Familienprivileg a.F. & gestörte Gesamtschuld

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

BGH, Urteil vom 07.12.2021, Az.: VI ZR 1189/20

Leitsätze

1. Dem Übergang des Direktanspruchs des Geschädigten gegen den Kfz-Haftpflichtversicherer des schädigenden Fahrzeugführers auf den Sozialversicherungsträger stand auch unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 116 Abs. 1 VVG das Familienprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X aF entgegen.

2. Der Anspruch gegen den nicht dem Familienprivileg unterfallenden Fahrzeughalter konnte vom Sozialversicherungsträger nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld gegenüber dem Kfz-Haftpflichtversicherer aufgrund seiner Akzessorietät nicht geltend gemacht werden, weil im Innenverhältnis zwischen Halter und Fahrzeugführer der letztere allein für die Unfallfolgen einzustehen hatte.

Sachverhalt

Die Klägerinnen, eine gesetzliche Krankenversicherung und eine Pflegekasse, nehmen den beklagten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer aus übergegangenem Recht ihres Versicherten auf Ersatz materiellen Schadens in Anspruch. Der zum damaligen Zeitpunkt 1 ½ jährige J. saß am 15. Februar 2016 als Beifahrer in einem von seiner Mutter gelenkten Pkw, dessen Halterin seine Großmutter und dessen Haftpflichtversicherer die Beklagte war. Das Fahrzeug geriet bei einem Bremsvorgang ins Schleudern, die Fahrerin verlor die Kontrolle über das Fahrzeug und es kam zu einer frontalen Kollision mit einem entgegenkommenden Lkw. Der Unfall ist von der Fahrerin allein verursacht worden. J. wurde dabei sehr schwer verletzt. Zum Unfallzeitpunkt lebte er in häuslicher Gemeinschaft mit seiner Mutter. Die Klägerinnen haben Leistungen, insbesondere Krankenhausbehandlungen und Pflege und sind der Auffassung, dass das Angehörigenprivileg des § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X aF und die Grundsätze der gestörten Gesamtschuld einem Übergang des Direktanspruchs gegen den Unfallhaftpflichtversicherer gemäß § 116 Abs. 1 SGB X wegen § 116 Abs. 1 VVG nicht entgegenstünden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung hat das Oberlandesgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin zu 1 297.787,14 € nebst Zinsen zu zahlen und hinsichtlich beider Klägerinnen jeweils festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihnen sämtliche weiter entstandenen und entstehenden erforderlichen Aufwendungen zu erstatten.

Entscheidung

Das Berufungsurteil hielt der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand: Das Berufungsgericht habe zwar zutreffend gesehen, dass nach § 116 Abs. 6 SGB X aF der Übergang des Anspruchs gegen die Mutter auf die Klägerinnen ausgeschlossen sei, da der Geschädigte mit dieser zum Unfallzeitpunkt in häuslicher Gemeinschaft lebte. Da die Neuregelung des § 116 Abs. 6 SGB X, die nunmehr bestimme, dass ein Ersatzanspruch bei nicht vorsätzlicher Schädigung durch eine Person, die im Zeitpunkt des Schadensereignisses mit dem Geschädigten in häuslicher Gemeinschaft lebt, zwar nach § 116 Abs. 1 SGB X übergehe, aber nicht geltend gemacht werden könne, nur auf Schadensereignisse nach dem 31. Dezember 2020 anzuwenden sei, müssten frühere Schadensereignisse wie der Streitfall nach der Regelung das bis zum 31. Dezember 2020 geltende Rechts entscheiden werden. In der Folge gehe auch der Direktanspruch gegen den Versicherer aus § 115 Abs. 1 VVG, soweit er auf den Schadensersatzanspruch gegen die Fahrerin aus § 18 Abs. 1 StVG bezogen sei, nicht auf die Klägerinnen über.

Im Weiteren sei das zwischen Fahrerin und Halterin (Mutter und Großmutter) bestehende Gesamtschuldverhältnis durch das Angehörigenprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X aF gestört. Das mit dem Forderungsübergang entstehende Schuldverhältnis zwischen dem Sozialversicherungsträger und dem Fremdschädiger könne nicht isoliert von der Schuld des angehörigen Schädigers betrachtet werden. Danach kann sich der Sozialversicherungsträger an den Fremdschädiger nur insoweit halten, als dieser im Innenverhältnis zum angehörigen Schädiger den Schaden zu tragen habe. Die Halterin (Großmutter) haftet hier dem Sozialversicherungsträger jedoch nicht, weil sie im Innenverhältnis zum angehörigen Schädiger den Schaden nicht zu tragen habe. Eine Klage gegen die Halterin wäre abzuweisen. Dann bestehe aber auch kein akzessorischer Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer. Da die Fahrerin (Mutter) vom Angehörigenprivileg des § 116 Abs. 6 SGB X aF profitiere, sei nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld die Halterin nur in jenem Umfang haftbar, der ohne die Haftungsprivilegierung von ihr als Gesamtschuldnerin zu tragen wäre, da einerseits die haftungsrechtliche Privilegierung des angehörigen Schädigers nicht durch eine Heranziehung im Rahmen eines Gesamtschuldregresses unterlaufen werden solle, andererseits es nicht gerechtfertigt wäre, den nicht privilegierten Gesamtschuldner im Ergebnis den Schaden allein tragen zu lassen. Im Innenverhältnis zwischen der aus Verschulden (§ 18 Abs. 1 StVG bzw. § 823 Abs. 1 BGB) haftenden Fahrerin (Mutter) einerseits und der allein nach § 7 Abs. 1 StVG aufgrund bloßer Gefährdungshaftung haftenden Fahrzeughalterin (Großmutter) andererseits habe allein Erstere für die gesamten Unfallfolgen einzustehen. Es bestehe kein sachlicher Grund, die Begünstigungen des familienangehörigen Erstschädigers, die letztlich dem Versicherten des Sozialversicherungsträgers und seinen Familienbelangen zugutekommen sollen, im Ergebnis zu Lasten des Zweitschädigers ausschlagen zu lassen. Dies führe dazu, dass die Halterin (Großmutter) nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld gänzlich von der Haftung frei sei. Der Umstand, dass ein Direktanspruch gegen einen Kfz-Haftpflichtversicherer bestehe, welcher nach § 116 Abs. 1 Satz 1 VVG bzw. nach altem Recht gemäß § 3 Nr. 9 PflVG letztlich den Schaden allein zu tragen habe, stehe der Anwendung der Grundsätze über die gestörte Gesamtschuld im Hinblick auf ein für einen mithaftenden Schädiger bestehendes Haftungsprivileg nicht entgegen.

Relevanz

Damit spricht sich der BGH gegen die Anwendung der neuen Rechtsfolgen des § 116 Abs. 6 SGB X auf Altfälle aus, was von einigen SVT wegen der Neuregelung eingewandt wird bzw. nun wurde.

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§ 110 SGB VII: Keine Verschuldenszurechnung gem. § 278 BGB

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

BGH, Urt. v. 09.12.2021 – VII ZR 170/19

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Rückgriffsanspruch des gesetzlichen Unfallversicherers gegen den Unternehmer gem. § 110 Abs. 1 SGB VII setzt voraus, dass der Unternehmer, dessen Haftung nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII beschränkt ist, selbst oder durch eine in § 111 Satz 1 SGB VII genannte, in Ausführung der ihr zustehenden Verrichtungen handelnde, vertretungsberechtigte Person den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Eine Zurechnung des Verschuldens sonstiger Personen, die den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben, gemäß § 278 BGB kommt im Rahmen des Rückgriffsanspruchs gem. § 110 Abs. 1 SGB VII nicht in Betracht.

