Steuerberaterhaftung

BGH, Urteil vom 3.2.2011 — Aktenzeichen: IX ZR 183/08

Leitsatz
Lässt ein Steuerberater einen Steuerbescheid pflichtwidrig bestandskräftig werden, beginnt die Frist für die Verjährung des Ersatzanspruchs des Mandanten mit der Bestandskraft des Steuerbescheides, auch wenn dieser zunächst der formellen Gesetzeslage entspricht und die zugrundeliegende Steuernorm erst später vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärt wird.

Sachverhalt
Die Beklagten waren im Frühjahr 2000 mit der Erstellung der Einkommensteuererklärung der Kläger beauftragt. Die Beklagten berücksichtigten als zu versteuerndes Einkommen Einkünfte der Kläger aus Spekulationsgewinnen. Grundlage war eine Norm, die mit Urteil aus dem Jahre 2004 vom Bundesverfassungsgericht für die Besteuerung der Spekulationsgewinne für nichtig erklärt wurde. Steuerpflichtige, die bis zu diesem Zeitpunkt den Steuerbescheid bzgl. der Spekulationsgewinne nicht bestandskräftig werden ließen, mussten die Spekulationsgewinne nicht versteuern. Die Kläger werfen den Beklagten nun vor, diese hätten pflichtwidrig den Steuerbescheid bestandskräftig werden lassen. Die Beklagten haben die Einrede der Verjährung erhoben.

Entscheidung
Der BGH hat das Urteil des Oberlandesgerichts aufgehoben und die Klage wegen Verjährung abgewiesen. Das Berufungsgericht war der Auffassung, die dreijährige Verjährungsfrist nach dem damals noch anwendbaren § 68 Steuerberatungsgesetz habe erst in dem Zeitpunkt zu laufen angefangen, in dem das Bundesverfassungsgericht die Norm bzgl. der Besteuerung von Spekulationsgewinnen für nichtig erklärt habe. Dieser Auffassung tritt der Bundesgerichtshof entgegen und hält an seiner Rechtsprechung fest, dass in Steuersachen die Verjährung grundsätzlich mit Erlass des belastenden Bescheides zu laufen beginnt. Bereits in diesem Zeitpunkt tritt der Schaden des Steuerpflichtigen in der Regel ein und wirkt sich das pflichtwidrige Verhalten des Steuerberaters aus. Maßgeblich ist dabei der Zeitpunkt der Bestandskraft des Steuerbescheides. Für den Beginn der Verjährungsfrist nach § 68 Steuerberatungsgesetz a. F. ist nicht maßgeblich, dass der Geschädigte den Eintritt eines Schadens erkennt. Insoweit konsequent hat der BGH festgestellt, dass vorliegend die Verjährungsfrist nicht erst mit Erklärung der Nichtigkeit der Steuernorm seitens des Bundesverfassungsgerichts zu laufen begann.

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Steuerberaterhaftung

BGH, Urteil vom 23.9.2010 — Aktenzeichen: IX ZR 26/09

Leitsatz
1. Der mit der Anmeldung von Umsatzsteuer aus dem Betrieb von Geldspielautomaten betraute Steuerberater braucht den Mandanten auf eine etwaige Gemeinschaftswidrigkeit der Besteuerung erst hinzuweisen, sobald der Bundesfinanzhof dahin lautende Bedenken in einer Entscheidung, die dem Steuerberater bekannt sein muss, äußert. 2. Ein Steuerberater braucht eine nicht mit einem Leitsatz versehene Entscheidung des Bundesfinanzhofs, die lediglich in einer nicht amtlichen Entscheidungssammlung, aber in keiner der einschlägigen allgemeinen Fachzeitschriften abgedruckt wurde, vorbehaltlich anderer Hinweise nicht zu kennen. 3. Versäumt es der Steuerberater, im Anschluss an die beratungsfehlerfreie Abgabe von Jahresumsatzsteueranmeldungen auf eine danach bekannt gewordene Rechtsprechungsänderung durch einen Antrag auf Neufestsetzung zu reagieren, so beginnt die Verjährung eines Ersatzanspruchs des Mandanten erst mit dem Ende der Festsetzungsfrist zu laufen.

Sachverhalt
Der Kläger betraute die beklagte Steuerberatungsgesellschaft im Rahmen eines bis Januar
2004 andauernden Mandats mit der Wahrnehmung seiner steuerlichen Angelegenheiten.
Die Beklagte gab für von dem Kläger in den Jahren 1995 bis 2000 aus dem Betrieb von
Geldspielautomaten erzielte Umsätze bei dem Finanzamt Umsatzsteuerjahreserklärungen
ab.

