Tierhalterhaftung und Reitbeteiligung

Oberlandesgericht Nürnberg, Urteil vom 4.10.2017 — Aktenzeichen: 4 U 116/13

Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass ein Pferdehalter aus bei einer Reitbeteiligung für Unfälle haften kann, welche durch das Pferd verursacht werden. Ist die Geschädigte im Moment des Unfalls Tieraufseherin, besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die Geschädigte ein Sorgfaltsverstoß trifft und dieser auch für den Schaden ursächlich geworden ist. Der Pferdehalter haftet dann nur zu 50%.

Leitsatz
1. Die Vereinbarung einer Reitbeteiligung zwischen einer Pferdehalterin und einer Reiterin, die es der Reiterin erlaubt, gegen Zahlung eines regelmäßigen Entgelts und Mithilfe im Stall an festgelegten Tagen selbständige Ausritte mit dem Pferd machen zu dürfen, begründet keine Mithaltereigenschaft der Reiterin.

2. Eine derartige Reitbeteiligung rechtfertigt auch dann nicht ohne weiteres die Annahme eines konkludent vereinbarten Haftungsausschlusses, wenn Unfälle im Rahmen einer Reitbeteiligung vom Versicherungsschutz der Pferdehalterin ausgenommen sind.

3. Stürzt die Reiterin bei einem selbständigen Ausritt vom Pferd und kann sie sich nicht entlasten, so ist bei der Prüfung ihrer Ersatzansprüche gegen die Pferdehalterin ein vermutetes Mitverschulden der Reiterin als Tieraufseherin anspruchsmindernd zu berücksichtigen.

4. Bei Unaufklärbarkeit der näheren Umstände des Sturzes können die Haftungsanteile der Halterin und der Reiterin gleich hoch zu bewerten sein.

Sachverhalt
Die Klägerin begehrt als gesetzliche Krankenversicherung die Feststellung von auf sie übergegangenen Schadensersatzansprüchen ihres Mitglieds aufgrund eines Reitunfalles. Die Klägerin ist der gesetzliche Krankenversicherer der Geschädigten. Zwischen dieser und der Beklagten bestand eine Vereinbarung dahingehend, dass die Geschädigte das im Eigentum der Beklagten stehende Pferd „S…“ an drei Tagen pro Woche nach Belieben ausreiten durfte und hierfür monatlich 100,00 Euro an die Beklagte zu zahlen hatte. Die Geschädigte stürzte am 08.10.2009 gegen 14.30 Uhr bei einem Ausritt auf der Koppel von dem Pferd und erlitt eine Querschnittslähmung. Die Klägerin behauptet, die Geschädigte sei davon ausgegangen, dass das Pferd der Beklagten ordnungsgemäß versichert gewesen sei. Alle Kosten für die Unterhaltung des Pferdes, insbesondere für Stallmiete, Steuern, Versicherung und Fütterung habe die Beklagte getragen. An den Tagen, an denen die Geschädigte das Pferd reiten durfte, habe sich diese teilweise auch um das Füttern und Einstreuen gekümmert. Die Nutzung des Pferdes durch die Geschädigte habe längstens vier Monate gedauert. Es habe keine festen Nutzungstage gegeben, vielmehr seien diese jeweils abgesprochen worden. Der Unfall habe sich auf der eingezäunten Koppel so zugetragen, dass das Pferd unerwartet durchgegangen sei, den Kopf nach vorne gerissen und die Geschädigte abgeworfen habe, woraufhin diese kopfüber zu Boden gestürzt sei. Im Zusammenhang mit dem Unfall seien der Klägerin Kosten für die Heilbehandlung und Pflege sowie für Krankengeld von bislang insgesamt 129.177,83 Euro entstanden

Entscheidung
Das OLG Nürnberg hat entschieden, dass ein Pferdehalter auch bei einer Reitbeteiligung für Unfälle haftet, welche durch das Pferd verursacht werden.

Die Tatsache, dass eine Pferdehalterin mit einer Reiterin eine sog. Reitbeteiligung abgeschlossen habe, ändere nichts an der Haltereigenschaft. Es sei auch nicht ohne Weiteres davon auszugehen, dass in diesen Fällen ein stillschweigender Haftungsausschluss zwischen Halterin und Reiterin vereinbart worden sei, so das Oberlandesgericht.

Die Klägerin ist die gesetzliche Krankenversicherung der geschädigten Reiterin. Diese hatte mit der Beklagten eine Vereinbarung abgeschlossen, wonach sie deren Pferd an drei Tagen pro Woche gegen Bezahlung eines Betrages von 100 Euro pro Monat nach Belieben ausreiten durfte. Die Geschädigte stürzte bei einem Ausritt auf der Koppel vom Pferd und erlitt eine Querschnittslähmung, wobei das Verhalten des Pferdes für das Unglück ursächlich war. Die Reitbeteiligung ist von der Haftpflichtversicherung der Beklagten nicht erfasst. Die Klägerin hatte Klage zum LG Nürnberg-Fürth erhoben und dort beantragt festzustellen, dass die Beklagte ihr den gesamten Schaden zu ersetzen habe, welcher im Rahmen der unfallbedingt notwendigen ärztlichen Behandlungen entstanden war bzw. noch entstehen wird. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen und dies damit begründet, dass die Auslegung des abgeschlossenen Vertrages über die Reitbeteiligung ergebe, dass die Geschädigte und die Beklagte stillschweigend einen Haftungsausschluss vereinbart hätten.

Die Berufung der Klägerin hatte teilweise Erfolg. Das OLG Nürnberg hat grundsätzlich eine Haftung der Beklagten bejaht, aber lediglich eine Haftungsquote von 50% angenommen.

Nach Auffassung des Oberlandesgerichts ändert die Reitbeteiligung nichts daran, dass die Beklagte zum Unfallzeitpunkt alleinige Halterin des Pferdes war. Sie habe das Bestimmungsrecht über das Tier und trage sämtliche Aufwendungen, wie etwa für Futter, tierärztliche Behandlungen oder die Versicherung. Die Geschädigte habe hingegen nur ein geringes Entgelt für die gelegentliche Nutzung des Pferdes gezahlt. Für die Haftung des Tierhalters komme es alleine darauf an, ob sich eine spezifische Tiergefahr verwirklicht habe. Dies sei hier der Fall, weil das Pferd ohne Grund plötzlich losgerannt sei und es deshalb zu dem Unglück kam.

E sei kein Haftungsausschluss zwischen der Geschädigten und der Beklagten vereinbart worden. Diese Frage sei nach den konkreten Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Ein Haftungsausschluss läge etwa dann vor, wenn die Geschädigte an der Überlassung des Tieres ein besonderes Interesse gehabt hätte. Die Reitbeteiligung habe zuvor nur wenige Monate bestanden. Die Beklagte selbst sei davon ausgegangen, dass etwaige Schäden auch im Hinblick auf die Reitbeteiligung von ihrer Versicherung gedeckt seien.

Die Beklagte haftet aber nur mit einer Quote von 50%. Die Geschädigte sei im Moment des Unfalls Tieraufseherin gewesen. In diesem Fall bestehe eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die Geschädigte ein Sorgfaltsverstoß treffe und dieser auch für den Schaden ursächlich geworden sei. Der Geschädigten sei es nicht gelungen, diese Vermutung zu widerlegen. Nachdem letztlich der Reitunfall nicht mehr aufklärbar sei, führe dies dazu, dass das vermutete Mitverschulden der Geschädigten an dem Unfall den Anspruch mindere. Das Oberlandesgericht hält eine Quote von 50% für angemessen.

Praxishinweis
Denken muss man in solchen Fällen stets an das Haftungsprivileg nach den Regeln des SGB VII. So gibt es Rechtsprechung, wonach in bestimmten Fällen das Haftungsprivileg der §§ 104 ff. SGB VII greifen kann, insbesondere bei arbeitnehmerähnlichen Tätigkeiten. Beispiel: Eine ausgebildete und als solche nebenberuflich tätige Reitlehrerin, die im Rahmen eines Freundschaftsdienstes auf Bitten eines Pferdezüchters ein Video über den Ausbildungsstand eines Pferdes aufnimmt, um über das weitere Vorgehen seines Trainings bzw. Verkaufs entscheiden zu können, und in diesem Zusammenhang beim Vorführen und Longieren des Pferdes verletzt wird, hat keinen Anspruch auf Schadensersatz und Zahlung eines Schmerzensgeldes gegen den Pferdehalter, weil dieser als haftungsbefreiter Unternehmer i.S.d. § 104 SGB VII anzusehen ist, und es sich bei der Reitlehrerin um eine als „Wie-Beschäftigte“ versicherte Person nach § 2 Abs. 2 SGB VII handelt (LG Stendal, Urteil 30.10.2013).

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Personenschäden und Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter

Bundesgerichtshof, Urteil vom 7.12.2017 — Aktenzeichen: VII ZR 204/14

Leitsatz
Steht den Arbeitnehmern eines Unternehmers nach den Grundsätzen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ein Schadensersatzanspruch gegen den Besteller einer Werkleistung zu, weil sie bei Ausführung der Arbeiten aufgrund einer schuldhaften Verletzung auch ihnen gegenüber bestehender vertraglicher Schutz- pflichten durch den Besteller einen Schaden erleiden, scheidet ein weiterer Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gegen einen vom Besteller beauftragten Dritten, der für die Schädigung mitverantwortlich ist und dessen Verschulden sich der Besteller nach § 278 BGB zurechnen lassen muss, grundsätzlich aus.

