Übersehen eines Glaukoms („Grüner Star‟)

OLG Hamm, Urteil vom 15.1.2016 — Aktenzeichen: 26 U 48/14

Leitsatz
Wird bei einem Patienten ein Glaukom (Grüner Star) festgestellt, hat der Augenarzt eine Operation als Behandlungsmöglichkeit zu erörtern. Unterbleibt die Indikationsstellung zur Operation, kann das als grober Behandlungsfehler zu bewerten sein.

Sachverhalt
Der Kläger nimmt den Beklagten wegen einer vermeintlich fehlerhaften augenärztlichen Behandlung in der Zeit von 1998 bis 2006 in Anspruch. Der Kläger befand sich seit dem Jahr 1989 in augenärztlicher Behandlung des Beklagten. Der Beklagte stellte 1998 eine „okuläre Hypertension“ für das rechte Auge fest. Er verordnete dem Kläger Augentropfen. Er schloss ein Glaukom beidseitig aus. Eine weitere Untersuchung des rechten Sehnervs ergab den Befund: Papille rechts „vital randscharf; 0,5-0,6. Temporal schlüsselförmig exkaviert“. Nachdem sich in der Folgezeit wiederholt die Augeninnendruckwerte zum negativen veränderten, behandelte der Beklagte dies mit verschiedenen, immer intensiveren Medikamenten, insbesondere Augentropfen, und führte eine Augenhintergrunduntersuchung durch, wobei er einen „altersgerechten Augenhintergrund“ für beide Seiten dokumentierte. Im Anschluss daran ließ sich der Kläger ab 2006 bei Dr. F augenärztlich weiter behandeln. Am 12.1.2006 wurde der Kläger im Krankenhaus erstmalig am rechten Auge operiert. Die dauerhafte Behandlung durch das Krankenhaus endete im Juni 2007. Am 10.12.2008 wurde der Kläger erneut am rechten Auge operiert. Dabei wurde ein neuer Abflussweg für das Kammerwasser im Kammerwinkel geschaffen. Der Kläger wirft dem Beklagten eine grob fehlerhafte Behandlung vor. Dieser habe die Glaukomkrankheit des Sehnervs nicht erkannt und dementsprechend nicht ausreichend kontrolliert und versorgt. Ab Mitte des Jahres 2000 habe ein Glaukom am rechten Auge vorgelegen. Mehrere erforderliche Kontrolluntersuchungen seien unzureichend oder gar nicht durchgeführt worden. Eine Untersuchung des Augeninnendrucks reiche unabhängig von dessen Höhe niemals aus. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, da der Sachverständige zwar Diagnosefehler des Beklagten, nicht aber deren Kausalität für die eingetretenen Gesundheitsverletzungen festgestellt habe.

Entscheidung
Das OLG Hamm hat die Berufung des Klägers insoweit für begründet erachtet, als von einem schadensursächlichen Behandlungsfehler auszugehen sei.

Neben den erstinstanzlich bereits vom Sachverständigen angeführten Diagnosefehlern lägen gesonderte Befunderhebungs- und Behandlungsfehler aus dem Behandlungszeitraum 1998 — 2006 vor. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sei davon auszugehen, dass die Behandlung des Klägers nur mit Augentropfen nicht mehr ausreichte und sich infolge dessen die Nichterörterung einer Operationsmöglichkeit als grob fehlerhaft (wird näher ausgeführt) darstellte. Da damit neben den Diagnosefehlern auch grobe Behandlungsfehler vorlägen, weil der Beklagte vor allem im Rahmen einer Gesamtwürdigung der mehrjährigen augenärztlichen Behandlung gegen elementare medizinische Behandlungsstandards verstoßen habe, komme dem Kläger eine Beweiserleichterung zugute. Insoweit werde zu Lasten der Behandlerseite ein Kausalzusammenhang zwischen dem groben Behandlungsfehler und der Primärschädigung vermutet, so dass der Beklagte hafte.

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Beweissicherungsverfahren Arzthaftung

BGH, Urteil vom 10.11.2015 — Aktenzeichen: VI ZB 11/15

Sachverhalt
Die Antragstellerin begehrte im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens die Begutachtung von 11 Operationen ihres rechten Knies, wobei sie nach einem einheitlichen Muster zu jeder einzelnen Operation (angepasste) verschiedene, allgemein gehaltene Beweisfragen stellte. Das Landgericht hat den Antrag auf Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens als unzulässig zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde wurde vom Oberlandesgericht zurückgewiesen. Der BGH hat die vom Oberlandesgericht zugelassene Rechtsbeschwerde ebenfalls zurückgewiesen.

