Recht im Winter II – der gelieferte Weihnachtsbaum

Michael PeusMichael Peus

OLG Düsseldorf, Urteil vom 18.11.2022 – 22 U 137/21

Leitsatz

Wird ein Vertrag über die Lieferung und Aufstellung eines Weihnachtsbaumes geschlossen, so trifft beide Vertragsparteien die Verkehrssicherungspflicht. Sie haften im Schadensfall im Außenverhältnis als Gesamtschuldner, § 421 BGB. Im Innenverhältnis kann indes auch nur der Lieferant haften.

Sachverhalt

Die Beklagte bot Eigentümern und Betreibern eines Einkaufszentrums an, einen Weihnachtsbaum auf ihrem Grundstück gegen eine „Spende“ von 1.500 – 2.100€ aufzustellen. Dies wurde umgesetzt. Der 6m hohe Baum wurde mit Ständer angeliefert und im Eingangsbereich draußen aufgestellt. Der Baum war in einem ca. 1 Tonne schweren Betonständer mit Holzstücken verkeilt.

Der Baum kippte infolge starken Windes (Beaufort 6) um. Noch vor Beginn der Geschäftszeiten am nächsten Tag (8 Uhr) war der Baum wieder aufgerichtet. Von wem der Baum wieder aufgerichtet wurde, ist streitig.

Am Morgen des 24.12. kippte der Baum infolge eines Sturmes (Beaufort 8) erneut um, und traf eine Kundin, die sich eine Fraktur am Knöchel zuzog.

Entscheidung

Der Centerbetreiber hat Ansprüche gegen die Beklagte aus Vertrag gem. §§ 437 Nr. 3, 280, 281, 249 BGB. auch wenn im Außenverhältnis beide verkehrssicherungspflichtig sind, haftet im Innenverhältnis der Lieferant alleine.

  1. Bei dem Vertrag selbst handelte es sich um einen typengemischten (vorwiegend kaufvertraglichen) Vertrag über die Lieferung und Montage eines Weihnachtsbaumes mit späterem Abtransport und Entsorgung. Die Aufforderung zur „Spende“ stellt hierbei nur eine unerhebliche „Falschbezeichnung“ dar. (Anmerkung: falsa demonstratio non nocet)
  2. Die Verkehrssicherungspflicht des Centerbetreibers bestand darin, dass das Publikum das Gelände des Einkaufszentrums sowie dessen Außenbereich gefahrlos betreten könnten. Den Ersatz für den durch diese Pflichtverletzung entstandenen Schaden kann sie von der Beklagten gem. § 426 Abs. 1, 2 BGB ersetzt verlangen.
  3. Die Beklagte war als Lieferantin, die auch den Ständer zu stellen und die Aufstellung zu besorgen hatte, verpflichtet, den Baum sicher aufzustellen. Diese Pflicht verletzte sie vorwerfbar. Denn eine bewegliche Einrichtung muss so aufgestellt werden, dass sie den Windlasten standhält, die üblicherweise im Stadtgebiet erwartet werden können. Der Baum war nicht standsicher aufgestellt, denn er fiel aufgrund des starken Windes am 24.12. und nicht ausschließbar auch am 05.12. des Jahres. Dafür, dass der Baum infolge von Vandalismus oder durch Manipulation Dritter umgekippt ist, gibt es keine Anhaltspunkte. Wodurch der Baum letztlich umgekippt ist, braucht nicht festgestellt werden. Ein Gebäude oder Werk muss den Witterungseinflüssen standhalten, sodass die Ablösung von Teilen hiervon durch die Witterung die fehlerhafte Errichtung bzw. mangelhafte Unterhaltung beweist. Dies gilt entsprechend für einen Weihnachtsbaum. Die mangelnde Standsicherheit wurde von den Mitarbeitern der Beklagten verschuldet, was der Beklagten gem. §§ 280, 281, 278 BGB zugerechnet werden kann.
  4. Wegen der Zahlung des Centerbetreibers (Anm.: hier hat dessen Versicherer geleistet und regressiert, vgl. § 86 VVG). Befriedigt einer der Gesamtschuldner den Gläubiger und kann er von den übrigen Gesamtschuldnern Ausgleich verlangen, geht die Forderung des Gläubigers auf ihn über. Die Höhe dieser Forderung richtet sich grds. nach dem zwischen den Gesamtschuldnern bestehenden zu tragenden Anteil im Innenverhältnis, § 426 Abs. 1 S. 1 BGB. Im Rahmen von Schadensersatzansprüchen richtet sich dies nach dem Maß der Verursachung und hilfsweise dem Verschulden, § 254 BGB.
  5. Vorliegend wurde das Umstürzen des Baumes durch die Beklagte verursacht und das Aufstellen durch die Beklagte initiiert. Es war die Aufgabe der Beklagten, für eine sichere Aufstellung des Baumes zu sorgen. Hierfür verfügte sie auch über geschultes Personal. Der Centerbetreiber verfügte hingegen über kein geschultes Personal, was die Beklagte auch wusste. Dies begründet im Innenverhältnis eine alleinige Haftung der Beklagten.