Sachverhalt
Die Klägerin, ein gesetzlicher Unfallversicherer, nimmt bei den Beklagten Rückgriff aufgrund eines Arbeitsunfalls zweier bei ihr versicherter Personen. Deren Arbeitgeberin, die F. & R. GmbH, ein Mitgliedsunternehmen der Klägerin, führte aufgrund eines Vertrags mit einer Brauerei Abbrucharbeiten auf einem Gelände durch, auf dem eine Brauerei betrieben wurde. Nach dem Vertrag sollten die auf dem Gelände befindlichen Ver- und Entsorgungsleitungen stillgelegt werden. Die Brauerei hatte, da mit Umweltgefährdungen gerechnet werden musste, den Beklagten beauftragt, die auf dem Gelände stehenden Gebäude auf eventuelle Gefahrenquellen zu untersuchen. Der Beklagte erstellte ein Rückbau- und Entsorgungskonzept. Übersehen wurde dabei noch unter Druck stehende Leitungen im Inneren eines Gebäudes. Bei Abbrucharbeiten wurden die Mitarbeiter der F. & R. GmbH verletzt, als sie bei Abbrucharbeiten eine noch mit Ammoniak gefüllte Kälteanlage, bestehend aus zwei Tanks und Rohrleitungen, abrissen und es infolgedessen zum Austritt einer Ammoniakwolke kam. Die Klägerin erbrachte aufgrund des Unfalls Leistungen an die Verletzten. Die Aufwendungen dafür verlangte sie von dem Beklagten ersetzt.

Das Landgericht hat unter Klageabweisung im Übrigen den Beklagten neben der ebenfalls in Anspruch genommenen Brauerei verurteilt. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Dagegen richtete sich die Revision des Beklagten. Die Revision hatte Erfolg. Das Urteil des Berufungsgerichts wurde aufgehoben und die Sache an die II. Instanz zurückverwiesen.

Entscheidung
Das Berufungsgericht hatte einen Anspruch der klagenden Berufsgenossenschaft nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bejaht. Der Beklagte sei aus dem mit der Brauerei geschlossenen Vertrag verpflichtet gewesen, sich ein eigenes Bild von allen Gebäuden zu machen. Das von ihm geschuldete Rückbau- und Entsorgungskonzept habe nicht ausschließlich dem Schutz der Umwelt, sondern auch dem Schutz der mit dem Abbruch befassten Arbeiter dienen sollen. Ein Anspruch nach den Grundsätzen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter scheide nicht deshalb aus, weil den Verletzten eigene vertragliche Ansprüche zustünden. Da Vertragspartner der Brauerei nur die F. & R. GmbH sei und nicht auch deren Mitarbeiter, stünden diesen indes keine eigenen gleichwertigen vertraglichen Ansprüche gegen die Brauerei zu.

Dieses Urteil hielt vor dem Bundesgerichtshof nicht stand. Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt:

Das Berufungsgericht hat zu Unrecht einen gemäß § 116 SGB X auf die Klägerin übergegangenen Schadensersatzanspruch der Verunfallten gegen den Beklagten nach den Grundsätzen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter bejaht.

1. Bei einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter steht die geschuldete (Haupt-)Leistung allein dem Gläubiger zu, der Dritte ist jedoch in der Weise in die vertraglichen Sorgfalts- und Obhutspflichten einbezogen, dass er bei deren Verletzung vertragliche Schadenersatzansprüche geltend machen kann. Die Herausbildung des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter beruht auf ergänzender Vertragsauslegung und knüpft damit an den hypothetischen Willen der Parteien an, der gemäß § 157 BGB unter Berücksichtigung von Treu und Glauben zu erforschen ist. Um die Haftung für den Schuldner nicht umkalkulierbar auszudehnen, sind an die Einbeziehung von Dritten in den vertraglichen Schutz strenge Anforderungen zu stellen. Der hypothetische Wille der Vertragsparteien, einen Dritten in den Schutzbereich der zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarung einzubeziehen, ist danach aufgrund einer sorgfältigen Abwägung ihrer schutzwürdigen Interessen und derer des Dritten zu ermitteln. Ausgangspunkt der Rechtsprechung zum Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter waren Fallgestaltungen, in denen der Gläubiger, für den Schuldner erkennbar, aufgrund einer Rechtsbeziehung mit personenrechtlichem Einschlag einem Dritten Schutz und Fürsorge schuldet und der Dritte durch eine Sorgfaltspflichtverletzung des Schuldners einen Schaden erleidet. In Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung ist eine Einbeziehung Dritter in den Schutzbereich eines Vertrags auch dann bejaht worden, wenn der Gläubiger an deren Schutz ein besonderes Interesse hat, Inhalt und Zweck des Vertrags erkennen lassen, dass diesem Interesse Rechnung getragen werden soll, und die Parteien den Willen haben, zugunsten dieser Dritten eine Schutzpflicht des Schuldners zu begründen. So können z.B. Personen, die über eine be- sondere, vom Staat anerkannte Sachkunde verfügen, und in dieser Eigenschaft gutachterliche Stellungnahmen abgeben, aus einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gegenüber Personen haften, denen gegenüber der Auftraggeber von dem Gutachten bestimmungsgemäß Gebrauch macht (sogenannte „Expertenhaftung‟). Ausgehend von diesen Grundsätzen unterliegt die Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich des Vertrags folgenden Voraussetzungen:

a) Der Dritte muss bestimmungsgemäß mit der (Haupt-)Leistung in Berührung kommen und den Gefahren von Schutzpflichtverletzungen ebenso ausgesetzt sein wie der Gläubiger. b) Der Gläubiger muss ein Interesse an der Einbeziehung des Dritten in den Schutzbereich des Vertrags haben. c) Für den Schuldner muss die Leistungsnähe des Dritten und dessen Einbeziehung in den Schutzbereich des Vertrags erkennbar und zumutbar sein. d) Darüber hinaus erfordert die im Rahmen der Auslegung erforderliche Interessenabwägung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben, dass für die Ausdehnung des Vertragsschutzes ein Bedürfnis besteht.

Eine Schutzwirkung entfällt deshalb, wenn dem Dritten eigene vertragliche Ansprüche zustehen, die denselben oder zumindest einen gleichwertigen Inhalt haben wie diejenigen Ansprüche, die ihm über eine Einbeziehung in den Schutzbereich des Vertrags zukämen.

Nach diesen Maßstäben hat das Berufungsgericht den Anwendungsbereich des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter überdehnt.

a) Das Berufungsgericht hat einen vertraglichen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ausschließlich damit begründet, dass dieser Schutzpflichten in Form von Hinweis- und Warnpflichten verletzt habe, die aufgrund des zwischen ihm und der Brauerei geschlossenen Vertrags auch gegenüber den Mitarbeitern der F.&.R. GmbH bestanden hätten. Ein Schutzbedürfnis der Mitarbeiter an der Einbeziehung in den Schutzbereich dieses Vertrags sei dabei unabhängig davon gegeben, ob ihnen aus dem Gesichtspunkt eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ein inhaltsgleicher vertraglicher Schadensersatzanspruch gegen die Brauerei zustehe.