 

Sachverhalt

Die Beklagte zu 1) wurde beauftragt, Dachdeckerarbeiten durchzuführen. Der Bauleiter und zugleich Beklagter zu 2) ist ihr Geschäftsführer. Zur Durchführung dieser Arbeiten beauftragte die Beklagte zu 1) die Beklagte zu 3) mit der Errichtung eines Gerüsts. Diese wiederum beauftragte die Beklagte zu 5) als Subunternehmerin, die das Gerüst schließlich errichtete.

D., Dachdeckergeselle bei der Beklagten zu 1), stürzte während der Arbeiten vom Dach und verletzte sich schwer. Das am Gerüst errichtete Fanggitter, welches vor Abstürzen schützen sollte, genügte nicht vollständigen den Anforderungen. Die Klägerin, ein gesetzlicher Unfallversicherer, bei dem die Beklagte zu 1) Mitgliedsunternehmen ist, erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an und erbrachte Leistungen an D und verlangte daraufhin von den Beklagten klageweise Rückerstattung der von ihr erbrachten Leistungen infolge des Arbeitsunfalls.

Das Landgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht bejahte den Regressanspruch der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) als Gesamtschuldnerin neben den Beklagten zu 3) und 5). Zur Begründung führte das Berufungsgericht aus, der Klägerin stehe ein Anspruch des D. auf Aufwendungsersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. den Grundsätzen des Vertrages zugunsten Dritter aus übergegangenem Recht gem. § 116 Abs. 1 S. 1 SGB X zu. Die Beklagte zu 5) habe das Gerüst nicht mit Fangnetzen oder Fanggittern ausgestattet und dadurch ihre Vertragspflichten verletzt. Diese Pflichtverletzung sei der Beklagten zu 1) gem. § 278 BGB zuzurechnen.

Die Beklagte zu 1) hafte der Klägerin gem. § 110 Abs. 1 SGB VII. Sie sei als Arbeitgeberin des D. gem. § 104 Abs. 1 SGB VII haftungsprivilegiert und handelte grob fahrlässig, da sie sich das Verhalten der Beklagten zu 5) gem. § 278 BGB zurechnen lassen müsse. Dass entgegen der Sicherheitsvorschriften gänzlich von den Sicherheitsvorkehrungen abgesehen wurde, rechtfertige den Schluss auf ein subjektives gesteigertes Verschulden, welches zu dem objektiv groben Verstoß gegen elementare Sicherungsvorkehrungen hinzukomme.

Mit dieser Entscheidung konnte man nicht einverstanden sein. Mit der Revision verfolgt die Beklagte zu 1) ihr Begehren, die Klage abzuweisen.

 

Entscheidung

Der BGH hebt das Urteil des Revisionsgerichts, soweit es zum Nachteil der Beklagten zu 1) beschieden wurde, auf. Der geltend gemachte Anspruch scheide – so der BGH – gem. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII aus, nach dem Unternehmen den Versicherungen, die für ihre Unternehmen tätig sind oder zu ihren Unternehmen in einer sonstigen die Versicherung begründenden Beziehung stehen, die den Versicherungsfall verursacht haben, nur zum Ersatz verpflichtet sind, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 1 Nr. 1-4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Die Beklagte zu 1) hafte daher D. nicht, da D. mit der Beklagten zu 1) in einem Ausbildungsverhältnis stand und bei seiner betrieblichen Tätigkeit verunglückt sei. Die Beklagte zu 1) ist als Unternehmerin und Arbeitgeberin des D. gem. § 104 Abs. 1 S. 1 SGB VII privilegiert.

Ein Rückgriffsanspruch gem. § 110 Abs. 1, § 111 S. 1 SGB VII könne so auch nicht dargestellt werden. Gem. § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII haften nach §§ 104-107 SGB VII haftungsbeschränkte Personen den Sozialversicherungsträgern nur, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt haben. Nach § 111 S. 1 SGB VII haften die Vertretenen nach § 110 SGB VII jedoch, wenn ein Mitglied ihres vertretungsberechtigten Organs, Abwickler oder Liquidatoren juristischer Personen, vertretungsberechtigte Gesellschafter oder Liquidatoren einer Personengesellschaft des Handelsrechts oder gesetzliche Vertreter der Unternehmen in Ausführung ihnen zustehender Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben. Eine Haftung nach § 110, § 111 SGB VII setzt also voraus, dass ein Mitglied ihres vertretungsberechtigten Organs den Versicherungsfall in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Insofern findet nach § 111 S. 1 SGB VII eine Zurechnung des Verschuldens der vertretungsberechtigten Organe, jedoch keine Zurechnung des Verschuldens der beauftragten Nachunternehmer statt. Im Rahmen des Rückgriffsanspruchs gem. § 110 Abs. 1 SGB VII kommt keine Verschuldenszurechnung nach § 278 BGB in Betracht.

Hierfür spreche – so der BGH –  auch der Wortlaut und die Systematik der §§ 110, 111 SGB VII. Der Gesetzgeber habe die Verschuldenszurechnung in den §§ 110 ff. SGB VII bewusst ausgestaltet und keine weitergehenden Zurechnungsnormen geschaffen. Daher widerspreche es dem Willen des Gesetzgebers, weitergehende Zurechnungsnormen anzuwenden. Für diese Ansicht spreche ebenso der Zweck der Regelungen, die präventive und erzieherische Ziele verfolgen. Angeknüpft werde daher an das besonders missbilligenswerte Verhalten der durch § 104 ff. SGB VII privilegierten Begünstigten oder z.B. ihrer vertretungsberechtigten Organe.

Die Voraussetzungen des § 278 BGB liegen nach Ansicht des BGH ebenfalls nicht vor. Für eine Zurechnung nach § 278 BGB müsse ein bereits vor dem Unfall bestehendes Schuldverhältnis zwischen den Gläubiger und dem Schuldner vorliegen. Hier entstehe das Schuldverhältnis gem. § 110 ff. SGB VII jedoch erst mit Eintritt des Versicherungsfalles.

Deshalb hat der BGH das Urteil aufgehoben und die Sache in die II. Instanz zurückverwiesen. Das Berufungsgericht wird sich damit auseinander zu setzen haben, ob der Beklagte zu 2) als vertretungsberechtigtes Organ der Beklagten zu 2) den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt hat, indem er in seinen Aufgabenbereich fallende vertragliche Schutz- und Verkehrssicherungspflichten verletzt habe.

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Aussetzung nach § 108 SGB VII & Verschuldensumfang bei § 110 SGB VII

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Hamm, Urteil vom 07.09.2021, Az.: 7 U 28/20

Das OLG Hamm stellt zweierlei heraus:

1. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 108 Abs. 2 SGB VII zur Feststellung eines Versicherungsfalls bei fehlender unanfechtbarer Entscheidung des Versicherungsträgers und / oder bei fehlender Beteiligung des Unfallgegners ist nicht erforderlich, wenn eine Benachteiligung des Unfallgegners ausscheidet. Dies ist der Fall, wenn der Versicherungsträger das Vorliegen eines Versicherungsfalls angenommen und die Leistungen gegenüber der versicherten Person bereits erbracht hat, weil damit dem Unfallgegner die Haftungsprivilegierung zu Gute kommt und er nicht über den zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch hinaus in Anspruch genommen werden kann.

2. Auch wenn sich das Verschulden bzw. der Vorsatz nach dem Wortlaut des § 110 Abs. 1 S. 1 & 3 SGB VII nur auf das den Versicherungsfall verursachende Handeln oder Unterlassen bezieht, gilt diese Einschränkung nach ihrem Sinn und Zweck nur für den haftungsausfüllenden Tatbestand, während für den haftungsbegründenden Tatbestand weiter § 276 BGB gilt und sich das Verschulden auch auf den Erfolg, mithin den Eintritt jeder als Primärverletzung geltend gemachten Körper- oder Gesundheitsverletzung, beziehen muss.