Mit der im Dezember 2005 eingereichten und im Januar 2006 zugestellten Klage
nimmt der Kläger die Beklagte, die sich auf die Einrede der Verjährung beruft, wegen der für die Jahre 1995 bis 2000 entrichteten Umsatzsteuer auf Schadensersatzleistung in Anspruch. Er meint, die Beklagte habe bereits ab dem Jahr 1995 erkennen müssen, dass Umsätze aus dem Betrieb von Glücksspielautomaten nach dem Gemeinschaftsrecht nicht umsatzsteuerpflichtig seien und die dieser Wertung entgegenstehende deutsche Gesetzeslage keinen Bestand haben werde.

Entscheidung
1. Soweit es um die Abgabe der Umsatzsteuererklärungen geht, hat der BGH eine Pflichtverletzung des Steuerberaters verneint. Zum Zeitpunkt der Einreichung sämtlicher Umsatzsteueranmeldungen sei für die Beklagte noch kein begründeter Anhalt dafür gegeben gewesen, dass die von dem Kläger erzielten Umsätze infolge einer sich abzeichnenden Gemeinschaftswidrigkeit von § 4 Nr. 9 lit. b UStG in der seinerzeit maßgeblichen Fassung nicht der Umsatzsteuer unterliegen könnten. Der Steuerberater dürfe sowohl auf die aktuelle höchstrichterliche Rechtsprechung als auch auf die Verfassungsgemäßheit des von der Steuerverwaltung angewendeten Steuergesetzes vertrauen.

Der Steuerberater, der mit der Prüfung eines Steuerbescheides
beauftragt sei, müsse mit seinem Mandanten die Möglichkeit eines Einspruchs wegen möglicher Verfassungswidrigkeit des anzuwendenden Steuergesetzes nicht erörtern, so lange keine entsprechende Vorlage eines Finanzgerichts an das Bundesverfassungsgericht veröffentlicht sei oder sich ein gleich starker Hinweis auf die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung aus anderen Umständen, insbesondere einer in ähnlichem Zusammenhang ergangenen, im Bundessteuerblatt veröffentlichten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergebe. Entsprechendes gelte auch für einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht.

Soweit die Beklagte Umsatzsteuerjahreserklärungen vor Erlass des Beschlusses des Bundesfinanzhofs vom 30.November 2000 – V B 187/00 –, in dem vor dem Hintergrund der Steuerfreiheit in Spielbanken veranstalteten Automatenglücksspiels erstmals Bedenken gegen die Zulässigkeit der Besteuerung außerhalb von Spielbanken veranstalteter erlaubter Automatenglücksspiele geäußert worden waren, abgegeben habe, brauchte die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt selbständige Rückschlüsse darauf, dass die Besteuerung auch des erlaubten Glückspiels mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sein könnte, nicht zu ziehen.

2. Auch die Abgabe der Umsatzsteuerjahreserklärung nach der vorgenannten Entscheidung des BFH vom 30.11.2000 stelle keinen Beratungsfehler dar, weil der Beklagten die lediglich vereinzelt veröffentlichte Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 30. November 2000, nach deren Inhalt die Steuerpflicht von Umsätzen aus Glückspiel ernsthaften gemeinschaftsrechtlichen Bedenken ausgesetzt war, nicht bekannt sein musste. Der rechtliche Berater müsse nur über die in den amtlichen Sammlungen und in den einschlägigen allgemeinen Fachzeitschriften veröffentlichten Entscheidungen der obersten Bundesgerichte orientiert sein. An einer derartigen Veröffentlichung fehlte es hier.