b) Diese Auffassung ist von Rechtsfehlern beeinflusst. aa) Das Berufungsgericht legt seinen Ausführungen die Annahme zugrunde, dass die verunfallten Mitarbeiter gegen die Brauerei nicht nur einen deliktischen Anspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, sondern auch einen vertraglichen Anspruch nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter auf Ersatz der von ihnen geltend gemachten Schäden haben. Diese Annahme ist auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zutreffend. (1) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs trifft den Besteller einer Werkleistung die vertragliche Pflicht, alles ihm Zumutbare zu tun, um seinen Vertragspartner bei der Ausführung der Arbeiten vor Schaden zu bewahren. Stellt der Besteller das Grundstück oder Arbeitsgerät für die Werkleistung zur Verfügung, erstreckt sich seine vertragliche Pflicht darauf, im Rahmen des Zumutbaren hiervon ausgehende Gefahren für den Vertragspartner zu vermeiden. Dies wird zum Teil aus dem werkvertraglichen Treueverhältnis (§ 242 BGB) und zum Teil aus § 618 Abs. 1 BGB analog hergeleitet. Bei schuldhafter Verletzung der vertraglichen Schutzpflicht haftet der Besteller seinem Vertragspartner gemäß § 280 Abs. 1 BGB auf Schadensersatz. Das Gleiche gilt, wenn infolge der Schutzpflichtverletzung Arbeitnehmer des Vertragspartners bei Ausführung der Arbeiten geschädigt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört es bei Werkverträgen regelmäßig zum Vertragsinhalt, dass sich die vertraglichen Schutzpflichten des Bestellers auch auf die Arbeitnehmer des Vertragspartners erstrecken sollen. Der Vertrag entfaltet mithin Schutzwirkung auch zugunsten dieses abgrenzbaren und bestimmbaren Personenkreises. (2) Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Brauerei als Betreiberin der Kälteanlage und Veranlasserin der Abbruchmaßnahmen bei deren Vorbereitung und Durchführung eine schuldhafte Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen ist. Mit dieser von den Parteien unbeanstandet gebliebenen Feststellung steht zugleich die schuldhafte Verletzung einer im Verhältnis zur F. & R. GmbH bestehenden vertraglichen Schutzpflicht durch die Brauerei fest. Die Brauerei haftet in dem Vertragsverhältnis für das Verschulden ihrer Organe (§ 31 BGB) und ihrer Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB), mithin auch für ein Verschulden des Beklagten, soweit sie ihn bei der Erfüllung ihrer vertraglichen Schutzpflichten eingebunden hat. Die verunfallten Mitarbeiter sind in die aufgrund des zwischen der Brauerei und der F. & R. GmbH geschlossenen Vertrags bestehenden Schutzpflichten einbezogen, weil sie als Arbeitnehmer der F. & R. GmbH mit der Ausführung der Arbeiten betraut waren, die F. & R. GmbH aufgrund ihrer Fürsorgepflichten als Arbeitgeberin ein schutzwürdiges Interesse an deren Einbeziehung hat und dies der Brauerei erkennbar und zumutbar ist. Die Verletzten sind schutzbedürftig, da ihnen in dieser Konstellation kein inhaltsgleicher vertraglicher Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten zusteht. bb) Steht den Arbeitnehmern eines Unternehmers nach den Grundsätzen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ein Schadensersatzanspruch gegen den Besteller einer Werkleistung zu, weil sie bei Ausführung der Arbeiten aufgrund einer schuldhaften Verletzung auch ihnen gegenüber bestehender vertraglicher Schutzpflichten durch den Besteller einen Schaden erleiden, scheidet ein weiterer Schadensersatzanspruch nach den Grundsätzen eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter gegen einen vom Besteller beauftragten Dritten, der für die Schädigung mitverantwortlich ist und dessen Verschulden sich der Besteller nach § 278 BGB zurechnen lassen muss, grundsätzlich aus. In einem solchen Fall erfordert es die Schutzbedürftigkeit der bei dem Unternehmer beschäftigten Arbeitnehmer regelmäßig nicht, dass neben dem Bestel- ler ein weiterer Vertragsschuldner zur Verfügung steht. Der vertragliche Schadensersatzanspruch der Arbeitnehmer ist insoweit ausschließlich aus dem zwischen dem Besteller und dem Unternehmer bestehenden Werkvertrag, in dessen Schutzbereich die Arbeitnehmer aufgrund ihres arbeitsrechtlichen Verhältnisses einbezogen sind, herzuleiten. Die Arbeitnehmer des Unternehmers sind in gleicher Weise wie der Unternehmer selbst den Gefahren einer Schutzpflichtverletzung des Bestellers ausgesetzt. Führen sie die beauftragten Arbeiten aus, treten sie insoweit an die Stelle des Unternehmers. Wäre aufgrund einer dem Besteller zuzurechnenden schuldhaften Schutzpflichtverletzung ein Schaden bei dem Unternehmer selbst eingetreten, hätte dieser unmittelbar einen vertraglichen Schadensersatzanspruch gegen den Besteller. Ein vertraglicher Anspruch gegen einen vom Besteller beauftragten Dritten nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wäre deshalb ausgeschieden. Gleiches muss für die bei einem Unternehmer beschäftigten Arbeitnehmer gelten, die insoweit an die Stelle des Unternehmers treten. Anderenfalls wären sie besser gestellt als der Unternehmer, weil ihnen gegen zwei Personen inhaltsgleiche vertragliche Ansprüche zustünden.

Praxishinweis: Der Bundesgerichtshof tritt der bisweilen zu beobachtenden Tendenz der Rechtsprechung entgegen, das Institut des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter auszuweiten. Man muss sorgsam prüfen, welcher Vertrag welche Schutzwirkung entfalten kann. Verträge mit Nachunternehmen entfalten dann keine Schutzwirkung mehr, wenn bereits der Vertrag mit dem Hauptunternehmer Schutzwirkung entfaltet und sich der Hauptunternehmer das Verschulden des Nachunternehmers nach § 278 BGB zurechnen lassen muss. Unmittelbare vertragliche Ansprüche des Geschädigten gegen den Nachunternehmer gibt es dann nicht (mehr). Der Nachunternehmer, der für einen Personenschaden verantwortlich ist, kann dann vertraglich nur über den Umweg des Regresses in Anspruch genommen werden. Die Haftung aus Delikt bleibt freilich unberührt.

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Kein Regress nach § 110 SGB VII durch Bundesagentur für Arbeit

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.10.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 477/16

Die Bundesagentur für Arbeit als Trägerin der Arbeitslosenversicherung ist nicht Sozialversicherungsträger im Sinne von § 110 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Den Streit hat der Bundesgerichtshof nun geklärt.

Leitsatz
Die Bundesagentur für Arbeit als Trägerin der Arbeitslosenversicherung ist nicht Sozialversicherungsträger im Sinne von § 110 Abs. 1 Satz 1 SGB VII.

Sachverhalt
Die klagende Bundesagentur für Arbeit nimmt als Trägerin der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung den Beklagten gemäß § 110 Abs. 1 SGB VII auf Ersatz ihr entstandener Aufwendungen nach einem Arbeitsunfall ihres Versicherten in Anspruch. Der bei dem Beklagten beschäftigte Versicherte brach im April 2009 bei Dachdeckerarbeiten durch ein Hallendach und stürzte etwa 6,5 Meter in die Tiefe. Dabei verletzte er sich so schwer, dass er nicht mehr in seinem Beruf als Dachdecker arbeiten kann. Durch ordentliche Kündigung beendete der Beklagte zeitnah nach dem Unfall das Arbeitsverhältnis des Versicherten. Der Versicherte bezog Arbeitslosengeld. Zusammen mit Sozialversicherungsbeiträgen wendete die Klägerin dafür einen Betrag von rd. 16.000 € auf, dessen Ersatz sie von dem Beklagten begehrt. Ferner beantragt sie die Feststellung, dass der Beklagte zum Ersatz sämtlicher weiterer ihr aus dem Schadensereignis entstehender Aufwendungen verpflichtet ist.

Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg. Der Bundesgerichtshof hat den Streit um die Frage, ob die Bundesagentur für Arbeit Sozialversicherungsträger im Sinne des § 110 Abs. 1 SGB VII zu Lasten der Bundesagentur entschieden und festgestellt, dass diese nicht anspruchberechtigt ist. Die Auslegung des § 110 SGB VII führen zwar — so der Bundesgerichtshof — nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck zu keinem klaren Ergebnis. Die Entstehungsgeschichte legte aber das Verständnis nahe, dass der Begriff des Sozialversicherungsträgers im Sozialgesetzbuch und damit auch in § 110 Abs. 1 SGB VII in einem formellen engen, den Träger der Arbeitslosenversicherung nicht einschließenden Sinn gebraucht wird. Dies werde durch eine systematische Auslegung gestützt.

Nunmehr bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber diese Entscheidung zum Anlass nimmt, auch die Bundesagentur für Arbeit in den Kreis der Berechtigten aufzunehmen.

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Verjährung §§ 110,113 SGB VII

BGH, Urteil vom 25.7.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 433/16

Für die Verjährung der Ansprüche aus § 110 SGB VII gelten gem. § 113 SGB VII die §§ 195, 199 Abs. 1 und Abs. 2 BGB mit der Maßgabe, dass die Verjährungsfrist von drei Jahren von dem Tag an gerechnet wird, an dem die Leistungspflicht des SVT bindend festgestellt oder ein entsprechendes Urteil rechtskräftig geworden ist. Im Rahmen dieser Norm waren bisher viele Einzelheiten streitig. So etwa, ob Kenntnis vom Schaden und Schädiger neben der bindenden Feststellung hinzutreten muss, ob die Verjährungsfrist tag genau oder erst mit dem Schluss des Jahres beginnt, oder ob für eine bindende Feststellung des SVT im Rahmen des § 113 SGB VII ein förmlicher mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehener Verwaltungsakt erforderlich ist oder bereits die Gewährung und Auszahlung von Einzelleistungen reicht — vergleiche hierzu Möhlenkamp, VersR 2013, 544 m.w.N.).

Mit Urteil vom 08.12.2015 (VersR 2016, 551) hatte sich der BGH erstmals mit dieser Regelung befasst, die meisten der angesprochenen Punkte jedoch offen gelassen. Allerdings hat er klar gestellt, dass eine bindende Feststellung der Leistungspflicht dann vorliegt, wenn der SVT den geschädigten Versicherten schriftlich darüber informiert habe, dass ein Arbeitsunfall vorliegt und er deshalb Leistungen zu erbringen habe.

Leitsatz
1. Nach § 113 Satz 1 SGB VII gelten für die Verjährung der Ansprüche nach §§ 110 und 111 SGB VII die §§ 195, 199 Abs. 1 und 2 und § 203 BGB entsprechend mit der Maßgabe, dass die Frist von dem Tag an gerechnet wird, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend festgestellt oder ein entsprechendes Urteil rechtskräftig geworden ist.

2. Demnach hat stets eine taggenaue Berechnung der Verjährungsfrist — unabhängig von der Kenntnis oder grobfahrlässigen Unkenntnis des Gläubigers im Sinne von § 199 Abs. 1 BGB — ab der bindenden Feststellung der Leistungspflicht zu erfolgen (Fortführung von BGH, Urteil vom 8. Dezember 2015, VI ZR 37/15).

