Amtspflicht zur Kontrolle ordnungsgemäßer Reinigungsarbeiten nach Beendigung einer Baustelle

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26.11.2020, Az.: 7 U 61/20

Leitsätze

1. Die Verkehrssicherungspflicht des Straßenbaulastträgers für den Bereich einer Baustelle kann nicht vollständig auf die bauausführende Firma übertragen werden. Es verbleiben eigene Aufsichts- und Überwachungspflichten.

2. Das Verweisungsprivileg aus § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB (subsidiäre Haftung) kommt bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten im Straßenraum grundsätzlich nicht zum Zuge.

3. Für die örtliche Zuständigkeit verschiedener Baulastträger untereinander wird grundsätzlich auf den Ort des Vorliegens der Straßenbeeinträchtigung abgestellt. Für Kreuzungen von Bundes- und Gemeindestraßen gilt, dass den Träger der höheren Straßengruppe (Land) die Unterhaltungspflicht für die Breite seiner Straße trifft und nur im Übrigen der Träger der kreuzenden Straße (Gemeinde) zuständig ist.

4. Die Warnfunktion eines Baustellenschildes gilt solange fort, bis sie entweder durch eine Beschilderung aufgehoben wurde oder der äußere Anblick der Straße eindeutig die Beendigung der Baustelle indiziert.

5. Die Verkehrssicherungspflicht erstreckt sich auch auf die Kontrolle ordnungsgemäßer Reinigungsarbeiten (hier die Beseitigung von Rollsplitt) nach Beendigung einer Baustelle. Es genügt nicht, im Zuge von Reinigungsarbeiten auf einer Landesstraße den vorhandenen Rollsplitt im Bereich von Einmündungen/Kreuzungen auf die benachbarte Gemeindestraße zu fegen. Ein Verweis des Landes auf die mangelnde örtliche Zuständigkeit für die in diesem Fall betroffene Gemeindestraße übersieht, dass es nicht um die Zustandshaftung für die Straße eines anderen Baulastträgers geht, sondern um die mangelhafte Kontrolle von Reinigungsarbeiten der eigenen Straße.
Sachverhalt

Die Klägerin (Krankenkasse) macht aus übergegangenem Recht Ansprüche aus Verkehrssicherungspflichtverletzung gegen das beklagte Land geltend. Streithelferin ist das von dem Beklagten mit der Straßensanierung einer Landstraße beauftragte Bauunternehmen. Der Geschädigte befuhr mit seinem Motorroller die Landesstraße. Für diese Straße wurde in der damaligen Zeit die Fahrbahndecke durch die Streithelferin erneuert. Von der Landesstraße bog der Geschädigte nach links in die Gemeindestraße ab. Bereits im Einmündungsbereich auf der Gemeindestraße befindlich kam der Geschädigte wegen dort befindlichen, aus der Baustelle der Landstraße stammenden Rollsplitt zu Sturz.

Das Land hat behauptet, soweit Rollsplitt vorhanden gewesen sei, sei jedenfalls durch entsprechende Hinweisschilder darauf hingewiesen worden. Die auf die Streithelferin übertragenen Verkehrssicherungspflichten seien regelmäßig durch die Straßenmeisterei überwacht worden, wobei Gefahren oder Unregelmäßigkeiten nicht festgestellt worden seien. Im Übrigen sei das Land für den Anspruch nicht passivlegitimiert, da der Unfall auf einer Gemeindestraße stattfand. Zudem träfe sie lediglich eine subsidiäre Haftung. Das Landgericht hat der Klage überwiegend, nämlich nach einer Haftungsquote von 70 % (30 % Mitverschulden des Geschädigten), stattgegeben. Dagegen richtet sich die Berufung des Landes.

 

Entscheidung

Das OLG stellt zunächst klar, dass der Träger der Straßenbaulast für Verkehrssicherungspflichtverletzungen auf den von ihm vorgehaltenen Straßen hafte. Dem Land sei es auch nicht möglich, sich bei einer Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht auf den Grundsatz der nur subsidiären Haftung aus § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB zu berufen. Denn das Verweisungsprivileg komme bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten im Straßenraum aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung der öffentlich-rechtlich ausgestalteten Amtspflicht zur Sorge für die Verkehrssicherheit und der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich nicht zum Zuge. Der Haftung des Landes stehe ferner nicht grundsätzlich entgegen, dass es die Verkehrssicherungspflicht inkl. der baustellenbedingten Verkehrsregelungspflicht (Warnschilder) auf die Streitverkündete übertragen hat. Denn es verblieben Aufsichts- und Überwachungspflichten. Auch sei nicht von einem Verstoß der Verkehrsregelungspflicht auf der Landstraße auszugehen, da das bloße Vorhandensein von Rollsplitt auf der Fahrbahn noch keine Verkehrssicherungspflichtverletzung begründe und die Warnfunktion des hier 400 m vor der Kreuzung mit der Gemeindestraße auf des Landesstraße aufgestellte Baustellenschildes solange fortwirke, bis sie entweder durch eine Beschilderung aufgehoben werde oder der äußere Anblick der Straße eindeutig die Beendigung der Baustelle indiziere, was hier nicht der Fall gewesen sei.

Im vorliegenden Fall habe das Land aber seine Kontroll- und Überwachungspflichten für die Reinigungsarbeiten auf der in seinen Verantwortungsbereich fallenden Landesstarße verletzt. Zwar sei das Land nicht für die Kontrolle der Reinigung der Gemeindestraße zuständig gewesen und es sei nicht ohne Weiteres möglich, dem Träger der höheren Straßengruppe eine Verantwortung für die Verkehrssicherung auf der niederen Straßengruppe zuzuschreiben (s. auch BGH, 19.01.1989 – III ZR 258/87). Für Kreuzungen von Bundes- und Gemeindestraßen gelte grundsätzlich, dass den Träger der höheren Straßengruppe (Land) die Unterhaltungspflicht für die Breite seiner Straße treffe und nur im Übrigen der Träger der kreuzenden Straße (Gemeinde) zuständig sei. Somit sei das Land für den Splitt auf der Gemeindestraße zwar nicht unmittelbar zuständig gewesen. Trotzdem sei das beklagte Land aber in diesem Fall zur Kontrolle verpflichtet gewesen. Denn, wenn eine Baufirma Reinigungsarbeiten im Zuge von Bauarbeiten übernehme, dann sei der Träger der Straßenbaulast, der die Bauarbeiten veranlasst hat, auch zur Kontrolle verpflichtet, ob im Zuge der Reinigungsarbeiten eine Beeinträchtigung anderer Straßenzüge eingetreten ist. Das gelte auch dann, wenn er für diese Bereiche (eigentlich) nicht verkehrssicherungspflichtig sei. Es gehe dann nicht um eine Verkehrssicherung für die Straße eines anderen Baulastträgers, sondern um die hinreichende Kontrolle der Arbeiten einer Baufirma für die eigene Straße. Diese Kontrollpflicht habe die Beklagte nicht erfüllt, weil sie sich hierfür schon im Ansatz nicht zuständig wähnte.

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Anforderungen an den Vortrag zum Nachweis psychischer Unfallschäden

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Schleswig, Beschluss vom 09.06.2020 – 7 U 240/19

Orientierungssätze

1. Ein Zurechnungszusammenhang bei psychischen Folgeschäden ist dann zu verneinen, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig ist (sog. Bagatelle).

