Entscheidungsspielraum des Insolvenzverwalters bei Betriebsfortführung

Johannes DeppenkemperJohannes Deppenkemper

BGH, Urteil vom 12. März 2020 – Aktenzeichen: IX ZR 125/17

 

Leitsatz

Maßstab der Entscheidungen des Insolvenzverwalters im Rahmen einer Betriebsfortführung ist der Insolvenzzweck der bestmöglichen gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger. Der Insolvenzverwalter haftet, wenn der Ermessensspielraum überschritten ist, wenn die Maßnahme ex ante betrachtet mit den damit verbundenen Risiken nicht mehr vertretbar ist.

 

Sachverhalt

Der Beklagte ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin. Klägerin ist die Sonderinsolvenzverwalterin, eingesetzt zum Zweck der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen den Beklagten.

 

Der beklagte Insolvenzverwalter wurde von der Gläubigerversammlung mit der Fortführung der Geschäfte der Schuldnerin beauftragt. Im Rahmen dieser Fortführung erbrachte der Beklagte zahlreiche Zahlungen. Die Klägerin wirft dem Beklagten eine Verkürzung der Masse vor, geht von einem Schaden von knapp 900.000,00 € aus.

 

Entscheidung

Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hin hat das Oberlandesgericht das Urteil teilweise abgeändert, den Beklagten zur Zahlung von etwas mehr als 100.000,00 € nebst Zinsen verurteilt, im Übrigen die Klage abgewiesen.

 

Die Klägerin macht in der Revisionsinstanz weitere Ersatzansprüche geltend, die es u.a. im Zusammenhang mit der Vergütung von Coaching-Leistungen und der Zahlung von Dienstleistungen an Dritte. Die Klägerin erstrebt insoweit die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung weiterer ca. 700.000,00 €. Der BGH geht davon aus, dass das OLG rechtsfehlerhaft eine Pflichtverletzung des Beklagten im Zusammenhang mit den Zahlungen des Dienstleisters verneint habe. Das OLG habe zu großzügige Maßstäbe an den Spielraum eines Insolvenzverwalters bei unternehmerischen Maßnahmen im Rahmen der Unternehmensfortführung angelegt. Die Haftung des Insolvenzverwalters ergebe sich bei unternehmerischen Entscheidungen aus § 60 InsO. Im Rahmen einer Unternehmensfortführung habe der Insolvenzverwalter seine Entscheidungen daran auszurichten, ob die zu erwartenden mittelbaren oder unmittelbaren Vorteile für die Masse angesichts der Kosten, Aufwendungen, Chancen und Risiken aus der Sicht ex ante betrachtet als für die Masse wirtschaftlich im Ergebnis als eine sinnvolle Maßnahme erscheinen lasse. Abzustellen sei auf die konkreten Umstände des Einzelfalles, wobei dem Insolvenzverwalter durchaus ein weiter Ermessensspielraum zuzubilligen sei. Er sei allerdings überschritten, wenn die Maßnahme ex ante betrachtet angesichts der Kosten und Risiken nicht mehr vertretbar sei im Hinblick auf die Pflicht des Insolvenzverwalters, die Masse zu sichern und zu wahren. Der Spielraum bestimme sich gerade nicht nach § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, sondern nur nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen. Insolvenzzweckwidrig sind solche Handlungen, welche der gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger klar und eindeutig zuwiderlaufen. Der BGH stellt klar, dass durchaus in Betracht kommt, im Rahmen erforderlicher Maßnahmen einen geeigneten Dienstleister mit der Unternehmensberatung und –begleitung zu beauftragen. Um dies allerdings zu beurteilen, bedürfe es auch einer Wirtschaftlichkeitsbetrachtung, von dem das OLG abgesehen habe. Im konkreten Fall hat das OLG nicht geprüft, ob die Beschäftigung des Dienstleisters mit wöchentlich 5 Beratertagen für insgesamt 9 Monate ex ante betrachtet nicht mehr vertretbar war. Im Ergebnis hat der BGH aus diesem Grund das Urteil des OLG aufgehoben und zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.

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Zahlungsverzug reicht nicht für Zahlungsunfähigkeit

OLG Frankfurt, Urteil vom 1.8.2018 — Aktenzeichen: 4 U 188/17

Leitsatz
Allein der Zahlungsverzug auch betriebsnotwendiger Verbindlichkeiten führt nicht zwingend zur Annahme der Kenntnis von der Gläubigerbenachteiligung auf Seiten des Anfechtungsgegners.
Entscheidung
Die Insolvenzverwalterin begehrt im Rahmen der Anfechtung gem. § 133 Abs. 1 InsO die Rückzahlung von überwiegend verspätet geleisteter Mietzahlungen.

Der Insolvenzantrag wurde am 29.11.2013 gestellt. Für die Monate September 2012 bis Februar 2013 wurde der Mietzins stets nur verspätet eingezogen, alternativ überwiesen. Es kam auch zu verschiedenen Rücklastschriften. Die Mieten für März und April 2013 konnten nicht eingezogen werden, es wurde zwischen der Beklagten und der Schuldnerin eine Teilzahlungsvereinbarung geschlossen. Die Mieten für Mai und Juni wurden erfolgreich eingezogen, jeweils aber erst im Folgemonat. Die Monate Juli und August erfolgten Rücklastschriften. Sodann schlossen Schuldnerin und Beklagte eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Inhalt, dass die Schuldnerin wöchentlich 5.550,-€ an die Beklagte zahlen sollte. Nur die erste Rate wurde gezahlt, die Schuldnerin stellte dann die Zahlung endgültig ein. Die Insolvenzverwalterin als Klägerin behauptet, die Schuldnerin sei bereits bei der ersten angefochtenen Zahlung zahlungsunfähig gewesen, die Beklagte habe hiervon aufgrund der Teilzahlungsvereinbarung, der Rücklastschriften, des Mietrückstandes Kenntnis gehabt.