Entscheidung
Der Antrag — so der BGH — sei mangels substantiierter Bezeichnung der zu bezeichnenden Tatsachen gemäß § 487 Nr. 2 ZPO unzulässig. Auch wenn sich aus dem besonderen Charakter des selbstständigen Beweisverfahrens und dem mit ihm verfolgten Zweck, einen Rechtsstreit zu vermeiden, möglicherweise niedrigere Anforderungen an die Darlegungslast ergeben und deshalb die Angabe der Beweistatsachen in groben Zügen ausreichen solle, sei jedenfalls ein Minimum an Substantiierung in Bezug auf die Beweistatsachen zu fordern. Nur so sei der Verfahrensgegenstand zweifelsfrei abgrenzbar und der Sachverständige habe eine Grundlage für die ihm übertragene Tätigkeit. Daher seien die Beweistatsachen im Sinne von § 487 Nr. 2 ZPO jedenfalls dann nicht ausreichend bezeichnet, wenn der Antragssteller in lediglich formelhafter und pauschaler Weise Tatsachenbehauptungen aufstelle, ohne diese zu dem zugrundeliegenden Sachverhalt in Beziehung zu setzen. So verhalte es sich aber im vorliegenden Fall. So formuliere die Antragstellerin in ihrer Antragsschrift zu jeder der 11 durchgeführten Operationen jeweils wortgleiche und formelhafte, ohne Einzelfall-Bezug formulierte Beweisfragen, die jedes mögliche Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Behandlung erfassen sollten. Dies gipfele darin, dass einzelne Beweisfragen überhaupt nicht kompatibel mit der zugrundeliegenden Operation seien und sich teilweise sogar in einen Widerspruch zu dem von der Rechtsbeschwerde wiedergegebenen Vortrag der Antragstellerin setzten. Das Beschwerdegericht sei auch nicht gehalten, die in 7 Anlagebänden enthaltenen Behandlungsunterlagen darauf hin durchzusehen, ob sich ihnen ausreichende Beweistatsachen entnehmen lassen. Da die Antragstellerin nicht einmal den Versuch unternommen habe, die ihr bekannte Krankheitsgeschichte unter Zuhilfenahme der Krankenunterlagen konkret darzustellen, seien die formelhaften Behauptungen daher zur Abgrenzung des Verfahrensgegenstandes insgesamt nicht geeignet. Die insgesamt 374 Beweisfragen bezeichneten keine Beweistatsachen im Sinne von § 487 Nr. 2 ZPO, sondern zielten auf eine umfassende Überprüfung der Krankengeschichte der Antragstellerin ab, durch die der maßgebliche Sachverhalt erst ermittelt werden solle.

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Röntgenzwang bei Sturzereignis

OLG Hamm , Urteil vom 4.12.2015 — Aktenzeichen: 26 U 32/14

Sachverhalt
Die Klägerin klagte als private Krankenversicherung aus übergegangenem Recht gem. § 67 VVG a.F.

Die Versicherte der Klägerin erlitt im März 2006 einen Sturz und ließ sich dann ambulant vom Beklagten zu 2) behandeln, der nach klinischer Untersuchung, jedoch ohne Röntgenbefundung einen Knochenhautreizzustand diagnostizierte. Im Folgezeitraum führte er acht Injektionen durch.

Die Versicherte ließ sich in der Folgezeit weiter behandeln, auch im Institut für Mikrotherapie des Beklagten zu 1).

Weitere schmerzstillende Injektionen erfolgten durch den Beklagten zu 2) bei Hausbesuchen.

Die Versicherte befand sich anschließend in diversen stationären Behandlungen, in deren Verlauf sich herausstellte, dass die Versicherte mit Staphylococcus aureus infiziert war, was zu multiplen Abszessen, multiplem Organversagen und einem zeitweilig lebensgefährlichen Verlauf mit mehrfachen Operationen führte. Ferner wurde erst zu diesem Zeitpunkt festgestellt, dass bei der Versicherten schon eine länger bestehende Fraktur des Beckens bestand.