2. Für die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens wegen behaupteter posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und unfallbedingter Anpassungsstörungen sind entsprechender Anhaltspunkte und Anknüpfungstatsachen darzulegen. Daran fehlt es bei relativ leichten physischen Unfallfolgen und aufgrund des Umstandes, dass eine entsprechende Behandlung der behaupteten psychischen Störungen erstmals mehr als sieben Jahre nach dem Unfall stattgefunden hat.

 

Sachverhalt

Neben einer Prellung der Schulter und der Hüfte mit Symptomdauer 6 Wochen sowie einer HWS-Distorsion I mit Symptomdauer ebenfalls 6 Wochen behauptete der Kläger Als Folge eines Verkehrsunfalls im Jahr 2013 eine posttraumatische Belastungsstörung erlitten zu haben, in deren Folge er monatelang arbeitsunfähig gewesen sei. Hierfür beruft er sich auf einen Attest seines Hausarztes aus 2013, in dem von „depressiven Symptomen‟ die Rede ist. Behandeln ließ sich der Kläger wegen psychischer Beeinträchtigungen jedoch erst 2018. Das Landgericht hat das vom Kläger als Beweis angetretene psychiatrische Sachverständigengutachtens abgelehnt, da die physischen Verletzungen als Bagatelle zu werten seien, so dass selbst bei bejahter psychischer Beeinträchtigung der Zurechnungszusammenhang als sekundärer psychischer Folgeschaden entfalle. Dagegen wendet sich die Berufung des Klägers, der ausführt, ein Gutachten hätte zwingend eingeholt werden müssen, da eine Anpassungsstörung als Folgeerkrankung auch aufgrund weniger gravierender Ereignisse ausgelöst worden sein, wenn sich etwa der aus den Unfallverletzungen ergebende Leidensdruck geraume Zeit später eintrete.

 

Entscheidung

Das OLG bestätigt die Entscheidung, geht jedoch in seiner Begründung einen anderen Weg: Soweit der Kläger eine unfallbedingte, psychische Fehlverarbeitung (depressive Störung bzw. Anpassungsstörung) behaupte, habe das Landgericht zu Recht mangels Darlegung von Anknüpfungstatsachen kein psychiatrisch-neurologisches Sachverständigengutachten eingeholt. Für die Ursächlichkeit zwischen feststehender Primärverletzung und der Weiterentwicklung bzw. den Umfang des Schadens (haftungsausfüllende Kausalität) gelte § 287 ZPO mit der Folge, dass hierfür der Beweis einer überwiegenden oder erheblichen Wahrscheinlichkeit genüge. In dem Bericht der Hausärztin sei von „depressiven Symptomen‟ die Rede, die erstmals im Sommer 2013 (nach einer Testung vom 14.08.2013) aufgetreten sein sollen und mit „Amitriptylin‟ behandelt worden sind. Zuvor war aber bereits ein nachweislich unfallunabhängige Bandscheibenprolaps (C5/6 links) aufgetreten. Es gäbe deshalb keine Anhaltspunkte dafür, dass die behaupteten psychischen Beschwerden auf den Unfall zurückzuführen seien. Binnen der ersten 6 Monate nach dem Unfall sei von irgendwelchen psychischen Symptomen beim Kläger weder die Rede, noch sind diese ärztlich dokumentiert gewesen. Generell sei ein Zurechnungszusammenhang bei psychischen Folgeschäden dann zu verneinen, wenn das Schadensereignis ganz geringfügig war (sog. Bagatelle, vgl. BGH Urteil vom 10.02.2015 – VI ZR 8/14, NZV 2015, 281, 282 m. w. N.). Unstreitig konnte der Kläger nur acht Tage nach dem Unfall, wieder seine Berufstätigkeit als Eisenschutzwerker-Maler bei der Werft H. aufnehmen. Angesichts der relativ leichten, unfallbedingten physischen Folgen sowie des Umstands, dass eine Behandlung der behaupteten psychischen Störungen erstmals im Jahr 2018 stattgefunden habe, fehle es an entsprechenden Anknüpfungstatsachen für eine sachverständige Klärung der Ursächlichkeit der behaupteten psychischen Störungen. Ohne die Darlegung entsprechender Anhaltspunkte und Anknüpfungstatsachen werden sich mehr als sieben Jahre nach dem Unfall keine sicheren Aussagen zur Unfallbedingtheit der behaupteten psychischen Beschwerden mehr treffen lassen. Zu Recht habe das Landgericht deshalb die Einholung eines entsprechenden Sachverständigengutachtens abgelehnt.

 

Relevanz

In Personenschadenprozessen wird häufig erstmals in der Klage behauptet wird, dass durch das schädigende Ereignis ein psychischer Primär- oder Folgeschaden wie eine PTBS eingetreten sei. Oft fand trotz eines Jahre zurückliegenden Unfalls noch keine fachärztliche Behandlung statt. Mitunter fehlt sogar ein Attest – selbst der eines Hausarztes – dem man überhaupt die Diagnose PTBS entnehmen könnte. Zum Beweis wird regelmäßig Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beantragt, dem viele Gerichte ohne scheu und kritisches Hinterfragen nachgehen. Ist ein Gutachten dann erstmal im Raum, ist es oft schwer, von dortigen Krankheitsdiagnosen wieder herunterzukommen.

Unabhängig von der Frage einer Bagatelle als physische Ausgangsverletzung führt das OLG aus, dass schlichtes Behaupten unfallbedingter psychischer Schäden nicht genügt – auch nicht für das Einholen eines Gutachtens. Fehlen Anknüpfungstatsachen, wobei das OLG hier den Attest des Hausarztes nicht genügen ließ, darf ein Gutachten nicht eingeholt werden. Insbesondere dann, wenn der Unfall lange zurückliegt und es in der Zwischenzeit keine Behandlungen gegeben hat, es m.a.W. an sog. Brückensymptome fehlt, die einen Unfallbezug zumindest als nicht unwahrscheinlich erscheinen lassen.

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Verjährungsbeginn §§ 110, 113 SGB VII: Bindende Leistungsfeststellung des UVT maßgeblich

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

LG Berlin, Urteil vom 17.06.2019, Az.: 28 O 457/15

Orientierungssätze

1. Für eine bindende Leistungsfeststellung im Sinne des § 113 SGB VII genügt jeder – auch vorläufige – Verwaltungsakt des Unfallversicherungsträgers, der die Leistungspflicht nur dem Grunde nach feststellt. Die Verjährung beginnt bereits zu laufen, wenn der Träger der Unfallversicherung von seiner Eintrittspflicht ausgehen und entsprechende Ansprüche verfolgen kann. Genügen kann auch eine Leistungsgewährung durch schlichtes Verwaltungshandeln, wenn es bewusst in der Annahme eines Versicherungsfalls vorgenommen wurde, ein förmlicher Bescheid ist nicht Voraussetzung.

2. Da der Wortlaut des § 113 SGB VII hinsichtlich des Beginns der Verjährung nicht zwischen den Ansprüchen der verschiedenen Sozialversicherungsträger unterscheidet, ist auch für den Regress andere Sozialversicherungsträger und den dortigen Verjährungsbeginn nach § 113 SGB VII allein die bindende Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers maßgebend. Der Gesetzgeber geht augenscheinlich davon aus, dass eine Frist von 3 Jahren ab bindender Feststellung der Leistungspflicht, mithin also der Feststellung eines Arbeitsunfalls, ausreichend ist, damit sämtliche Sozialversicherungsträger das Bestehen eigener Ansprüche prüfen können. Insofern wird den Sozialversicherungsträgern eine Pflicht zur gegenseitigen Kommunikation auferlegt. Durch die Verlängerung der Verjährungsfrist von einem auf drei Jahre haben die Rentenversicherer ausreichend Zeit, um das Bestehen eines Anspruches zumindest dem Grunde nach festzustellen und etwaige Ansprüche, ggf. im Wege einer Feststellungsklage, geltend zu machen.