Gegen das klageabweisende Urteil legt die Insolvenzverwalterin Berufung ein. Das OLG Frankfurt hält die Berufung für im Wesentlichen unbegründet. Für die Zahlungen im Zeitraum August 2012 bis Juli 2013 habe die Beklagte keine Kenntnis vom bestehenden Gläubigerbenachteiligungsvorsatz der Schuldnerin gehabt. Grund sei, dass in diesem Zeitraum die Beklagte noch nicht von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin habe ausgehen müssen. Erstens folge dies nicht allein aus der gewerblichen Tätigkeit der Schuldnerin. Nicht ausreichend seien die offenen Verbindlichkeiten gegen die Beklagte selbst, um von der drohenden Zahlungsunfähigkeit ausgehen zu können. Auch sei zu berücksichtigen, dass die offenen Mietverbindlichkeiten durch die Beklagte gestundet gewesen seien, so dass diese bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit nicht zu berücksichtigen seien. Eine Stundungsvereinbarung sei lediglich dann ein Indiz für eine drohende Zahlungsunfähigkeit, wenn damit auch die Aussage des Schuldners verbunden sei, auf andere Weise die Verbindlichkeiten nicht mehr begleichen zu können. Darüber hinaus – so das OLG – habe die Schuldnerin freiwillig gezahlt. Auch reicht es nicht für die Kenntnis im Rahmen des § 133 InsO, dass der Anfechtungsgegner bloß Zweifel an der Kreditwürdigkeit habe. Es sei erforderlich, dass Kenntnis von den tatsächlichen Umständen bestand, die zwingend auf eine Zahlungsunfähigkeit schließen lassen.

Entscheidend ist hier, dass zwar die Nichtbegleichung betriebswesentlicher Forderungen – Mietzahlungen zählen hierzu – grundsätzlich ein Indiz für eine Zahlungsunfähigkeit darstellen kann. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass diese einerseits nicht unerheblich sind, andererseits über einen längere Zeitraum nicht beglichen werden, hierfür dürfte ein Zeitraum von mindestens sechs Monaten erforderlich sein (BGH, Urteil vom 13.06.2006 – IX ZB 238/05).

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Kein Schadensersatz auf der Basis fiktiver Mängelbeseitigungskosten

Bundesgerichtshof, Urteil vom 22.2.2018 — Aktenzeichen: VII ZR 46/17

Leitsatz
Der Besteller kann gegenüber dem ausführenden Unternehmen und gegenüber dem Architekten seinen Schadensersatzanspruch nicht nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten bemessen. Der BGH gibt seine bisherige Rechtsprechung auf.
Sachverhalt
Die Klägerin beauftragte das ausführende Unternehmen (i. F. AN) mit der Durchführung u. a. von Natursteinarbeiten im Außenbereich. Der Architekt war mit Planung und Überwachung beauftragt. Die Natursteinarbeiten waren fehlerhaft, es kam zu Rissen und Ablösungen. Die Klägerin verlangte von dem AN und dem Architekten Schadensersatz auf der Basis fiktiver Mängelbeseitigungskosten. Die Klägerin ließ Mängelbeseitigungsarbeiten nicht ausführen, das Objekt wurde im Laufe des gerichtlichen Verfahrens veräußert. Landgericht und Oberlandesgericht verurteilten AN und Architekt zur Zahlung von Schadensersatz, dies auf der Grundlage fiktiver Mängelbeseitigungskosten. AN und Architekt haben Revision eingelegt und begehren die Aufhebung des Berufungsurteils und Abweisung der Klage.

