Indizwirkung einer medizinischen EDV-Dokumentation, die nachträgliche Änderungen nicht erkennbar macht

Stefan KrappelStefan Krappel

BGH, Urt. v. 27.04.2021 – VI ZR 84/19

 

Leitsätze (amtlich)

  1. In § 630c Abs. 2 S. 1 BGB sind die vom Senat entwickelten Grundsätze zur therapeutischen Aufklärung bzw. Sicherungsaufklärung kodifiziert worden. Diese Grundsätze gelten inhaltlich unverändert fort; neu ist lediglich die Bezeichnung als Informationspflicht.
  2. Der Umfang der Dokumentationspflicht ergibt sich aus § 630f Abs. 2 BGB. Eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist, ist auch aus Rechtsgründen nicht geboten.
  3. Einer elektronischen Dokumentation, die nachträgliche Änderungen entgegen § 630f Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB nicht erkennbar macht, kommt keine positive Indizwirkung dahingehend zu, dass die dokumentierte Maßnahme von dem Behandelnden tatsächlich getroffen worden ist.

 

Sachverhalt

Der Kläger verlangt aufgrund einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung Schadensersatz. Die Beklagte ist Augenärztin und untersuchte am 07.11.2013 den Kläger, der an schwarzen Flecken im linken Auge litt. Sie diagnostizierte eine altersbedingte Erscheinung infolge einer Glaskörpertrübung. Ein Termin zur erneuten Vorstellung wurde nicht vereinbart.

Am 14.02.2014 stellte ein Optiker bei dem Kläger einen Netzhautriss fest. Infolgedessen ließ sich der Kläger erneut von der Beklagten untersuchen, wobei diese eine Netzhautablösung diagnostizierte und ihn sofort als Notfall an ein Krankenhaus überwies. Schließlich wurde der Kläger im Krankenhaus operiert. Infolge von Komplikationen erblindete er auf dem linken Auge.

Der Kläger wirft der Beklagten vor, sie habe bei der ersten Untersuchung am 07.11.2013 einen Netzhautriss übersehen und keine Pupillenweitstellung veranlasst, weshalb eine ordnungsgemäße Untersuchung des Augenhintergrundes nicht möglich gewesen sei. Sie hätte ihn zudem darauf hinweisen müssen, dass er bei weiteren Beschwerden erneut vorstellig werden müsse und spätestens in einem Jahr eine Kontrolle erfolgen sollte.

Zur medizinischen Dokumentation verwendete die Beklagte ein EDV-Programm, bei dem nachträgliche Veränderungen ohne Erkennbarkeit eingetragen werden können.

 

Entscheidung

Die Revision hat teilweise Erfolg. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

In der unterlassenen therapeutischen Information des Klägers liegt kein Behandlungsfehler der Beklagten. Die Beklagte musste den Kläger aber darauf hinweisen, dass bei Verschlechterung der Beschwerden, spätestens aber nach einem Jahr eine Kontrolle stattfinden sollte. Diese Verpflichtung wird aus § 630c Abs. 2 S. 1 BGB abgeleitet. Hierin wurden die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur therapeutischen Aufklärung bzw. Sicherungsaufklärung kodifiziert. Diese Grundsätze gelten unter der neuen Bezeichnung als Informationspflicht fort.

Der Beklagten ist jedoch ein Befunderhebungsfehler vorzuwerfen. Die Beklagte hätte eine Pupillenweitstellung zur Untersuchung des Augenhintergrundes vornehmen müssen. In der Behandlungsdokumentation war eine Eintragung, die diese Untersuchung dokumentierte zu finden. Mit der von der Beklagten genutzten EDV-Dokumentation war es jedoch möglich, Einträge nachträglich zu verändern, ohne dass diese Änderungen erkennbar waren. Eine elektronische Dokumentation, die Änderungen nicht erkennbar macht, genügt jedoch nicht den Anforderungen des § 630f Abs. 1 S. 2, 3 BGB.

Das Berufungsgericht maß dem in unzulässiger Weise eine positive Indizwirkung zu. Es nahm an, dass eine Pupillenweitstellung erfolgt war und der Augenhintergrund untersucht wurde. Die Dokumentation hätte durch jeden Zugriffsberechtigten innerhalb kurzer Zeit, mit wenig Aufwand und fast ohne Entdeckungsrisiko nachträglich geändert werden können. Der Dokumentation fehlt es deshalb an der für die Annahme einer Indizwirkung erforderlichen Überzeugungskraft und Zuverlässigkeit. Die Verwendung einer solchen Software führt aber nicht zu der Vermutung des § 630h Abs. 3 BGB.

Es kann auch keine Indizwirkung angenommen werden, wenn der Patient keine Anhaltspunkte dafür vortragen kann, dass die Dokumentation nachträglich zu seinen Lasten verändert wurde. Aufgrund der fehlenden Zuverlässigkeit steht der Patient weit außerhalb des maßgeblichen Geschehensablaufes und wird daher meist keine Anhaltspunkte für eine nachträgliche Änderung vortragen können. Allerdings kann die Dokumentation bei der Beweiswürdigung auch nicht völlig unberücksichtigt bleiben. Sie bildet vielmehr einen tatsächlichen Umstand, den der Tatrichter bei seiner Überzeugungsbildung unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme einer umfassenden und sorgfältigen, angesichts der fehlenden Veränderungssicherheit aber auch kritischen Würdigung zu unterziehen hat (§ 286 ZPO).

Eine Dokumentation ist zudem nur bei einem medizinischen Erfordernis vorzunehmen, nicht hingegen aus Rechtsgründen.

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Entscheidungsfreiheit des Patienten

OLG Köln, Urteil vom 16.1.2019 — Aktenzeichen: 5 U 29/17

Sachverhalt
Die Klägerin stürzte und wurde bei der Beklagten zu 1) nachts eingeliefert. Nach Diagnose einer nicht dislozierten geschlossenen medialen Oberschenkelhalsfraktur wurde die Indikation zur Operation gestellt.