3. Für eine Hemmung der Verjährung gem. § 203 BGB durch Verhandlungen ist ein irgendwie gearteter ernsthafter Meinungsaustausch erforderlich. Das bloße Anmelden von Ansprüchen genügt – jedenfalls in der AH-Versicherung – nicht.

 

Sachverhalt

Am 17.9.2007 ereignete sich ein Arbeitsunfall, aufgrund dessen die zuständige Berufsgenossenschaft nach Feststellung des Arbeitsunfalles am 30.10.2007 Leistungen in Form von Verletztengeld an den Geschädigten erbrachte. Nach Antrag des Geschädigten vom 05.01.2009 bei der klagenden Rentenversicherung wurde mit Rentengutachten vom 15.05.2009 die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente empfohlen, die von der Klägerin durch Bescheid vom 15.07.2009 rückwirkend ab dem 01.12.2008 bewilligt wurde. Die Klägerin hat im Zeitraum vom 01.03.2009 bis zum 31.12.2015 insgesamt Leistungen in Höhe von EUR 62.548,78 erbracht. Mit Schreiben vom 12.01.2009 forderte die Klägerin die Akte des Geschädigten von der BG ETEM an und meldete mit Schreiben vom 08.02.2010 Ansprüche gegenüber der Haftpflichtversicherung des Schädigers an. Ohne vorhergehende Korrespondenz mit der Klägerin gab die Haftpflichtversicherung mit Schreiben vom 20.09.2011 und 05.10.2012 Verjährungseinredeverzichtserklärungen bis einschließlich 31.12.2015 ab, die ausdrücklich nur für Ansprüche galt, die nicht bereits verjährt waren.

 

Entscheidung

Das LG stellt fest, für eine bindende Leistungsfeststellung im Sinne des § 113 SGB VII genügt jeder – auch vorläufige – Verwaltungsakt des Unfallversicherungsträgers, der die Leistungspflicht nur dem Grunde nach feststellt. Die Verjährung beginnt bereits zu laufen, wenn der Träger der Unfallversicherung von seiner Eintrittspflicht ausgehen und entsprechende Ansprüche verfolgen kann. Genügen kann auch eine Leistungsgewährung durch schlichtes Verwaltungshandeln, wenn es bewusst in der Annahme eines Versicherungsfalls vorgenommen wurde, ein förmlicher Bescheid ist nicht Voraussetzung. Da der Wortlaut des § 113 SGB VII hinsichtlich des Beginns der Verjährung nicht zwischen den Ansprüchen der verschiedenen Sozialversicherungsträger unterscheidet, ist auch für den Regress andere Sozialversicherungsträger und den dortigen Verjährungsbeginn nach § 113 SGB VII allein die bindende Leistungsfeststellung des Unfallversicherungsträgers maßgebend. Der Gesetzgeber geht augenscheinlich davon aus, dass eine Frist von 3 Jahren ab bindender Feststellung der Leistungspflicht, mithin also der Feststellung eines Arbeitsunfalls, ausreichend ist, damit sämtliche Sozialversicherungsträger das Bestehen eigener Ansprüche prüfen können. Insofern wird den Sozialversicherungsträgern eine Pflicht zur gegenseitigen Kommunikation auferlegt. Durch die Verlängerung der Verjährungsfrist von einem auf drei Jahre haben die Rentenversicherer ausreichend Zeit, um das Bestehen eines Anspruches zumindest dem Grunde nach festzustellen und etwaige Ansprüche, ggf. im Wege einer Feststellungsklage, geltend zu machen.

Die Verjährungsfrist begann vorliegend am 31.10.2007, da unstreitig die BG ab dem 30.10.2007 Tag Verletztengeld an den Geschädigten zahlte. Dieses schlichte Verwaltungshandeln wurde von der BG im Bewusstsein vorgenommen aufgrund eines Arbeitsunfalls des Geschädigten zu leisten. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war der BG daher bewusst, dass ein Arbeitsunfall vorlag, sodass eine den Unfallversicherungsträger bindende Feststellung einer Leistungspflicht anzunehmen ist. Nach taggenauer und kenntnisunabhängiger Berechnung nach § 113 SGB VII endete die Verjährung somit mit Ablauf des 31.10.2010. Da die Verjährungseinredeverzichtserklärungen der Haftpflichtversicherung mit Schreiben vom 20.09.2011 und 05.10.2012 ausdrücklich nur für Ansprüche galt, die zu diesem Zeitpunkt nicht bereits verjährt waren, sind die Ansprüche der Klägerin davon nicht mehr erfasst, da sie bereits am 31.10.2010 verjährt waren.

Da für eine Hemmung der Verjährung gem. § 203 BGB durch Verhandlungen zumindest ein irgendwie gearteter ernsthafter Meinungsaustausch erforderlich ist, genügte das bloße Anmelden von Ansprüchen der Klägerin m Schreiben an den Haftpflichtversicherer vom 08.02.2010 nicht.

 

Relevanz

Für den Regress eines jeden Sozialversicherungsträgers ist nach Ansicht des LG Berlin die bindende Feststellung allein des Unfallversicherungsträgers maßgeblich, was von den Vertretern der Sozialversicherungsträger natürlich anders beurteilt wird. Dem folgt das LG nicht und lässt für die bindende Feststellung zudem sehr weitreichend genügen, wenn der Unfallversicherer nur von seiner Eintrittspflicht ausgehen und entsprechende Ansprüche verfolgen kann. Es scheint somit bereits die innere Festlegung durch den Unfallversicherer zu reichen. Einer Bekanntgabe an den Geschädigten braucht es demnach nicht zwingend. Genügen kann deshalb auch eine Leistungsgewährung durch schlichtes Verwaltungshandeln, wenn es bewusst in der Annahme eines Versicherungsfalls vorgenommen wurde. Damit stellt sich das LG in die Reihe derjenigen, die nur geringe Anforderungen an die bindende Leistungsfeststellung verlangen (vgl. zum Meinungsstand Möhlenkamp VersR 2013, 544; BGH, Urteil vom 25.07.2017 – VI ZR 433/16; BGH, Urteil vom 8.12.2015 – VI ZR 37/15).

Gerade für den Rentenversicherungsträger dürfte dies faktisch bedeuten, dass ein Regress nach § 110 SGB VII nahezu immer wegen Verjährung ausscheidet. Denn er dürfte in der Reihe der Sozialversicherungsträger regelmäßig der Letzte sein, der vom Schadensfall und Arbeitsunfall erfährt. Deshalb erwartet das LG von allen Sozialversicherungsträgern einen internen Austausch von Informationen. Dies ist ebenfalls sehr beachtlich.

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Neue Entscheidung des BGH zu § 110 SGB VII

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

Zum Fall:

Die klagende Berufsgenossenschaft nimmt die beklagten Eheleute (die Inhaberin eines Malerbetriebes und deren Ehemann, der als Bauleiter tätig war) auf Ersatz von Aufwendungen nach § 110 SGB VII in Anspruch. Der Mitarbeiter der Beklagten stürzte in einem Treppenhaus, in dem ein Treppengeländer nicht vorhanden war und eine Absturzsicherung fehlte, und verletzte sich erheblich an den Armen. Die Besonderheit des Falles war, dass der Mitarbeiter von der dritten Stufe von unten – also aus einer tatsächlichen Absturzhöhe von weniger als 1 m – seitlich von der Treppe auf ein daneben befindliches Podest stürzte. Die Berufsgenossenschaft stellte sich auf den Standpunkt, die Treppe müsse als Ganzes betrachtet werden und hätte von der ersten bis zur letzten Stufe gesichert werden müssen. Dass der Mitarbeiter der Beklagten „zufällig von der dritten Stufe gefallen‟ sei, für die isoliert betrachtet keine Sicherung erforderlich gewesen sei, könne nicht maßgeblich sein.