Entscheidung
Der BGH hebt das Berufungsurteil auf und verweist die Sache zurück an das Berufungsgericht. Ausdrücklich gibt der BGH seine bisherige Rechtsprechung auf. Nach dieser bisherigen Rechtsprechung konnte ein Besteller (hier: Klägerin) den Schaden auch nach den fiktiven Mängelbeseitigungskosten berechnen und klageweise geltend machen. Hiervon rückt der BGH ab. Wenn ein Besteller keine Aufwendungen zur Mängelbeseitigung tätige, so gebe es auch keinen Vermögensschaden in Form und in Höhe dieser lediglich fiktiven Aufwendungen. Nur wenn der Besteller den Schaden beseitigen lasse, entstehe ihm ein Vermögensschaden in Höhe der aufgewandten Kosten. Eine Schadensbemessung nach fiktiven Mängelbeseitigungskosten führe häufig zu einer Überkompensation und bedeute oftmals eine nicht gerechtfertigte Bereicherung des Bestellers. Der BGH weist darauf hin, dass der Besteller keinesfalls schutzlos bleibe. Bei Durchführung von Mängelbeseitigungsmaßnahmen hat dieser die Möglichkeit, die tatsächlich aufgewandten Mängelbeseitigungskosten zu verlangen, alternativ Befreiung von den zur Mangelbeseitigung eingegangenen Verbindlichkeiten. Auch gebe es weiterhin die dritte Möglichkeit des Vorschusses. Im Hinblick auf den mitverklagten Architekten gelte nichts Anderes. Auch hier scheide eine Berechnung eines Ersatzanspruches auf der Basis der fiktiven Mängelbeseitigungskosten aus. Der Besteller hat nach dieser neuen Rechtsprechung bei Nichtbeseitigung eines Mangels die Möglichkeit, den Minderwert des Bauwerkes im Vergleich zum hypothetischen Wert des Bauwerkes bei mangelfreier Architektenleistung zu verlangen oder aber bei Veräußerung des Objekts auf der Basis des konkreten Mindererlöses. Auch hat der Besteller die Möglichkeit, ausgehend von der mit dem Bauunternehmer vereinbarten Vergütung den mangelbedingten Minderwert des Werkes des Bauunternehmers zu ermitteln und gegenüber dem Architekten geltend zu machen. Für den Fall, dass der Besteller den Mangel des Bauwerkes beseitigen lässt, stellt der BGH hinsichtlich der Ansprüche gegenüber dem Architekten einen Gleichlauf mit den Ansprüchen des Bestellers gegenüber dem ausführenden Unternehmen her. Erstens gibt es – wie bisher – den Anspruch auf Ersatz der tatsächlich aufgewandten Kosten. Zweitens gibt es (vor Begleichung der Kosten) einen Befreiungsanspruch gegenüber dem Architekten. Drittens – dies ist neu – wird dem Besteller ein Vorschussanspruch gegenüber dem Architekten zugebilligt. Dies begründet der BGH mit dem Umstand, dass dem Besteller die Nachteile und Risiken einer Vorfinanzierung abgenommen werden müssten.

Praxishinweis
Spannend wird die obige neue Rechtsprechung des BGH insbesondere für sämtliche anhängigen Verfahren. Insbesondere in Haftpflichtprozessen gegen Architekten ist anzunehmen, dass in zahlreichen Verfahren der bislang geltend gemachte Schadensersatzanspruch umgestellt wird auf das Begehren der Zahlung eines Vorschussanspruches. Hier wird der Architekt, sein Haftpflichtversicherer und der betreuende Anwalt sorgfältig darauf achten müssen, dass nach (hier unterstellter) Verurteilung eines Architekten zur Zahlung eines Vorschussanspruches dieser auch endabgerechnet wird. Anderenfalls bliebe es faktisch bei der heute oftmals auftretenden Variante, dass ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht und gezahlt, jedoch der Besteller von der Durchführung einer Mängelbeseitigung absieht. Hier wäre der einmal gezahlte Vorschuss zurückzufordern, da mit der neuen Rechtsprechung des BGH anderenfalls eine Zahlung im Vermögen des Bestellers verbliebe, der als Schadensersatzanspruch auf fiktiver Basis errechnet worden wäre.

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Spielraum des Insolvenzverwalters bei Anzeige der Masseunzulänglichkeit

BGH, Urteil vom 20.7.2017 — Aktenzeichen: IX ZR 310/14

Leitsatz
1. Dem Insolvenzverwalter steht bei der Frage, zu welchem Zeitpunkt er die (drohende) Masseunzulänglichkeit anzeigt, ein weiter Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu. Dessen Einhaltung kann das Gericht des Haftungsprozesses umfassend nachprüfen.

2. Die vom Insolvenzverwalter bei der Anzeige der Masseunzulänglichkeit berücksichtigte voraussichtliche Verwaltervergütung kann das Gericht des Haftungsprozesses daraufhin überprüfen, ob der Insolvenzverwalter den ihm dabei zuzugestehenden Beurteilungsspielraum in unvertretbarer Weise überschritten hat.

Sachverhalt
Der Beklagte ist Insolvenzverwalter einer GmbH. Er wird vom Kläger, dem ehemaligen Geschäftsführer der Gesellschaft, persönlich auf Schadensersatz in Anspruch genommen.

Der beklagte Insolvenzverwalter hatte in einem Vorprozess den Kläger auf Erstattung zurückgewährter Einlagen und auf Schadensersatz verklagt. Hierfür hatte der Beklagte eine Prozessfinanzierungsvereinbarung mit einem Prozessfinanzierer geschlossen. Die Klage aus dem Vorprozess wurde in allen Instanzen abgewiesen. Nach Abweisung der Klage in erster Instanz hatte der Beklagte Masseunzulänglichkeit angezeigt. Die zugunsten des hiesigen Klägers festgesetzten Kosten wurden deshalb nicht ersetzt. Der Kläger verlangt nunmehr vom Beklagten persönlich Ersatz seiner Anwaltskosten, die aus dem Vorprozess noch offen sind. Das Oberlandesgericht hat der Klage stattgegeben. Der BGH hat das Urteil aufgehoben und zu Lasten des Klägers entschieden.