Entscheidung
Nun hat der BGH erneut zu § 113 SGB VII entschieden und der bisher in Rechtsprechung und Literatur vorherrschenden Meinung widersprochen, wonach es sowohl auf die Kenntnis des SVT als auch auf die Ultimo-Regel des § 119 Abs. 1 BGB ankommen soll, da § 113 SGB VII auf diese Norm verweise (zur anderen, nun vom BGH geteilten Ansicht siehe Möhlenkamp VersR 2013, 544).

Nach dem BGH kommt es für die Verjährung nach § 113 SGB VII nicht auf die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis nach § 199 Abs. 1 BGB an. Außerdem ist tag genau ab der bindenden Leistungsfeststellung des SVT zu rechnen. Die Ultimo-Regel des § 119 BGB — Beginn der Verjährung zum Jahresende — findet keine Anwendung.

Bereits der Wortlaut des § 113 Satz 1 SGB VII lege es nahe, dass die Vorschrift den Verjährungsbeginn abweichend von § 199 Abs. 1 BGB abschließend regle. Der Gesetzgeber wollte ersichtlich für den Regressanspruch aus § 110 SGB VII eine Sonderregelung treffen. Forderte man neben der bindenden Feststellung kumulativ die Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Unfallversicherungsträgers im Sinne von § 199 BGB, würde diese klare Anordnung nur dann zur Anwendung kommen, wenn der Zeitpunkt der bindenden Feststellung der Leistungspflicht nach dem der Kenntnis bzw. grob fahrlässigen Unkenntnis läge. Dies sei aber nicht zwingend und auch nicht stets der Fall. Im Falle einer Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis nach bindender Feststellung der Leistungspflicht als notwendiger Voraussetzung des Verjährungsbeginns könnte dann die Stichtagsregelung ab Kenntnis oder die „Ultimoregelung“ des § 199 Abs. 1 BGB herangezogen werden. Dadurch würde das im Rahmen des § 113 Satz 1 SGB VII eigenständige Kriterium des Verjährungsbeginns — bindende Leistungspflichtfeststellung — im Ergebnis jedoch oftmals leerlaufen (vgl. nur Möhlenkamp aaO S. 546).

Für die bindende Leistungspflichtfeststellung als alleiniges Kriterium des Beginns der Verjährungsfrist spreche auch die Entstehungsgeschichte des § 113 SGB VII. Nach der Vorgängerregelung des § 642 Abs. 1 RVO verjährten die Ansprüche in einem Jahr nach dem Tag, an dem die Leistungspflicht für den Träger der Unfallversicherung bindend festgestellt worden oder das Urteil rechtskräftig geworden ist, spätestens aber in fünf Jahren nach dem Arbeitsunfall. Auf die Kenntnis des Unfallversicherungsträgers kam es eindeutig nicht an. Daran habe sich mit Einführung des § 113 SGB VII durch das Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz nichts geändert. Denn nach § 113 SGB VII in dieser Fassung galten für die Verjährung der Ansprüche nach den §§ 110 und 111 SGB VII die Bestimmungen des § 852 Abs. 1 und 2 BGB entsprechend mit der Maßgabe, dass die Frist von dem Tag an gerechnet wurde, an dem die Leistungspflicht für den Unfallversicherungsträger bindend festgestellt worden ist. Zwar regelte § 852 Abs. 1 BGB in der zu diesem Zeitpunkt geltenden Fassung eine Verjährung in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in welchem der Verletzte von dem Schaden und der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangte, doch sollte mit dem Verweis auf § 852 Abs. 1 BGB a.F. die Verjährungsfrist von einem auf drei Jahre erweitert werden. Eine Änderung des Verjährungsbeginns sollte daraus nicht abgeleitet werden (vgl. Möhlenkamp, VersR 2013, 544, 546). Die Materialien böten keinen Anhaltspunkt dafür, dass der Verjährungsbeginn inhaltlich neu geregelt und dem Verweis auf § 199 BGB eine eigenständige Bedeutung zukommen sollte (vgl. Möhlenkamp, VersR 2013, 544, 549).

Somit ist letztlich nur noch die Frage offen, ob im Auszahlen einer Leistung bereits eine bindende Feststellung der Leistungspflicht des SVT gesehen werden kann. Wenn nach dem BGH schon die Anerkennung des Arbeitsunfalles gegenüber dem Geschädigten durch den UV-Träger ausreicht, dann muss erst recht die Auszahlung einer Leistung genügen. Denn dabei handelt es sich sowohl um einen konkludenten Verwaltungsakt als auch ging der Auszahlung zwangsläufig die behördeninterne Anerkennung des Unfalles als Versicherungsfall voraus (vgl. Möhlenkamp, VersR 2013, 544).

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„Semmeln kaufen“ nicht von der Wegeunfallversicherung abgedeckt

Bundessozialgericht, Entscheidung vom 31.08.2017 – Aktenzeichen: B 2 U 1/16

Sachverhalt
Das Bundessozialgericht hatte die Gelegenheit sich mit einer wohl alltäglichen Situation zu beschäftigen. Der Versicherte fuhr mit einem Kfz zur Arbeit und befand sich daher grundsätzlich auf einem nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherten Arbeitsweg, als er sich dazu entschied, an einem Bäcker anzuhalten um dort ein Brötchen zu kaufen. Da die Wartezeit in der Bäckerei dem Versicherten jedoch zu lang erschien, brach er den Kauf des Brötchens ab und kehrt zum Kfz zurück. Hierbei stürzte der Versicherte und verletzte sich schwer.

Entscheidung
Mit der noch nicht im Volltext veröffentlichten Entscheidung haben die Richter des Bundessozialgerichtes die Entscheidung des Bayrischen LSG aufgehoben und die Auffassung vertreten, dass das Anhalten um ein Brötchen zu kaufen als eine nicht geringfügige privatwirtschaftliche Handlung zu qualifizieren ist und daher der Versicherungsschutz unterbrochen ist. Insbesondere lag nach den Feststellungen des LSG keine Ausnahme vor, die es, etwa wie in der Mittagspause, ermöglichen würde, den Weg zur Nahrungsaufnahme als versichert zu betrachten.

Entgegen der Ansicht des LSG sei auch durch die subjektive Handlungstendenz zur Arbeitsstätte zu gelangen, nach dem der Kaufversuch abgebrochen worden ist, der Versicherungsschutz noch nicht wiederhergestellt. Zur Wiederbegründung des Versicherungsschutzes bedarf es vielmehr als objektives Kriterium bei abgrenzbaren Unterbrechungen einer nach natürlicher Betrachtungsweise anzunehmenden markierenden Unterbrechungshandlung. Insbesondere ist eine Wiederbegründung bei erneuter Aufnahme der vorher unterbrochenen versicherten Handlung anzunehmen. Mithin hätte im vorliegenden Fall, da der Versicherte sich mit dem Kfz auf dem Weg zur Arbeit befand, der Versicherungsschutz erst mit der Fortsetzung der Fahrt begonnen. Da er jedoch bereits vorher gestürzt ist, besteht kein Versicherungsschutz.

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Bindungswirkung des § 108 SGB VII

BGH, Urteil vom 30.5.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 501/16

Leitsatz
1. § 108 SGB VII räumt den Stellen, die für die Beurteilung sozialrechtlicher Fragen originär zuständig sind, hinsichtlich der Beurteilung bestimmter unfallversicherungsrechtlicher Vorfragen den Vorrang vor den Zivilgerichten ein. Diesen Vorrang haben die Zivilgerichte von Amts wegen zu berücksichtigen; er setzt der eigenen Sachprüfung — auch des Revisionsgerichts — Grenzen.

2. Dies gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen einer sozialversicherungsrechtlichen Haftungsprivilegierung in der Person des in Anspruch genommenen Schädigers aus der uneingeschränkten Prüfungskompetenz der Zivilgerichte unterliegenden Gründen zwar nicht erfüllt sind, sich aber die Frage stellt, ob seine Haftung in Hinblick auf die Privilegierung eines weiteren Schädigers nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses beschränkt ist.

Entscheidung
Der BGH stellt den Umfang der Bindungswirkung des § 108 SGB VII dar und macht klar, dass diese weitreichend ist und selbst dann gilt, wenn im unmittelbaren Verhältnis von Schädiger und Geschädigtem die §§ 104 ff. SGB keine Anwendung finden:

Gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII sind Gerichte außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit bei Entscheidungen über die in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Ansprüche unter anderem hinsichtlich der Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt, an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte gebunden. Nach § 108 Abs. 2 SGB VII hat das Gericht sein Verfahren auszusetzen, bis eine Entscheidung nach Absatz 1 ergangen ist. Falls ein solches Verfahren noch nicht eingeleitet ist, bestimmt es dafür eine Frist, nach deren Ablauf die Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens zulässig ist.