Die Klägerin warf den Beklagten vor, diese Fraktur bei der Versicherten übersehen zu haben. Sie verlangte im Klagewege Ersatz der ihr entstandenen Aufwendungen; sie berief sich auf die unzureichende Befunderhebung, die Kontraindikation der Injektionsbehandlungen und mögliche Verstöße gegen Hygieneregeln.

Das Landgericht hat der Klage in Höhe von etwa 530.000,00 Euro nebst Zinsen stattgegeben und die Verpflichtung zu weiterem Schadensersatz festgestellt.

Entscheidung
Das OLG Hamm wies die dagegen gerichteten Berufungen der Beklagten gegen das Urteil zurück.

Zwar sei ein Behandlungsfehler in Form eines Verstoßes gegen Hygienestandards nicht festzustellen; auch ein Rückschluss von dem Vorliegen einer Infektion auf einen Behandlungsfehler sei nicht zulässig.

Die Haftung des Beklagten zu 2) sei aber jedenfalls deshalb gegeben, weil er eine Injektionsbehandlung durch- und fortgeführt hat, ohne die notwendige Befundung in Richtung auf eine Fraktur durch bildgebende Verfahren durchzuführen. Nach Auffassung des OLG Hamm stellt das Unterlassen der Röntgenuntersuchung in dieser Situation einen Befunderhebungsfehler dar. Zwar hätte der Beklagte zu 2) bei seiner Erstbehandlung mangels Anhaltspunkten für ausgeprägte Schmerzen, Funktionsbeeinträchtigungen oder Behinderungen zunächst auf eine weitergehende bildgebende Diagnostik verzichten können. Dies gilt aber nicht für die daran anschließende Behandlung, da eine dauerhafte Verringerung der Beschwerden nicht eingetreten sei. Vorgenanntes gilt insbesondere deshalb, weil die Versicherte bei der Erstvorstellung auf das Sturzereignis hingewiesen hatte.

Bei der dann schließlich diagnostizierten Steißbeinfraktur waren die vorgenommenen Injektionen kontraindiziert, weshalb es zwingend erforderlich gewesen wäre, das Vorliegen einer Fraktur auszuschließen, indem eine Röntgenbefundung der LWS und des Beckens durchgeführt wird.

Die fehlende Befunderhebung wurde durch den Senat auch als grob bewertet, da der gerichtlich bestellte Sachverständige in der Anhörung vor dem Senat erläutert hatte, dass eine röntgenologische Befundung in dieser Situation absoluter Standard sei. Der Senat hielt dies für überzeugend, weil der behandelnde Arzt im Hinblick auf das Ziel der Behandlung, die Heilung des Patienten, nur dann eine ausreichende Chance zur Erreichung dieses Zieles hat, wenn er die Ursache der Beschwerden hinreichend sicher ermittele; wenn er aber grundlegende, den absoluten Standard bildende und sich deshalb für den Facharzt geradezu aufdrängende Befunderhebungsmöglichkeiten nicht ausschöpfe, weil er sich frühzeitig auf eine vermeintliche Ursache festlege, erscheint diese Vorgehensweise nicht mehr verständlich und darf einem Behandler schlechterdings nicht unterlaufen.

Infolgedessen kam der Senat zu einer Beweislastumkehr im Rahmen des Ursachenzusammenhangs hinsichtlich der erfassten Primärschäden und aller Folgeschäden, die die konkrete Ausprägung des Fehlers darstellen.

Auch die Haftung des Beklagten zu 1) wurde positiv bestätigt. Denn nach gutachterlicher Bewertung hatten dessen Mitarbeiter die Ergebnisse der MRT-Untersuchung und die nachfolgenden CT-Aufnahmen fehlerhaft ausgewertet und die noch frische Fraktur übersehen. Der Senat war daher davon überzeugt, dass nicht nur ein Diagnoseirrtum vorlag, sondern eine unvertretbare Diagnose und daher ein Diagnosefehler. Auch diese Fehlbegutachtung bewertete der Senat als grob, weil die beiden Bildgebungen so eindeutig waren, dass ihr Verkennen nicht mehr verständlich erschien.

Hinzu kam, dass auch unter der Behandlung des Beklagten zu 1) eine Injektion vorgenommen wurde, die auf Basis des Bildmaterials nicht hätte erfolgen dürfen; Infiltrationen im möglichen Hämatombereich waren kontraindiziert. Jedenfalls in der Summe seien die vorhandenen Behandlungsfehler bei der Behandlung durch den Beklagten zu 1) daher als grob zu bewerten.

