite stünde ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot nach § 2 Abs. 1 StVO fest, da er die Mittellinie der Fahrbahn um rund 25cm überfuhr und zum rechten Fahrbahnrand noch ein Abstand von 90cm bestand, den er hätte nutzen müssen.

Weiterhin habe der Kläger entweder gegen das Sichtfahrgebot gem. § 3 Abs. 1 S. 2 und 4 StVO oder aufgrund Unaufmerksamkeit gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen.

Auf der Beklagtenseite liegt hingegen kein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot aus § 2 Abs. 1 StVO vor. Falls der Beklagte über die Fahrbahnmitte gefahren ist, war dies der Überbreite des Fahrzeugs geschuldet. Ein Fahren über die Mittellinie sei dem Beklagten daher nicht vorzuwerfen; hilfsweise ändere dies an der Haftungsquote nichts.

Das Fahren ohne die erforderliche Ausnahmegenehmigung (§ 70 StVZO) war im Ergebnis nicht zu Lasten des Beklagten zu berücksichtigen. Während das Landgericht dies mit rechtmäßigem Alternativverhalten begründete, weil sich der Unfall genauso ereignet hätte, wenn eine Genehmigung vorgelegen hätte, lehnt das Oberlandesgericht diesen Ansatz ab. Dies begründet es damit, dass dieser Ansatz unterstellen würde, dass auch eine neue Ausnahmegenehmigung erstellt worden wäre. Es verweist hingegen darauf, dass es unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht zu einem Unfall gekommen wäre, weil sich das Fahrzeug dann – ohne Genehmigung – nicht im Straßenverkehr befunden hätte. Das Oberlandesgericht rechnet den Verstoß dem Beklagten aber deshalb nicht an, weil § 70 StVZO nicht dem Individualschutz anderer Verkehrsteilnehmer diene, sondern die Straßen vor einer Überlastung schützen solle. Daher sind der Unfall und der Schaden sind nicht vom Schutzzweck umfasst.

Das OLG Celle nahm bei dem Beklagten keinen Geschwindigkeitsverstoß an, sodass auch ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO hinsichtlich des Abstandes zum Gegenverkehr nicht vorlag.

Bei der Bemessung der Verschuldens- und Verursachungsbeiträge berücksichtigte das Oberlandesgericht, dass der Kläger durch das sehr dichte Auffahren auf den Transporter und das kurzzeitige Fahren über die Mittellinie hinaus den Unfall maßgeblich mitverursacht hat. Wenn der Kläger mittig seiner Fahrbahn gefahren wäre oder sich am rechten Fahrbahnrand orientiert hätte, wäre es nicht zur Kollision gekommen. Der Kläger hätte genügend Abstand von dem Transporter halten, die Geschwindigkeit reduzieren und beim Überfahren der Mittellinie den Gegenverkehr beachten müssen.

Die baulich bedingte Betriebsgefahr des Feldhäckslers rechnet das OLG Celle mit 30% an. Da hier nur vom Kläger Berufung eingelegt wurde und das Gericht gem. § 528 ZPO an die Berufungsanträge gebunden ist, verblieb es bei einer Haftungsquote von „nur“ 60:40 zulasten des Klägers.

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Klassiker: Auffahrunfall nach Fahrstreifenwechsel

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Zweibrücken, Urteil vom 02.12.2020, Az.: 1 U 108/19

 

Entscheidung zur Haftungsverteilung und Anscheinsbeweis

Wechselt ein Fahrzeugführer mit dem von ihm geführten PKW impulsiv auf die Überholspur der BAB, um eine Kollision mit einem unvermittelt auf die Autobahn auffahrenden PKW zu vermeiden, und kommt es auf der Überholspur der BAB zu einem Auffahrunfall zwischen dem die Fahrspur wechselnden Verkehrsteilnehmer und einem auf der linken Fahrspur (deutlich schneller) fahrenden Fahrzeug, dessen Fahrer nicht mehr rechtzeitig abzubremsen vermag, haftet der auf die BAB Auffahrende maßgeblich für den entstandenen Schaden. Das gilt auch dann, wenn es zu keiner Berührung mit dem auf die BAB auffahrenden Fahrzeug kam. Zu Lasten des Auffahrenden besteht der Anschein, den bevorrechtigten Verkehr nicht hinreichend beachtet zu haben und sorgfaltswidrig auf die BAB aufgefahren zu sein. Aufgrund der Atypizität des Geschehens besteht weder zulasten des die Fahrspur auf der BAB Wechselnden noch zulasten des Auffahrenden der Anschein, sorgfaltswidrig gefahren zu sein. Bei der Abwägung der Haftungsanteile ist in einem ersten Schritt die Quote in jedem der Rechtsverhältnisse getrennt zu ermitteln. In einem zweiten Schritt ist sodann im Rahmen einer Gesamtschau die Gesamtquote zu ermitteln. Der Innenausgleich zwischen mehreren Schädigern ist davon getrennt durchzuführen.

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Die Deckungssumme ist grundsätzlich das Maximum

Michael PeusMichael Peus

OLG Hamm, Beschluss vom 11.07.2019, Az. 6 U 140/18

Leitsatz
Ein gerichtlicher Vergleich mit einem Versicherer beinhaltet im Rahmen der Auslegung nach §§ 133, 157 BGB die Beschränkung, dass sich der Versicherer nur im Rahmen der bedingungsgemäßen Deckungssumme verpflichtet.