Entscheidung
Nachdem das Oberlandesgericht in dem Verhalten des Beklagten eine vorsätzlich sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB gesehen hat, hat der BGH dieser Auffassung einer Absage erteilt. Nach Auffassung des BGH ist das Verhalten des Beklagten nicht als sittenwidrig zu qualifizieren gewesen. Es sei vielmehr vertretbar gewesen, etwaige Ansprüche aus dem Prozessfinanzierungsvertrag nicht gegen den Prozessfinanzierer geltend zu machen, da vertragliche Unklarheiten bei der Verfolgung der in Rede stehenden Ansprüche zu erwarten waren. Auch aus anderen Gründen sei die Anzeige der Masseunzulänglichkeit nicht sittenwidrig gewesen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass dem Verwalter bei der Frage, zu welchem Zeitpunkt er die drohende Masseunzulänglichkeit anzeigt, ein weiter Handlungs- und Entscheidungsspielraum zusteht. Der Verwalter hat die Anknüpfungstatsachen und wirtschaftlichen Eckdaten sorgfältig zu ermitteln und seinen Bewertungsspielraum nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung auszuüben. Er muss von den im Zeitpunkt seiner Prüfung verfügbaren Erkenntnissen und Tatsachen ausgehen, zugleich aber die Geschäftsentwicklung für die Dauer der Fortführung des Insolvenzverfahrens berücksichtigen und die aus der Fortführung resultierenden tatsächlichen und rechtlichen Ungewissheiten einbeziehen. Bewertungsschwierigkeiten und Schätzungsungenauigkeiten sind einer solchen Prognoseberechnung immanent und hinzunehmen. Dies gilt auch für die Bewertung der voraussichtlichen Vergütung und Auslagen des Insolvenzverwalters, die im Rahmen eines Haftungsprozesses gerichtlich überprüfbar ist. Allerdings muss sich in einem Haftungsprozess die gerichtliche Überprüfung darauf beschränken, ob der Insolvenzverwalter einen ihm zustehenden Beurteilungsspielraum überschritten hat. Eine solche Überschreitung konnte der BGH im vorliegenden Fall nicht feststellen. Vielmehr hatte der beklagte Insolvenzverwalter nachvollziehbar und nachprüfbar dargelegt, wie sich die von ihm in die Masseunzulänglichkeitsberechnung eingestellte Vergütungshöhe errechnete. Die Berechnungsgrundlage wurde angegeben; die jeweils angesetzten zu hohen Abschläge begründet. Es war daher nicht festzustellen, dass der beklagte Insolvenzverwalter seinen Beurteilungsspielraum so deutlich überschritten hätte, dass ein verwerfliches Handeln zu erkennen sei. Entsprechend habe der beklagte Insolvenzverwalter die Vergütung auch nicht verwirkt.

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Haftung des Geschäftsführers in der Insolvenz nach § 64 GmbHG

BGH, Urteil vom 4.7.2017 — Aktenzeichen: II ZR 319/15

Leitsatz
1. Die Ersatzpflicht des Organs für Zahlungen nach Insolvenzreife entfällt, soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Zahlung durch eine Gegenleistung ausgeglichen wird. Die Regeln des Bargeschäfts nach § 142 InsO aF sind insoweit nicht entsprechend anwendbar.

2. Die in die Masse gelangende Gegenleistung muss für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein. Das sind Arbeits- oder Dienstleistungen in der Regel nicht.

3. Wenn die Gesellschaft insolvenzreif und eine Liquidation zugrunde zu legen ist, ist die in die Masse gelangende Gegenleistung grundsätzlich nach Liquidationswerten zu bemessen.
Sachverhalt
Der Kläger als Insolvenzverwalter macht Ansprüche gegen den Beklagten als Director der Schuldnerin (private company limited by shares nach englischem Recht) geltend. Der Beklagte habe nach § 64 S. 1 GmbHG die Mittel zu ersetzen, die er der Schuldnerin entzogen habe. Insbesondere geht es um Zahlungen für Energie, Wasser, Kaffeeautomatenservice und Gehaltszahlungen. Nachdem das LG Düsseldorf der Klage stattgegeben hatte, hat das OLG Düsseldorf die Klage teilweise abgewiesen. Das OLG Düsseldorf war der Auffassung, dass die Ersatzpflicht des Geschäftsführers entfalle, da die Gegenleistungen für die Zahlungen in Form von Energie, Wasser und Arbeitskraft als unmittelbare oder gleichwertige Gegenleistung anzusehen seien. Hierzu zieht das OLG den Wortlaut von § 142 InsO aF heran, nachdem eine Leistung des Schuldners, für die unmittelbar eine gleichwertige Gegenleistung in sein Vermögen gelangt, nur anfechtbar ist, wenn die Voraussetzung des § 133 Abs. 1 InsO vorliegen.