 

Entscheidung des BGH:

Diese Einschätzung teilte der BGH nicht. Vielmehr stellte der BGH klar fest, dass eine Pflicht, einen freiliegenden Treppenlauf mit einer Absturzsicherung zu versehen, nach den einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften erst bei einer an der jeweiligen Absturzkante zu messenden Absturzhöhe von mehr als einem Meter bestehe. Ein Treppenlauf sei nicht schon deshalb insgesamt zu sichern, weil er in seinem oberen Teil eine Absturzhöhe von über einem Meter erreichte; dies mag zwar sinnvoll und wünschenswert sein, eine generelle Verpflichtung zur durchgehenden Sicherung des Treppenlaufs bis zum Boden lasse sich der Unfallverhütungsvorschrift nicht entnehmen. Im Übrigen verneinte der BGH eine grobe Fahrlässigkeit, weil für den unteren – für sich genommen nicht sicherungspflichtigen – Teil des Treppenlaufes nicht allgemein angenommen werden könne, dass die Sicherung dem Schutz der Arbeiter vor tödlichen Gefahren dient und elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hat. Bei einem Sturz von der dritten Treppenstufe aus 50cm Höhe ist nicht mit einem tödlichen Verlauf zu rechnen; entsprechend hat sich der Geschädigt zwar erheblich, aber doch bei weitem nicht lebensgefährlich verletzt.

BGH, Urteil 21.07.2020, VI ZR 369/19

 

Fazit:

Was kann man aus dieser Entscheidung mitnehmen?

  1. Ein Unfallereignis muss durch einen Verstoß gegen die maßgebliche Unfallverhütungsvorschrift verursacht sein = Ursachenzusammenhang.
  2. Es kommt immer auf den Einzelfall an: Eine Sicherungspflicht muss sich unter Berücksichtigung der tatsächlichen Absturzhöhe ergeben haben.
  3. Auch bei der Bewertung, ob die Sicherung dem Schutz der Arbeiten vor tödlichen Gefahren dient und elementare Sicherungspflichten zum Inhalt hat, ist die tatsächliche Absturzhöhe in den Blick zu nehmen. Es kommt nicht darauf an, ob der Arbeiter auch aus einer größeren Absturzhöhe hätte fallen können.

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Grobe Fahrlässigkeit im Straßen­verkehr / Haushalts­führungs­schaden ab 75

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Celle, Urteil vom 08. Juli 2020 – 14 U 25/18 : Verursachung eines Verkehrsunfalls durch grob fahrlässiges Fahrverhalten – § 110 SGB VII

Für die Entscheidung, ob die Herbeiführung eines Verkehrsunfalls als grob fahrlässig zu qualifizieren ist, sind stets die Umstände des konkreten Einzelfalls maßgeblich. Grobe Fahrlässigkeit kann anzu-nehmen sein, wenn ein Fahrzeugführer auf gerader Strecke bei ungeminderter Erkennbarkeit von hinten auf ein ordnungsgemäß und hinreichend beleuchtetes Fahrzeug auffährt, ohne auszuweichen oder abzubremsen. Ist unstreitig oder steht nach einer Beweisaufnahme fest, dass der Verletzte bei dem Verkehrsunfall entgegen § 21a Abs. 1 S. 1 StVO den Sicherheitsgut nicht angelegt hatte und die erlittenen Verletzungen in erheblichem Umfang auf diesem Umstand beruhen, ist der Aufwendungsersatzan-spruch gemäß § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII wegen des dem Sozialversicherungsträger zuzurechnenden Mitverschuldens des Versicherten in angemessenem Umfang – hier mit 40% bemessen – zu kürzen. Die Bemessung des Mitverschuldens erfolgt einheitlich; eine Differenzierung danach, ob einzelne Verletzungen oder Verletzungsfolgen bzw. die einzelnen Aufwendungen des Sozialversicherungsträgers darauf zurückzuführen sind, dass der Geschädigte angegurtet war oder nicht, findet nicht statt.

 

OLG Celle, Urteil vom 01. Juli 2020 – 14 U 8/20: Verursachung eines Verkehrsunfalls durch grob fahrlässiges Fahrverhalten – § 110 SGB VII

Für die Annahme eines grob fahrlässigen Verhaltens bedarf es nach höchstrichterlicher Rechtspre-chung auch der Feststellung eines in subjektiver Hinsicht nicht entschuldbaren Verstoßes gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. Ein Sekundenschlaf kann „einfach fahrlässig“ nicht vorhergesehen werden, weil objektiv vorhandene Übermüdungserscheinungen subjektiv nicht wahrgenommen werden. Es wäre nicht völlig unentschuldbar, wenn der Beklagte auf die Gegenfahrbahn geraten ist, weil er bei Dunkelheit und Nebel infolge einer Fahrbahnsenke die Lichter aus dem Gegenverkehr und die Rückleuchten der ihm vorausfahrenden Fahrzeuge aus den Augen verloren hätte und deswegen kurzzeitig orientierungslos gewesen wäre.

 

OLG Celle, Urteil vom 08. Juli 2020 – 14 U 27/20: Haushaltsführungsschaden – Darlegung / über das 75. Lebensjahr hinaus

Für den Haushaltsführungsschaden sind die konkreten Umstände des Falls maßgeblich. Zur Darlegung eines Haushaltsführungsschadens muss der Geschädigte daher im Einzelnen darlegen, welche Tätigkeiten, die vor dem Unfall im Haushalt verrichtet wurden, unfallbedingt nicht mehr oder nicht mehr vollständig ausgeübt werden können; ein bloßer allgemeiner Verweis auf eine bestimmte prozentuale Minderung der Erwerbsfähigkeit oder der Fähigkeit zur Haushaltsführung genügt nicht. Der Haushaltsführungsschaden ist nicht anhand von Tabellenwerken, sondern auf der Basis der konkreten Lebensverhältnisse des Geschädigten zu ermitteln. Eine zeitliche Begrenzung für den Ersatz des Haushaltsführungsschadens, z.B. bis zum 75. Lebensjahr, ist nicht vorzunehmen, sofern keine konkreten Umstände in der Person des Geschädigten vorliegen, die eine Begrenzung rechtfertigen würden. Eine Tenorierung, nach der die Zahlungen „auf Lebenszeit“ zu erbringen seien, ist unbedenklich und steht insbesondere einem etwaigen späteren Vorgehen des Schädigers nach § 323 ZPO (Abänderungsklage) nicht entgegen.

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Essensaufnahme als unfallversicherte Tätigkeit

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17.12.2099, Az.: L 16 U 79/16

 

Leitsätze

1. Die Nahrungsaufnahme während einer versicherten schulischen Veranstaltung steht grundsätzlich als eigenwirtschaftliche Tätigkeit nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, es sei denn, betriebliche bzw schulische Umstände oder Zwänge haben die Einnahme des Essens oder Trinkens wesentlich mitbestimmt (zB zur Wiedererlangung oder Erhaltung der Arbeitsfähigkeit).