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Fehlergrenze bei kosmetischen Operationen

OLG Hamm , Urteil vom 18.12.2015 — Aktenzeichen: 26 U 127/15

Sachverhalt
Die Klägerin ließ sich von dem Beklagten wegen altersbedingt erschlaffter Gesichtshaut im Hals- und Gesichtsbereich beraten. Es wurde unter Bezugnahme auf Aufklärungsbögen eine Operation geplant und über die Risiken aufgeklärt; die Klägerin unterzeichnete einen Behandlungsvertrag.

Die Klägerin war mit dem Operationsergebnis aber nicht zufrieden und beglich die Rechnung, auf die sie bereits einen Vorschuss geleistet hatte, nicht in vollständiger Höhe. Stattdessen verlangte sie vom Beklagten die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 20.000,00 €, während der Beklagte wegen seines Resthonorars Widerklage erhob.

Das Landgericht hat nach sachverständiger Begutachtung die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben, da Behandlungsfehler nicht feststellbar seien, der Beklagte habe sich an die vereinbarten Vorgaben gehalten.

Entscheidung
Das OLG Hamm wies die Berufung nach erneuter Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen zurück.

Nach Auffassung des Senats hängt die Beantwortung der Frage nach einem fehlerhaften operativen Vorgehen bei rein kosmetischen Operationen mangels Indikation maßgeblich davon ab, was die Parteien vereinbart haben.

Die in den Aufklärungsbögen enthaltenden Einzeichnung einer Schnittführung dienen zur Veranschaulichung der Narbenführung, damit der Patient in etwa weiß, wo die Narben entlang laufen werden; die Zeichnungen dienten nicht der konkreten und damit vereinbarten Festlegung der Narben; dies sei eine Frage der intraoperativen Bedingungen. Soweit die Klägerin sich auf eine zu kurze Schnittführung im Schläfenbereich berufen hatte, konnte ihre Argumentation daher nicht verfangen.

Weitere Behandlungsfehler konnten durch den gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht positiv festgestellt werden.

Ferner stellte der Senat auch keine Haftung mangels wirksamer Einwilligung der Klägerin fest; zwar müsse umso ausführlicher und eindrücklicher informiert werden, je weniger ein Eingriff medizinisch geboten ist, was im besonderem Maße für kosmetische Operationen gelte, allerdings reichten die schriftlichen Aufklärungsbögen in Zusammenhang mit der mündlichen Anhörung des Beklagten, der angegeben hatte, dass er mögliche Probleme mit Nerven und Narben mit der Klägerin, wie immer in solchen Fällen, gesprochen habe, aus.

In Übereinstimmung mit dem Arzthaftungssenat des BGH geht das OLG Hamm nämlich davon aus, dass an den Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung keine unbilligen und übertriebenen Anforderungen gestellt werden dürfen. „Einiger Beweis“ für ein gewissenhaftes Aufklärungsgespräch ist ausreichend, sodass im Zweifel dem Arzt geglaubt werden sollte, dass die Aufklärung im Einzelfall in der gebotenen Weise geschehen ist.

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Vernähen ohne Betäubung ist grober Behandlungsfehler und Körperverletzung

KG Berlin, Urteil vom 13.10.2014 — Aktenzeichen: 20 U 224/12

Sachverhalt
Die klagende Patienten wurde bei dem beklagten Arzt wegen mehrjähriger Fußbeschwerden vorstellig. Nach Durchführung einer Operation und Erhalt eines Verbandsschuhs, trat unerwartet Blut aus dem Schuh aus; die Wunde hatte sich wieder geöffnet.

Der Beklagte versah die Wunde mit einer siebenstichigen Naht. Die Klägerin behauptete, hierbei nicht anästhesiert worden zu sein.

Das Landgericht gab der Klage statt, allerdings mit dem Argument, das Bestreiten des Beklagten, er habe eine Lokalanästhesie durchgeführt, sei verspätet.

Entscheidung
Dieses Ergebnis hielt das Kammergericht aufrecht, allerdings nicht wegen Verspätung des Beklagtenvortrags.