Entscheidung
Der BGH hat die Entscheidung des OLG aufgehoben und der Klage insgesamt stattgegeben. Nach Auffassung des BGH entfällt die Ersatzpflicht des Geschäftsführers für Zahlungen nach Insolvenzreife gemäß § 64 S. 1 GmbHG, soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen wird. Da der die Erstattungspflicht auslösende Vorgang in der Schmälerung der Masse durch die einzelnen Zahlungen besteht, ist nicht jeder beliebige weitere Massezufluss als Ausgleich dieser Masseschmälerung zu berücksichtigen. Vielmehr ist ein unmittelbarer wirtschaftlicher, nicht notwendig zeitlicher Zusammenhang mit der Zahlung erforderlich, damit der Massezufluss der an und für sich erstattungspflichtigen Masseschmälerung zugeordnet werden kann. Auf eine Zuordnung nach wirtschaftlicher Betrachtung zu einzelnen masseschmälernden Zahlungen kann nicht verzichtet werden, da der Ersatzanspruch nicht auf Erstattung eines Quotenschadens gerichtet ist. Allerdings sind die Regelungen des Bargeschäfts nach § 142 InsO aF nicht anwendbar. Mit § 142 InsO aF wird ein anderer Zweck verfolgt, als durch das Entfallen der Ersatzpflicht des Geschäftsführers beim Ausgleich der Masseschmälerung. Die Vorschrift des § 142 InsO aF dient im Wesentlichen dem Schutz des Geschäftsgegners. § 64 GmbHG bezweckt nicht den Schutz des Geschäftsgegners, sondern der Gläubiger der insolvenzreifen Gesellschaft. Zudem liegt § 142 InsO aF der wirtschaftliche Gesichtspunkt zugrunde, dass ein Schuldner, der sich in der Krise befindet, praktisch vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen würde, unterlägen selbst von ihm abgeschlossene wertäquivalente Bargeschäfte der Anfechtung. Anders als § 142 InsO aF soll der Wegfall der Erstattungspflicht bei einer ausgleichenden Gegenleistung nach einer Zahlung i. S. des § 64 S. 1 GmbHG dagegen nicht eine weitere Teilnahme der Schuldnerin am Geschäftsverkehr ermöglichen. Ab Insolvenzreife darf der Geschäftsführer – abgesehen von der Ausnahme nach § 64 S. 2 GmbHG – keine Zahlungen mehr leisten, sondern hat Insolvenzantrag zu stellen. Die GmbH soll gerade nicht weiter am Geschäftsverkehr teilnehmen.

Die vorliegend für die Leistungen erlangten Gegenleistungen sind nach Auffassung des BGH nicht geeignet, die Masseverkürzung auszugleichen. Die Bewertung selbst hat danach zu erfolgen, ob die Insolvenzgläubiger die Gegenleistungen verwerten können, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt das Verfahren eröffnet ist. Das ist bei Arbeits- oder Dienstleistungen regelmäßig nicht der Fall. Dienstleistungen führen nicht zu einer Erhöhung der Aktivmasse und sind damit kein Ausgleich des Masseabflusses. Das gleiche gilt für Energieversorgungs- und Telekommunikationsdienstleistungen und auch für Materiallieferungen, die im Bewertungszeitpunkt quasi nicht verwertbar sind (hier gelieferter Kaffee im Rahmen eines „Coffee-Services“).

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Zur Haftung des Geschäftsführers nach § 64 Satz 1 GmbHG für Zahlungen, mit denen Arbeitsleistungen oder Vorleistungen abgegolten werden

OLG München, Urteil vom 22.6.2017 — Aktenzeichen: 23 U 3769/16

Leitsatz
1. Die Haftung des Organs für masseverkürzende Leistungen nach § 64 Satz 1 GmbHG kann nur dann entfallen, wenn der Gesellschaft ein dem Gläubigerzugriff unterliegender Vermögenswert zufließt.

2. Insbesondere Zahlungen, mit denen Arbeitsleistungen abgegolten werden, sind masseschmälernde Zahlungen im Sinne des § 64 Satz 1 GmbHG (entgegen OLG Düsseldorf, Urteil vom 01.10.2015, 6 U 169/14).

Sachverhalt
Der Kläger macht als Insolvenzverwalter Ansprüche nach § 64 Satz 1 GmbHG gegen den ehemaligen Geschäftsführer der Schuldnerin geltend. Insbesondere geht es um Zahlungen, die der Beklagte nach Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung der Schuldnerin für diverse Lieferanten, Arbeitnehmer und öffentliche Träger geleistet hat. Der beklagte Geschäftsführer verteidigt sich damit, wegen seiner Stellung als angestellter Geschäftsführer sei § 64 Satz 1 GmbHG nicht anzuwenden. Darüber hinaus würde seine Ersatzpflicht entfallen, da die durch die Zahlungen verursachte Schmälerung der Masse unmittelbar ausgeglichen worden sei.

Entscheidung
Das OLG München hat den ehemaligen Geschäftsführer im Wesentlichen antragsgemäß verurteilt. Das OLG München ist zunächst der Auffassung, dass § 64 Satz 1 GmbHG anwendbar ist. Die von dem beklagten Geschäftsführer vertretene Auffassung, es seien die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs zur Anwendung zu bringen, hält das OLG für unzutreffend, da es sich bei § 64 Satz 1 GmbHG nicht um eine Schadensersatznorm, sondern um einen Ersatzanspruch eigener Art handelt. Dem Zweck, das Gesellschaftsvermögen wieder aufzufüllen, widerspräche die Anwendung der Grundsätze der eingeschränkten Arbeitnehmerhaftung.