Bei der Beklagten zu 1) war es ständige Übung, die Patienten nach Durchführung des Aufklärungsgesprächs zur Unterschrift auf dem Einwilligungsformular zu bewegen. So geschah es auch bei der Aufklärung durch den Beklagten zu 2), obwohl die Klägerin zunächst Zweifel an der Operation und der Qualifikation der Ärzte äußerte.

Geschlossene Reposition und Osteosynthese erfolgten am nächsten Morgen durch die Beklagten zu 3) und zu 4).

Die Klägerin hat behauptet, die Behandlung sei rechtwidrig gewesen; infolge der Behandlung habe sie noch heute Beeinträchtigungen.

Vor dem Landgericht war die Klage der Klägerin erfolglos.

Entscheidung
Vor dem Senat des OLG Köln war die Klägerin hingegen teilweise erfolgreich und erhielt ein Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 € zugesprochen.

Das OLG Köln hat hierzu in seiner Entscheidung in Anlehnung an § 630e BGB und die Rechtsprechung des BGH ausgeführt, dass dem Patienten bei einem Eingriff, der erst in etwa zwölf Stunden stattfinden soll, eine den Umständen entsprechende Bedenkzeit für den Patienten verbleiben muss, die bis kurz vor den Eingriff reicht; die Übung, die Patienten direkt nach der Aufklärung zur Unterschrift zu bewegen sei an sich schon bedenklich.

Nach der Anhörung der Parteien gelangt der Senat zu der Auffassung, dass die Klägerin ihre Entscheidung nicht wohlüberlegt gefällt haben kann, sondern in einer Drucksituation. Deshalb wäre es — so der Senat — Pflicht der Beklagten zu 3) und zu 4) gewesen, sich bei der Klägerin zu vergewissern, ob sie bei der Entscheidung aus der Nacht bleibe oder nicht.

Besonderheit des Falles war zudem, dass die Beklagte die Operation noch mehrere Stunden nach vorne gelegt hatte — von der Mittagszeit in die Morgenstunden. Auch dies verschärfte nach Auffassung des OLG Köln das Pflichtenprogramm der Beklagten; die Klägerin traf nach der Unterzeichnung der Einwilligungserklärung von sich aus keine Pflicht mehr, Bedenken anzumelden.

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Haftung des Durchgangsarztes

OLG Köln, Urteil vom 9.1.2019 — Aktenzeichen: 5 U 13/17

Der Kläger litt im konkreten Fall seit vielen Jahren unter Diabetes mellitus und Adipositas per magna. Er erlitt am 12.06.2013 einen Arbeitsunfall, bei dem er nach einem Sprung von einem Schlepper mit seinem linken Fuß auf dem Boden auftraf und umknickte. Am Folgetag suchte der Kläger den Beklagten als Durchgangsarzt auf. Dieser veranlasste eine Röntgenaufnahme des oberen Sprunggelenkes und diagnostizierte laut seinem Durchgangsbericht eine Verstauchung und Zerrung des oberen Sprunggelenks und eine Spontanruptur von nicht näher bezeichneten Sehnen. Er verordnete einen Kompressionsverband, eine Aircast-Schiene sowie das Kühlen der verletzten Stelle. Der Beklagte behandelte den Kläger in der Folgezeit über mehrere Termine hinweg bis zum 02.07.2013. Unter dem 21.6.2013 vermerkte er in seiner Dokumentation u.a.: „Minimale Schwellung, weiterhin keine Schmerzen (diabetische Polyneuropathie) … „. Er schrieb den Kläger insgesamt bis zum 10.07.2013 arbeitsunfähig krank. Zu einem an diesem Tag vorgesehenen Kontrolltermin erschien der Kläger nicht mehr. Nachfolgend kam es beim Kläger zu lange anhaltenden Beschwerden und einer Operation, nachdem bei Folgeuntersuchungen eine Fraktur im Bereich des Mittelfußes festgestellt worden war. Es bildete sich beim Kläger ein Charcot-Fuß aus. Zur Haftung des Beklagten hat das OLG Köln zusammengefasst ausgeführt:

1. Ein Durchgangsarzt, der nach einem Arbeitsunfall mit Aufprall des Fußes auf der Erde zunächst nur ein Umknicktrauma diagnostiziert, muss jedenfalls dann, wenn er im Rahmen der selbst weitergeführten Behandlung von der Diabetes mellitus-Erkrankung des Patienten und einer darauf beruhenden Polyneuropathie erfährt, die Möglichkeit einer Mitbeteiligung von Fußknochen in Erwägung ziehen und röntgenologisch abklären.

2. Ein entsprechendes Versäumnis stellt sich als Befunderhebungsmangel und nicht als Diagnosefehler dar.

3. Für das Versäumnis hinreichender Diagnostik haftet nicht etwa ausschließlich die zuständige Berufsgenossenschaft, wenn der Durchgangsarzt neben der hoheitlichen Aufgabe, einen Arbeitsunfall und die Frage besonderer Unfallversicherungsrechtlicher Maßnahmen zu klären, auch für die folgenden Wochen die weitere Patientenbehandlung übernommen hat, sodass sein Fehler dem Bereich privatrechtlichen Handelns zuzurechnen ist.

4. Die vollständige und endgültige Ausbildung eines Charcot-Fußes bei einem 48-jährigen Mann rechtfertigt ein Schmerzensgeld von 50.000 €.

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OLG Hamm: Ärztliche Behandlung bei nicht Einhaltung der Wahlleistungsvereinbarung ist rechtswidrig.

OLG Hamm, Urteil vom 15.12.2017 — Aktenzeichen: 26 U 74/17

Sachverhalt
Die klagende Krankenversicherung nimmt die erstbeklagte Krankenhausgesellschaft so wie bei dieser tätigen zweit- und drittbeklagten Ärzte auf Ersatz von Aufwendungen in Anspruch. Die Klägerin ist der gesetzliche Krankenversicherer der Anfang Januar 2012 verstorbenen Patientin. Die Patientin befand sich im Dezember 2011 in stationärer Behandlung im Krankenhaus der Erstbeklagten. Es bestand eine Wahlleistungsvereinbarung dergestalt, dass eine Chefarztbehandlung durch den Zweitbeklagten vereinbart wurde, der im Verhinderungsfall u.a. von der Drittbeklagten vertreten werden konnte.