Die Frage, ob eine (notwendige) Lokalanästhesie nicht durchgeführt worden ist, also ob ein Behandlungsfehler vorliegt, fällt grundsätzlich in den Darlegungs- und Beweislastbereich des Patienten, der sich auf einen Behandlungsfehler beruft. Einen Zeugenbeweis konnte die Klägerin nicht führen.

Der Beweis kann jedoch auch über die Grundsätze der ärztlichen Dokumentation geführt werden. Wenn sich aus den Krankenunterlagen nicht der geringste Hinweis auf eine örtliche Betäubung vor Durchführung einer Sekundärnaht findet, ist nach diesen Grundsätzen davon auszugehen, dass die Anästhesie nicht erfolgt ist.

Selbst wenn man davon ausginge, dass die örtliche Betäubung als Routinehandlung per se nicht dokumentationsbedürftig sei, wäre jedoch zu erwarten gewesen, dass sich in der Dokumentation über die der Klägerin verabreichten Medikamente ein Hinweis auf ein Lokalanästhetikum findet. Auch dies war nicht der Fall. Denn die einem Patienten verabreichten Medikamente zu dokumentieren, ist nach Auffassung des Kammergerichts medizinisch erforderlich, da sonst nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zu ungewollten Wechselwirkungen kommt.

Entsprechend konnte der beklagte Arzt im vorliegenden Fall auch nicht mehr nachvollziehbar angeben, welches Medikament er wie verabreicht habe.

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Die kontaminierte Türklinke

OLG Hamm, Urteil vom 17.8.2015 — Aktenzeichen: 3 U 28/15

Sachverhalt
Die Klägerin wurde wegen bereits länger bestehender Schmerzen und einer akuten Verschlimmerung dieser Schmerzen in das Krankenhaus der Beklagten eingewiesen. Im Rahmen der Behandlung bildete sich an einer Einstichstelle eine Abszedierung. Ärztlich wurde die Eröffnung der Abszedierung durch das Pflegepersonal angeordnet, die auch erfolgte. Nach Entlassung litt die Klägerin unter einer auf drei bis vier Zentimeter ausgedehnten Phlebitis, die sich zu einer Thrombophlebitis und schließlich einer Spondylitis LW 3/4 mit Destruktion der Abschlussplatten und beginnender Lequifizierung der Bandscheibe entwickelte. In der Blutkultur wurde Staphylococcus Aureus nachgewiesen.

Die Klägerin behauptete, die Beklagten hätten ihre von Anfang an bestehende Spondylitis übersehen. Falls diese bei Aufnahme noch nicht vorgelegen habe, sei diese durch die Behandlung entstanden; die Pflegekraft habe unhygienisch gearbeitet; die von ihr verwendete Kanüle bei der Eröffnung der Abszedierung sei ihr auf dem Boden gefallen; sie habe sie mit Handschuhen, die sie bereits angehabt habe, aufgehoben und weiterverwenden wollen, die Klägerin habe daraufhin protestiert; sie habe dann den Raum verlassen und sei mit den gleichen Handschuhen, mit denen sie zuvor die Nadel aufgehoben und später die Türklinke angefasst habe, wieder hereingekommen und habe die Abszedierung aufgestochen.

Entscheidung
Das OLG wies die Berufung der Klägerin zurück. Von den von ihr behaupteten Behandlungsfehlern konnte nach intensiver Beweisaufnahme nur ein einfacher Behandlungsfehler festgestellt werden.

Das OLG nahm einen Hygienemangel insoweit an, wie die Pflegekraft beim Eröffnung der Abszedierung Handschuhe getragen hat, mit denen sie zuvor die Türklinke des Krankenzimmer berührt und diese dadurch kontaminiert hatte.

Die Klägerin konnte jedoch nicht den Nachweis führen, dass dieser Fehler auch kausal geworden ist für die von ihr behaupteten Beeinträchtigungen. Denn nach Anhörung des Sachverständigen ging das OLG Hamm nicht von einem groben Behandlungsfehler aus, der eine Beweislastumkehr zu ihren Gunsten ermöglicht hätte. Für seine Beurteilung stützte sich der Senat auf die Angaben des gerichtlich bestellten Sachverständigen, der darstellte, dass aus medizinischer Sicht hinsichtlich der einzuhaltenden hygienischen Anforderungen in vier Risikogruppen unterteilt werden müsse und dementsprechend danach differenziert werden müsse, in welcher Risikogruppe die Tätigkeit falle, welch unter Verletzung des hygienischen Standards vorgenommen wird.