Den geleisteten Zahlungen stehen nach Auffassung des Oberlandesgerichts keine werthaltigen Gegenleistungen gegenüber, die eine Haftung nach § 64 Satz 1 GmbHG entfallen lassen könnten. Zweck der Geschäftsführerhaftung nach § 64 Satz 1 GmbHG ist es, die verteilungsfähige Vermögensmasse einer insolvenzreifen GmbH im Interesse der Gesamtheit ihrer Gläubiger zu erhalten und eine zu ihrem Nachteil gehende, bevorzugte Befriedigung einzelner Gläubiger zu verhindern. Die Befriedigungsaussichten der Gläubiger werden aber nur dann nicht beeinträchtigt, wenn anstelle der Zahlungen ein gleichwertiger Gegenstand in das Schuldnervermögen gelangt, der genauso wie die Zahlung zum pfändbaren Haftungsbestand des Schuldners gehört. Entsprechend kann die Tätigkeit eines Arbeitnehmers keine werthaltige Gegenleistung darstellen, die bezüglich gezahlter Bruttolöhne eine Ersatzpflicht des Geschäftsführers nach § 64 Satz 1 GmbHG entfallen lassen könnte. Der Beklagte kann mit der weiteren Argumentation, er habe durch die Aufrechterhaltung des Betriebes Liquiditätszuwächse erzielt, eine Haftung nicht abwenden; denn nicht jeder beliebige weitere Massezufluss als Ausgleich der Masseschmälerung ist im Rahmen des § 64 Satz 1 GmbHG zu berücksichtigen. Eine allgemeine Saldierung ist nicht möglich. Entsprechend wurde der Beklagte antragsgemäß verurteilt.

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Darf ein Insolvenzverwalter persönlich eine Geschäftschance nutzen, die er auch für die Insolvenzschuldnerin nutzen könnte?

BGH, Urteil vom 16.3.2017 — Aktenzeichen: IX ZR 253/15

Leitsatz
Ob der Insolvenzverwalter für eine unternehmerische Fehlentscheidung haftet, ist am Insolvenzzweck der bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger unter Berücksichtigung der von den Insolvenzgläubigern getroffenen Verfahrensentscheidung zu messen.

Der Insolvenzverwalter darf keine Geschäftschance persönlich nutzen, die aufgrund der Umstände des jeweiligen Falles dem von ihm verwalteten Schuldnerunternehmen zuzuordnen ist.

Sachverhalt
Der Kläger ist Verwalter einer Wohnungs- und Baugesellschaft. Er nimmt den Beklagten, seinen Vorgänger im Amt des Insolvenzverwalters, auf Schadensersatz in Anspruch. Die Schuldnerin war Verwalterin einer Wohnungseigentumsanlage und bleib dies auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Im Jahr 2007 wurde die Liquidation und bestmögliche Verwertung des Immobilienbestandes beschlossen. Der Geschäftsbetrieb sollte vorläufig fortgeführt werden. Im Jahre 2008 wollten Käufer eine Wohnung veräußern. Sie wandten sich an den Geschäftsführer der Schuldnerin. Der beklagte Insolvenzverwalter kaufte daraufhin persönlich die Wohnung zu einem Kaufpreis von 3.000,00 €. Als Insolvenzverwalter der Schuldnerin in ihrer Eigenschaft als WEG-Verwalterin stimmte er der Veräußerung zu. Als Insolvenzverwalter der Schuldnerin in ihrer Eigenschaft als frühere Eigentümerin der Wohnung bewilligte er zudem die Löschung einer Rückauflassungsvormerkung. Die Wohnung wurde von der Schuldnerin verwaltet und vermietet. Der gesamte Immobilienbestand der Schuldnerin wurde dann veräußert, wobei sich die Erwerberin des Immobilienbestandes an den Beklagten wandte und ihm für die streitgegenständliche Wohnung einen Betrag i.H.v. 45.000,00 € anbot. Der Kläger begehrt nun von dem ehemaligen Insolvenzverwalter Schadensersatz i.H.v. 42.000,00 €. Die Klage ist in den Vorinstanzen abgewiesen worden.

Entscheidung
Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass es keine Verpflichtung des Beklagten zum Erwerb der Wohnung für die Masse gegeben habe. Es hätten noch drei weitere Wohnungen in der Anlage nicht im Eigentum der Schuldnerin gestanden. Zudem sei ein Hinzuerwerb der Wohnung wegen eines Leerstandes riskant gewesen. Ein Wettbewerbsverbot für den Insolvenzverwalter gebe es nicht, weshalb der Beklagte die Wohnung selbst erwerben konnte.

Der BGH erteilt dieser Auffassung eine Absage. Grundsätzlich ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm nach der InsO obliegen. Zu seinen Pflichten gehört es, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu bewahren und ordnungsgemäß zu verwalten. Diese Pflicht hat sich am gesetzlichen Leitbild des ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters auszurichten, welches an die handelsgesellschaftsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen angelehnt ist. Maßstab aller unternehmerischen Entscheidungen des Insolvenzverwalters im Rahmen einer Betriebsfortführung ist der Insolvenzzweck der bestmöglichen gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger sowie das von den Gläubigern gemeinschaftlich beschlossene Verfahrensziel. Diese Pflicht ist vielfach nicht schon dann erfüllt, wenn es dem Verwalter gelingt, den Bestand der Masse zu erhalten. Vielmehr kann der Verwalter gehalten sein, bis zur endgültigen Verteilung der Masse nicht benötigte Gelder nicht nur zu sichern, sondern auch zinsgünstig anzulegen. Zur Masseverwaltungspflicht gehört auch ein allgemeines Wertmehrungsgebot. Das gilt auch und gerade im Rahmen einer Betriebsfortführung, wenn auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedingungen des Insolvenzverfahrens. Die konkreten Pflichten des Insolvenzverwalters hängen dabei vom Einzelfall ab. Vorliegend war die Wohnung äußerst günstig zu erwerben, obwohl der objektive Wert deutlich höher war. Darüber hinaus gehörte die Wohnung zu der Eigentumsanlage, die ohnehin bis auf drei Wohnungen der Insolvenzschuldnerin gehörte. Die Wohnungseigentumsanlage wurde zudem von der Insolvenzschuldnerin verwaltet und sollte bis zum Verkauf der Wohnungen weiter betrieben werden. Darüber hinaus konnte die Wohnung vermietet werden; der Beklagte vermietet die Wohnung dann auch für 214,00 € netto im Monat. Im Ergebnis handelte es sich nach Auffassung des BGH um ein Geschäft, welches die Masse ohne sonderlichen Aufwand und ohne großes Risiko erheblich vermehrt hätte.