Nach Abschluss der Zusatzvereinbarung führte die Drittbeklagte eine Koloskopie durch. Bei der Behandlung kam es zu einem Einriss im Bereich der Rektumschleimhaut. Der Zweitbeklagte war bei dem Eingriff in der Funktion eines Anästhesisten anwesend. Es trat eine Sepsis auf, so dass die Patientin wenige Tage später verstarb. Die in Folge der Koloskopie für die Patientin aufgewandten Behandlungskosten hat die Klägerin von den Beklagten ersetzt verlangt und gemeint, der Zweitbeklagte habe den Eingriff persönlich vornehmen müssen, ein Vertretungsfall habe nicht vorgelegen. Demgegenüber haben die Beklagten die Auffassung vertreten, die ärztliche Aufgabenverteilung bei der Koloskopie habe den Anforderungen der Wahlleistung entsprochen. Zudem sei der zweitbeklagte Chefarzt bei der Operation persönlich anwesend gewesen und habe diese ständig beobachtet und überwacht.

Entscheidung
Erstinstanzlich wurde der Klage stattgegeben. Dies bestätigte auch das OLG Hamm. Es hat insoweit den Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Aufwendungen der Klägerin zugesprochen. Die Behandlung der Patienten sei mangels wirksamer Einwilligung insgesamt rechtswidrig gewesen. Die Voraussetzungen der Wahlleistungsvereinbarung seien nicht eingehalten worden. Im vorliegenden Fall hätte darüber aufgeklärt werden müssen, dass ein anderer Arzt anstelle des Chefarztes an seine Stelle treten solle. Diesem hätte die Patientin auch zustimmen müssen. Fehlt diese wirksame Patienteneinwilligung ist die Vornahme des Eingriffs rechtswidrig.

Somit, so das OLG Hamm, habe der Zweitbeklagte den Eingriff vornehmen müssen und sich nur im Fall einer unvorhergesehenen Verhinderung durch einen anderen Arzt vertreten lassen können. Einen solchen Vertrag schließt der Patient im Vertrauen auf die besondere Erfahrung und auf die herausgehobene medizinische Kompetenz des von ihm gewählten Arztes. Das Gericht führte weiter aus, dass der Zweitbeklagte die Koloskopie grundsätzlich selbst hätte durchführen müssen. Auch ein zulässiger Vertretungsfall habe nicht vorgelegen. Der Zweitbeklagte sei nicht unvorhergesehen verhindert gewesen. Er sei während der Koloskopie als Anästhesist anwesend gewesen. Durch seine Anwesenheit beim Eingriff der Drittbeklagten habe der Zweitbeklagte keine persönliche Leistung im Sinne der Wahlleistungsvereinbarung erbracht. Schließlich sei er für den Bereich Anästhesie und nicht für den Bereich Chirurgie zuständig gewesen. Deswegen habe er das chirurgische Geschehen nicht so beobachten und beeinflussen können, als wenn er selbst die chirurgischen Instrumente geführt hätte.

Die Fallgestaltung sei auch nicht vergleichbar mit der Operation durch einen Assistenzarzt unter Beaufsichtigung des Oberarztes. Denn in diesem Fall seien beide Mediziner im selben Fachgebiet tätig. Dies sei vorliegend nicht der Fall gewesen.

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Vollbeherrschbare Behandlung

BGH, Urteil vom 26.9.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 529/16

Sachverhalt
Der Kläger wurde wegen eines Prostata-Karzinoms unter Verwendung eines Hochfrequenzgeräts (Elektrokauter) im beklagten Krankenhaus operiert. Am Folgetag zeigten sich Anzeichen einer Verbrennung, welche später dem Stadium 2a zugeordnet wurden. Hierfür und für die dadurch aufgetretenen Komplikationen verlangte der Kläger Schmerzensgeld.

Das Landgericht Bochum hat die Klage abgewiesen, da es davon ausging, dass auch bei Einhaltung sämtlicher Sicherheitsvorkehrungen möglich sei, dass sich während der Operation durch Schwitzen des Patienten Flüssigkeitsansammlungen bildeten, die einen Kontakt zum stromleitenden Operationstisch herstellen könnten, dies sei durch einen Operateur nicht zu kontrollieren.

Das OLG Hamm hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, da der Kläger einen Fehler nicht habe nachweisen können. Die Grundsätze des vollbeherrschbaren Risikos seien, auch wenn hier der Problembereich der Lagerung betroffen sei, nicht anwendbar, da noch während der Operation Flüssigkeit am Körper des Patienten entlanglaufen könne.

Entscheidung
Der BGH hat der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers Recht gegeben und die Angelegenheit zur erneuten Entscheidung an das OLG Hamm zurückverwiesen.

Der BGH, der in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, Fälle der möglicherweise fehlerhaften Lagerung seien dem vollbeherrschbaren Gefahrenbereich der Klinik zuzuordnen, hält auch in diesem Fall daran fest, so dass der Klinikträger hätte darlegen und beweisen müssen, dass er sich korrekt verhalten hat.

Nach Auffassung des BGH hat das OLG Hamm den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 GG verletzt, der in seinen Schriftsätzen unter Beifügung eines Aufsatzes darauf hingewiesen hatte, dass es bei anderer Art der Lagerung, nämlich durch Verwendung einer dauerhaft nicht leitfähigen Unterlage, nicht zu einer Verbrennung habe kommen können.

Wenn aber ein Risiko ganz vermieden werden kann, gilt es als vollbeherrschbar durch die Behandlerseite, so dass es auch nicht mehr darauf ankommt, ob sich nun noch Feuchtigkeit unter dem Patienten hat bilden können oder nicht.