Der Bundesfinanzhof hatte die hier maßgebliche Entscheidung vom 30. November 2000
weder für die amtliche Sammlung bestimmt noch überhaupt mit einem Leitsatz
versehen. Der Beschluss wurde ausweislich der Nachweise, die der Juris-Datenbank entnommen werden können, in voller Länge außer in BFH/NV lediglich in der „Steuerrechtsprechung in Karteiform“, die zwischenzeitlich offenbar eingestellt wurde, abgedruckt. Die weiteren angegebenen Fundstellen „StuB“ (Steuern und Bilanzen), „BFH-PR“ sowie „D-spezial“ (Steuer und Wirtschaftsrecht in den neuen Bundesländern, 1991 — 2005) enthielten nur den Abdruck eines redaktionellen Leitsatzes bzw. eine Kurzwiedergabe. Der BGH hat offen gelassen, welche Zeitschriften zu den einschlägigen allgemeinen Fachzeitschriften gehören, die ein Steuerberater lesen muss. Die hier betroffenen, wenig verbreiteten Periodika „Steuerrechtsprechung in Karteiform“, „StuB“, „BFH-PR“ und „D-spezial“ gehören nach Ansicht des BGH jedenfalls nicht zu dem Kreis der ständig zu verfolgenden Periodika.

Da ein Rechtsberater neben der Rechtsprechung auch aktuelle Entwicklungen in
Gesetzgebung und Literatur zu verfolgen habe, könne von ihm grundsätzlich nur die Lektüre der einschlägigen allgemeinen Fachzeitschriften erwartet werden, wo sich diese Informationen dank einer redaktionellen Aufarbeitung gebündelt auffinden lassen. Eine über die einschlägigen allgemeinen Fachzeitschriften hinausgehechtshofs würde die Pflichten eines Rechtsberaters schon wegen des damit verbundenen Zeitaufwands überspannen, zumal vollständige Entscheidungssammlungen nicht für alle obersten Gerichtshöfe angeboten werden.

Der BGH hat ausdrücklich offen gelassen, ob bei einer fortschreitenden, einen einfachen, raschen und kostengünstigen Zugriff gestattenden Informationstechnologie in Zukunft strengere Anforderungen an die Kenntnis höchstrichterlicher Entscheidungen zu stellen sind.

3. Der BGH hat jedoch einen Schadensersatzanspruch des Klägers in Bezug auf die Umsatzsteuererklärungen für die Jahre 1997 bis 2000 als für gegeben angesehen, weil es die Beklagte versäumt habe, vor Ablauf der Festsetzungsfrist auf die durch den in der amtlichen Sammlung im Frühjahr 2003 veröffentlichten Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 6. November 2002 – V R 7/02 – zugunsten des Klägers geänderte Rechtslage zu reagieren.

Mit diesem Beschluss hatte der BFH dem EuGH die Frage, ob die Besteuerung von Umsätzen aus Geldspielautomaten gemeinschaftsrechtskonform ist, vorgelegt.

Die seitens der Beklagten für den Kläger abgegebenen jährlichen Umsatzsteuererklärungen
standen nach der Regelung des § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Die Beklagte hätte daher aufgrund der Vorlageentscheidung eine Neufestsetzung beantragen können und müssen.

4. Solche Schadensersatzansprüche seien auch noch nicht verjährt. Regelmäßig beginne die Verjährung für einen Anspruch gegen einen Steuerberater, der steuerliche Nachteile seines Mandanten verschuldet habe, nicht erst mit der Bestandskraft, sondern bereits mit der Bekanntgabe des belastenden Steuerbescheids. Bestehe der Schaden des Auftraggebers in vermeidbaren Umsatzsteuern infolge fehlerhafter Selbstveranlagung, entspreche diesem Zeitpunkt die Einreichung der Umsatzsteueranmeldung beim Finanzamt. Das könne aber nicht gelten, wenn das pflichtwidrige Verhalten des Steuerberaters erst nach Erlass des Steuerbescheids einsetze. Bestehe die Pflichtwidrigkeit darin, dass der gebotene Rechtsbehelf gegen den Bescheid nicht eingelegt werde, so entstehe der Schaden
in dem Augenblick, in dem der Steuerpflichtige von sich aus nicht mehr durch einen Rechtsbehelf die Abänderung des Steuerbescheids erwirken könne. Die Nachlässigkeit, bis zum Ablauf der Festsetzungsfristen einen Antrag auf eine Neufestsetzung versäumt zu haben, stehe der unterlassenen Einlegung eines gebotenen Rechtsbehelfs gleich.

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Zur Haftung des Steuerberaters bei unterlassenem Hinweis auf Gemeinschaftswidrigkeit der Besteuerung

BGH – Urteil, Urteil vom 23.9.2010 — Aktenzeichen: IX ZR 26/09

Leitsatz
Der Steuerberater braucht den Mandanten auf eine etwaige Gemeinschaftswidrigkeit der Besteuerung erst hinzuweisen, soweit der Bundesfinanzhof dahingehend Bedenken in einer Entscheidung, die dem Steuerberater bekannt sein muss, äußert.