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Recht im Winter I – die Dachlawine

Michael PeusMichael Peus

LG Detmold, Urteil vom 15.12.2010 – 10 S 121/10
und
OLG Hamm, Beschluss vom 07.02.2012 – I-7 U 87/11

Sachverhalte:
Sowohl das Landgericht Detmold als auch das OLG Hamm hatten – jeweils als Berufungsgericht – Sachverhalte zu entscheiden, in denen eine Dachlawine von einem Haus abgingen, wobei Geschädigter jeweils ein Mieter des Gebäudeeigentümers war. Der Unterschied lag darin, dass im Fall des LG Detmold das Fahrzeug auf einem mit-vermieteten Parkplatz stand, während das OLG Hamm einen Sachverhalt zu entscheiden hatte, bei dem der Mieter auf öffentlicher Fläche vor dem Gebäude parkte.

Entscheidungsinhalte:

Das LG Detmold hat den Vermieter zu hälftigem Schadensersatz verurteilt. Denn wegen des Mietverhältnisses über den Parkplatz habe der Eigentümer besondere Pflichten gegenüber dem Mieter:

„Den Beklagten als Gebäudeeigentümer oblag eine Verkehrssicherungspflicht aus § 823 Abs. 1 BGB. Dabei handelte es sich um eine besondere Verkehrssicherungspflicht, weil die Beklagten den Stellplatz an den Kläger vermietet hatten. Dadurch hat die Beklagte durch den speziell für den Mieter einer Wohnung ihres Hauses eingerichteten und unterhaltenen Parkplatz einen besonderen Verkehr eröffnet und damit auch eine besondere Verkehrssicherungspflicht übernommen (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 27.04.2000, 22 U 90/98 mit weiteren Nachweisen). Die Beklagte hätte sich angesichts der M3 des vermieteten Stellplatzes zur Traufrichtung des Daches ihres Gebäudes und der Dachneigung bei den bestehenden Witterungsverhältnissen über die Wetterentwicklung auf dem Laufenden halten und Maßnahmen zur Sicherung der auf dem vermieteten Parkplätzen abgestellten oder abzustellenden Fahrzeuge ergreifen müssen. So hätte sie die Parkplätze sperren müssen oder zumindest Warnhinweise aufstellen müssen.‟

Das Landgericht Detmold verlangt ein Sperren des Parkplatzes oder ein Hinweisschild. Diese Rechtsansicht überzeugt nicht. Auch im Vertragsverhältnis darf grundsätzlich jeder darauf vertrauen, dass der Vertragspartner offensichtliche Umstände wahrnimmt und sich entsprechend verhält. Dann sind Hinweisschilder auch nicht erforderlich. Das ist in anderen Fallgestaltungen absolut herrschende Rechtsprechung und zwar auch im Rahmen von Verträgen:

„Der Senat hat noch erwogen, ob die Bekl. nicht jedenfalls durch eine entsprechende Beschilderung auf die vorhandene erhöhte Rutschgefahr hätte hinweisen müssen. Er hat auch das im Ergebnis verneint, weil nicht angenommen werden kann, daß von ihnen eine wesentliche Wirkung ausgeht. Denn daß in einem Hallenbad Rutschgefahren bestehen, ist dem Hallenbenutzer auch so bekannt. Im konkreten Fall hätte eine derartige Beschilderung sicher nichts bewirkt.‟

vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23.02.1989, Az. 6 U 2/88 = NJW-RR 1989, 736

„Eines gesonderten Warnhinweises darauf, dass im Poolbereich mit Nässe zu rechnen sei, bedarf es nicht, da dies jedem einleuchten muss. Hinzu kommt, dass schon allein aufgrund der Größe der Wasserpfütze, in der die Klägerin ausrutschte, diese auch deutlich wahrnehmbar war.‟

vgl. Urteil des AG Rostock vom 24.08.2011, Az. 47 C 29/11

„Eine Hinweispflicht bestand nicht. Eine Solche ist nur dann anzunehmen, wenn eine Gefahrenquelle geschaffen oder aufrechterhalten wird und derjenige, der in den Einzugsbereich der Gefahrenquelle kommt, die Gefahrenquelle nicht erkennen kann. Den Betreiber einer öffentlich zugänglichen Sauna trifft eine Hinweispflicht auf die Gefahr von Verbrennungen nicht. Die Gefahr von Verbrennungen ist für jeden Benutzer der Sauna erkennbar.‟