Der BGH betont auch in dieser Entscheidung, dass Risikofaktoren, die sich aus der körperlichen Konstitution eines Patienten ergeben, bei der operationsbedingen Lagerung — wie auch hier — typischerweise ausgeschaltet sind, was vom Behandler eingeplant worden ist. Dann aber ist es seine Sache aufzuzeigen, dass er fachgerecht vorgegangen ist. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn bei dem Patienten eine ärztlicherseits nicht im Voraus erkennbare, seltene körperliche Anomalie vorliegt, die ihn für den eingetretenen Schaden anfällig gemacht hat.

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BGH: Wahl des richtigen Sachverständigen

BGH, Urteil vom 30.5.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 203/16

Sachverhalt
Die Klägerin macht gegen den beklagten Zahnarzt Schadensersatzansprüche aus fehlerhafter zahnärztlicher Behandlung geltend. Die Klägerin besuchte am 14.09.2006 einen Vortrag des Beklagten, der in seinem Internetauftritt für eine ganzheitliche Behandlung durch Beseitigung von Störfeldern im Kiefer wirbt, die er als Ursache von allgemeinen körperlichen Beschwerden sieht. Am 15.09.2006 führte der Beklagte bei der Klägerin eine von ihm so bezeichnete „Herd- und Störfeldtestung“ durch. Er gelangte dabei zu der Diagnose „mehrfaches Zahnherdgeschehen mit Abwanderung von Eiweißverfallsgiften in den rechten Schläfen. Und Hinterkopfbereich und bis in den Unterleib“. Darüber hinaus diagnostizierte er ein „Kieferknochenendystrophie-Syndrom“ und einen „stillen Gewebsunterhang im Knochenmark“. Als Therapie empfahl er der Klägerin die operative Entfernung sämtlicher Backenzähne und die gründliche Ausfräsung des gesamten Kieferknochens. Am 21.09.2006 entfernte der Beklagte bei der Klägerin operativ die Zähne 14, 15, 16 und 17und fräste den Kieferknochen in diesem Bereich „gründlich“ aus. Den verordneten Zahnersatz holte die Klägerin am 07.11.2006 selbst in einem Zahnlabor ab, ohne dass eine Einsetzung, Anpassung oder Einweisung in dem Umgang mit der Prothese durch den Beklagten erfolgte. Wegen Problemen mit der Prothese wandte sich die Klägerin an einen in der Nähe ihres Wohnortes tätigen Zahnarzt, der sich sehr kritisch zu der von dem Beklagten durchgeführten Behandlung äußerte. Bei dem Beklagten stellte sich die Klägerin wegen Schwierigkeiten mit dem Zahnersatz letztmalig am 17.11.2006 vor. Danach setzte sie die Behandlung bei ihm nicht mehr fort, so dass auch zu keinen weiteren Zahnentfernungen und Ausfräsungen des Kiefers mehr kam. In der Folgezeit konsultierte sie verschiedene andere Zahnärzte.

Mit ihrer vorliegenden Klage hat die Klägerin den Beklagten auf Rückzahlung des geleisteten Honorars, materiellen Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie Feststellung seiner weitergehenden Einstandspflicht in Anspruch genommen. Das Landgericht hat in erster Instanz der Klage überwiegend stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten hatte nur in geringem Umfang Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren auf vollständige Klageabweisung weiter.

Entscheidung
Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Auf Grundlage der vom Berufungsgericht bislang getroffenen Feststellungen kann nicht beurteilt werden, ob der Beklagte wegen der Behandlung vom 21.09.2006 der Klägerin gegenüber zum Schadenersatz verpflichtet ist. Nach Auffassung des BGH rügt die Revision mit Recht, dass das Berufungsgericht die verantwortliche medizinische Abwägung von Vor- und Nachteilen auf der Grundlage des Gutachten eines Sachverständigen beurteilt hat, der nicht über die erforderliche umfassende Sachkunde verfügt, Das Berufungsgericht habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen , einen auch mit der ganzheitlichen Zahnmedizin in Theorie und Praxis vertrauten Sachverständigen zu beauftragen.

Nur vordergründig liegt dies auf der Linie, wonach Sachverständige mit der streitgegenständlichen Behandlung möglichst über eigene Erfahrungen verfügen sollte; der Senat übersieht aber die Problematik der Abgrenzung para- und komplemtentärmedizinischer Konzepte. Zudem hat der Senat offenbar die entgegenstehende Rechtsprechung bei der Beurteilung der Notwendigkeit komplementärmedizinischen Maßnahmen im Krankenversicherungsrecht außer Acht gelassen, die durchaus von einem Schulmediziner sachgerecht soll erfolgen können.

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Halb aufgeklärt reicht auch?

OLG Dresden, Urteil vom 16.5.2017 — Aktenzeichen: 4 U 1229/15

Sachverhalt
Im Rahmen eines Anwaltshaftungsprozesses begehrte die Klägerin vor dem Landgericht Dresden Schadensersatz für verloren gegangene Ansprüche gegenüber einem Augenarzt.

Die Klägerin litt an beiden Augen an Grauem Star und musste deshalb operiert werden. Am 10.09.2007 wurde am linken Auge, am 20.09.2007 am rechten Auge jeweils im Rahmen der Operation auch eine Hornhautbegradigung vorgenommen (Astigmatismuskorrektur).

In der Folgezeit entstanden an den Augen der Klägerin erhebliche Vernarbungen, die ihre Sehfähigkeit beeinträchtigen.

Die Klägerin behauptete, über die Astigmatismuskorrektur und die damit einhergehenden Risiken nicht hinreichend aufgeklärt worden zu sein.

Die Forderung wurde vom Landgericht wegen Verjährung zunächst abgewiesen.

Entscheidung
Das OLG Dresden ist davon ausgegangen, dass die Ansprüche gegenüber den Rechtsanwälten nicht verjährt gewesen seien; in der Sache habe aber kein Anspruch gegen den Augenarzt bestanden, der hätte verloren gehen können.