Dem ist zuzustimmen: Aus dem Wortlaut des § 110 Abs.1 S.3 SGB VII wird teilweise gefolgert, zur Begründung der Haftung nach § 110 Abs.1 SGB VII bräuchte das Ver-schulden lediglich handlungsbezogen, nicht aber erfolgsbezogen sein (so etwa das BAG mit Urteil vom 15.07.2008, 8 AZR 103/02). Dies hätte jedoch zur Konsequenz, dass derjenige, welcher vorsätzlich bezüglich der Verletzungshandlung, nicht jedoch bezüglich des Verletzungserfolges handelt, zwar nicht vom Geschädigten, wohl aber vom SVT in Anspruch genommen werden könnte. Denn der Geschädigte müsste im Rahmen einer Verschuldenshaftung gem. § 276 BGB dem Schädiger Handlung- und Erfolgsunrecht beweisen. Im Gegensatz dazu würde für den Ersatzanspruch des SVT jedes an sich neutrale Verhalten des Schädigers losgelöst von dessen haftungsrechtlichen Bezug ausreichen. Deshalb ist vielmehr davon auszugehen, dass sich die Einschränkung des § 110 Abs.1 S.3 SGB VII nur auf den haftungsausfüllenden Tatbestand und somit allein auf die Schadensfolgen bezieht, während der Vorsatz bzw. das Verschulden das Wissen und Wollen des rechtswidrigen Erfolges in Form jeder als Primärverletzung geltend gemachten Körper- oder Gesundheitsverletzung umfassen muss (BGH, 15.7.2008, Az.: VI ZR 212/07; OLG Hamm, 7.9.2021, Az.: 7 U 28/20).

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Entlastungsbeweis Gabelstaplerfahrer

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Hamm, Beschluss vom 11.08.2021, Az.: 11 U 38/21

Leitsätze

An die für den Entlastungsbeweis nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderliche sorgfältige Überwachung eines angestellten Gabelstaplerfahrers sind im Interesse der Verkehrssicherheit jedenfalls dann strenge Anforderungen zu stellen, wenn dieser in seinem Aufgabenbereich auf den öffentlichen Straßenverkehr einwirken kann. Sie erfordert in der Regel fortdauernde, planmäßige, unauffällige und unerwartete Kontrollen, während der Erwerb eines sog. Staplerscheins sowie regelmäßige Schulungen allein nicht ausreichend sind.

Sachverhalt

Der zum Unfallzeitpunkt 75-jährige Kläger befuhr mit seinem Fahrrad die B. Straße von H. kommend in Richtung B.. Im dortigen Anwesen Nr. … ist die Firma der Beklagten zu 2 ansässig, bei der der Beklagte zu 1 zum Unfallzeitpunkt beschäftigt war. Vor dem Firmengebäude befindet sich eine Fläche, die zum Parken benutzt wird, daneben die Einfahrt zu dem dahinter gelegenen Betriebshof der Beklagten zu 2. Hieran schließt sich ein ca. 160 cm breiter asphaltierter Gehweg an, der zur Straße hin durch eine weitere ca. 276 cm breite, mit Verbundsteinen belegte, von Bäumen unterbrochene Fläche begrenzt wird. Der Beklagte zu 1 hatte einen im Eigentum der Beklagten zu 2 stehenden Gabelstapler auf der Parkfläche vor dem Firmengebäude abgestellt, da er gemeinsam mit den Zeugen L. und S. einen auf der Straße stehenden Lkw entladen wollte. Er entfernte sich nach dem Abstellen des Gabelstaplers und vor Beginn des Abladevorgangs zunächst wieder auf den dahinter gelegenen Betriebshof der Beklagten zu 2. In Höhe des Firmengeländes kam der Kläger, der zuvor mit seinem Fahrrad von der Fahrbahn auf den Gehweg gewechselt war, zu Fall. Bei dem Sturz überschlug er sich, wobei er aufgrund der von ihm benutzten Klickpedale seine Füße während des Sturzes nicht aus den Pedalen lösen konnte. Hierbei erlitt er eine Fraktur des fünften Halswirbels, eine Nasenbeinfraktur, ein Schädelhirntrauma ersten Grades sowie diverse Platzwunden. Er wurde am 8.5.2018 operiert und befand sich bis zum 16.5.2018 in stationärer Behandlung.
Der streitgegenständliche Gabelstapler kann baubedingt eine Geschwindigkeit von 20 km/h nicht überschreiten.

Entscheidung

Entgegen der Auffassung des Landgerichts bejaht das OLG zunächst eine schuldhafte und haftungsbegründende Verletzung der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht. Zu lasten des Klägers wirkte es sich jedoch anspruchsmindernd aus, dass dieser verbotswidrig mit seinem Fahrrad den Gehweg befahren hat. Bei einer Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensbeiträge urteilte der Senat, dass der grobe Sorgfaltsverstoß des Beklagten zu 1 mindestens genauso schwer wiegt wie das verkehrsordnungswidrige Verhalten des Klägers.

Den der Beklagte zu 2 obliegenden Entlastungsbeweis nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB sieht es hingegen nicht als geführt: Zwar sei nicht ersichtlich, dass sie bei der Auswahl des Beklagten zu 1 die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht beachtet hätte. Insbesondere stehe außer Streit, dass der Beklagte zu 1 den erforderlichen sog. Staplerschein erworben hatte. Die Beklagte zu 2 habe jedoch nicht dargelegt, dass sie den Beklagten zu 1 mit der erforderlichen Sorgfalt überwacht hat. An den Nachweis einer ausreichenden Überwachung eines angestellten Kraftfahrers sind im Interesse der Verkehrssicherheit strenge Anforderungen zu stellen. Eine sorgfältige Überwachung erfordert fortdauernde, planmäßige, unauffällige und unerwartete Kontrollen, deren Intensität vom Gefahrenpotential sowie von der vorherigen Vergewisserung über die Eignung des Verrichtungsgehilfen abhängen, während z.B. Schulungen alleine nicht ausreichend sind. In der Rechtsprechung wird vertreten, dass demgegenüber dem Geschäftsherrn bei einem ausschließlich im Werksverkehr eingesetzten Gabelstaplerfahrer, der eine genau umrissene Tätigkeit innerhalb eines von den Abläufen und der Örtlichkeit her überschaubaren Betriebs durchführt, gesonderte Beobachtungs- und Überwachungsmaßnahmen nicht abverlangt werden könnten (OLG Düsseldorf, Urteil vom 2.7.2001 – 1 U 113/00, juris Rn. 85). Ob dieser Auffassung für den vorliegenden Fall zu folgen ist, bedurfte jedoch keiner Entscheidung, denn die hierfür darlegungsbelastete Beklagte zu 2 hatte nicht dargelegt, dass dem Beklagten zu 1 ein solch eng umrissener Tätigkeitsbereich oblegen habe. Die Beklagte zu 2 hatte in diesem Zusammenhang lediglich ausgeführt, dass sie den Beklagten zu 1 einmal im Jahr an von ihr organisierten Schulungen für das Staplerfahren teilnehmen lasse und der Beklagte zu 1 über den Gabelstaplerführerschein. Nichts dazu vorgetragen hat sie indes, ob sie die erforderlichen fortdauernden, planmäßigen und unauffälligen sowie unerwarteten Kontrollen der Tätigkeit des Beklagten zu 1 durchgeführt hat.

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Verjährungsunterbrechung durch Zahlungen

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Frankfurt, Beschluss vom 14. April 2021, Az.: 22 U 15/21

Leitsätze

Darin, dass ein Schädiger Einzelansprüche eines Geschädigten erfüllt, liegt eine Leistung auf den Gesamtanspruch, durch die dessen Verjährung unterbrochen neu begonnen wird, denn über den Einzelansprüchen steht der Gesamtanspruch, aus dem diese fließen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ausschließlich Ersatzansprüche für einen Personenschaden in Betracht kommen.