LG Arnsberg, Urteil vom 14.06.2012 – 2 O 410/11

„2. Eine Pflichtverletzung des Verkehrssicherungspflichtigen und damit seine Schadensersatzverpflichtung scheidet dann aus, wenn eine Gefahrenquelle mit einer „Selbstwarnung‟ versehen ist, der Verletzte also die Verwirklichung der Gefahr durchaus vorauszusehen und zu vermeiden vermocht hätte.‟
vgl. LG Coburg im Urteil vom 22.07.2014, Az. 22 O 107/14

Das OLG Hamm (Beschluss vom 07.02.2012 – I-7 U 87/11) hat Ansprüche des Mieters vollständig verneint. Das OLG hat zwar auch klargestellt, dass gerade mietrechtliche Erwägungen nicht anzustellen seien und der Gebäudeeigentümer nur nach allgemeinen Grundsätzen hafte; es wurde aber nicht klargestellt, welche Folge es denn hätte, mietrechtliche Erwägungen anzustellen. Und so wies das OLG Hamm die Berufung zurück, weil erstens schon keine Pflicht verletzt worden sie und andererseits ein haftungsvernichtendes Eigenverschulden des Geschädigten vorläge; immerhin habe er die Witterung und den Zustand des Daches vor dem Abgang der Dachlawine gesehen.

In der Abwägung erscheint das Urteil des LG Detmold, welches immerhin Ansprüche von 50% zuerkannte, fehlerhaft. Auch hier wäre die Klage abzuweisen gewesen. Denn Verkehrssicherungspflichten zu Vertragspartnern gehen nicht weiter als Verkehrssicherungspflichten gegenüber Dritten. Insoweit ist die körperliche Unversehrtheit eines Dritten als absolutes Recht ebenso weitgehend von der Rechtsordnung geschützt, wie die Gesundheit eines Vertragspartners (vgl. Grüneberg, BGB-Kommentar, § 280 Rn. 28; § 823 Rn. 49; BGH, Urteil vom 09.09.2008, Az. VI ZR 279/06; OLG Hamm im Urteil vom 15.03.2013, Az. 9 U 187/12); das muss auch für Sachen (Kfz) gelten. Es ist kein Grund ersichtlich, im Mietrecht von den Grundverständnissen abzuweichen, dass
– Sachverhalte nicht vor sich selbst warnen und Hinweisschilder erforderlich wären und
– das Mitverschulden des Geschädigten eine Haftung vernichten kann, wenn der Geschädigte das Ereignis jedenfalls bewusst in Kauf nimmt.

 

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Recht im Winter – Übersicht

Michael PeusMichael Peus

Übersicht zu Artikeln „Winter & Recht‟:

– Vorstellung und Kommentierung  zur ergangenen Rechtsprechung nach Themen der Urteile –

 

Dachlawinen:

Dachlawine beschädigt Kfz, OLG Hamm, RA Krappel

Dachlawinen und Kfz, LG Detmold u. OLG Hamm, RA Peus

 

Fußgängerstürze wegen Glätte:

Sturz auf Bahnhofsgelände, BGH, RA Dr. Schmidt

Sturz auf dem Bahnhofsgelände, OLG Hamm, RA Möhlenkamp

Sturz auf dem Weg zum Kfz, OLG München, RA Dr. Schmidt

Sturz wegen Glätte nach streupflichtiger Zeit, LG Braunschweig, RA Möhlenkamp

Sturz wegen ungeeigneten Streumittels, OLG Hamm, RA Möhlenkamp

 

Weihnachtsbräuche:

Sturz über Schlauch auf Weihnachtsmarkt, OLG Sachsen-Anhalt, RA Dr. Schmidt

Verkehrssicherungspflicht für Weihnachtsbaum, OLG Düsseldorf, RA Peus

 

Wintersport:

Rodeln und Skifreizeit, AG Bonn und LG Augsburg, RA Peus

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Behauptete Schmerzen und Übelkeit als zum Schadensersatz berechtigende Körperverletzung?