Nach Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen ist das OLG Dresden davon ausgegangen, dass die durchgeführte Operation medizinisch indiziert war und auch fehlerfrei durchgeführt wurde; die Klägerin habe aber nicht beweisen können, dass die durchgeführte Hornhautbegradigung ursächlich geworden ist für den ihr entstandenen Schaden, nämlich insbesondere Vernarbungen auf der Hornhaut.

Nach Auffassung des OLG Dresden muss der Patient beweisen, dass sein Gesundheitsschaden Folge eines mangels ordnungsgemäßer Aufklärung rechtswidrigen Eingriffs ist. Kann der Schaden eines Patienten sowohl durch den durch die Einwilligung gedeckten Eingriff als auch durch den durch die Einwilligung nicht mehr gedeckten und daher nicht rechtmäßigen Teil einer Operation verursacht worden sein, muss der Patient weiterhin beweisen, dass der Schaden durch den nicht rechtmäßigen Teil verursacht worden ist.

Im vorliegenden Fall war nach Anhörung des gerichtlich bestellten Sachverständigen mit höherer Wahrscheinlichkeit die Kombination der beiden Operationen für den Schaden verantwortlich als jede der beiden Operationen für sich genommen. Dies allein reichte dem Senat aber nicht, um eine Mitursächlichkeit als überwiegend wahrscheinlich im Sinne von § 287 ZPO anzusehen. Denn der Sachverständige hatte ausgeführt, allein die Operation am grauen Star sei für sich allein geeignet, zum Auftreten der Hornhautvernarbungen zu führen, weshalb gerade über das entsprechende Risiko aufgeklärt werde, mit dem die Klägerin schließlich auch einverstanden war. Dies stand einer hinreichenden Überzeugungsbildung im vorliegenden Fall entgegen.

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Diagnosefehler als Behandlungsfehler

OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 21.3.2017 — Aktenzeichen: 8 U 228/11

Sachverhalt
Die Klägerin (Kl.) nahm den Beklagten (Bekl.) auf Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche auf Grund einer fehlerhaften ärztlichen Behandlung in Anspruch.

Nach einer Reise durch das südliche Afrika in 2002 traten bei der Kl. in Deutschland erkältungsähnliche Symptome auf. Nachdem die Beschwerden zunächst etwas nachgelassen hatten, verschlechterte sich während eines Hotelaufenthalts ihr Zustand wieder. Als diensthabender (Bereitschaftsdienst-)Arzt suchte der Bekl. die Kl. dort auf. Diese teilte ihm mit, unter Fieber und schwerem Durchfall zu leiden. Weitere Mitteilungen insbesondere zu früheren Auslandsaufenthalten sind streitig. Nach körperlicher Untersuchung der Kl. diagnostizierte der Bekl. einen gastrointestinalen Infekt, verabreichte der Kl. Paracetamol und verließ sie. Zeitnah verschlechterte sich der Zustand der Kl. bis zur Bewusstlosigkeit. Bei der notärztlichen und intensivmedizinischen Versorgung wurden eine Malaria tropica mit Cerebralbeteiligung, ein Exanthem (entzündliche Hautveränderung) der oberen Thoraxhälfte, ein Hirnödem und cerebrale Krampfanfälle diagnostiziert und behandel. Dauerhaft verblieben Sehbeeinträchtigungen.

Die Kl. behauptet, der Bekl. habe das Vorliegen einer Malaria tropica in vorwerfbarer Weise übersehen. Bei fehlerfreiem Vorgehen wären ihr die weitere Entwicklung des Hirnödems, das Koma und die dadurch ausgelösten schweren Beeinträchtigungen / Dauerschäden erspart geblieben.

Nach Einholung mehrerer Sachverständigengutachten hatte das Landgericht den Bekl. verurteilt, an die Kl. ein Schmerzensgeld in Höhe von € 35.000,00 zu zahlen, weitergehend einen Feststellungsanspruch zuerkannt, und im Übrigen die Klage abgewiesen. Gegen das Urteil legte der Bekl. Berufung ein mit dem Antrag, die Klage vollständig abzuweisen. Im Wege der unselbstständigen Anschlussberufung verfolgte die Kl. die Zuerkennung der erstinstanzlich versagten weiteren Schadenspositionen.

Entscheidung
Das OLG Frankfurt wies mit seinem Urteil die Berufung des Bekl. zurück und sprach auf die Anschlussberufung der Kl. hin dieser weitere Schadensersatzansprüche zu.

1. Es bejaht Behandlungsfehler in der Form eines vorwerfbaren Diagnosefehlers sowie einer unterlassenen therapeutischen Aufklärung.

a. Diagnosefehler seien nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler zu werten, da Irrtümer bei der Diagnosestellung oft nicht Folge eines vorwerfbaren Versehens des Arztes seien. Die Symptome einer Erkrankung seien nicht immer eindeutig, sondern könnten auf verschiedenste Ursachen hinweisen. Bei einer objektiv fehlerhaften Diagnose seien letztlich drei Gruppen zu unterscheiden:

Ein nicht vorwerfbarer Diagnoseirrtum, der vorliege, wenn ein Arzt – gemessen an dem Facharztstandard seines Fachbereichs – die gebotenen Befunde erhoben und vertretbar gedeutet hat;.
Sei die Diagnose nicht bzw. nicht mehr vertretbar, liege ein vorwerfbarer Diagnosefehler in Form eines einfachen Behandlungsfehlers vor.
Die fehlerhafte Interpretation von Krankheitssymptomen stelle einen schweren Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst und damit einen „groben‟ Diagnosefehler dar, wenn ein fundamentaler Irrtum vorliege, wobei wegen der bei Stellung einer Diagnose nicht selten Unsicherheiten die Schwelle, von der ab ein Diagnoseirrtum als schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen sei (= Beweislastumkehr bzgl. der Kausalitätsfrage), hoch angesetzt werden müsse; die Wertung einer objektiv unrichtigen Diagnose als Behandlungsfehler komme in Betracht bei Symptomen, die für eine bestimmte Krankheit kennzeichnend seien, aber vom Arzt nicht ausreichend berücksichtigt würden