Sachverhalt

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung rückständiger Pflegeversicherungsbeiträge für die Jahre 2009 bis 2014 in Anspruch, für die die Beklagte dem Grunde nach unstrittig gemäß §§ 7 StVG, 115 VVG einstandspflichtig ist. Die Beklagte beruft sich auf Verjährung. Außerdem hat die Klägerin von der Beklagten die Feststellung der Ersatzpflicht dem Grunde nach verfangt. Insoweit hat die -Beklagte modifiziert ein Anerkenntnis abgegeben. Durch das Teilanerkenntnis- und Schlussurteil vom 26.11.2020 hat das Landgericht insgesamt, hinsichtlich der Feststellung über das Anerkenntnis hinaus, der Klage stattgegeben. Es hat zur Begründung ausgeführt, dass die Einrede der Verjährung nicht durchgreife, weil die Beklagte durch die zwischenzeitlich vorbehaltslos erfolgten Zahlungen auf andere Pflegeleistungen der Klägerin die Schadensersatzverpflichtung anerkannt habe, was regelmäßig zu einem Neubeginn der Verjährungsfrist führe.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten, mit der diese sich gegen die Verurteilung zur Zahlung insgesamt und im Übrigen auch gegen die weitergehende Formulierung des Feststellungstenors wendet.

Entscheidung

Ein tatsächliches Anerkenntnis ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Schädiger oder der auch insoweit für ihn handelnde Haftpflichtversicherer dem Geschädigte bzw. dessen Rechtsnachfolger auf dessen Verlangen Schadensersatzleistungen erbringt. Da der gesamte aus einer unerlaubten Handlung entstehende Schaden eine Einheit darstellt, jedenfalls soweit es sich um Personenschäden handelt, liegt ein den Anspruch auf Ersatz dieses Schadens insgesamt umfassendes Anerkenntnis regelmäßig auch dann vor, wenn sich der Schaden aus mehreren Schadensarten (z.B. Heilungskosten, Erwerbsschaden, Mehrbedarf) zusammensetzt, der Geschädigte bzw. sein Rechtsnachfolger nur einzelne dieser Schadensteile geltend macht und der Schädiger allein hierauf zahlt. Hierdurch erweckt nämlich der Schädiger grundsätzlich das Vertrauen, auch auf die anderen Schadensgruppen, soweit sie geltend gemacht werden, Ersatz leisten zu wollen.

Ein Teilanerkenntnis unterbricht hingegen nur die Verjährung der Forderungsteile, auf die es sich bezieht. Ob ein solches Teilanerkenntnis vorliegt, ist allerdings Auslegungsfrage. Die Verjährungsfrist für die gesamte Forderung, also für das Stammrecht und die wiederkehrenden Leistungen, beginnt neu, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass die Ersatzpflicht dem Grunde nach voll anerkannt wird. Bei der vorbehaltlosen Erfüllung von Einzelansprüchen ist dies, regelmäßig der Fall.

Für die Praxis:

Leistet ein Haftpflichtversicherer ohne Vorbehalte etwa auch nur Vorschüsse auf den Gesamtschaden, ist damit die Verjährung des ganzen Anspruchs unterbrochen. Leistet der Versicherer ausdrücklich nur auf einzelne Schadenspositionen, muss er auf eine darauf beschränkte Verjährungsunterbrechung klar und deutlich hinweisen, da die bloße Benennung einzelner Schadenspositionen etwa in einem Abrechnungsschreiben nicht genügen dürfte, um in der Zahlung auf einzelne Positionen oder Schadensteile ein Teilanerkenntnis zu erkennen, auf dessen Teil dann auch die Unterbrechung beschränkt ist. So auch, wenn zwar ohne Eingrenzung auf den Gesamtanspruch gezahlt wird, jedoch nur nach einer bestimmten ausdrücklich akzeptierten Haftungsquote. In diesem Fall beschränkt sich das Anerkenntnis zwar nicht auf Einzelpositionen, wohl aber auf die anerkennte Quote betreffend jeder in Frage kommenden Einzelposition. IM Übrigen läuft die Verjährung weiter. Liegt eine Unterbrechung bzw. ein Anerkenntnis vor, gilt dies auch für regelmäßig wiederkehrende Leistungen, allerdings nur im Umfang der regelmäßigen Verjährung von 3 Jahren. Auf § 197 Abs. 2 BGB kommt es insoweit nicht an, der erst greift, wenn einer der dort genannten Fälle vorliegt oder die Parteien eine Gleichsetzung vereinbaren. Ein Anerkenntnis nach § 212 BGB wird in § 197 BGB gerade nicht erwähnt. Die bloße Zahlung ohne einen Zusatz einer allgemeinen Verpflichtung des Schuldners, man erkenne die Ansprüche an mit Wirkung eines titelersetzenden Anerkenntnisses an, kann nicht gleichgesetzt werden.

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Haftungsprivileg und Wie-Beschäftigung

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

LSG NRW, Urteil vom 23.11.2020, Az.: L 17 U 811/17

Leitsätze

1. Ausschlaggebend für die Annahme einer Wie-Beschäftigung ist, ob die Tätigkeit wie von einem Beschäftigten erbracht wurde. Dabei ist entscheidend, dass der Betreffende mit seiner Tätigkeit wesentlich eigenen Angelegenheiten nicht dienen wollte.

2. Liegen deutlich mehr Merkmale vor, die für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung sprechen als solche, welche für die Annahme einer selbständigen/unternehmerischen Tätigkeit sprechen, so ist das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung anzunehmen.

3. Dass die Tätigkeit des Klägers üblicherweise von abhängig Beschäftigten verrichtet werden muss, um eine abhängige Beschäftigung darstellen zu können, ist zur Überzeugung des Senats bereits kein taugliches Abgrenzungskriterium zur unternehmerähnlichen Tätigkeit. Denn in Anbetracht der vielfachen Gestaltungen der Arbeitswelt und der Ökonomisierung aller Lebensbereiche sind zunächst kaum noch Tätigkeiten denkbar, die nicht auch von abhängig Beschäftigten verrichtet werden könnten.

4. Bei Bestehen einer Bekanntschaft ist letztlich maßgebend, ob die Tätigkeit des Verunglückten über das hinausging, was allgemein im Rahmen der bestehenden Beziehung erwartet werden konnte.

Sachverhalt

Einige Wochen vor dem Unfall lernte der Kläger im Rahmen einer zufälligen Begegnung den B kennen, welcher sich ebenfalls für eine Ausbildung im Baugewerbe interessierte. Im Handwerks-Bildungs-Zentrum C (HBZ) traf man sich im Rahmen des Blockunterrichts wieder. Da der Kläger im Gegensatz zu B über ein Kraftfahrzeug verfügte, bildete man eine Fahrgemeinschaft, bei welcher der Kläger den B auf dem Hin- und Rückweg mitnahm, d.h. zu Hause – B wohnte in einem Jugendwohnheim – abholte und dort wieder nach Beendigung des Unterrichts absetzte. Im Unfallzeitpunkt waren der Kläger und B seit ca. sechs Wochen miteinander bekannt und hatten eine Fahrgemeinschaft gebildet. An diesem Tag hatte der Kläger ausnahmsweise den B nicht an dessen Wohnung zur Verbringung ins HBZ abgeholt, vielmehr war dieser selbst dort hingelangt. Die Ausbildung begann im HBZ um 7:30 Uhr. Da B Handwerkszeug zu Hause vergessen hatte, fragte er den Kläger, ob der ihn in der Frühstückspause mit dessen Kraftfahrzeug nach Hause verbringen könnte, damit er, B, dort sein Werkzeug holen könne. Den Angaben des Klägers in einem späteren staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren zufolge lehnte er dieses Ansinnen zunächst ab, wurde dann aber auf wiederholtes Bitten des B „weich‟, so dass man zu Beginn der Frühstückspause mit dem Pkw des Klägers zur Wohnung des B aufbrach. Auf dem Weg dorthin kam der Kläger als Fahrer seines Kraftfahrzeuges von der Straße ab und prallte gegen einen Baum. Er erlitt hierbei schwere Verletzungen im Sinne eines Bauchtraumas mit Leberriss, beidseitige Oberschenkelfrakturen, einen rechtsseitigen Schienbeinkopfbruch und Brüche der rechten Mittelfußknochen. Sein Beifahrer B verunglückte tödlich.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Feststellung des Ereignisses als Arbeitsunfall.