Das OLG führte dann aus, dass Verstöße gegen die Standards der Händehygiene bei den Risikogruppen 3 und 4, etwa bei einer Gelenkpunktion, nicht hinnehmbar sind; der vorliegende Fall sei jedoch lediglich einer der untersten Risikogruppen zuzuordnen; entsprechend hatte der Sachverständige im Verfahren erläutert, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass gegen den bei der Eröffnung der Abszedierung ausströmenden Eiter etwas in die Wunde gelangt und auch die verwendeten Handschuhe von Anfang an nur bakterienarm, nicht aber steril seien.

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Fachkunde des Behandlers im Prozess

BGH, Urteil vom 16.6.2015 — Aktenzeichen: VI ZR 332/14

Sachverhalt
Die im Wege einer Notsectio geborene Klägerin nahm die Beklagten wegen fehlerhafter Aufklärung über die Risiken der Geburtsvarianten in Anspruch.

Das Landgericht hatte die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das OLG Koblenz hat die dagegen gerichtete Berufung im Wesentlichen zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.

Es hat ausgeführt, die vom beklagten Arzt erst in der Berufungsinstanz erhobenen Einwendungen seien gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr zulässig, sondern verspätet; als fachkundiger Arzt hätte der Beklagte auch in erster Instanz substantiierter vortragen müssen.

Entscheidung
Die gegen die Entscheidung des OLG gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hatte Erfolg und führte gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur direkten Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

Der BGH betonte zunächst noch einmal, dass das Gericht von Amts wegen verpflichtet ist, den ihm zur Entscheidung unterbreiteten Sachverhalt auszuschöpfen und sämtlichen Unklarheiten, Zweifeln und Widersprüchen nachzugehen.

Er sah es auch nicht als verspätet an, dass der Beklagte erst mit der Berufungsbegründung rügte, dass entscheidungserhebliche Fragen von einem Gutachter des falschen Fachgebiets (hier: Gynäkologe statt Neonatologe) beantwortet worden sind.

Schließlich verneinte der BGH Verspätung und Nachlässigkeit bei der Erhebung von Einwendungen in der Berufungsinstanz, nur weil der Beklagte fachkundig sei; hiermit würden die Anforderungen an die Informations- und Substantiierungspflicht des Arztes überspannt. Denn der Beklagte war selbst kein Neonatologe. Bei einer solchen Sachlage durfte es nicht als nachlässig angesehen werden, wenn der Arzt erst in zweiter Instanz seinen Angriff konkretisiert, nachdem er durch medizinische Recherchen zusätzliche Informationen erlangt hat. Denn ein Arzt sei nicht verpflichtet, sich zur Prozessführung spezielles medizinisches Fachwissen außerhalb seines Fachbereichs anzueignen.

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Bettgitterpflicht für bewegungsunfähige Personen

Sachverhalt
Der Versicherte der Klägerin war aufgrund multipler Erkrankungen nicht mehr in der Lage, sich selbstständig fortzubewegen. Im Pflegeheim wurde er mit Bettseitenteilen gesichert.

In Abstimmung mit dem zuständigen Hausarzt entfernte das Pflegepersonal erst das eine, dann das zweite Bettgitter, in der Annahme, der Versicherte der Klägerin werde sich sowieso nicht mehr bewegen. Ein Beschluss zur Durchführung freiheitsentziehender Maßnahmen lag nicht vor.

Aus ungeklärten Gründen wurde der Versicherte dann nachts auf dem Boden liegend mit einer operationsbedürftigen Fraktur aufgefunden. Die Klägerin verlangte Schadensersatz für die entstandenen Heilbehandlungskosten.

Entscheidung
Das Amtsgericht gab der Klage nach umfangreicher Beweisaufnahme statt.

Mit Hilfe eines gerichtlich bestellten Sachverständigen bestätigte es ein fehlerhaftes Vorgehen des Pflegepersonals, dessen originäre Aufgabe die Sturzprophylaxe sei, auch wenn diese in Abstimmung mit einem Arzt erfolgt sei.

Die Entfernung der Bettseitenteile sei nach Auffassung des Amtsgerichts nur dann zu verantworten gewesen, wenn zeitgleich alternative prophylaktische Maßnahmen getroffen wären. Ein Niederflutbett wurde jedoch erst nach dem Vorfall verwendet; die bloße Einstellung des Pflegebettes auf die niedrigste Stufe — wobei die konkrete Höhe offen blieb — sei auch nicht ausreichend, wenn der Heimbewohner sich dann immer noch etwas brechen könnte, wenn er aus dem Bett falle.