Die Vorschrift verfolgt das Ziel, divergierende Beurteilungen zu vermeiden und eine einheitliche Bewertung der unfallversicherungsrechtlichen Kriterien zu gewährleisten. Für den Geschädigten untragbare Ergebnisse, die sich ergeben könnten, wenn zwischen den Zivilgerichten und den Unfallversicherungsträgern bzw. Sozialgerichten unterschiedliche Auffassungen über das Vorliegen eines Versicherungsfalles bestehen und dem Geschädigten deshalb weder Schadensersatz noch eine Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zuerkannt wird, sollen verhindert werden. Aus diesem Grund räumt § 108 SGB VII den Stellen, die für die Beurteilung sozialrechtlicher Fragen originär zuständig sind, hinsichtlich der Beurteilung bestimmter unfallversicherungsrechtlicher Vorfragen den Vorrang vor den Zivilgerichten ein. Diesen Vorrang haben die Zivilgerichte von Amts wegen zu berücksichtigen; er setzt der eigenen Sachprüfung — auch des Revisionsgerichts — Grenzen.

Der den Unfallversicherungsträgern bzw. Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in § 108 SGB VII eingeräumte Vorrang bezieht sich nicht nur auf die Entscheidung, ob ein Unfall — wie in § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII vorausgesetzt — als Versicherungsfall zu qualifizieren ist, sondern erstreckt sich auch auf die Beurteilung der Frage, ob der Geschädigte — wie in § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII gefordert — im Unfallzeitpunkt Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung war. Denn die Versicherteneigenschaft ist eine notwendige Voraussetzung für die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) und damit als Versicherungsfall (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Eine eigenständige Beurteilung dieser Fragen ist den Zivilgerichten dementsprechend grundsätzlich verwehrt.

Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die Voraussetzungen einer Haftungsprivilegierung in der Person des in Anspruch genommenen Schädigers aus der uneingeschränkten Prüfungskompetenz der Zivilgerichte unterliegenden Gründen zwar nicht erfüllt sind, sich aber die Frage stellt, ob seine Haftung in Hinblick auf die Privilegierung eines weiteren Schädigers nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses beschränkt ist.

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Vorrang des Sozialrechts – BGH konkretisiert seine Aussetzungsrechtsprechung

Bundesgerichtshof, Urteil vom 30.5.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 501/16

Arbeitsunfall: Vorrang des Unfallversicherungsträgers und der Sozialgerichte vor den Zivilgerichten bei der Beurteilung unfallversicherungsrechtlicher Vorfragen. Beurteilung der Haftung des Schädigers im Hinblick auf die Privilegierung eines weiteren Schädigers nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses.

Leitsatz
1. § 108 SGB VII räumt den Stellen, die für die Beurteilung sozialrechtlicher Fragen originär zuständig sind, hinsichtlich der Beurteilung bestimmter unfallversicherungsrechtlicher Vorfragen den Vorrang vor den Zivilgerichten ein. Diesen Vorrang haben die Zivilgerichte von Amts wegen zu berücksichtigen; er setzt der eigenen Sachprüfung — auch des Revisionsgerichts — Grenzen.(Rn.11)

2. Dies gilt auch dann, wenn die Voraussetzungen einer sozialversicherungsrechtlichen Haftungsprivilegierung in der Person des in Anspruch genommenen Schädigers aus der uneingeschränkten Prüfungskompetenz der Zivilgerichte unterliegenden Gründen zwar nicht erfüllt sind, sich aber die Frage stellt, ob seine Haftung in Hinblick auf die Privilegierung eines weiteren Schädigers nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses beschränkt ist.(Rn.13)

Sachverhalt
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus gemäß § 6 Abs. 1 EFZG übergegangenem Recht ihres Arbeitnehmers auf Ersatz des diesem infolge eines Unfalls entstandenen Erwerbsschadens in Anspruch.

Die Klägerin betreibt ein Transportunternehmen. Sie wurde von der Beklagten, die ein Bedachungsunternehmen betreibt, damit beauftragt, Kies für die Befüllung zweier nebeneinander liegender Garagendächer auf einer Baustelle anzuliefern. Zu diesem Zweck fuhr der bei der Klägerin angestellte Kraftfahrer mit einem Betonmischer mit Förderband zu der Baustelle. Die beiden Garagen stehen in ca. 1 bis 1,5 m Abstand zueinander. Zwischen den Garagendächern hatten die Mitarbeiter der Beklagten eine Bockleiter aufgestellt. Zwei Mitarbeiter der Beklagten waren bereits auf das erste Dach gestiegen. Um den Kies auf die Garagendächer aufzubringen, musste auch der Arbeitnehmer der Klägerin auf das Garagendach steigen. Im Rahmen der Befüllung der Flachdächer war er dafür zuständig, den Kies mittels Fernbedienung auf die Dächer zu befördern; die Mitarbeiter der Beklagten sollten den Kies dann auf den Dächern verteilen. Nachdem das erste Garagendach befüllt war, stieg ein Mitarbeiter der Beklagten die Leiter hinunter, stellte diese an der nächsten Garage auf und stieg auf das andere Dach. Danach stieß er die Leiter zu den auf dem ersten Garagendach verbliebenen Arbeitern. Bei dem Versuch, von dem ersten Dach hinunterzusteigen, kam der Mitarbeiterin der Klägerin an der zweiten Stufe von oben zu Fall und brach sich den linken Arm. Die Klägerin zahlte das zustehende Arbeitsentgelt fort.

3 Die Klägerin macht geltend, die Leiter sei zusammengeklappt, als Herr W. herabgestiegen sei. Sie ist der Auffassung, es sei Sache der Mitarbeiter der Beklagten gewesen, für die Sicherheit bei der Nutzung der verwendeten Leiter zu sorgen.

4 Das Amtsgericht hat die auf Zahlung eines Betrags in Höhe von 4.619,98 € gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidung
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, es könne offen bleiben, ob dem Arbeitnehmer der Klägerin infolge des Unfalls im Grundsatz ein vertraglicher Schadensersatzanspruch aus § 280 Abs. 1, § 278 BGB oder ein deliktischer Schadensersatzanspruch aus § 831 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte erwachsen sei. Denn zugunsten der Mitarbeiter der Beklagten greife die Haftungsprivilegierung des § 106 Abs. 3 Alt. 3, § 105 Abs. 1 SGB VII. Der Unfall habe sich bei einer vorübergehenden betrieblichen Tätigkeit von Mitarbeitern der Klägerin und der Beklagten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ereignet. Diese Haftungsprivilegierung komme der — nicht durch ein selbst auf der Betriebsstätte tätiges Organ handelnden — Beklagten über die Grundsätze des gestörten Gesamtschuldnerausgleichs zugute. Dies gelte nicht nur für den deliktischen Anspruch, sondern auch für einen möglichen vertraglichen Anspruch des Herrn W. gegen die Beklagte. Der Rechtsgedanke des § 840 Abs. 2 BGB sei auf die vertragliche Haftung zu erstrecken. Hafte der Vertragspartner lediglich aufgrund des ihm nach § 278 BGB zugerechneten Verschuldens seines Erfüllungsgehilfen und könne ihm kein eigenes Verschulden (Organisationsfehler etc.) vorgeworfen werden, so hafte der Erfüllungsgehilfe im Innenverhältnis allein. Eine Haftung der Beklagten wäre nur dann zu bejahen, wenn diese eine eigene Verantwortlichkeit zur Schadensverhütung getroffen und im Zusammenhang damit stehende Pflichten verletzt habe. Dies habe die Klägerin aber nicht behauptet. Zur Klärung der Frage, ob der Rechtsgedanke des § 840 Abs. 2 BGB auch bei einer vertraglichen Haftung des Geschäftsherrn zur Anwendung kommt, hat das Berufungsgericht die Revision zugelassen.

Das angefochtene Urteil hielt der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Der BGH: Das angefochtene Urteil unterliegt der Aufhebung, weil das Berufungsgericht die Bestimmung des § 108 SGB VII nicht beachtet hat. Es hat die Tatbestandsvoraussetzungen der in § 106 Abs. 3 Alt. 3 i.V.m. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII geregelten Haftungsprivilegierung für gegeben erachtet, ohne den den Unfallversicherungsträgern bzw. Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zukommenden Vorrang hinsichtlich der Beurteilung sozialversicherungsrechtlicher Vorfragen zu beachten.

a) Gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII sind Gerichte außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit bei Entscheidungen über die in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Ansprüche unter anderem hinsichtlich der Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt, an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte gebunden. Nach § 108 Abs. 2 SGB VII hat das Gericht sein Verfahren auszusetzen, bis eine Entscheidung nach Absatz 1 ergangen ist. Falls ein solches Verfahren noch nicht eingeleitet ist, bestimmt es dafür eine Frist, nach deren Ablauf die Aufnahme des ausgesetzten Verfahrens zulässig ist.