Ein Steuerberater braucht eine nicht mit einem Leitsatz versehene Entscheidung des Bundesfinanzhofs, die lediglich in einer nicht amtlichen Entscheidungssammlung, aber in keiner der einschlägigen allgemeinen Fachzeitschriften abgedruckt wurde, vorbehaltlich andere Hinweise nicht zu kennen.

Sachverhalt
Die beklagte Steuerberatungsgesellschaft gab für den Kläger Umsatzsteuerjahreserklärungen für die Jahre 1995 bis 2000 ab. Der Kläger meint, die Beklagte habe bereits ab dem Jahr 1995 erkennen müssen, dass Umsätze aus ihrem Betrieb von Glückspielautomaten nach dem Gemeinschaftsrecht nicht umsatzsteuerpflichtig seien und die dieser Wertung entgegenstehende deutsche Gesetzeslage keinen Bestand haben werde. Mit Beschluss vom 30.11.2000 hat der Bundesfinanzhof dann auch die Besteuerung von Umsätzen aus Geldspielautomaten generell als ernstlich zweifelhaft erachtet, da diese gemeinschaftswidrig sei. Auf den dann folgenden Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofs hat der Gerichtshof der europäischen Gemeinschaften 2005 festgestellt, dass eine Umsatzbesteuerung der Geldspielautomaten gemeinschaftswidrig sei.

Entscheidung
Der BGH hat ein Beratungsfehler der Beklagten für die Jahre 1995 bis 2000 abgelehnt. Ein Steuerberater dürfe grundsätzlich auf die Verfassungsmäßigkeit des von der Steuerverwaltung angewendeten Steuergesetzes Vertrauen. Der Steuerberater, der dann mit der Prüfung eines Steuerbescheides beauftragt ist, müsse mit einem Mandanten die Möglichkeit an das Einspruchs wegen möglicher Verfassungswidrigkeit des anzuwendenen Steuergesetzes nicht erörtern, solange keine entsprechende Vorlage eines Finanzgerichts an das Bundesverfassungsgericht veröffentlich ist oder sich einen gleichstarken Hinweis auf die Verfassungswidrigkeit der Besteuerung aus anderen Umständen ergäbe. Diese Grundsätze seien auch auf die Frage der Gemeinschaftswirdigkeit und Vorlage an den Gerichtshof der europäischen Gemeinschaften anzuwenden. Der Rechts- und Steuerberater habe zwar bezüglich der zu bearbeitenden Angelegenheit auch Spezialzeitschriften in angemessener Zeit durchzusehen; sind aber in der Rechtsprechung keine besonderen Entwicklungstendenzen zu erkennen, die auf eine Verfassungswidrigkeit des maßgeblichen Steuergesetzes schließen lassen, gibt es für den Berater keinen Grund, die Verfassungsmäßigkeit des Steuergesetzes anzuzweifeln. Jedenfalls könne dem Berater nicht vorgeworfen werden, er habe eine insoweit maßgebliche Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen, wenn der Verbreitungsgrad der Entscheidung lediglich gering war. Der steuerlicher Berater muss jedoch nur über die in den amtlichen Sammlungen und in den einschlägigen allgemeinen Fachzeitschriften veröffentlichen Entscheidungen der obersten Bundesgericht orientiert sein. Im vorliegenden Fall fehlt es an einer derartigen Veröffentlichung. Der Steuerberater habe zwar das — vom Finanzministerium herausgegebene und keine eigentliche Fachzeitschrift darstellende — Bundessteuerblatt und als Organ der Bundessteuerberaterkammer das Deutsche Steuerrecht zu beachten; die hier betroffene wenig verbreiteten Periodika Steuerrechtsprechung in Karteiform, StuB, BFH-PR und D-Spezial gehören aber jedenfalls nicht zu dem — möglicherweise weiter zu ziehenden — Kreis der ständig zu verfolgenden Periodika. Mit einer nur in der Sammlung BFH/NV veröffentlichen Entscheidung des Bundesfinanzhofs muss er nicht vertraut sein. Der BGH wies in diesem Zusammenhang allerdings auch darauf hin, dass es evtl. bei einer fortschreitenden, einen einfachen, raschen und kostengünstigen Zugriff gestattenen Informationstechnologie in Zukunft strengere Anforderung an die Kenntnis höchst richterlichen Entscheidung zu stellen sein könne (juris, LexisNexis).

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