Entscheidung

Das LSG NRW bejaht eine Wie-Beschäftigung des Klägers gem. § 2 Abs. 2 SGB VII im Unternehmen „Ausbildung‟ des B:

Bei der unfallbringenden Fahrt haben zunächst beim Kläger die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung diejenigen einer unternehmerischen/selbständigen Tätigkeit überwogen. Der Kläger ist bei der Fahrt zur Unterkunft des B fremdnützig für das Unternehmen des B tätig geworden ist. Beim unterstützten Unternehmen muss es sich nicht um einen Gewerbebetrieb handeln, sondern es genügt, für eine Privatperson „wie ein Beschäftigter‟ tätig zu werden. Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Der Kläger wollte es dem B ermöglichen, von ihm für die Fortsetzung seiner Ausbildung an diesem Tage im HBZ für erforderlich gehaltenes Werkzeug von zu Hause zu holen, was B mangels eigenen Kfz nicht vermocht hätte. Insoweit ist die Dauer der Tätigkeit unerheblich, jedoch muss sie über „wenige Augenblicke‟ hinausgehen und darf nicht bloß „im Vorübergehen‟ erledigt worden sein, was bei einer etwa halbstündigen Autofahrt nicht anzunehmen ist.

An der Ernstlichkeit dieser Tätigkeit des Klägers hat der Senat keine Zweifel. Sie hatte auch einen wirtschaftlichen Wert. Insoweit reicht es aus, wenn der Tätigkeit ein, wenn auch noch so geringer, wirtschaftlicher Nutzen zukommt, wobei dieser selbst bei Tätigkeiten aus ideellen Gründen vorhanden sein kann

Der Annahme eines Überwiegens der Merkmale einer abhängigen Beschäftigung des Klägers im Verhältnis zu B steht auch nicht entgegen, dass der Kläger von B während der unfallbringenden Fahrt weder persönlich noch wirtschaftlich abhängig war. Denn das Bestehen eines solchen Abhängigkeitsverhältnisses ist unerheblich. Hierbei spricht es für ein Überwiegen der Merkmale einer abhängigen Beschäftigung im Rahmen einer „Wie-Beschäftigung‟, wenn die in Betracht kommende Person auch als Arbeitnehmer hätte beschäftigt werden können. Bei der Verrichtung eines Fahrdienstes eines Ausbildungskollegen im Interesse des anderen bestehen hieran keine Zweifel. Wesentlich eigenen Angelegenheiten wollte der Kläger aber gerade nicht dienen, als er den B während der Frühstückspause nach Hause gefahren hat, damit dieser dort vergessenes Werkzeug holen konnte. Vielmehr diente die Fahrt im Pkw des Klägers zur Wohnung des B eben allein dazu, dem B dieses zu seinen Ausbildungszwecken ermöglichen und damit gerade allein den Interessen des B. Auch konnte der Kläger Zeit und Ausführung der Fahrt nicht selbst bestimmen, was ein weiteres Merkmal einer abhängigen Beschäftigung ist. Vielmehr konnte diese Fahrt nur während der Frühstückspause und „auf schnellstem Wege‟ zur Unterkunft des B erfolgen, damit nach der Frühstückspause keine Ausbildungsinhalte verpasst wurden, was im Übrigen gerade auch für den Kläger, der nach eigenen Angaben seinerzeit neun Tage vor seiner Gesellenprüfung stand, von großer Bedeutung war. Insbesondere war der Kläger als Mitglied einer einseitigen, weil der B über kein Kfz verfügte, Fahrgemeinschaft zum Zeitpunkt der unfallbringenden Fahrt nicht deren Mitunternehmer. Dass die Tätigkeit des Klägers üblicherweise von abhängig Beschäftigten verrichtet werden muss, um eine abhängige Beschäftigung darstellen zu können, ist zur Überzeugung des Senats bereits kein taugliches Abgrenzungskriterium zur unternehmerähnlichen Tätigkeit. Denn in Anbetracht der vielfachen Gestaltungen der Arbeitswelt und der Ökonomisierung aller Lebensbereiche sind zunächst kaum noch Tätigkeiten denkbar, die nicht auch von abhängig Beschäftigten verrichtet werden könnten

Zwischen dem Kläger und B bestand auch keine Sonderbeziehung, die der wesentliche Grund für die Handlung war. Insbesondere handelte es sich bei der unfallbringenden Fahrt nicht um eine rechtlich als Gefälligkeitsleistung des Klägers für B. Im Wesentlichen enge Beziehungen, die einerseits das Handlungsmotiv bilden und andererseits der gesamten Verrichtung das Gepräge geben, können den Versicherungsschutz als „Wie-Beschäftigter‟ ausschließen. Solche engen Beziehungen bestanden zwischen dem Kläger und dem B schon nicht. Vielmehr handelte es sich um eine ganz lose Bekanntschaft, die im Wesentlichen im Rahmen der seinerzeit seit ca. sechs Wochen bestehenden einseitigen Fahrgemeinschaft gelebt wurden. Freundschaftliche private Kontakte bestanden hingegen gerade nicht. Maßgebend ist letztlich, ob die Tätigkeit des Klägers im Unfallzeitpunkt über das hinausging, was allgemein im Rahmen der zu B bestehenden Beziehung von diesem gegenüber dem Kläger erwartet werden konnte. Hierüber ging die Tätigkeit des Klägers deutlich hinaus. Auch die Gesamtabwägung ergibt, dass die Voraussetzungen einer versicherten „Wie-Beschäftigung‟ des Klägers im Unfallzeitpunkt vorlagen. Dabei ist zu beachten, dass sich die auf den beiden vorherigen Prüfungsstufen gewonnenen Ergebnisse gegenseitig „vergleichbar einem System kommunizierender Röhren‟ beeinflussen. Je geringer etwa die Ähnlichkeit mit einem Typus der Beschäftigung im ersten Prüfungsschritt ausgeprägt ist, umso mehr kann dann auch das Bestehen einer Sonderbeziehung auf Stufe zwei der Prüfung das Vorliegen einer „Wie-Beschäftigung‟ in Frage stellen. Je intensiver hingegen dort das Maß an Beschäftigtenähnlichkeit ist, umso schwerer kann das Bestehen einer Sonderbeziehung eine „Wie-Beschäftigung‟ in Frage stellen. Danach ist das Vorliegen einer „Wie-Beschäftigung‟ nicht in Frage zu stellen, sondern auch die Gesamtabwägung spricht dafür, dass der Kläger im Unfallzeitpunkt als „Wie-Beschäftigter‟ gesetzlich unfallversichert war. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Merkmale einer abhängigen Beschäftigung diejenigen einer selbständigen/ unternehmerähnlichen Tätigkeit deutlich überwiegen.

Anmerkung

War der Kläger hier ein Wie-Beschäftigter des B, könnte er sich – wenn B nicht verstorben wäre – auf das Haftungsprivileg des § 105 Abs.1 und 2 SGB VII berufen.