Die Vorschrift verfolgt das Ziel, divergierende Beurteilungen zu vermeiden und eine einheitliche Bewertung der unfallversicherungsrechtlichen Kriterien zu gewährleisten. Für den Geschädigten untragbare Ergebnisse, die sich ergeben könnten, wenn zwischen den Zivilgerichten und den Unfallversicherungsträgern bzw. Sozialgerichten unterschiedliche Auffassungen über das Vorliegen eines Versicherungsfalles bestehen und dem Geschädigten deshalb weder Schadensersatz noch eine Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung zuerkannt wird, sollen verhindert werden. Aus diesem Grund räumt § 108 SGB VII den Stellen, die für die Beurteilung sozialrechtlicher Fragen originär zuständig sind, hinsichtlich der Beurteilung bestimmter unfallversicherungsrechtlicher Vorfragen den Vorrang vor den Zivilgerichten ein. Diesen Vorrang haben die Zivilgerichte von Amts wegen zu berücksichtigen; er setzt der eigenen Sachprüfung — auch des Revisionsgerichts — Grenzen.

b) Der den Unfallversicherungsträgern bzw. Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in § 108 SGB VII eingeräumte Vorrang bezieht sich nicht nur auf die Entscheidung, ob ein Unfall — wie in § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII vorausgesetzt — als Versicherungsfall zu qualifizieren ist, sondern erstreckt sich auch auf die Beurteilung der Frage, ob der Geschädigte — wie in § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII gefordert — im Unfallzeitpunkt Versicherter der gesetzlichen Unfallversicherung war. Denn die Versicherteneigenschaft ist eine notwendige Voraussetzung für die Anerkennung eines Unfalls als Arbeitsunfall (§ 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII) und damit als Versicherungsfall (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Eine eigenständige Beurteilung dieser Fragen ist den Zivilgerichten dementsprechend grundsätzlich verwehrt. Da sie die vorrangige Entscheidungszuständigkeit der Unfallversicherungsträger bzw. der Sozialgerichte von Amts wegen zu berücksichtigen haben, sind Feststellungen dazu, in welchem Umfang die Bindungswirkung gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII eingetreten ist, zwingend erforderlich.

c) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die Voraussetzungen einer sozialversicherungsrechtlichen Haftungsprivilegierung in der Person des in Anspruch genommenen Schädigers aus der uneingeschränkten Prüfungskompetenz der Zivilgerichte unterliegenden Gründen zwar nicht erfüllt sind, sich aber die Frage stellt, ob seine Haftung in Hinblick auf die Privilegierung eines weiteren Schädigers nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses beschränkt ist.

Denn die Anwendbarkeit des § 108 SGB VII hängt nicht davon ab, dass eine Haftungsbefreiung des in Anspruch genommenen Schädigers unmittelbar aufgrund der §§ 104 bis 106 SGB VII in Betracht kommt. Maßgeblich ist ausweislich des klaren Wortlauts der Bestimmung allein, dass ein Gericht außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit über „Ersatzansprüche der in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Art“ zu entscheiden hat. „Ersatzansprüche der in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Art“ sind aber jegliche Ansprüche vertraglicher oder deiktischer Natur, die auf Ersatz des Personenschadens gerichtet sind und auf ein Geschehen gestützt werden, das einen Versicherungsfall darstellen kann. Hierzu gehören auch die mit der vorliegenden Klage geltend gemachten Ansprüche des bei der Verbringung des gelieferten Kieses auf die Flachdächer verunglückten Mitarbeiters der Klägerin gegen die nicht durch ein selbst auf der Betriebsstätte tätiges Organ handelnde Beklagte aus §§ 280 Abs. 1, § 278, § 831 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB auf Ersatz seines Erwerbsschadens. Eine andere Beurteilung liefe der Intention des Gesetzgebers zuwider, divergierende Beurteilungen zu vermeiden und eine einheitliche Bewertung der unfallversicherungsrechtlichen Kriterien zu gewährleisten.

d) Mit diesen Grundsätzen steht das angefochtene Urteil nicht in Einklang. Die getroffenen Feststellungen lassen nicht erkennen, ob und in welchem Umfang eine Bindungswirkung gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII eingetreten ist. Ihnen ist weder zu entnehmen, ob im Streitfall überhaupt eine Entscheidung eines Unfallversicherungsträgers oder Sozialgerichts über das Vorliegen eines Versicherungsfalls ergangen ist, noch lassen sie Rückschlüsse darauf zu, ob eine solche Entscheidung für die Parteien unanfechtbar geworden ist und damit Bindungswirkung entfaltet. Die Unanfechtbarkeit setzt voraus, dass der Bescheid des Unfallversicherungsträgers gemäß § 77 SGG bestandskräftig oder das Sozialgerichtsverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Die Bestandskraft kann gegenüber den Parteien aber nur dann eingetreten sein, wenn sie in der gebotenen Weise am sozialversicherungsrechtlichen Verfahren beteiligt worden sind. Denn ihre Rechte dürfen durch die Bindungswirkung nach § 108 SGB VII nicht verkürzt werden. Um das rechtliche Gehör von Personen, für die der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung hat, zu gewährleisten, bestimmt § 12 Abs. 2 SGB X, dass sie zu dem Verfahren hinzuzuziehen sind. Für die Anwendung dieser Vorschrift reicht es aus, dass der Bescheid ihre Rechtsstellung nachteilig berührt oder berühren kann.

Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Das Berufungsurteil war deshalb aufzuheben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit dieses die erforderlichen Feststellungen treffen kann (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird dabei Gelegenheit haben, sich auch mit den Einwänden der Parteien in den Rechtsmittelschriften zu befassen. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Fehlt es an einer für beide Parteien unanfechtbaren Entscheidung des Unfallversicherungsträgers oder eines Sozialgerichts über das Vorliegen eines Versicherungsfalls, so ist der Rechtsstreit nur dann gemäß § 108 Abs. 2 SGB VII auszusetzen, wenn die — vom Berufungsgericht bislang lediglich unterstellte — vertragliche oder deliktische Haftung der Beklagten im Grundsatz zu bejahen ist. Sind dagegen schon die Voraussetzungen der anspruchsbegründenden Normen nicht erfüllt, so ist die Frage, ob der Beklagten eine Haftungsprivilegierung ihrer Mitarbeiter gemäß § 106 Abs. 3 Alt. 3, § 105 Abs. 1 SGB VII nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses zu Gute kommt, für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht erheblich.

Ist der Unfall des Arbeitnehmers der Klägerin in einem sozialversicherungsrechtlichen Verfahren als Arbeitsunfall anerkannt worden und entfaltet diese Entscheidung für beide Parteien Bindungswirkung, so kann die (unterstellte) Haftung der Beklagten in Hinblick auf die sozialversicherungsrechtliche Privilegierung ihrer Mitarbeiter gemäß § 106 Abs. 3 Alt. 3, § 105 Abs. 1 SGB VII nach den Grundsätzen des gestörten Gesamtschuldverhältnisses beschränkt oder ausgeschlossen sein.

a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats können in den Fällen, in denen zwischen mehreren Schädigern ein Gesamtschuldverhältnis besteht, Ansprüche des Geschädigten gegen einen Gesamtschuldner (Zweitschädiger) auf den Betrag beschränkt sein, der auf diesen im Innenverhältnis zu dem anderen Gesamtschuldner (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadensverteilung nach § 426 BGB nicht durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung des Erstschädigers gestört wäre. Die Beschränkung der Haftung des Zweitschädigers beruht dabei auf dem Gedanken, dass einerseits die haftungsrechtliche Privilegierung nicht durch eine Heranziehung im Gesamtschuldnerausgleich unterlaufen werden soll, es aber andererseits bei Mitberücksichtigung des Grundes der Haftungsprivilegierung, nämlich der anderweitigen Absicherung des Geschädigten durch eine gesetzliche Unfallversicherung, nicht gerechtfertigt wäre, den Zweitschädiger den Schaden alleine tragen zu lassen. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist der Zweitschädiger „in Höhe des Verantwortungsteils“ freizustellen, der auf den Erstschädiger im Innenverhältnis entfiele, wenn man seine Haftungsprivilegierung hinwegdenkt. Dabei ist unter „Verantwortungsteil“ die Zuständigkeit für die Schadensverhütung und damit der Eigenanteil des betreffenden Schädigers an der Schadenentstehung zu verstehen.

b) Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die Beklagte nicht (oder nicht nur) deliktisch, sondern wegen der Verletzung vertraglicher Schutzpflichten (auch) vertraglich zum Ersatz des dem Arbeitnehmer der Klägerin entstandenen Personenschadens verpflichtet wäre (§ 280 Abs. 1, § 278 BGB in Verbindung mit einem Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte). Denn auch in diesem Fall bestände zwischen der Beklagten und ihren (unterstellt) deliktisch haftenden Mitarbeitern — lässt man die sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung außer Betracht — ein Gesamtschuldverhältnis. Die Beklagte wäre verpflichtet, dasselbe Gläubigerinteresse zu befriedigen wie ihre wegen der Verletzung deliktischer Verkehrssicherungspflichten haftenden Mitarbeiter. Die für die Annahme einer Gesamtschuld erforderliche Gleichstufigkeit der Verpflichtungen folgte daraus, dass weder die Beklagte noch ihre Mitarbeiter nur subsidiär oder vorläufig für die Verpflichtung des jeweils anderen einstehen müssten.