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Sicherung von Notausgangstür im Pflegeheim

LG Bielefeld, Urteil vom 2.9.2015 — Aktenzeichen: 3 O 162/14

Sachverhalt
Der Versicherte der Klägerin benötigte Pflege durch eine vollstationäre Pflegeeinrichtung; aufgrund einer frühkindlichen Hirnschädigung litt er insbesondere unter einer ausgeprägten Desorientierung. Mit seinem Rollstuhl bewegte er sich üblicherweise nur auf kurzen Strecken fort.

Am Unfalltag wurde die am anderen Ende des Flures liegende Notausgangstür vom Pflegepersonal zum Lüften etwa eine Stunde lang geöffnet. Um zu verhindern, dass die Heimbewohner die Notausgangstür benutzen, versperrte das Pflegepersonal den Notausgang mit einem mobilen, aber feststellbaren Badewannenlifter.

Wenig später war der Badewannenlifter beiseite geschoben, der Versicherte der Klägerin war die hinter der Notausgangstür liegende Feuertreppe herunter gestürzt und hatte sich schwer verletzt.

Die Klägerin begehrte Schadensersatz für die entstandenen Heilbehandlungskosten.

Entscheidung
Der Pflegeheimträger wurde zum Schadensersatz verurteilt. Der Heimvertrag verpflichtet den Pflegeheimträger zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit seiner Heimbewohner. Diese Pflichten hat der Pflegeheimträger verletzt, indem er die Notausgangstür öffnete und sie lediglich mit einem Badewannenlifter sicherte, ohne den Versicherten zu beaufsichtigen.

Das Landgericht hat offen gelassen, ob die Belüftung des Flures überhaupt durch die Notausgangstür hätte erfolgen dürfen; jedenfalls hätte die Tür während des Lüftens ordnungsgemäß gesichert werden müssen; dass die Tür gesichert werden musste, war dem Pflegeheimpersonal erkennbar bewusst, da es einen Sicherungsmechanismus gewählt hatte.

Als Schutzmaßnahme sind nach Auffassung des Landgerichts die Maßnahmen erforderlich gewesen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Angehöriger des betroffenen Verkehrskreises für notwendig und erforderlich halten durfte, um andere Personen vor Schäden zu bewahren. Diese Maßnahmen wurden nach Auffassung des Landgerichts im vorliegenden Fall nicht eingehalten. Zwar stelle ein Badewannenlifter einen sperrigen und schweren Gegenstand dar, der durchaus geeignet erscheine, um einen Durchgang vorübergehend zu verstellen; der eigentliche Zweck des Badewannenlifters bestünde aber darin, Personen beim Ein- und Ausstieg aus der Badewanne zu helfen, nicht aber eine geöffnete Notausgangstür abzusichern.

Insofern ließ das Landgericht sogar offen, ob der Badewannenlifter — was möglich gewesen wäre — über die eingebaute Bremsfunktion festgestellt worden war oder nicht.

Das Landgericht hat dabei nicht verkannt, dass Aufsichtspflichten insbesondere für desorientierte Menschen auf die üblichen Maßnahmen begrenzt sind, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind; zumindest für die Zeit des Lüftens hätte eine Beaufsichtigung erfolgen müssen, wenn man schon einen ungeeigneten Gegenstand für die Absicherung der Notausgangstür wählt.

Letztlich konnte sich der Pflegeheimträger auch nicht damit verteidigen, dass der Versicherte der Klägerin ansonsten nur kürzere Strecken zurückgelegt hatte; denn eine Weglauftendenz war beim Versicherten bekannt, sein Verhalten war nicht vorhersehbar. Da die Notausgangstür im vorliegenden Fall für einen Zeitraum von etwa einer Stunde geöffnet war, musste für diesen Zeitraum mit einem erhöhten Bewegungsradius gerechnet werden.

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Mitverschulden stört Beweislastumkehr

OLG Saarbrücken, Urteil vom 4.2.2015 — Aktenzeichen: 1 U 27/13

Sachverhalt
Die Klägerin ging gegen einen behandelnden Arzt als Erbin vor. Der Patient war verstorben.