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Regress des Dienstherrn: Bindungswirkung „Dienstunfähigkeit‟

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

BGH, 16.03.2021, Az.: VI ZR 773/20

Leitsätze

Der Umfang der Bindungswirkung eines Verwaltungsaktes wird von dessen Regelungsinhalt bestimmt und durch diesen begrenzt. Der Regelungsinhalt der Versetzung eines unfallverletzten Beamten in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit erstreckt sich nicht auf die Frage, ob und für welchen Zeitraum die Dienstunfähigkeit eine adäquate Folge des Unfalls

Sachverhalt

Die klagende Gemeinde macht als Dienstherrin des durch einen Dienstunfall geschädigten Beamten G. Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht gegen den Beklagten geltend. Am 2. August 2010 kam es zwischen dem als Ordnungsbeamten eingesetzten G. und dem alkoholisierten Beklagten zu einer Auseinandersetzung, im Rahmen derer G. nach hinten auf den Boden fiel. G. war in der Zeit vom 3. August 2010 bis zum 31. März 2012 krankheitsbedingt nicht im Dienst. In diesem Zeitraum zahlte die Klägerin Bezüge in Höhe von 65.915,68 € an G. Mit Bescheid vom 1. März 2012 wurde G. mit Wirkung zum 1. April 2012 in den Ruhestand versetzt; ab diesem Zeitpunkt wurde die Zahlung der Bezüge von der Rheinischen Versorgungskasse (RVK) übernommen. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts Trier vom 30. September 2014 wurde G. ab dem 1. April 2012 ein erhöhtes Unfallruhegehalt nach § 37 Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) gewährt, da G. aufgrund des Dienstunfalls dauernd dienstunfähig und bei Versetzung in den Ruhestand infolge des Dienstunfalls in der Erwerbsfähigkeit um mindestens 50 % beschränkt gewesen sei.

Mit der Behauptung, dass der Beklagte den Beamten G. bei der Auseinandersetzung geschlagen habe, weshalb dieser körperliche und psychische Folgeschäden erlitten habe, die zur Dienstunfähigkeit sowie zur Versetzung in den Ruhestand geführt hätten, hat die Klägerin im Wege der Leistungsklage von dem Beklagten Ersatz der von ihr an G. gezahlten Bezüge in Höhe von 65.915,68 €. Der Beklagte hat behauptet, dass G. nicht aufgrund des Vorfalls vom 2. August 2010 dienstunfähig geworden sei, sondern seinen Dienst nicht mehr habe verrichten wollen.

Entscheidung

Nach der Rechtsprechung des BGH kommt die Nachprüfung von Verwaltungsakten den ordentlichen Gerichten grundsätzlich nicht zu. So hat der BGH etwa entschieden, dass die ordentlichen Gerichte an die Anerkennung eines Unfalls als Dienstunfall durch eine Verwaltungsbehörde bei der Entscheidung darüber, ob ein Schadensersatzanspruch durch § 46 BeamtVG ausgeschlossen ist, gebunden sind, selbst wenn es an einer ausdrücklichen Bestimmung zur Bindungswirkung fehlt. Der Umfang der Bindungswirkung eines bestandskräftigen Verwaltungsakts wird aber von dessen Regelungsinhalt bestimmt und durch diesen begrenzt. Nur mit der in ihm verbindlich mit Wirkung nach außen getroffenen Regelung kommt dem Verwaltungsakt die sog. Tatbestandswirkung zu.

Handelt es sich bei dem Verwaltungsakt um die Versetzung eines unfallverletzten Beamten in den Ruhestand wegen dauernder Dienstunfähigkeit, so erstreckt sich sein Regelungsinhalt nach ständiger Rechtsprechung des Senats nicht auf die Frage, ob die Zurruhesetzung adäquate Folge des Unfalls ist; diese Frage unterliegt – anders als etwa die Frage, ob die Zurruhesetzung von der Verwaltungsbehörde zu Recht ausgesprochen wurde – daher der selbständigen Prüfung durch die ordentlichen Gerichte, die über den auf den Dienstherrn übergegangenen Schadensersatzanspruch des dienstunfähigen Beamten zu entscheiden haben. Ebenso wenig regelt die Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit, ob und für welchen Zeitraum die Dienstunfähigkeit des Beamten (als Voraussetzung für die Zurruhesetzung) eine adäquate Folge des Unfalls ist.

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Fortgeltung von Teilungsabkommen nach Zuständigkeitswechsel des SVT

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

LG Köln, 14.08.2020, Az.: 7 O 286/19

Leitsätze

Bei einem Wechsel der sozialversicherungsrechtlichen Zuständigkeit gehen die Ersatzansprüche kraft Gesetzes auf den nun zuständigen Sozialversicherungsträger über, sofern die geschuldeten Versicherungsleistungen gleichartig sind. Dabei erlangt der nachfolgende Sozialversicherungsträger die Forderungen in dem Zustand, in dem sie sich bei Rechtsübergang befinden. Der „neue‟ Sozialversicherungsträger muss sich gemäß § 404 BGB grundsätzlich alle Einwendungen entgegenhalten lassen, die der Schuldner gegenüber seinem Vorgänger hätte erheben können. Dies auch aus einem Teilungsabkommen zwischen Haftpflichtversicherer und dem altem Sozialversicherungsträger, selbst wenn der Haftpflichtversicherer zum neuen Sozialversicherungsträger kein entsprechendes Teilungsabkommen unterhält.

Sachverhalt

Die klagende BG A ist Rechtsnachfolgerin der BG B. Zwischen B und dem beklagte Haftpflichtversicherer H bestand ein Teilungsabkommen, zwischen A und H indes nicht. Als A von B übergegangene Leistungen nach § 116 Abs. 1 SGB X gegen H regressieren will, wendet H ein, diese seien wegen besagten Teilungsabkommens ausgeschlossen. A ist der Ansicht, dass das zwischen der Beklagten und B geschlossene Teilungsabkommen, welches einen Ersatz des geltend gemachten Ersatzanspruches ausschließt, vorliegend zwischen den Parteien nicht anwendbar sei. Aufgrund der Relativität der Schuldverhältnisse gelte das Teilungsabkommen als Rahmenvertrag lediglich zwischen dem Haftungsversicherer und der Berufsgenossenschaft, mit der dieses Teilungsabkommen ursprünglich geschlossen wurde. Geht der Anspruch aufgrund eines Wechsels der Zuständigkeit der Berufsgenossenschaft gemäß § 116 Abs. 1 SGB X analog auf eine andere Berufsgenossenschaft über, so gelte das Teilungsabkommen im Rechtsverhältnis zwischen der neuen Berufsgenossenschaft und der Haftpflichtversicherung nicht mehr.

Entscheidung

Dem widerspricht das LG Köln: Zwar sei der Klägerseite zuzustimmen, dass Vereinbarungen wie ein Teilungsabkommen grundsätzlich im vertraglichen Kontext aufgrund der Relativität der Schuldverhältnisse lediglich inter partes wirken würden. Bei einem gesetzlichen ebenso wie einem gewillkürten Forderungsübergang im Falle der Abtretung hafteten der einzelnen Forderung jedoch alle diesbezüglich getroffenen Vereinbarungen zwischen dem alten Gläubiger und dem Schuldner an, da der Zessionar die Forderung im Zustand zum Zeitpunkt des Forderungsübergangs derart übernehme, wie er sie vorfinde (BGH, Urteil vom 01.07.2014, VI ZR 391/13). Das Teilungsabkommen stelle auch keinen Rahmenvertrag dar, der vollkommen losgelöst von der einzelnen Forderung ausschließlich bei einer Abwicklung der Ansprüche zwischen den ursprünglichen Vertragspartnern bzw. deren Gesamtrechtsnachfolgern Wirkung entfalten solle. Vielmehr stelle das Teilungsabkommen in Bezug auf die einzelne Forderung einen Erlassvertrag in Bezug auf einen bestimmten prozentualen Anteil dar. Fälle der Neuzuordnung eines Betriebes zu einer anderen Berufsgenossenschaft könnten nicht zulasten des Haftpflichtversicherers gehen. Würde der Anspruch mangels Anwendbarkeit des zwischen der ehemaligen Berufsgenossenschaft und der Schuldnerin vereinbarten Teilungsabkommens wieder in voller Höhe bestehen, die neue Berufsgenossenschaft jedoch gleichzeitig von der Hemmung der Verjährung nach § 212 durch Zahlungen der Haftpflichtversicherung auf die Forderung an die ehemalige Berufsgenossenschaft profitieren, so würde die Haftpflichtversicherung unangemessen benachteiligt, da die Klägerseite sich einerseits auf die Kontinuität der Vertragsbeziehung für verjährungshemmende Eigenschaften stützen könnte, jedoch andererseits die Forderung in dem Zustand ihrer Entstehung erhalten würde.