Der hypothetische Innenausgleich zwischen den Gesamtschuldnern bestimmte sich ebenfalls nach den eben aufgezeigten Grundsätzen. Selbst wenn die Beklagte auch oder nur vertraglich haftete, käme es für die Beurteilung der Frage, was auf sie als „außenstehende“ Zweitschädigerin im Innenverhältnis zu ihren Mitarbeitern (privilegierte Erstschäbiger) entfiele, wenn die Schadenverteilung nicht durch eine sozialversicherungsrechtliche Haftungsprivilegierung gestört wäre, maßgeblich auf die Zuständigkeit für die Schadensverhütung und damit auf das Gewicht ihres Beitrags an der Schadensentstehung an. Der Konflikt entsteht letztlich durch ein Zusammentreffen der beiden grundsätzlich unterschiedlichen Unfallhaftungssysteme der Sozialversicherung und des deliktischen (oder anderen) Haftpflichtrechts. Es erscheint sinngemäß und angemessen, wenn der Geschädigte daher die Möglichkeiten beider Regelungsbereiche lediglich nach den in ihnen entstandenen Verantwortungsteilen in Anspruch nehmen kann. Hierfür bedarf es nicht der Heranziehung des § 840 Abs. 2 BGB. Dieses Ergebnis folgt vielmehr bereits aus der Bestimmung des § 254 BGB, nach der sich die Verteilung des Schadens im Innenverhältnis mehrerer Ersatzpflichtiger richtet. Ebenso wie aus dem allgemeinen Grundsatz, wonach derjenige, der eine Pflicht verletzt hat, sich im Innenausgleich nicht mit Erfolg darauf berufen kann, in der Erfüllung eben dieser Pflicht nicht genügend überwacht worden zu sein.

c) Träfe die Beklagte dementsprechend kein „Eigenanteil“ an der Schadensentstehung in Form einer eigenen Organisation- oder Verkehrssicherungspflichtverletzung und beruhte ihre Haftung lediglich auf einer Zurechnung fremden Verschuldens (§ 278 BGB), wäre sie nicht zum Ersatz des dem geschädigten Arbeitnehmer der Klägerin entstandenen Personenschadens verpflichtet.

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Freistellungsanspruch eines § 110-Schädigers gegen Nachunternehmer?

OLG Hamm — Aktenzeichen: Beschluss 09.05.2017, I-9 U 20/17

Will ein Sozialversicherungsträger einen Unternehmer wegen eines Arbeitsunfalls nach § 110 SGB VII in Anspruch nehmen, hat dieser nicht ohne Weiteres einen Freistellungsanspruch gegen einen von ihm eingeschalteten Nachunternehmer, wenn der Nachunternehmer vertraglich die Absicherung der Baustelle übernommen hat.

Sachverhalt
Die Klägerin war Generalunternehmerin und Bauleiterin an einer Baustelle. Auf dieser Baustelle hatte die Klägerin den Bauarbeiter M im Rahmen eines Leiharbeiterverhältnisses beschäftigt. Dieser stürzte bei Schulungsarbeiten am 29.08.2012 aus rd. 7 m Höhe von einer Leiter in den ungesicherten Arbeitsraum und zog sich erhebliche Verletzungen zu. Der Unfall wurde von der Berufsgenossenschaft (BG) als Arbeitsunfall anerkannt.

Der Beklagte ist Bauunternehmer und war an der Baustelle als Subunternehmerin der Klägerin mit der Durchführung von Rohbauarbeiten beauftragt. Im Vertrag heißt es:

„Kann für einen vom Auftragnehmer verursachten Schaden aufgrund gesetzlicher oder vertraglicher Vorschriften auch der Auftraggeber ganz oder teilweise vom Geschädigten in Anspruch genommen werden, so haftet der Auftragnehmer im Verhältnis zum Auftraggeber allein. Der Auftragnehmer stellt den Auftraggeber in vollem Umfang frei.“

Mit der Klage hat die Klägerin Freistellungsansprüche gegenüber dem Beklagten wegen Forderungen aus dem streitgegenständlichen Unfall geltend gemacht, die die BG gegenüber der Klägerin angekündigt hat.

Die Klägerin behauptet, der Beklagte habe auf der Baustelle eine fehlerhafte Leiter eingesetzt, von der der geschädigte Leiharbeiter gefallen sei. Außerdem habe der den Arbeitsraum nicht hinreichend abgesichert, obwohl dem Beklagten nach dem geschlossenen Vertrag die Baustelleneinrichtung nach den einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften (UVV) oblegen habe.

Entscheidung
Das OLG gab dem Beklagten Recht. Die Freistellungsklage hatte keinen Erfolg.

Der Anspruch könne sich allein auf § 426 Abs. 2 BGB stützen. Dies setze voraus, dass die Parteien gegenüber der BG als Gesamtschuldner hafteten, während im Innenverhältnis allein der Beklagte die Verantwortlichkeit für den Schaden treffe und er somit zur Freistellung der Klägerin verpflichtet sei.

Die Besonderheit des Falles bestehe — so das OLG Hamm — darin, dass eine Haftung des Unternehmers gegenüber der BG nur nach §§ 110, 111 SGB VII in Betracht komme und diese Haftung auf Vorsatz und grob fahrlässige Herbeiführen des Unfalls beschränkt sei. Dafür habe die Klägerin indes nichts vorgetragen. Im Gegenteil trage die Klägerin vor, gegenüber der BG gar nicht zu haften, weil für die Arbeitssicherheit der Beklagte zuständig gewesen sei.

Das OLG Hamm sah auch keine Anspruchsgrundlage im Vertrag, unabhängig davon, ob eine solche Klausel überhaupt wirksam sei. Als AGB sei dieser Klausel eng auszulegen. Die Regelung erfasse schon vom Wortlaut nicht Ansprüche nach § 110 SGB VII.

Deshalb hat das OLG Hamm die Berufung der Klägerin nach § 522 ZPO im Beschlusswege zurück gewiesen.

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Gegen herabfallende Gerüstteile muss man sich selber schützen

OLG Oldenburg, Urteil vom 28.2.2017 — Aktenzeichen: 2 U 89/16

Baustellenunfälle haben in der Regulierungspraxis der Versicherer große (wirtschaftliche) Bedeutung. Wird ein an einer Baustelle tätiger Bauarbeiter durch ein herabfallendes Gerüstbauteil verletzt, muss derjenige, dem das Gerüstteil aus der Hand fällt, nicht zwingend haften, wie der Fall des OLG Oldenburg zeigt. Alleinige Schuld waren der Verunfallte selbst und sein Arbeitgeber, dessen Verantwortungsanteil sich der Geschädigte zurechnen lassen muss.

Leitsatz
1. Der Vorarbeiter einer Arbeitskolonne, die aus vom Gerüstbauunternehmer entliehenen Arbeitnehmern besteht, welche allein mit dem Abbau eines Gerüsts befasst sind, ist nicht Adressat der Unfallverhütungsvorschrift § 13 BGV C 22 und nicht verkehrsversicherungspflichtig in Bezug auf das Gerüst. Die Sicherungspflicht trifft allein das Gerüstbauunternehmen.

2. Lässt ein Gerüstbauer einer Gerüststange fallen und wird dadurch ein unterhalb des Gerüsts tätiger Klempner verletzt, der von seinem Arbeitgeber an diesen Arbeitsplatz geschickt worden ist, so bilden der Klempner und sein Arbeitgeber wegen des im Wesentlichen gleichgerichteten Verursachungsbeitrages (Aufnahme der besonders gefahrneigenden Arbeit unterhalb der Gerüstbauarbeiten) eine tatsächliche Haftungseinheit, die wegen des Einschlusses des Geschädigten als Tatbeitragseinheit zu bezeichnen ist.

3. Wird allein der Gerüstbauarbeiter wegen des Unfalls in Anspruch genommen, sind in die Abwägung nach § 254 BGB ausschließlich das Verschulden des Gerüstbauarbeiters einerseits und der in einer einheitlichen Quote zum Ausdruck kommenden Verursachungsbeitrag der Tatbeitragseinheit aus Klempner und Arbeitnehmer andererseits einzustellen. Das in Bezug auf Nebentäter grundsätzlich anzuwendende Prinzip der Einzelabwägung und Gesamtschau gelangt wergen der ausschließlichen Inanspruchnahme nur eines Nebentäters nicht zur Anwendung. Es verbleibt bei der Einzelabwägung.

4. Diese Einzelabwägung zwischen Gerüstbauarbeiter und Tatbetragseinheit kann zu einem den Anspruch des Geschädigten ausschließenden Mitverschulden der Tatbetragseinheit führen.

Sachverhalt
Ein 18-stöckiges Wohngebäude sollte saniert werden. Mit den Fassadenarbeiten war die Fa. F beauftragt. Die Fa. F beauftragte das Gerüstunternehmen Fa. G mit den Gerüstbauarbeiten. Die Fa. G lieh sich von der Fa. RH auf Stundenbasis drei Mitarbeiter, darunter der Vorarbeiter B. Am 8.11.2010 waren die Mitarbeiter der Fa. RH bereits seit 14 Tagen mit dem Abbau des Gerüstes beschäftigt. Am selben Tag war wegen Wassereintritten in das Haus der Mitarbeiter V eines Klempnerunternehmens K auf Weisung seines Chefs damit befasst, unterhalb der untersten Balkone Arbeiten an den dortigen Entwässerungsrohren durchzuführen. Dem Chef war mitgeteilt, dass Bauarbeiten unterhalb des Gerüsts nicht stattfinden dürfen, wenn auf dem Gerüst gearbeitet wurde. Ob und wie der Gefahrenbereich abgesperrt war, war streitig. Die Mitarbeiter der Fa. RH lösten während des Gerüstabbaus eine 5 m lange und 20 kg schwere Gerüststange; dabei stolperte der Vorarbeiter; er konnte die Stange nicht mehr halten. Die Stange fiel 20 m in die Tiefe und traf dort den Klempner V, der gerade in diesem Moment unter dem Balkon hervorkam. Trotz des von ihm getragenen Helms verletzte sich V schwer. Die BG rechnet mit Aufwendungen in Millionenhöhe.

Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.