Sachverhalt:
Nach einem Verkehrsunfall im Jahr 1997 nahm die Schwerstgeschädigte zunächst den Kfz-Haftpflichtversicherer  des Unfallgegners sowie diesen persönlich in Anspruch. Dieser Rechtsstreit wurde beendet durch den Abschluss folgenden Vergleichs:

„Die Beklagten zahlen als Gesamtschuldner an die Klägerin über die bereits gezahlten 400.000 DM hinaus einen weiteres Schmerzensgeld i.H.v. 125.000,- DM nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 5. Dezember 2001. Darüber hinaus zahlen die Beklagten als Gesamtschuldner an die Klägerin über die bereits anerkannte Rente von monatlich 800,- DM hinaus weitere 200,- DM Rente jeweils zum 01. eines Monats mit Wirkung ab dem 01.08.2001. Im Übrigen sind die Parteien sich einig, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, die für ein behindertengerechtes Wohnen erforderlichen und angemessenen Mehrkosten der Klägerin zu zahlen. Mit dieser Regelung sind sämtliche streitgegenständliche Ansprüche der Klägerin erledigt. Im Übrigen erkennen die Beklagten ihre 100-prozentige Haftung dem Grunde nach aus dem Schadensereignis an.‟

Im Jahr 2018 teilte der Haftpflichtversicherer des Schädigers der Geschädigten mit, dass von der Deckungssumme (7.5 MioDM) bereits (gerundet) 3.7 Mio gezahlt worden seien. Die Deckungssumme sei daher in Kürze erreicht (3.7 Mio ~ 7,245 MioDM; bei Deckungssumme von 7.5 MioDM).

Die Klägerin erhob Klage und begehrte die Feststellung, dass die Zahlungsverpflichtungen des Versicherers aufgrund des geschlossenen Vergleiches nicht durch die (mit dem Schädiger im Versicherungsvertrag vereinbarte) Deckungshöchstsumme begrenzt seien.

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keine über die Deckungssumme hinausgehenden Ansprüche gegen den Versicherer.

Entscheidungsgründe:
Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Klägerin durch Beschluss zurück.

Ein Prozessvergleich ist nach den allgemeinen Regeln auszulegen, §§ 133, 157 BGB, also vom objektiven Empfängerhorizont unter Berücksichtigung von Treu und Glauben und der Verkehrssitte.

Wenn ein Direktanspruch gegen den Versicherer geltend gemacht wird, kann der geschädigte Dritte nur im Rahmen der Leistungspflicht des Versicherers aus dem Versicherungsverhältnis seinen Anspruch auf Ersatz des Schadens gegen den Versicherer geltend machen. Damit ist der Direktanspruch hinsichtlich seiner Geltendmachung insbesondere durch das versicherte Risiko und die Versicherungssumme nach näherer Maßgabe des jeweiligen Versicherungsvertrags begrenzt.

Der Direktanspruch soll den Versicherer nicht weiter belasten, als er versicherungsvertraglich versprochen habe.

Nachdem der BGH im Urteil vom 25.06.1996, Az. VI ZR 300/95, entschieden hat, dass in einen Urteilstenor die Beschränkung hineinzulesen ist, dass der Versicherer nur maximal zu dem verpflichtet wird, was er gesetzlich bzw. wegen der vereinbarten Deckungssumme schuldet, gilt dies auch bei der Auslegung eines Vergleiches.

Ohne besondere Anhaltspunkte, die auf einen entsprechenden Willen des Versicherers hinweisen, über seine im Verhältnis zum Versicherungsnehmer bestehende Verpflichtung hinaus haften zu wollen, kann ein solcher Wille nicht in den Vergleich hineingelesen werden.

Auch wenn sich der Versicherer im Rahmen des Vergleichs verpflichtet hat, neben seinem (unbegrenzt haftenden) Versicherungsnehmer als Gesamtschuldner an die Geschädigte zu leisten, und sich im Vergleich keine (ausdrückliche) Beschränkung auf die vereinbarte Deckungshöchstsumme findet, konnte die Klägerin bereits im Hinblick auf die Rechtslage bei Abschluss des Vergleichs von einer über die Deckungshöchstsumme hinausgehenden gleichlaufenden Haftung sowohl der Beklagten als auch des Versicherungsnehmers nicht ausgehen.

Eine solche Erklärung folge insbesondere nicht aus der im Rahmen der Vergleichsvereinbarung abgegebenen Erklärung, der Versicherer erkenne die Haftung aus dem Schadensereignis dem Grund nach zu 100% an. Daraus ergab sich allein, dass der Versicherer kein Mitverschulden der Geschädigten einwenden wollte.

Auch der Umstand, dass sich der Versicherer erstmals im Jahr 2017 auf diesen Höchstbetrag stützte, führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn daraus sei nicht erkennbar, dass der Versicherer sich bei dem Vergleichsschluss vor über 15 Jahren darüber hinaus verpflichten wollte.

Gespräche über die Deckungssumme im Rahmen von Vergleichsverhandlungen belegen nach Ansicht des OLG, dass den Parteien die Relevanz dieses Betrages bewusst gewesen sei. Für die Annahme, dass der Versicherer jemals über diesen Betrag hinaus einstehen wollte, bedürfte es in diesem Fall noch sehr viel eindeutigerer Anzeichen.

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