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Unfall bei einem Sammeltransport

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

Saarländisches Oberlandesgericht, Urteil vom 03. Dezember 2020, 4 U 3/20

Leitsätze

  1. Die Bedingungswirkung für die Zivilgerichte nach § 108 Abs. 1 SGB VII erstreckt sich nicht auf die Frage, ob ein Arbeitsunfall nach § 8 Abs. 1 SGB VII oder ein Wegeunfall nach § 8 Abs. 2 SGB VII vorliegt.
  2. Das Vorliegen einer Betriebsfahrt im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Fahrer die auf kürzestem Weg zu nehmende Ausfahrt einer Bundesautobahn verpasst.
  3. Im Einzelfall kann grobe Fahrlässigkeit zu verneinen sein, wenn der Fahrer eines Pkw nach Überholen mindestens eines anderen Kraftfahrzeugs auf der Bundesautobahn unmittelbar von der linken Fahrspur auf die Verzögerungsspur der Ausfahrt fährt und dort in der Kurve die Gewalt über den Pkw verliert.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine Berufsgenossenschaft, verfolgt gegen die Beklagten  Schadensersatzansprüche .

Bei einem Sammeltransport von einer auswärtigen Baustelle zurück zum Firmensitz ereignete sich am 13.09.2013 auf einer Autobahnabfahrt ein Unfall, als der Beklagte zu 1) zum Absetzen eines Arbeitskollegen die Autobahn verlassen wollte. Nachdem der Beklagte zu 1) noch ein Fahrzeug überholte, fuhr er von der linken Spur auf die Abfahrt. Er bremste, verlor in der folgenden Kurve jedoch die Kontrolle über den Pkw, der sich überschlug. Es kam zu schweren Personenschäden.

Die Insassen waren Angestellte der Fahrzeughalterin. Der Wagen war von ihr für die Sammelfahrt zur Verfügung gestellt worden.

Der Beklagte zu 2) ist der Haftpflichtversicherer des Fahrzeugs.

Die Klägerin erbrachte im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung Leistungen für die verletzten Versicherten und nimmt nun den Fahrer sowie den Kfz-Haftpflichtversicherer auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass sich der Unfall nicht auf einem Betriebsweg ereignet habe, weil durch das beabsichtigte Absetzen des Kollegen von den betrieblichen Vorgaben des Arbeitgebers abgewichen worden wäre. Diese hätten darin bestanden, zum Firmensitz zu fahren. Demnach hätte sich der Verkehrsunfall nicht auf dem Betriebsweg i.S.d. § 8 Abs. 1 SGB VII ereignet, so dass die Haftungsprivilegien nach §§ 104, 105 SGB VII nicht einschlägig seien. Darüber hinaus habe der Beklagte zu 1) den Unfall grob fahrlässig verursacht. Einerseits läge grobe Fahrlässigkeit in  seinem riskanten und leichtfertigen Fahrverhalten. Außerdem sei der Fahrer alkoholisiert (0,27 Promille) gewesen.  Das begründe Ansprüche aus § 110 Abs. 1 SGB VII.

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen. Der Unfallversicherer hat das Urteil mit der Berufung angefochten.


Entscheidung

Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen.

Die Beklagten haften einerseits wegen der Haftungsbeschränkung aus §§ §§ 104, 105 SGB VII und andererseits wegen des fehlenden Nachweises der (zumindest subjektiven) groben Fahrlässigkeit nicht.

Nach § 104 Abs. 1 S.1 i.V.m. § 105 Abs. 1 S.1 SGB VII sind Unternehmer und Personen, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Unfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen, nur zum Ersatz des Personenschadens verpflichtet, wenn der Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1-4 SGB VII versicherten Weg (Wegeunfall) herbeigeführt wurde.

Nach § 110 SGB VII könnten der Klägerin als Sozialversicherer zwar auch Ansprüche zustehen; das dafür erforderliche Verschulden in Form der groben Fahrlässigkeit war jedoch nach Ansicht des Oberlandesgerichts ebenfalls nicht erfüllt.

  1. Eine vorsätzliche Begehung wurde in der Berufungsinstanz nicht mehr erörtert. Es wurde auf die Entscheidung der ersten Instanz verwiesen.
  2. Bei der zum Unfall führenden Fahrt handelte es sich nach Ansicht des Oberlandesgerichts um eine (haftungsprivilegierte) Betriebsfahrt. Denn sie habe sich als Teil der innerbetrieblichen Organisation und deren Funktionsbereich dargestellt. Für die Bejahung einer solchen Betriebsfahrt würden von der Rechtsprechung keine übersteigerten Voraussetzungen verlangt.Der Arbeitgeber stellte mit dem Firmenwagen eine Heimfahrtmöglichkeit zur Verfügung und verknüpfte so die Fahrt organisatorisch mit dem Betrieb. Auch dann, wenn die Rückfahrt zum Firmensitz nicht als Arbeitszeit vergütet wurde, blieb dennoch der betriebliche Zusammenhang.

    Das Verfehlen einer Ausfahrt und die Nutzung der nächsten Möglichkeit, unterbreche den Charakter der Betriebsfahrt ebenfalls nicht. Hierbei hat das Oberlandesgericht aber bedauerlicherweise nicht zwischen den Tatsachenalternativen entschieden. Das Oberlandesgericht hat unterstellt, dass das Verpassen der ersten Ausfahrt einen Betriebsweg dargestellt hätte und der durch das Verpassen der Abfahrt bedingte Umweg ebenfalls einen Betriebsweg darstellt.

    Die Frage, ob ein ursprünglich ungeplantes Abfahren von der Autobahn ein Verlassen des Betriebsweges (zum Firmensitz) darstellt, behandelte das Oberlandesgericht bedauerlicherweise nicht.

  1. Das Oberlandesgericht verneint auch eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten

    „Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen.‟

    Die Beweislast für das Vorliegen der groben Fahrlässigkeit trifft den klagenden Unfallversicherer. Vorliegend konnte durch das Oberlandesgericht zumindest die subjektive grobe Fahrlässigkeit nicht festgestellt werden.

    a) Anknüpfungspunkt der groben Fahrlässigkeit konnte nicht das vorangegangene Fahrmanöver (Überholen vor dem Wechsel auf die Ausfahrt) sein, weil dies nicht unfallursächlich gewesen ist. Unfallursächlich sei die in der Kurve gefahrene Geschwindigkeit von 78 – 91 km/h gewesen.

    b) Zu Beginn des Ausbrechens des Fahrzeuges in der Kurve lag die Geschwindigkeit zwischen 78 km/h und 91 km/h.

    Diese Geschwindigkeit begründete vorliegend nicht den Vorwurf der subjektiven groben Fahrlässigkeit, weil der Beklagte zu 1) die Geschwindigkeitsbegrenzung nicht überschritten habe und unter den gegebenen Umständen auch nicht davon ausgehen musste, dass ein enger Kurvenabschnitt folge, in dem er bei der gefahrenen Geschwindigkeit die Kontrolle verlieren könnte.

    c) Die Blutalkoholkonzentration – ca. 90 Minuten nach dem Unfall 0,27 Promille – begründe nicht den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit, wenn kein alkoholbedingtes Fehlverhalten vorläge. Ein solches Fehlverhalten sei nicht ersichtlich, weil der Zeuge nach dem Unfall sich gewöhnlich artikulieren konnte und keine körperlichen Auffälligkeiten zeigte.