Im konkreten Fall seien Fieber und Durchfall nicht für eine bestimmte Krankheit, sondern mindestens für zwei Krankheiten kennzeichnend: Malaria und Magen-Darm-Infekt. Der Bekl. habe aber hier zumindest auch Malaria in Betracht ziehen müssen. Der gerichtliche Sachverständige habe unmissverständlich deutlich gemacht, dass ein Arzt in der Position des Bekl., der – insoweit unstreitig – von außereuropäischen Aufenthalten der Kl. im Vorfeld gewusst habe — den genauen Aufenthaltsort der Patientin hätte erfragen müssen. Wenn dies nicht geschehen sei, sei dies ein Verstoß gegen gesicherte und bewährte medizinische Behandlungsregeln und stelle eine nicht mehr verständliche Unterlassung dar.

b. Darüber hinaus sei dem Bekl. eine mangelnde therapeutische Aufklärung unterlaufen. Auch wenn der Bekl. weitere notwendige Befunde mangels entsprechender Möglichkeiten nicht selbst habe erheben müssen, habe er dafür Sorge tragen müssen, dass die Kl. einer sachgerechten weiterführenden Untersuchung zugeführt werde, was wiederum nicht zu erzwingen sei, sondern nur durch Einwirkung auf die jeweilige Patientin bewirkt werden könne. Indem der Bekl. der Kl. nicht zur Abklärung oder Absicherung der ersten Diagnose eine weitergehende Untersuchung anderenorts (Krankenhaus) empfohlen habe, habe er eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln verstoßen und einen aus objektiver Sicht nicht mehr verständlichen Fehler, der einem Arzt in der damaligen Situation des Bekl. schlechterdings nicht unterlaufen dürfe.

2. Zu Lasten des Bekl. sei daher unter zwei Gesichtspunkten von einer Beweislastumkehr bezüglich der Ursächlichkeit der Behandlungsfehler für die eingetretenen Schäden auszugehen.

3. Der vom Bekl. erhobene Mitverschuldenseinwand greife nicht durch.

Er könne der Kl. nicht entgegenhalten, sie habe es versäumt, vor ihrem Afrika-Aufenthalt eine Malaria-Prophylaxe vorzunehmen. Umstände, die zu der akuten Behandlungsbedürftigkeit des Patienten geführt hätten, begründeten zugunsten des Arztes keine Entlastung von seiner Verantwortlichkeit. Es mache für das Rechtsverhältnis zwischen Arzt und Patient keinen Unterschied, ob der Patient durch eigene Schuld behandlungsbedürftig geworden sei oder nicht [gemeint ist wohl: „… oder unverschuldet] Dass die Kl. es unterlassen habe, ihm den eigenen Malaria-Verdacht mitzuteilen, begründe kein Mitverschulden: Der Bekl. habe den ihm obliegende Beweis für diese Behauptung zum Inhalt des geführten Gesprächs nicht erbracht. Der Mitverschuldensvorwurf, die Kl. habe sich durch die Einnahme verschreibungspflichtiger Beruhigungsmittel in den Zustand der Bewusstlosigkeit und Reaktionsunfähigkeit versetzt, sei ein im Sinne des § 531 Abs. 2 ZPO neues Verteidigungsmittel und daher nicht berücksichtigungsfähig. Ein Mitverschulden lasse sich auch nicht damit Erwägung begründen, ein Patient müsse sich ausnahmsweise ein Mitverschulden anrechnen lassen, wenn ihm die Unvollständigkeit ärztlicher Hinweise aufgrund eigenen Patientenwissens habe klar sein müssen. Zwar träfen im auf gegenseitiges Vertrauen und auf Kooperation angewiesenen Arzt-Patienten-Verhältnis den Patienten nach Lage des Falles Obliegenheiten zum Schutz der eigenen Gesundheit, deren Verletzung grundsätzlich ein anrechenbares Mitverschulden nach § 254 Abs. 1 BGB begründen könne. Wegen des Wissens- und Informationsvorsprungs des Arztes gegenüber dem medizinischen Laien sei hinsichtlich einer mitverschuldensbegründenden Obliegenheitsverletzung grundsätzlich aber Zurückhaltung geboten. Ein Mitverschulden durch mangelndes Nachfragen komme nur in Betracht, wenn sich die Unvollständigkeit der ärztlichen Information jedem Laien aufdrängen oder dem Patienten aufgrund seines besonderen persönlichen Wissens die Unvollständigkeit der Unterrichtung klar sein müsse, was hier aber nicht der Fall gewesen sei.

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Schmerzensgeldanspruch bei mehreren Behandlungsfehlern im Rahmen derselbern Operation

BGH, Urteil vom 14.3.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 605/15

Leitsatz
1. Der Schmerzensgeldanspruch, den ein Patient auf verschiedene, den Ärzten im Rahmen derselben Operationen der damit im unmittelbaren Zusammenhang stehenden Nachbehandlung unterlaufende Behandlungs-fehler stützt, begründet einen einzigen, alle Behandlungsfehler umfassenden Streitgegenstand.

2. Mehrere Behandlungsfehler, die den Ärzten im Rahmen derselben Operation unterlaufen sind, begründen einen einheitlichen Schmerzens-geldanspruch, dessen Höhe aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der dem Schadensfall prägenden Umstände zu bemessen ist. Der Schmerzensgeldanspruch kann nicht in Teilbeträge zum Ausgleich einzelner im Rahmen eines einheitlichen Behandlungsgeschehens unterlaufener Behandlungsfehler aufgespalten werden.

Sachverhalt
Die Klägerin hat die Beklagte wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch genommen.

Die Klägerin befand sich im Jahre 2009 wegen Beschwerden im Unterbauch im gynäkologischer Behandlung. Ein operativer Eingriff wurde dort am 07. August 2009 vorgenommen. Es sollten Verwachsungen und Zysten in der gynäkologischen Klinik der Beklagten operativ entfernt werden.