Das Oberlandesgericht hat zunächst festgestellt, dass es nicht Aufgabe des Vorarbeiters gewesen sei, für die Sicherung des Gerüstbereichs zu sorgen, also unterhalb des Gerüstes den Bereich abzusperren oder durch einen Warnposten zu sichern. Diese Aufgabe obliege allein dem Gerüstbauunternehmen G. Dass der Vorarbeiter tatsächlich „Vertreter des Arbeitgebers“ gewesen sei und insoweit für den Arbeitsschutz zuständig, konnte das Gericht nicht feststellen.

Allerdings fiel dem Vorarbeiter die Gerüststange fahrlässig aus der Hand, weshalb eine Haftung dem Grunde nach zunächst gegeben sei, und zwar unmittelbar nach § 823 Abs. 1 BGB.

Allerdings seien die Eigenverantwortlichkeit des Verunfallten, der um die Gerüstbauarbeiten hätte wissen müssen, und die Verantwortlichkeit des Arbeitgebers des Verunfallten, der diesen auf eine unsicherer Baustelle geschickt habe, derart überwiegend, dass dahinter die allenfalls leicht fahrlässige Verursachung durch den Vorarbeiten zurück treten.

Praxishinweis
Bemerkenswert ist, dass das OLG die Verantwortlichkeit letztlich nicht bei demjenigen fand, der den Schaden unmittelbar verursacht hat (nämlich durch das Fallenlassen eines Gerüstbauteils), sondern bei dem Verunfallten und seinem Arbeitgeber selbst, obschon auch letztere nicht für die Absicherung des Bereichs unterhalb der Gerüstbauarbeiten zuständig gewesen seien. Bemerkenswert ist vor allem die Reduzierung des Anspruchs auf null. Bei allem Abwägungsspielraum hätte man dies auch anders bewerten können.

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Mehrere Regressschuldner beim Baustellenunfall

OLG Hamm, Urteil vom 2.9.2016 — Aktenzeichen: I-9 U 75/15

Die Entscheidung befasst sich mit vielen Fragen bei Baustellenunfällen, wo der eine nach § 110 SGB VII und ein anderer nach § 116 SGB X haftet. § 110 SGB VII führt zu einer Haftungseinheit, so dass alle Betroffenen als Gesamtschuldner haften. Der nicht privilegierte Schädiger ist davon — gestörte Gesamtschuld — abzugrenzen. Außerdem finden sich Ausführungen zur groben Fahrlässigkeit und zum Mitverschuldenseinwand.

Leitsatz
1. Der grobe Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften rechtfertigt die Annahme eines groben Verschuldens.

2. Die Warnung vor Gefahrenquellen kann die Einhaltung von Unfallverhütungsvorschriften nicht ersetzen.

Sachverhalt
Die Kl. ist eine Sozialversicherungsträgerin und macht gegenüber den 4 Bekl. Schadensersatz aufgrund eines Arbeitsunfalls geltend. Die Firma B, ein Mitgliedsunternehmen der Kl., hatte den Geschädigten T (im Weiteren: Geschädigte) an die Bekl. zu 1 verliehen. Die Bekl. zu 4 ist mit der Errichtung von Photovoltaikanlagen befasst. Die Bekl. zu 1 war von der Bekl. zu 4 beauftragt, eine Photovoltaikanlage auf einer von der Bekl. zu 4 angemieteten Lagerhalle zu montieren. Dabei verpflichtete sich die Bekl. zu 4, die erforderlichen Absicherungsmaßnahmen am Dach vor Beginn der Arbeiten durchzuführen. Tatsächlich waren zu Beginn der Arbeiten diese Maßnahmen unstreitig größtenteils nicht erfolgt. Die Absturzkanten der Giebelseiten der im Firstbereich 12 m hohen Lagerhalle waren nicht gegen Absturz gesichert. Die im Traufbereich angebrachte Absturzsicherung war wirkungslos, im nördlichen Traufbereich fehlten ca. 10 m Sicherungsnetz. Die Abstände der Sicherungspfosten betrugen 6 m, ohne weitere Sicherheitsmaßnahmen war dieser Abstand zu groß. Das Fangnetz war im oberen Bereich der Sicherungspfosten nur übergehängt, nicht aber mittels zugelassener Gurte belegt. Im mittleren und unteren Bereich der Sicherungspfosten fehlte die Verankerung des Fangnetzes. Im Bereich der Lichtbänder, die sich jeweils in einem Abstand von 8 m über das Dach zogen, waren keine Sicherungsnetze angebracht.

Der von der Bekl. zu 1 als Vorabeiter eingesetzte Bekl. zu 3 monierte, als die Arbeiten auf dem Dach beginnen sollten, das Fehlen einer Absicherung dieser nicht betretbaren Lichtbänder gegenüber der Bekl. zu 4. Die Arbeiten auf dem Dach wurden gleichwohl begonnen. Am Folgetag nahm der Geschädigte zusammen mit dem Bekl. zu 3 die Arbeiten auf der Dachfläche auf. Gegen 11.30 Uhr trat der Geschädigte unter nicht näher aufklärbaren Umständen auf ein Lichtband, welches einbrach und stürzte ca. 9,50 m tief auf den Betonboden der Lagerhalle, wobei er sich schwer verletzte.

Entscheidung
Nach Ansicht des OLG haften die Bekl. zu 1–3 der Kl. für die ihr im Zusammenhang mit dem Unfall des Geschädigten entstandenen Aufwendungen nach § 110 I SGB VII als Gesamtschuldner, die Bekl. zu 4 haftet ihr nach den § 823 I BGB, § 116 SGB X, jedoch nur bis zur Höhe von 50 % des erstattungsfähigen Aufwands. Denn während die Bekl. zu 1–3 eine Haftungseinheit bilden und echte Gesamtschuldner iSd § 426 BGB sind, besteht im Hinblick auf die Bekl. zu 4 ein gestörtes Gesamtschuldverhältnis. Die Bekl. zu 1–3 haften nämlich lediglich nach den §§ 104 ff. SGB VII eingeschränkt mit der Folge, dass sie nicht in Anspruch genommen werden können. Demgegenüber haftet die Bekl. zu 4 dem Geschädigten in vollem Umfang, weil sie kein Haftungsprivileg für sich in Anspruch nehmen kann. Die Grundsätze der gestörten Gesamtschuld führen daher zu einer Haftungsteilung zwischen den Bekl. zu 1–3 auf der einen Seite und der Bekl. zu 4 auf der anderen Seite im Innenverhältnis. Dabei wertet der Senat das Verschulden aller vier Bekl. als grob fahrlässig und insgesamt auch gleichgewichtig.

Der Bekl. zu 2 ist als Geschäftsführer der Bekl. zu 1 dafür zuständig, dass die zum Schutz der Arbeitnehmer einzuhaltenden Unfallverhütungsvorschriften beachtet werden und insbesondere die entsprechenden Maßnahmen vor Beginn von Dachdeckerarbeiten vollständig vorhanden sind. Seine Verantwortung mag sich bei einer rechtsgeschäftlichen Übertragung der diesbezüglichen Absicherungsmaßnahmen auf einen Dritten, hier auf die Bekl. zu 4, auf eine Überwachung und Kontrolle beschränken. Es ist ihm jedoch vorzuwerfen, dass er keine eindeutigen Anweisungen und Direktiven innerhalb des Unternehmens für den Fall getroffen hat, dass eine ausreichende Absicherung der Baustelle entsprechend den Unfallverhütungsvorschriften vor Beginn von Dacharbeiten eben nicht vorgenommen worden war.

Die Bekl. zu 4, die vertraglich mit der Durchführung der gebotenen Sicherungsmaßnahmen betraut war, hat diese objektiv pflichtwidrig nicht vor Beginn der Bauarbeiten abgeschlossen.

Der Bekl. zu 3 hat vor diesem Hintergrund grob fahrlässig gehandelt, als er die ihm untergebenen Arbeiter trotz Kenntnis der unzureichenden bzw. zum Teil nicht vorhandenen Sicherungsmaßnahmen mit den Arbeiten auf dem Dach beginnen ließ. Schließlich vermag der Umstand, dass der Bekl. zu 3 dem unerfahrenen Geschädigten, der sich zum Zeitpunkt des Unfalls zum ersten Mal auf dem Dach befand, den erfahrenen Zeugen W als Arbeitspartner zugewiesen hat, diesen nicht vom Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu entlasten. Denn auch hierdurch wird lediglich die gebotene ausreichende Absicherung des Arbeitsplatzes durch eine Beaufsichtigung der Arbeiter ersetzt.

Ein Mitverschulden des Geschädigten liege nicht vor: Insbesondere nicht darin, dass er die Arbeit überhaupt in Kenntnis der unterbliebenen Absicherung der Lichtbänder aufnahm. Übernimmt ein Arbeitnehmer eine gefährliche Arbeit in Kenntnis dieser Gefährlichkeit, begründet dies kein Mitverschulden, wenn er damit einer Anordnung seines weisungsbefugten Vorgesetzten entspricht Nichts Anderes kann gelten, wenn es sich nicht um eine eindeutige Weisung, jedoch um eine Sicherungseinschätzung des verantwortlichen Vorarbeiters handelt, auf die sich der Arbeiter verlassen darf, insbesondere, wenn er selbst die Gefährlichkeit der aufzunehmenden Arbeiten nicht beurteilen kann.

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