Zuvor hatte er sich im Klinikum der Beklagten im Juli 2002 mehrfach operieren lassen. Bei der Erstoperation kam es zu einer massiven Blutung an einer Leberarterie. Die Klägerin behauptete, der behandelnde Arzt hätte durch durch intraoperative Cholangiographie und durch sofortige Korrektur reagieren müssen. Hierdurch wäre dem Erblasser ein Zweiteingriff und auch die daran anknüpfenden Folgen (Gallenfistel, Wundinfekt etc.) erspart worden.

Nach Abschluss der Krankenhausbehandlung ließ der Patient sich bis zu einem Stentverschluss zehn Monate später nicht mehr im Krankenhaus behandeln, sondern ausschließlich von seinem Hausarzt.

Die hinter den Beklagten stehende Haftpflichtversicherung hatte dem Patienten noch zu dessen Lebzeiten außergerichtlich 15.000,00 € zur Klaglosstellung gezahlt. Die Klägerin begehrte darüber hinaus die Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von weiteren 100.000,00 € sowie die Erstattung eines Haushaltsführungsschaden, Unterhaltsschäden, Pflege- und Betreuungskosten, Fahrtkosten sowie Krankenhausbehandlungskosten.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen.

Entscheidung
Das OLG Saarbrücken wies die dagegen gerichtete Berufung der Klägerin zurück.

Zwar stellte es fest, dass dem beklagten Arzt vorzuwerfen sei, dass er es im Rahmen der Erstoperation unterlassen habe, den Durchfluss des Gallenganges mittels einer Röntgenkontrastmitteluntersuchung zu überprüfen; weitere Behandlungs- und Befunderhebungsfehler hätte die Klägerin jedoch nicht weiter nachweisen können, ebenso nicht den Zusammenhang zwischen dem nachgewiesenen Fehler und den behaupteten Folgebeeinträchtigungen.

Bei der unterlassenen Röntgenkontrolluntersuchung während der Erstoperation handele es sich nach Auffassung des Landgerichts um einen Befunderhebungsfehler und nicht um einen Fehler im therapeutischen Bereich. Befunderhebungsfehler begründeten grundsätzlich keine Beweislastumkehr im Rahmen des Kausalzusammenhangs. In Anlehnung an die Rechtssprechung des BGH hätte hierzu entweder – was nicht feststellbar war – ein grober Befunderhebungsfehler vorliegen müssen oder aber ein einfacher Befunderhebungsfehler, wenn sich bei der gebotenen Abklärung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine reaktionspflichtiges positives Ergebnis gezeigt hätte und sich die Verkennung dieses Befundes als fundamental oder die Nichtreaktion hierauf als grob fehlerhaft dargestellt hätte.

Die Erfüllung dieser Voraussetzungen nahm das OLG Saarbrücken an, sodass im vorliegenden Fall eigentlich eine Beweislastumkehr hätte eingreifen müssen.

Hierauf konnte sich die Klägerin jedoch nicht mit Erfolg berufen. Nach Auffassung des OLG, welches wiederum auf die Rechtsprechung des BGH Bezug nahm, stellen Beweiserleichterungen nämlich keine Sanktion für ein besonders schweres Arztverschulden dar, sondern knüpfen daran an, dass die Aufklärung des Behandlungsgeschehens in besonderer Weise erschwert worden ist.

Die Kausalitätsvermutung muss daher entfallen, wenn der Patient durch sein Verhalten eine selbstständige Komponente für den Heilungserfolg vereitelt und dadurch in gleicherweise wie der Fehler dazu beigetragen hat, dass der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann.

Im vorliegenden Fall hatte der Patient die gebotenen Kontrolltermine nicht wahrgenommen und dadurch den Heilungsverlauf erheblich gefährdet. Im Zeitraum von fast einem Jahr nahm der Patient keine Kontrolltermine wahr, weil er nicht mehr ins Krankenhaus wollte. Dieses Verhalten sei dem Patienten auch vorwerfbar, da das erforderliche Verständnis für die Notwendigkeit einer qualifizierten medizinischen Nachversorgung beim Patienten festgestellt werden konnte; sowohl der Hausarzt als auch die Klägerin selbst hätten entsprechend auf dem Patienten eingewirkt, damit er sich ins Krankenhaus begibt, um sich nachbetreuen zu lassen.

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