2. Zum Nichtvorliegen eines Arbeitsunfalls eines volljährigen und im Alltag selbstständigen Schülers, der an behinderungsbedingten Problemen bei der Nahrungsaufnahme bzw unter häufigem Verschlucken von Speisen und Getränken leidet, wenn dieser sich beim Essen vom Buffet einer schulischen Abschlussveranstaltung dermaßen verschluckt hatte, dass er einen Herzatemstillstand und einen daraus resultierendem Hirnschaden erlitt.

 

Sachverhalt

Der im Jahre 1990 geborene Kläger litt seit seiner Kindheit an einer Cerebralparese mit spastischer Tetraparese. Es bestand Rollstuhlpflichtigkeit. Ferner litt der Kläger an einer Kehlkopfdeformität, aufgrund derer es bereits in der Vergangenheit häufig zum Verschlucken beim Essen und Trinken gekommen war. In der Zeit von August 2007 bis Juli 2009 absolvierte der Kläger ein zweijähriges Berufsvorbereitungsjahr. Er lebte dort in der Einrichtung des F. in N. Es handelt sich um eine Schule/Internat für körperbehinderte Menschen. Dort war er nach dem Schreiben des F. N. vom 11. September 2009 ein selbstständiger Schüler, der sowohl in der Lage war, seine Heimfahrten nach O. /P. zu organisieren und durchzuführen, seine schulischen Belange zu erledigen, sein Essen und seine Getränke selbstständig einzukaufen und seine Freizeit zu gestalten. In der Einrichtung durfte der Kläger ohne Einschränkungen alles essen und trinken. Er konnte alleine mit Hilfe einer Schnabeltasse trinken. Das Essen musste allerdings zerkleinert und angereicht werden.

Der Kläger nahm er am Abend des 08. Juli 2009 an einer von der Schulleitung genehmigten Abschlussfeier teil. Dort stand für die Teilnehmer ein Buffet zur Verfügung, an dem sie sich selbst bedienen konnten. Der Kläger ließ sich von einem Freund und Mitschüler eine Schale mit verschiedenen Salaten (Kraut-, Nudel- und Kartoffelsalat) mitbringen. Die Auswahl des Essens bestimmte er selbst. Das Essen wurde ihm von der sozialpädagogischen Fachkraft Q. kleingeschnitten und gereicht. Dabei zeigte er durch Gesten an, wann er die nächste Portion gereicht bekommen möchte. Nach Anreichung des kleingeschnittenen Mozzarellakäses zeigte er mit Gesten an, dass er Probleme beim Schlucken hatte. Nachdem die Schluckstörungen durch Klopfen auf den Rücken und Ausräumen des Mundes nicht behoben werden konnten, wurde von anderen auf der Feier anwesenden Personen der Notarzt gerufen. Infolge eines Herzatemstillstandes mit ausgeprägtem Sauerstoffmangel und daraus resultierendem Hirnschaden entwickelte sich in der Folge ein apallisches Syndrom.

Schüler sind während des Besuches von allgemein- oder berufsbildenden Schulen sowie während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenwirken mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen kraft Gesetzes gesetzlich unfallversichert. Der zuständige SVT lehnte die Anerkennung des Geschehens als Versicherungs- bzw. Arbeitsunfall im schulischen Bereich jedoch ab. Hiergegen richtete sich die Klage des Klägers vor dem LSG in zweiter Instanz.

 

Entscheidung

Das LSG verneint einen Versicherungsfall:

Erforderlich für das Vorliegen eines Versicherungsfalls sei, dass a) die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), b) die Verrichtung zu dem Unfallereignis geführt hat (Unfallkausalität),
und c) das Unfallereignis einen Gesundheitsschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Ein unfallbringendes Verhalten sei dann eine versicherte Tätigkeit, wenn zwischen dem konkreten Verhalten und dem generell versicherten Tätigkeitsbereich des Versicherten ein rechtlicher Zusammenhang bestehe. Die Grenze der geschützten Tätigkeit sei wertend zu ermitteln. Es sei zu prüfen, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liege, bis zu welcher der Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung reiche.

Zwar habe der Kläger als Schüler zum Kreis der versicherten Personen gehört, denn das offizielle Ende der Schulausbildungszeit sei der 10. Juli 2009 gewesen. Bei der Abschlussfeier am 8. Juli 2009 habe es sich zudem um eine grundsätzlich versicherte Schulveranstaltung gehandelt, die von der Schulleitung genehmigt worden sei. Die streitige Verrichtung, die Nahrungsaufnahme, habe allerdings nicht in einem inneren sachlichen Zusammenhang zu der versicherten Tätigkeit gestanden. Seit jeher werde die Nahrungsaufnahme in der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich dem privaten, unversicherten Lebensbereich zugerechnet, wenn sie nicht aufgrund der besonderen Umstände der versicherten Tätigkeit ausnahmsweise unmittelbar Teil derselben sei. Zwar könne auch das Unternehmen ein vitales Interesse daran haben, dass Pausen zur Einnahme von Mahlzeiten genutzt werden, um die Leistungsfähigkeit des Versicherten zu erhalten. Für die Annahme eines inneren Zusammenhanges zwischen versicherter Tätigkeit und der Verrichtung „Essen“ reiche ein solches Interesse jedoch nicht aus. Denn mit „Essen und Trinken“ werde primär ein Grundbedürfnis gestillt, das ein jeder Mensch unabhängig davon hbet, ob er einer versicherten Tätigkeit nachgeh oder nicht.

Nur ausnahmsweise bestehe ein innerer Zusammenhang zwischen dem Vorgang der Aufnahme von Nahrung oder Getränken und der versicherten Tätigkeit, nämlich dann, wenn betriebliche Umstände die Einnahme des Essens oder das Trinken wesentlich mitbestimmten.  Dies sei nach der älteren Rechtsprechung des BSG schon dann der Fall gewesen, wenn die betrieblichen Umstände ein besonderes Hunger- oder Durstgefühl veranlasst haben, welches ohne die betriebliche Tätigkeit nicht oder erst später aufgetreten wäre, wenn also „Essen und Trinken“ unmittelbar der Wiedererlangung oder Erhaltung der Arbeitsfähigkeit dienten. Versicherungsschutz sei ferner bejaht worden, wenn der Versicherte sich bei seiner Mahlzeit infolge betrieblicher Zwänge besonders beeilen musste oder besondere betriebliche Zwänge den Versicherten veranlassten, seine Mahlzeit an einem besonderen Ort oder in besonderer Form einzunehmen, wenn die Umstände der Nahrungsaufnahme durch die versicherte Tätigkeit maßgebend geprägt worden seien. Darüber hinaus habe das BSG den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung während der Nahrungsaufnahme bejaht, wenn besondere betriebliche Umstände den Versicherten zwar nicht gezwungen, aber wenigstens veranlassten hätten, seine Mahlzeiten an einem bestimmten Ort, etwa in einer Werks- oder Schulkantine einzunehmen, wenn also betriebliche Umstände die Einnahme des Essens in der Kantine wesentlich mitbestimmten. Nach der neueren Rechtsprechung des BSG müsse sich zusätzlich hierzu die Nahrungsaufnahme abweichend von dem normalen Trink- oder Essverhalten so abgespielt haben, dass eine Zuordnung zu der betrieblichen Tätigkeit auch objektiv nachvollziehbar sei. Dies sei etwa der Fall, wenn der Versicherte unmittelbar während der belastenden Arbeit esse oder trinke, so dass trotz Durst erregender oder besonders Kräfte zehrender Tätigkeit kein Versicherungsschutz bestehe, wenn Essen oder Trinken auf die Arbeitspause verschoben werden und nicht unmittelbar am Arbeitsplatz erfolgen würden.