Zudem sieht der BGH einen Verstoß gegen die Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaft handelnden Insolvenzverwalters darin, dass der Beklagte eigennützig, ohne Berücksichtigung der Interessen der Insolvenz- und Massegläubiger ein vorteilhaftes Geschäft an sich gezogen hat, welches im engen Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb der Insolvenzschuldnerin stand und daher dieser zuzuordnen war.

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Fehlende Kenntnis des beklagten Sozialversicherungsträgers

OLG Hamm, Urteil vom 19.8.2014 — Aktenzeichen: I-27 U 25/14

Zur (fehlenden) Kenntnis des beklagten Sozialversicherungsträgers vom Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen.

Leitsatz
Zahlt der Schuldner Sozialversicherungsbeiträge über einen längeren Zeitraum jeweils mit einer Verspätung von bis zu drei Monaten, so kann im Rahmen des § 133 InsO nicht automatisch auf die Zahlungseinstellung sowie die Kenntnis des Sozialversicherungsträgers von dieser Einstellung ausgegangen werden. Erforderlich ist nach dem Urteil des OLG Hamm eine Gesamtschau.

Sachverhalt
Der Insolvenzverwalter als Kläger ficht Zahlungen des Schuldners an den Sozialversicherungsträger in Höhe von ca. 260.000,00 € an. Die Zahlungen flossen von Mitte 2007 bis Ende 2009. Aufgrund des Zeitablaufes kam nur eine Anfechtung gemäß § 133 InsO in Betracht.

Das Landgericht hat insoweit die Klage abgewiesen, auf die Berufung des Insolvenzverwalters hat das OLG Hamm die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Das OLG Hamm stellt zwar fest, dass typischerweise von einer Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens auszugehen ist, wenn Sozialversicherungsbeiträge nicht bei Fälligkeit ausgeglichen werden (s. auch BGH NJW 2009, 1202, 1204). Ungeachtet dessen nimmt das OLG Hamm eine Gesamtschau vor. Das OLG stellt darauf ab, dass die Rückstände fälliger Beträge der Höhe nach nur für ein bis drei Monate entstanden sind, die Zeiträume beliefen sich zwischen einem und knapp drei Monaten. Die Schuldnerin zahlte also ca. 2,5 Jahre lang binnen jeweils eines Zeitraumes von einem Monat bis knapp drei Monaten die alten Rückstände nebst Mahngebühren und Säumniszuschlägen. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung ist das Oberlandesgericht Hamm sogar dem Kläger gefolgt, der vorgetragen hat, dass der Schuldner erst gezahlt habe aufgrund von Mahnungen und Vollstreckungsandrohungen des Sozialversicherungsträgers. Das OLG hat hierzu ausgeführt, diese Umstände seien angesichts der kontinuierlichen Fortführung des Geschäftsbetriebes als Beweisanzeichen für eine Zahlungseinstellung von geringerer Bedeutung. Gegen die Kenntnis der Beklagten (Sozialversicherungsträger) spreche gerade der Umstand, dass die Schuldnerin stets mit maximal drei Monaten Verspätung gezahlt habe. Es sei für die Beklagte nicht ersichtlich gewesen, dass die Schuldnerin am Rande des wirtschaftlichen Abgrundes operiert hätte. Unter Berücksichtigung dieser Gesamtschau der zu beurteilenden Beweisanzeichen sei nicht von einer Kenntnis des beklagten Sozialversicherungsträgers vom Vorsatz des Schuldners auszugehen.

Entscheidung
Insolvenzverwalter versuchen zunehmend, Zahlungen von Schuldnern im Rahmen des § 133 InsO anzufechten, um so in den „Genuss“ des 10-Jahres-Zeitraumes zu kommen. Oft wird unter Vorlage exorbitanter Zahlungslisten dargelegt, dass der Schuldner über Jahre sich in Verzug befunden habe, im Übrigen ausweislich der Unterlagen es zahlreiche Mahnungen und Vollstreckungshandlungen des Sozialversicherungsträgers gegeben habe. Hier ist sorgfältig zu differenzieren. Nach der ausgewogenen Entscheidung des OLG Hamm ist eine Gesamtschau vorzunehmen. Im Ergebnis wird man die Länge der Verzugszeiträume ebenso zu berücksichtigen haben wie die Höhe jeweils sich aufstauender Rückstände. Diese Entscheidung des OLG Hamm gibt Hoffnung, dass die Versuche der Insolvenzverwalter, über § 133 InsO auch über den Drei-Monats-Zeitraum hinaus Zahlungen des späteren Schuldners anzufechten, eingedämmt werden.