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass die Lösung der Verwachsung im Rahmen der Operation vom 07.08.2009 fehlerhaft erfolgt sei. Die dabei aufgetretenen oberflächigen Verletzungen des Darms sei nicht ordnungsgemäß versorgt worden. Das Vernähen sei standardwidrig zu eng erfolgt, was zu einem vermeidbaren mechanischen Verschluss des Darms geführt habe. Außerdem hätte es die Ärzte bei der Operation vom 07.08.2009 behand-lungsfehlerhaft unterlassen, auch den rechten Eileiter zu entfernen, der aufgrund der massiven Chlamydieninfektion endgültig funktionsunfähig sei. Sein Belassen begründet die Gefahr einer potentiellen lebensbedrohlichen Eileiter-schwangerschaft. Denn infektionsbedingt sei der Eileiter nicht in der Lage, ein Ei in die Gebärmutter zu transportieren. Ein befruchtetes Ei bleibe deshalb notwendigerweise im Eileiter stecken. Schließlich hätten die Ärzte zu spät auf den Verschluss des Darmes reagiert. Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe sie in das Ermessen des Gerichtes gestellt hat, mindestens jedoch 38.000 € sowie materiellen Schadensersatz in Höhe von 37.500 € zu zahlen. Sie hat darüber hinaus die Feststellung der Ersatzverpflichtung der Beklagten beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen, soweit die Klägerin aus dem Belassen des rechten Eileiters im Rahmen der Operation vom 07.08.2009 Schadensersatz herleitet. Die weitergehende Berufung hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Antrag auf Zulassung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 8.000 € weiter.

Entscheidung
Nach Auffassung des Berufungsgerichtes ist die Berufung unzulässig, da die Klägerin ihre Berufung nicht begründet habe. Sie habe sich mit der Abweisung des auf diesen Behandlungsfehler gestützten und von ihr selbst mit mindestens 8.000 € bewerteten Schmerzensgeldanspruches in der Berufungsbegründung nicht auseinandergesetzt. Denn die Klägerin habe mit dem in dem Belassen des Eileiters liegenden Behandlungsfehler einen weiteren prozessualen Anspruch geltend gemacht, der abgewiesen worden ist. Wenn ein eigenständiger prozessualer Anspruch mit der Berufung weiterverfolgt werde, bedürfe es einer entsprechenden Berufungsbegründung. Im Übrigen sei die Berufung unbegründet.

Die Revision hat Erfolg. Sie führt im Umgang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Sache an das Berufungsgericht. Gegenstand des Revisionsverfahren ist nur noch der auf eine fehlerhafte ärztliche Behandlung im Rahmen der Operation vom 07.08.2009 gestützten Schmerzensgeldanspruch in einer reduzierten Größenordnung von 8.000 €. Auf diesen Anspruch hat die Klägerin ihr Rechtsmittel in der Revisionsbegründung in zulässiger Weise beschränkt. Nach Auffassung des erkennenden Senats hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin gegen die Abweisung ihres Antrags auf Zahlung eines angemessenen Schmerzens-geld rechtsfehlerhaft hinsichtlich eines Teilbetrages in Höhe von 8.000 € als unzulässig verworfen. Der Senat führt insoweit aus, dass grundsätzlich das gesamte konkrete Behandlungsgeschehen, aus dem der Kläger seine Ansprüche herleitet, den Gegenstand des Rechtsstreites bildet. Der Sachverhalt würde unnatürlich zersplittert, wenn jeder bei einem operativen Eingriff und der damit im unmittelbar Zusammenhang stehenden Nachbehandlung unterlaufene Behandlungsfehler einen eigenen Streitgegenstand begründe. Nach der gefestigten Rechtsprechung des Senats sind an die Substaniierungspflichten des Patienten im Arzthaftungsprozess nur maßvolle Anforderungen zu stellen. Der geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch bildet keinen teilbaren Streitgegenstand in dem Sinne, dass auf die verschiedenen, den Ärzten nach der Behauptung der Klägerin bei der Operation vom 07.08.2009 unterlaufenen Behandlungsfehler unterschiedliche Schmerzensgeldbeträge entfielen und dieser einer gesonderten rechtlichen Beurteilung zugänglich wären. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts zieht nicht jeder Behandlungsfehler einen eigenen Schmerzensgeldanspruch nach sich. Mehrere Behandlungsfehler, die den Ärzten im Rahmen derselben Operation unterlaufen sind, begründen vielmehr nur einen einheitlichen Schmerzensgeldanspruch, dessen Höhe aufgrund einer ganzheitlichen Betrachtung der den Schadenfall prägenden Umstände zu bemessen ist. Der dem Patienten wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung zustehende Schmerzensgeldanspruch kann nicht in Teilbeträge zum Ausgleich einzelner im Rahmen eines einheitlichen Behandlungsgeschehen unterlaufenen Behandlungsfehler aufgespalten werden. Dem steht der Grundsatz der Einheitlichkeit der Schmerzensgeldbemessung entgegen. Nach diesen Grundsätzen genügt die Berufungsbegründung den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Schon die Berufungsangriffe gegen die Beurteilung des ärztlichen Vorgehens im Zusammenhang mit der Versorgung der Darmverletzung und der Nachbe-handlung waren geeignet, so der Senat, der Begründung des angefochtenen Urteils insgesamt die Tragfähigkeit zu nehmen. Das Berufungsgericht war nicht gehindert, der Klägerin das begehrte Schmerzensgeld in Höhe von 38.000 € allein aufgrund der in der Berufungsbegründung angegebenen Umstände zuzuerkennen.

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Schutzimpfung als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind

BGH, Urteil vom 3.5.2017 — Aktenzeichen: XII ZB 157/16

Leitsatz
1. Die Schutzimpfung eines Kindes ist auch dann eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind, wenn es sich um eine so genannte Standard- oder Routineimpfung handelt.