An dem erforderlichen inneren Zusammenhang zwischen der Nahrungsaufnahme und dem Schulbesuch des Klägers fehle es aber vorliegend. Betriebliche bzw schulische Umstände hätten die Einnahme des Essens und Trinkens nicht wesentlich mitbestimmt. Der Kläger habe sich zwar bei, aber nicht wegen der Abschlussfeier verschluckt. Nach Auskunft des Geschäftsführers hätte der Kläger auch in der Internatsgruppe essen können. Eine schulische Verpflichtung zum Essen habe nicht bestand . Der Kläger habe auf der Abschlussfeier – wie bei jedem anderen Essensvorgang auch – die von ihm gewünschten Speisen ausgewählt und sich von Hilfspersonen zusammenstellen lassen. Sodann habe er sie sich anreichen lassen. Er sei jedoch zur Auswahl und Aufnahmeentscheidung des Essens während der Abschlussfeier eigenverantwortlich in der Lage gewesen.  Zudem sei er in der Lage gewesen, eine Entscheidung darüber zu treffen, ob er vom Essensangebot im Rahmen der Abschlussfeier Gebrauch mache oder ob er vielmehr in der Internatsgruppe essen wollte. Es hätten damit keine besonderen Umstände vorgelegen, aufgrund derer ein gesetzlicher Unfallversicherungsschutz hätte entstehen müssen.

Ein „hartes‟ Urteil.

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Kein Haftungsgrund – Keine Aussetzung nach § 108 Abs. 2 SGB VII

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

 

OLG Saarbrücken, Urteil vom 29.01.2020, Az.: 1 U 81/18

 

Leitsätze

Fehlt es an einer unanfechtbaren Entscheidung des Unfallversicherungsträgers oder eines Sozialgerichts über das Vorliegen eines Versicherungsfalls einschließlich der Frage, welchem Unternehmen der Unfall zuzuordnen ist, muss vom Zivilgericht grundsätzlich die Vorschrift des § 108 Abs. 2 SGB VII beachtet werden. Eine Aus- bzw. Fristsetzung nach Maßgabe dieser Vorschrift kann allerdings unterbleiben, wenn die Frage der sozialversicherungsrechtlichen Haftungsprivilegierung sich im Ergebnis als nicht entscheidungserheblich erweist.

 

Sachverhalt

Das Landgericht hatte in I. Instanz § 108 Abs. 2 SGB VII nicht hinreichend beachtet und die Tatbestandsvoraussetzungen des in § 104 Abs. 1 SGB VII geregelten Haftungsprivilegierung als erfüllt angesehen, ohne den den Unfallversicherungsträgern bzw. den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zukommenden Vorrang hinsichtlich der Beurteilung sozialversicherungsrechtlicher Vorfragen zu beachten.

 

Entscheidung

Deshalb konnte das erstinstanzliche Urteil grundsätzlich keinen Bestand haben. Denn nach § 108 Abs. 2 SGB VII sind Gerichte außerhalb der Sozialgerichtsbarkeit bei Entscheidungen über die in den §§ 104 – 107 SGB VII genannten Ansprüche unter anderem hinsichtlich der Frage, ob ein Versicherungsfall vorliegt, an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte gebunden. Eine unanfechtbare Entscheidung eines Unfallversicherungsträgers oder Sozialgerichts zu der Frage, ob die Klägerin den streitgegenständlichen Unfall als Versicherte aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses i. S. d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 S. 1 SGB VII erlitten hat und welchem Unternehmen der Unfall zuzurechnen ist, lag bei Schluss der mündlichen Verhandlung in I. Instanz jedoch nicht vor.

Das OLG führt allerdings aus, dass die Nichtbeachtung der Vorschrift des § 108 Abs. 2 SGB VII durch das Landgericht sich jedoch im Ergebnis nicht auswirke, denn eine Aus- bzw. Fristsetzung müsse nicht erfolgen, wenn schon die Voraussetzungen der anspruchsbegründenden Norm nicht erfüllt seien und daher Fragen, die der Bindungswirkung unterliegen, nicht entscheidungserheblich sind. So lag es im vorliegenden Fall. Denn die Frage, ob es sich bei dem Sturzgeschehen um einen Arbeitsunfall handelte, der sozialversicherungsrechtlich dem Schädiger (letztlich ging es um eine Inzidentaprüfung im Rahmen eines Awaltshaftungsprozesses)  als Unternehmen zuzuordnen war, erwies sich für das OLG unter Berücksichtigung der zweitinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme als nicht entscheidungserheblich, weil nach dem Ergebnis eine vertragliche oder deliktische Schadensersatzhaftung nicht vorlag. Es fehlte am Nachweis einer schuldhaften Verkehrssicherungspflichtverletzung, was Voraussetzung für ihre Haftung gewesen wäre. Fehle es aber bereits an einer haftung dem Grunde nach, könne eine Aus- bzw. Fristsetzung nach Maßgabe des § 108 Abs. 2 SGB VII  kann alunterbleiben.

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Aktivlegitimation Rentenschaden § 119 SGB X

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Celle, Beschluss vom 19.02.2020, Az.: 14 W 4/20

Leitsätze

1. Geht ein Anspruch vollständig auf den Rentenversicherungsträger als Treuhänder über, verbleibt dem Geschädigten nicht etwa eine Art Einzugsermächtigung; er kann weder aus eigenem Recht noch in gewillkürter Prozessstandschaft des Sozialversicherungsträgers klagen.

2. Käme der Rentenversicherungsträger seiner sozialrechtlichen Pflicht zum Einzug der Beiträge nicht nach und käme es daher zu einer Rentenminderung, hätte der Geschädigte ebenfalls keinen persönlichen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger, sondern allenfalls einen Schadensersatzanspruch gegen den Rentenversicherungsträger, der auf Gutschriften auf dem Beitragskonto zu richten wäre.

 

Sachverhalt

Die Klägerin möchte vom Haftpflichtversichrer des Unfallverursachers die Verpflichtung einklagen (Feststellungsklage), dass dieser verpflichtet sei, zukünftige unfallbedingte Rentenschäden auszugleichen. Außerdem beziffert sie einen zurückliegenden Teil der vermeintlichen Ansprüche.

 

Entscheidung

Das OLG stellt fest, dass die Klägerin wegen des Anspruchsübergangs nach §§ 116, 119 SGB X nicht mehr Inhaberin des Anspruchs auf Erstattung eines twaiger – zukünftigen –  Rentenschadens als Folge des Unfalls ist. Denn soweit ein Anspruch wegen etwaig unfallbedingt (bisher) nicht geleisteter Rentenversicherungsbeiträge bestünde, ginge er nach § 119 Abs. 1 SGB X auf den Rentenversicherungsträger über. Nach dieser Norm erfolgt ein Anspruchsübergang des Sozialversicherten auf Ersatz von Beiträgen zur Rentenversicherung auf den Rentenversicherungsträger, wenn der Geschädigte zum Zeitpunkt des Schadensereignisses bereits Pflichtbeitragszeiten nachweisen kann oder danach pflichtversichert wird. Es handelt sich hier um eine im Verhältnis zu § 116 SGB X eigenständige Legalzession. Der Anspruch geht vollständig auf den Rentenversicherungsträger als Treuhänder über, dem Geschädigten verbleibt nicht etwa eine Art Einzugsermächtigung; er kann weder aus eigenem Recht noch in gewillkürter Prozessstandschaft des Sozialversicherungsträgers klagen. Nur der Rentenversicherungsträger ist zur Durchsetzung des Anspruchs aktivlegitimiert. Durch den vollständigen Ersatz unfallbedingt ausgefallener Pflichtbeiträge im Rahmen der Haftung wird der Schaden ausgeglichen und erfüllt der Schädiger seine Schadensersatzpflicht. Das Beitragskonto weist im Ist-Verlauf dieselben Pflichtbeiträge wie im Soll-Verlauf aus. Ein Anspruch auf Ersatz einer Rentenminderung kommt daneben nicht mehr in Betracht. Gegenüber der Beklagten hat die Klägerin daher infolge des Forderungsübergangs auf den Rentenversicherungsträger, der sich bereits im Unfallzeitpunkt vollzieht, keinen Anspruch. Sie ist nicht aktivlegitimiert.