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Gläubigerbenachteiligungsvorsatz bei Überweisung über das Konto eines Familienangehörigen des Schuldners

BGH, Urteil vom 24.10.2013 — Aktenzeichen: IX ZR 104/13

Leitsatz
Zahlt der Schuldner durch Überweisung über das Konto seines Vaters, so kann sich der Gläubiger als Anfechtungsgegner nicht der Möglichkeit verschließen, dass die Zahlung auf eine Rechtshandlung des Schuldners beruht und die Gläubiger benachteiligt.

Sachverhalt
Der Schuldner war zahlungsunfähig. Er teilte dem späteren Beklagten mit, dass er zur Zahlung außer Stande sei. Forderungen zog der Schuldner im Einverständnis mit seinem Vater über dessen Konto ein. Der Schuldner veranlasste später Zahlungen von diesem Konto des Vaters an den Beklagten. Der Insolvenzverwalter erklärte die Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO. Der BGH bejaht die Gläubigerbenachteiligung. Die Gutschriften auf dem Konto des Vaters seien als Treugut des Schuldners zu werten. Wenn folglich Überweisungen zu Lasten dieses Treuguts erfolgten, werde das haftende Vermögen verkürzt. Der Beklagte (Gläubiger) habe als Anfechtungsgegner die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners gekannt. Damit stellten sich die inkongruenten Leistungen als Beweisanzeichen sowohl für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners als auch dessen Kenntnis beim Gläubiger dar. Der BGH hat darauf hingewiesen, dass keine überhöhten Anforderungen an die subjektiven Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 S.2 InsO gestellt werden dürfen. Insoweit reiche die allgemeine Kenntnis von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners beim Anfechtungsgegner. Nicht erforderlich sei, dass der Anfechtungsgegner sämtliche Umstände kenne, aus denen sich dieser Vorsatz ergebe. Der Beklagte habe sich nicht der Kenntnis verschließen können, die Zahlungen seien mit Benachteiligungsvorsatz erfolgt.

Anmerkung
Die Entscheidung des BGH begegnet Zweifeln. Offen bleibt, weshalb ein Gläubiger davon ausgehen muss, dass auf dem Konto des Dritten sich das benannte „Treugut“ befinden soll. Wenn beispielsweise eine Anweisung auf Kredit vorläge, wäre eine Gläubigerbenachteiligung nicht gegeben (BGH WM 2008, 2224). Auch könnte es durchaus sein, dass der Geschäftsführer einer insolventen GmbH von einem Konto, welches nicht dem Unternehmen zuzuordnen ist, Überweisungen wegen ausstehender Sozialversicherungsbeiträge oder anderweitiger Schulden vornimmt. Eine Anfechtung nach § 133 InsO würde auch dann ausscheiden.

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Kenntnis des Sozialversicherungsträgers von Zahlungseinstellung bei verzögerter Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge?

BGH, Urteil vom 7.11.2013 — Aktenzeichen: IX ZR 49/13

Leitsatz
Tilgt der Schuldner Sozialversicherungsbeiträge über einen längeren Zeitraum jeweils mit einer Verspätung von mehreren Wochen, kann nicht automatisch die Wertung erfolgen, dass der Sozialversicherungsträger aus diesem Umstand auf eine Zahlungseinstellung des Schuldners schließen musste.

Sachverhalt
Die Schuldnerin zahlte von Februar bis Dezember 2006 Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von ca. 16.000,00 € an die beklagte Sozialversicherungsträgerin. Monatlich wurden zwischen 1.300,00 € bis 2.300,00 € einschließlich Säumniszuschläge/ Mahngebühren gezahlt. Hintergrund war, dass die Zahlungen jeweils 3 – 4 Wochen nach Fälligkeit erfolgten. Der Sozialversicherungsträger hatte weder mit der Zwangsvollstreckung und auch nicht mit der Stellung eines Eröffnungsantrages gedroht, um die jeweiligen Zahlungen zu erzwingen. Im Februar 2007 erfolgte ein Eigenantrag. Das Insolvenzverfahren wurde eröffnet. Der BGH hatte den Tatbestand des § 133 Abs. 1 InsO auszulegen. Der BGH stellt fest, dass allein die Verspätung der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen immerhin stets um fast einen Monat über 11 Monate hinweg nicht auf eine Kenntnis des Gläubigers von der Zahlungseinstellung schließen lässt. Erst eine mehrmonatige komplette Nichterfüllung von Sozialversicherungsbeiträgen führe dazu, dass daraus auf eine Zahlungseinstellung zu schließen sei. Genau dieser Sachverhalt lag erkennbar nicht vor. Da fortlaufend die Beitragsforderungen (hier einschließlich Säumniszuschläge/ Mahngebühren) vollständig erfüllt wurden, könne nicht daraus zwingend geschlossen werden, dass die Schuldnerin gegenüber anderen Gläubigern ihre Verbindlichkeit nicht erfüllt habe oder erfüllen werde.

Anmerkung
Die Entscheidung des BGH gibt dem Sozialversicherungsträger breiteren Handlungsspielraum. Wichtig ist allerdings in einer derartigen Situation, dass der Sozialversicherungsträger als Gläubiger keinen Druck erzeugt (z. B. durch Androhung des Insolvenzantrages, Androhung der ZV). Eine derartige Vorgehensweise lässt dann den Rückschluss darauf zu, dass eine Zahlungseinstellung anzunehmen ist, von der der Sozialversicherungsträger Kenntnis hat, so dass auch von der Kenntnis des Sozialversicherungsträgers vom Benachteiligungsvorsatz des Schuldners auszugehen ist.

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