2. Bei Uneinigkeit der Eltern über die Durchführung einer solchen Impfung kann die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil, der die Impfung entsprechend den Empfehlungen der ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut befürwortet, jedenfalls dann übertragen werden, wenn bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen.

3. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung und Abwägung der allgemeinen Infektion- und Impfrisiken ist hierfür nicht erforderlich.

Sachverhalt
Der Antragsteller (Vater) und die Antragsgegnerin (Mutter) sind die gemeinsamen sorgeberechtigten nichtehelichen Eltern ihrer im Juni 2012 geborenen Tochter. Diese lebt bei der Mutter. Zwischen den Eltern besteht Uneinigkeit über die Notwendigkeit von Schutzimpfungen für ihre Tochter. Sie haben wechselseitig die Alleinübertragung der Gesundheitssorge beantragt.

Der Vater befürwortet vorbehaltlos die Durchführung altersentsprechender Schutzimpfungen. Er sieht sich im Rahmen der elterlichen Gesundheitssorge verpflichtet, sein Kind grundsätzlich gegen Infektionskrankheiten impfen zu lassen, soweit Schutzimpfungen verfügbar seien und durch die ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut empfohlen würden. Die Mutter ist der Meinung, das Risiko von Impfschäden wiegt schwerer als das allgemeine Infektionsrisiko. Nur wenn ärztlicherseits Impfschäden mit Sicherheit ausgeschlossen werden könnten, könne sie anlassunabhängige Impfung ihrer Tochter befürworten.

Das Amtsgericht hat dem Vater das Entscheidungsrecht über die Durchführung von Impfungen übertragen. Auf die Beschwerde der Mutter hat das Oberlandesgericht es bei der Übertragung der Entscheidungsbefugnis auf den Vater belassen, diese aber auf bestimmte Schutzimpfungen beschränkt.

Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Mutter ihr Anliegen weiter, ihr die alleinige Entscheidungsbefugnis in Bezug auf Schutzimpfungen zu übertragen. Die Rechtsbeschwerde hat nach Auffassung des BGH keine Aussicht auf Erfolg.

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

Entscheidung
Die aufgrund § 1628 BGB zutreffende Entscheidung des Familiengerichts richtet sich gemäß § 1697 a BGB nach dem Kindeswohl. Die Entscheidungskompetenz ist dem Elternteil zu übertragen, dessen Lösungsvorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird. Handelt es sich um eine Angelegenheit der Gesundheitssorge, so ist die Entscheidung zu Gunsten des Elternteils zu treffen, der im Hinblick auf die jeweiligen Angelegenheiten das für das Kindeswohl bessere Konzept verfolgt. Das Oberlandesgericht hat im vorliegenden Fall die Entscheidungsbefugnis bezüglich der Schutzimpfung auf den Vater übertragen. Dies entspricht nach Auffassung des Senates den oben genannten Maßstäben. Die Durchführung von Schutzimpfungen ist als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1628 Satz 1 BGB anzusehen. Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens sind nach § 1687 Abs. 1 Satz 3 BGB in der Regel nur solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkung auf die Entwicklung des Kindes haben. Bei Impfungen handelt es sich bereits nicht um Entscheidungen, die häufig vorkommen. Die Entscheidung, ob das Kind während der Minderjährigkeit gegen eine bestimmte Infektionskrankheit geimpft werden soll, fällt mithin im Gegensatz zu Angelegenheiten des täglichen Lebens regelmäßig nur einmal an. Zudem kann die Entscheidung schwer abzuändernde Auswirkung auf die Entwicklung des Kindes haben, wobei zunächst offen bleiben kann, ob die Infektionsrisiken im Fall der Nichtimpfung die Impfungsrisiken überwiegen oder umgekehrt. Bei der Beurteilung der Folgen verdeutlicht vielmehr sowohl das durch eine Impfung vermeidbare und mit möglichen Komplikationen verbundene Infektionsrisiko als auch das Risiko einer Impfschädigung, dass es sich nicht nur um eine Alltagsangelegenheit handelt, sondern um eine Angelegenheit mit erheblicher Bedeutung für das Kind. Die Anwendung des § 1628 BGB erscheint daher seinem Zweck entsprechend nicht zuletzt auch zur Sicherung des dem Kindeswohl dienlichen Rechtsfriedens unter den Eltern als geboten. Mit Recht habe das Oberlandesgericht den Vater als besser geeignet angesehen, über die Durchführung der aufgezählten Impfungen des Kindes zu entscheiden. Es hat hierfür maßgeblich darauf abgestellt, dass der Vater Impfungen offen gegenüber steht und seine Haltung an den Empfehlungen der ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut orientiert. Die Impfempfehlungen der ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut sind in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof als medizinischer Standard anerkannt worden. Daran nimmt die Empfehlung zugrundeliegenden Einschätzung teil, dass der Nutzen der jeweils empfohlenen Impfung das Impfrisiko überwiegt. Einen dem entgegenstehenden Erfahrungssatz hat die Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war das Oberlandesgericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 26 FamFG auch nicht gehalten, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Es konnte vielmehr aufgrund der als medizinischer Standard anerkannten Empfehlung der ständigen Impfkommission am Robert Koch-Institut davon ausgehen, dass der Nutzen der Impfung deren Risiko überwiegt. Die entsprechenden Feststellungen beruht mithin auf sachverständigen Erkenntnissen der hierfür eingesetzten Expertenkommission. Da über die im Rahmen der Impfempfehlungen getroffenen generellen Beurteilungen hinaus keine einschlägigen Einzelfallumstände wie etwa bei dem Kind bestehenden besonderen Impfrisiken vorliegen, hat sich das Oberlandesgericht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde keine eigene sachkundigen medizinscher Fragen angemaßt, sondern für seine Beurteilung in zulässigerweise auf vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgegriffen. Demnach hat das Oberlandesgericht unter Abwägung aller maßgeblichen Umstände folgerichtig den Vater als besser geeignet angesehen, um die Entscheidung über die aufgezählten Schutzimpfungen im Sinne des Kindeswohles zu treffen.

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