Allerdings könnte der Klägerin eventuell ein Anspruch gegen den Rentenversicherungsträger zustehen, der aufgrund eines Treuhand- und Fürsorgeverhältnisses in besonderer Weise verpflichtet ist, für einen vollständigen Ausgleich des eingetretenen Rentenschadens des Versicherten Sorge zu tragen, und zwar auch mittels eines selbst zu besorgenden Schadensausgleichs. Hier war jedoch nicht ansatzweise erkennbar – und wird auch von der Klägerin nicht behauptet – dass sich der Rentenversicherungsträger ggf. rechtswidrig verhalten hatte oder noch würde. Damit fehlte bereits für einen Feststellungsantrag ein Feststellungsinteresse, zumal der Anspruch – wenn er schlüssig dargelegt werden könnte – vor einem anderen Gericht (Sozialgericht) geltend zu machen wäre.

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Schülerunfall: Haftungsprivileg und Vorsatz

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Koblenz, Urteil vom 16.05.2019, Az.: 1 U 1334/18

 

Leitsätze

  1. Eine Schülerin, die im Rahmen eines Sportunterrichts einer privaten Schule einen Unfall erlitten hat, kann nicht erfolgreich den Sachkostenträger dieser Schule, der gemäß § 136 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 8 lit. b als Unternehmer im Sinne des SGB VII anzusehen ist, auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 253 BGB in Anspruch nehmen, da der Sachkostenträger für ein etwaiges, pflichtwidriges Verhalten einer Sportlehrerin nicht einzustehen hat. Der Sachkostenträger ist nicht gehalten, Vorkehrungen in Bezug auf eine Unterrichtung der an der Schule beschäftigten Sportlehrer zu treffen, wie diese ihrer Aufsichtspflicht während des Sportunterrichts beim Geräteturnen ausüben.
  2. Während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenhang mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen besteht gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 8 lit. b SGB VII i.V.m. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII i.V.m. § 136 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII eine Haftungsprivilegierung dahingehend, dass eine Einstandspflicht für einen Versicherungsfall nur besteht, wenn dieser vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt wird.
  3. Für das Vorliegen eines vorsätzlichen Handels trifft die Schülerin die Darlegungs- und Beweislast.
  4. Für das Vorliegen eines vorsätzlichen Handels reicht bei einem Sportunfall bedingter Vorsatz aus .
  5. Die infolge des Sportunterrichts verletzte Schülerin kann nicht die Sportlehrerin, der sie eine Verletzung der Aufsichtspflicht vorwirft, persönlich in Anspruch nehmen, weil diese als Beamtin im haftungsrechtlichen Sinne nicht passivlegitimiert ist. Insoweit ist die Klage gegen die betreffende Anstellungs-Körperschaft der Sportlehrerin zu richten.

 

Sachverhalt

Die klagende Schülerin nimmt die Beklagten auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Unfallereignisses während des Sportunterrichts in Anspruch.

Die zum Unfallzeitpunkt 13 Jahre alte Klägerin besuchte die Schule X. (Sachkosten-)Trägerin der Schule ist die Beklagte zu 1), die Beklagte zu 2) ist die Sportlehrerin der Klasse. Die Beklagte zu 2) führte am 08.04.2013 im Rahmen der Unterrichtsreihe „Sprunghocke“ einen Stationsbetrieb zum Erlernen der „Stützsprunghocke“ durch. Dabei stand ein hoher Kasten mit einem Federsprungbrett davor quer zur Laufrichtung der Schülerin. Die Schülerinnen mussten den Kasten im Hocksprung überspringen. Die Übungen wurden in mehreren Stationen der Turnhalle durchgeführt. Bei jeder Station befanden sich durch die Beklagte zu 2), die Sportlehrerin, zugewiesene Schülerinnen als Hilfe. Nachdem die Beklagte zu 2) die Turnhalle verlassen hatte, blieb die Klägerin bei ihrem Sprung über den Kasten mit den Füßen in der vorderen Kante des Kastens hängen. Dabei geriet sie ins Straucheln, überschlug sich und landete mit dem rechten Arm dergestalt, dass sie sich am Ellenbogen verletzte. Die Klägerin erlitt eine rechtsseitige Ellenbogenluxation sowie eine Radiusköpfchenfraktur rechts und eine traumatische Bänderruptur. Die Fraktur des Radiusköpfchens wurde osteosynthetisch versorgt. Die Unfallkasse erkannte den Unfall als Schulunfall an und erbrachte entsprechende Leistungen an die Klägerin.

Mit der Klage fordert die Schülerin von den Beklagten Schmerzensgeld  sowie die Fesstellung der Ersatzpflicht des zukünftigen materiellen und immateriellen Schadens. der Haftpflichtversicherer der Beklagten lehnt die Einstandspflicht ab, weil ein Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII vorliege und damit das Haftungsprivileg nach §§ 104, 105, 106 SGB VII gegeben sei.

 

Entscheidung

das OLG weist die Klage zurück:

Eine Schülerin, die im Rahmen eines Sportunterrichts einer privaten Schule einen Unfall erlitten hat, könne nicht erfolgreich den Sachkostenträger dieser Schule, der gemäß § 136 Abs. 3 Nr. 3 SGB VII i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 8 lit. b als Unternehmer im Sinne des SGB VII anzusehen ist, auf Schadensersatz und Schmerzensgeld nach § 253 BGB in Anspruch nehmen, da der Sachkostenträger für ein etwaiges, pflichtwidriges Verhalten einer Sportlehrerin nicht einzustehen habe. Der Sachkostenträger sei nicht gehalten, Vorkehrungen in Bezug auf eine Unterrichtung der an der Schule beschäftigten Sportlehrer zu treffen, wie diese ihrer Aufsichtspflicht während des Sportunterrichts beim Geräteturnen ausüben. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen für eine Haftung des Beklagten zu 1) auch deshalb nicht vor, weil zugunsten des Beklagten zu 1) für Schüler während des Besuchs von allgemein- oder berufsbildenden Schulen und während der Teilnahme an unmittelbar vor oder nach dem Unterricht von der Schule oder im Zusammenhang mit ihr durchgeführten Betreuungsmaßnahmen gemäß § 2 Abs. 1 Ziffer 8 b) SGB VII i. V. m. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII i. V. m. § 136 Abs. 3 Ziffer SGB VII die Haftungsprivilegierung gelte, wonach eine Einstandspflicht für einen Versicherungsfall nur bestehe, wenn dieser vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs.2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt wird.