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Forderungsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X bei Personenverschiedenheit Geschädigter/Sozialversicherter

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

BGH, Urteil vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 125/20

Leitsätze

Der Wortlaut des § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X setzt lediglich eine Leistungspflicht voraus. Geht es um die Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers, knüpft diese regelmäßig an ein Sozialversicherungsverhältnis an. Für den Forderungsübergang ist es nach dem Wortlaut sowie nach Sinn und Zweck des § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X unerheblich, ob der Geschädigte an diesem beteiligt oder durch die Leistungspflicht nur begünstigt ist (hier: Forderungsübergang auf den Rentenversicherungsträger, der nach einem Verkehrsunfall auf Antrag des bei ihm versicherten Vaters Leistungen für eine sog. Kinderheilbehandlung an die durch den Unfall geschädigte, nicht rentenversicherte Tochter erbracht hat).

Sachverhalt

Der klagende Kfz-Haftpflichtversicherer macht gegen den beklagten Rentenversicherungsträger einen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung geltend. Der VN der Klägerin verletzte bei einem Verkehrsunfall im Juli 2016 die damals 14 Jahre alte Schülerin L. (Geschädigte) schwer. Die Beklagte erbrachte auf Antrag des bei ihr versicherten Vaters der Geschädigten für die nicht rentenversicherten Geschädigten Leistungen für eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme (sog. Kinderheilbehandlung). Sie forderte die Klägerin unter Berufung auf § 116 Abs. 1 SGB X auf, die Behandlungskosten zu erstatten. Die Klägerin kam dem unter Vorbehalt der Rückforderung nach. Mit der Klage hat sie Rückzahlung mit der Begründung verlangt, dass ein Forderungsübergang gemäß § 116 Abs. 1 SGB X nicht stattgefunden habe, weil die Geschädigte nicht rentenversichert sei.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben.

 

Entscheidung

Das Berufungsgerichts vertrat die Ansicht, dass zwischen dem Geschädigten und dem Inhaber bzw. Beteiligten des für den Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 SGB X erforderlichen Sozialversicherungsverhältnisses Personenidentität bestehen müsse. Es versagte demnach dem Rentenversicherungsträger den Anspruchsübergang, da Ansprüche des Vaters der Geschädigten aus der Rentenversicherung kein ausreichend verbindendes Element für den Forderungsübergang seien.

Dem widerspricht der BGH und führt aus, der Wortlaut des § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X setze lediglich eine Leistungspflicht („zu erbringen hat‟) voraus. Ginge es um die Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers, knüpfe diese regelmäßig an ein Sozialversicherungsverhältnis an. Ob der Geschädigte an diesem beteiligt oder durch die Leistungspflicht nur begünstigt sei, sei nach dem Wortlaut der Vorschrift unerheblich. Eine Personenidentität zwischen dem Schadensersatzberechtigten und dem tatsächlichen Empfänger der Sozialleistung reiche für den Forderungsübergang jedenfalls aus. § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X gebiete es hingegen nicht, den Forderungsübergang von einem Sozialversicherungsverhältnis zwischen Sozialversicherungsträger und Geschädigtem abhängig zu machen. Zweck des § 116 SGB X sei es zu vermeiden, dass der Schädiger durch die dem Geschädigten zufließenden Sozialleistungen haftungsfrei gestellt oder aber der Geschädigte doppelt entschädigt (bereichert) werde. Bereits der Wille des Gesetzgebers bei der Schaffung des § 1542 RVO sei auf eine möglichst weitgehende Entlastung des öffentlichen Versicherungsträgers gerichtet gewesen. Dieser und nicht der Schädiger solle durch die vom Gesetz getroffene Regelung geschützt werden. Grundsätzlich verdiene daher eine Gesetzesauslegung den Vorzug, die es ermögliche, den verantwortlichen Schädiger heranzuziehen, und nicht den Schädiger auf Kosten des Sozialversicherungsträgers entlaste. Eine Entlastung der Klägerin als Haftpflichtversicherer des Schädigers mit dem Argument, dass der Geschädigten die Kinderheilbehandlung aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses gewährt wurde, an dem nicht sie, sondern ihr Vater beteiligt war, wäre mit dem Zweck des § 116 SGB X nicht vereinbar.

Anmerkung

Einen vom Haftpflichtversicherer und Berufungsgericht ausgemachten Widerspruch zum Senatsurteil vom 24. April 2012 – VI ZR 329/10 – erkennt der BGH nicht. In diesem Urteil, das sich mit dem Zeitpunkt des Forderungsübergangs gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X befasst, hat der Senat die Frage behandelt, ob die Forderung auch dann schon im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses auf den Sozialversicherungsträger übergeht, wenn das Sozialversicherungsverhältnis, an das die Sozialleistung des Versicherungsträgers anknüpft, zu diesem Zeitpunkt noch nicht besteht. Er hat diese Frage verneint. Ausgangspunkt der Entscheidung ist, dass – zum Schutz des Sozialversicherungsträgers vor Verfügungen des Geschädigten – der in § 116 Abs. 1 SGB X normierte Anspruchsübergang auf einen Sozialversicherungsträger dem Grunde nach bereits im Zeitpunkt des schadenstiftenden Ereignisses stattfindet, wenn eine Leistungspflicht des Versicherungsträgers gegenüber dem Geschädigten irgendwie in Betracht kommt, also nicht völlig unwahrscheinlich ist. Bei Sozialleistungen, die aufgrund eines Sozialversicherungsverhältnisses zu erbringen sind, setzt ein Rechtsübergang zu diesem frühen Zeitpunkt allerdings voraus, dass schon zu diesem Zeitpunkt ein Versicherungsverhältnis besteht. Denn nur in einem solchem Fall ist bereits im Augenblick des schadenstiftenden Ereignisses die mögliche Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers für die Beteiligten hinreichend klar überschaubar. Bestand das Verhältnis zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht, kann der Forderungsübergang frühestens dann erfolgen, wenn es begründet wird. Bis dahin fehlt das besondere Band, das den Boden für den Forderungsübergang schafft.

Hierzu meint der BGH 2021 nun: Dass der Senat in dem Urteil vom 24. April 2012 für den Zeitpunkt des Forderungsübergangs auf das Bestehen eines Sozialversicherungsverhältnisses zwischen dem dort klagenden Rentenversicherungsträger und der dortigen Geschädigten abgestellt habe, sei allein dem Umstand geschuldet, dass es dort – wie in solchen Fällen typisch – um den Forderungsübergang wegen Sozialleistungen des dortigen Rentenversicherungsträgers ging, die aus eben diesem (erst Jahre nach dem Unfall begründeten) Versicherungsverhältnis mit der Geschädigten zu erbringen waren. Der Senat habe 2012 lediglich festgestellt, dass Ansprüche der Geschädigten aus einem eigenen Rentenversicherungsverhältnis keine Einheit bilden mit Ansprüchen, die zu ihren Gunsten aufgrund des Rentenversicherungsverhältnisses ihrer Mutter bestanden. Sozialleistungen aufgrund des Rentenversicherungsverhältnisses mit der Mutter konnten daher auch nicht als Grundlage dienen für den Forderungsübergang im Hinblick auf Leistungen, die aufgrund des (erst später begründeten) Rentenversicherungsverhältnisses mit der Geschädigten zu erbringen waren. Es ist nach alledem danach zu differenzieren, im Hinblick auf welche Sozialleistungen aus welchem Sozialversicherungsverhältnis der Forderungsübergang geltend gemacht werde.

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