Keinen Erfolg habe die Klage auch betreffend der Beklagten zu 1), weil sie nicht passivlegitimiert sei. Auch wenn die Beklagte zu 2) an der Schule nicht als Beamtin im statusrechtlichen Sinne, sondern als Angestellte tätig war, sei sie amtshaftungsrechtlich als Beamtin im haftungsrechtlichen Sinne zu betrachten, so dass gemäß Art. 34 GG i. V. m. § 839 Abs. 1 BGB nur Ansprüche gegen die betreffende Anstellungs-Körperschaft möglich wären. Insoweit ist die Klage gegen die Anstellungskörperschaft zu richten.

Die Einstandspflicht für einen Versicherungsfall bestehe aber nur, wenn dieser vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs.2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt wird. Für das Vorliegen eines vorsätzlichen Handelns der Beklagten zu 2) treffe die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast. Für das Vorliegen eines vorsätzlichen Handelns reiche bei einem Sportunfall bedingter Vorsatz bezüglich des Verletzungserfolgs aus. Nach der gefestigter Rechtsprechung müsse sich der Vorsatz nicht nur auf das Schadensereignis und das Bewusstsein der Pflichtwidrigkeit beziehen, sondern darüber hinaus auch auf die Schadensfolgen. Das Landgericht habe unter Berücksichtigung der dargestellten Anforderungen ein vorsätzliches, pflichtwidriges, auch die Verletzungsfolgen bei der Klägerin umfassendes Handeln der Beklagten zu 2) verneint. Selbst, wenn man als wahr unterstelle, dass die Beklagte zu 2) mit dem Verlassen der Turnhalle für eine gewisse Weile ihrer Aufsichtspflicht gegenüber ihren Schülern nicht nachgekommen sei und sich der in der Turnhalle befindlichen Schüler, die bei den Turnübungen Hilfestellungen leisteten, als Verwaltungshelfer bedient habe, würde eine mit diesem Verhalten verbundene gewisse Gleichgültigkeit für die Bejahung eines bedingten Vorsatzes bezüglich der bei der Klägerin eingetretenen Verletzungsfolgen jedoch nicht ausreichen. Insbesondere könne aus dem Umstand, dass nach dem Unfallereignis eine Mitschülerin der Klägerin die Beklagte zu 2) vor der Halle angesprochen und auf das Unfallereignis aufmerksam gemacht haben will, die Beklagte zu 2) das Anliegen unter Hinweis, dass sie sich mit einer Kollegin unterhalten, zurückgewiesen habe, nicht rückblickend auf einen vor Eintritt des Unfallereignisses bestehenden bedingten Vorsatz bezüglich des Schadensereignisses, des Bewusstseins der Pflichtwidrigkeit und der möglicherweise eintretenden Schadensfolgen geschlossen werden.

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Gemeinsame Betriebsstätte: Abladen eines Wohncontainers von einem Lkw

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

LG Bonn, Urteil vom 26.04.2019, Az.: 1 O 284/17

 

Leitsatz

Dem Kriterium der Gefahrengemeinschaft kommt im Rahmen von § 106 Abs.3 SGB VII einerseits die Funktion zu, Fälle des allgemeinen Lebensrisikos aus dem Anwendungsbereich dieser Haftungsprivilegierung herauszunehmen, andererseits aber bei Zweifeln an einem bewussten Miteinander im Arbeitsablauf dennoch Fälle der wechselseitigen Gefährdungslage in den Anwendungsbereich von § 106 Abs.3 SGB VII prüfen zu können.

 

Sachverhalt

Die klagende BG nimmt die Beklagten aus übergegangenem Recht (§ 116 SGB X) auf Schadensersatz aus einem Arbeitsunfall ihres Versicherten und Zeugen Y in Anspruch, der sich am 13.02.2015 in K ereignete.

 

Der Zeuge Y ist Mitarbeiter der B GmbH in P, einem Mitgliedsbetrieb der Klägerin. Die B GmbH hatte am Unfalltag die Aufgabe, Wohncontainer aufzustellen. Die Container wurden von dem Mitarbeiter der Beklagten zu 1. und Zeugen L mit einem Lkw angeliefert. Der Lkw war mit einem Kran zum Auf- und Abladen der Container ausgerüstet. Die Beklagte zu 1. ist die Halterin dieses bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Lkw. Die Wohncontainer wurden an der Unfallstelle mithilfe des Kranes abgeladen und von dem Zeugen L platziert. Dabei half ihm der Zeuge Y als Monteur der Auftraggeberin B GmbH. Der Zeuge Y hatte die Aufgabe, die Container bei dem Herablassen zu „führen‟, damit diese an die „richtige‟, vorgegebene Stelle gesetzt wurden, da anschließend noch Wasser, Strom und sonstige Leitungen in den Container zu legen waren. Während der Arbeiten gab es einen Knall, der auf ein unvorhersehbares Platzen der Hydraulikleitung am Kran zurückzuführen war. Dadurch geriet der an dem Kran hängende Container ins Schlingern, bewegte sich schlagartig auf den Zeugen Y zu, erfasste diesen, riss ihn zu Boden und begrub ihn unter sich. Als der Unfall passierte bohrte der Zeuge Y während des Herablassens des Containers Löcher für die Leitungen in den Containerboden. Der Zeuge L hatte dem Zeugen Y zuvor ausdrücklich gesagt, dass er dies nicht unter einer schwebenden Last machen solle.

 

Entscheidung

Diskutiert wurde insbesondere, ob eine für die gemeinsame Betriebsstätte erforderliche wechselseitige Gefährdungslage vorgelegen habe. Das LG bejaht dies, weil die „Führung‟ der Container und die Einweisung durch den Zeugen Y gleichsam zu Ablade- und Fahrmanövern des Zeugen L führen konnte, die infolge der technischen Komplexität der Kransteuerung ohne weiteres auch Verletzungen des Zeugen L hätten verursachen können. Denn Pendelbewegungen durch ein abruptes Anhalten der Container konnten denknotwendig in der konkreten Unfallsituation ebenso wenig ausgeschlossen werden wie eine Kollision des Kranes nebst seiner Ladung mit anderen Containern infolge einer unrichtigen „Führung‟ durch den Zeugen Y. Diese Möglichkeit der Schädigung des Zeugen L durch die arbeitsteiligen Mitwirkungsakte des Zeugen Y genügt nach dem Sinn und Zweck der §§ 104ff. SGB VII für eine gemeinsame Betriebsstätte im Sinne von § 106 Abs.3, 3.alt. SGB VII. Denn eine Gefahrengemeinschaft liegt nach der Rechtsprechung des VI. Zivilsenates des Bundesgerichtshofes schon dann vor, wenn es durch das enge Zusammenwirken der Beteiligten wechselseitig zu Verletzungen kommen kann, was selbst dann der Fall ist, wenn eine Gefährdung zwar eher fern liegt, aber nicht völlig ausgeschlossen ist . Dies war vorliegend der Fall, weil § 106 Abs.3, 3.alt. SGB VII nicht voraussetzt, dass im konkreten Fall jeder der Tätigen in gleicher Weise verletzt werden könnte.

 

Dem Kriterium der Gefahrengemeinschaft komme im Rahmen von § 106 Abs.3 SGB VII einerseits die Funktion zu, Fälle des allgemeinen Lebensrisikos aus dem Anwendungsbereich dieser Haftungsprivilegierung herauszunehmen, andererseits aber bei Zweifeln an einem bewussten Miteinander im Arbeitsablauf dennoch Fälle der wechselseitigen Gefährdungslage in den Anwendungsbereich von § 106 Abs.3 SGB VII prüfen zu können. Auch diese Schutzzweckerwägungen rechtfertigen es nicht, den konkreten streitgegenständlichen Schadenshergang aus dem Anwendungsbereich der §§ 104ff. SGB VII herauszunehmen.

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