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

BGH, Urteil vom 26.07.2022, Az.: VI ZR 58/21

Leitsätze

1. Der Begriff der Primärverletzung bezeichnet die für die Erfüllung der Haftungstatbestände des § 823 Abs. 1 BGB und des § 7 Abs. 1 StVG erforderliche Rechtsgutsverletzung. Er enthält kein kausalitätsbezogenes Element.

2. Von den Primärverletzungen sind Sekundärverletzungen abzugrenzen. Bei ihnen handelt es sich um die auf eine haftungsbegründende Rechtsgutsverletzung zurückzuführenden haftungsausfüllenden Folgeschäden. Sie setzen schon begrifflich voraus, dass der Haftungsgrund feststeht.

3. Vom Geschädigten können daher Beeinträchtigungen seiner körperlichen Befindlichkeit nur dann als Sekundärverletzungen qualifiziert werden, wenn eine durch das Handeln des Schädigers verursachte Primärverletzung unstreitig oder festgestellt und nach medizinischen Erkenntnissen grundsätzlich geeignet ist, die weitere behauptete Beeinträchtigung der körperlichen Befindlichkeit herbeizuführen. Fehlt es an einer haftungsbegründenden Primärverletzung oder steht diese in keinem erkennbaren medizinischen Zusammenhang zu der weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigung, ist letztere (also die behauptet Sekundärverletzung) als – ggf. zweite bzw. weitere – Primärverletzung anzusehen.

Sachverhalt

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld aufgrund eines Verkehrsunfalls in Anspruch. Der Beklagte sei ihr von hinten auf das wegen eines Rückstaus an einer Kreuzung stehende Fahrzeug, in dem diese als Fahrerin saß, aufgefahren. Durch den Anstoß wurden unter anderem der Stoßfänger am PKW der Klägerin hinten durchstoßen und die Schalldämpferanlage aus der Halterung gerissen. Die Airbags im Fahrzeug der Klägerin öffneten sich nicht. Bis zu diesem Tag war die Klägerin noch nicht bei einem Unfall verletzt worden. Eine Freundin von ihr war indes bei einem Verkehrsunfall verstorben. Darüber hinaus war die Klägerin Ersthelferin bei einem Verkehrsunfall gewesen, bei dem zwei Menschen verstorben. Die Klägerin behauptet, sie sei bei dem Unfall körperlich verletzt worden. Unmittelbar nach dem Unfall habe sie unter Kopfschmerzen gelitten. Später am Abend sei ihr übel geworden und sie habe sich übergeben. Sie habe sich daraufhin in das Evangelische Krankenhaus B. begeben, wo sie geröntgt worden sei. Im Anschluss sei eine HWS-Distorsion 2. Grades diagnostiziert worden.

Entscheidung

Nach Auffassung des Berufungsgerichts stand der Klägerin ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten nicht zu. Zwar stand zur Überzeugung der Kammer fest, dass bei der Klägerin nach dem Unfall Beschwerden und sichtbare Befunde vorgelegen hätten, die die Diagnose einer HWS-Distorsion 2. Grades rechtfertigten, und die Klägerin unter Kopf- und Nackenschmerzen gelitten habe. Die Kammer hatte aber Zweifel daran, dass die die Diagnose einer HWS-Distorsion rechtfertigenden sichtbaren Befunde bei der Klägerin eine Primärverletzung, verursacht durch einen Verkehrsunfall mit einer allein bewiesenen kollisionsbedingten Geschwindigkeitsveränderung von 4 km/h und einer kollisionsbedingten mittleren Beschleunigung von etwa 11 m/s² darstellten. Auch eine andere unfallbedingte Primärverletzung der Klägerin konnte die Kammer nicht feststellen. Die Auffassung des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 23. Juni 2020 (VI ZR 435/19), wonach auch starke Kopf- und Nackenschmerzen als unfallbedingte Körperverletzungen zu bewerten seien, halte die Kammer nicht für überzeugend. Abgesehen davon seien die Kopf- und Nackenschmerzen der Klägerin zwar im Sinne einer conditio-sine-qua-non nachvollziehbar auf den Unfall zurückzuführen, könnten jedoch wertungsmäßig nicht mehr dem Unfall, sondern nur dem allgemeinen Lebensrisiko zugerechnet werden. Wichtig ist zu, dass die somit grds. vom OLG bejahte adäquate Kausalität des Unfalls für die behaupteten Schmerzen etc. von der Revision nicht angegriffen wurde.

Dem widerspricht nun der BGH: Zum einen habe das Berufungsgericht den Bedeutungsgehalt des Begriffs der Primärverletzung verkannt. Der Begriff der Primärverletzung – der Rechtsgutsverletzung – beinhalte zunächst kein kausalitätsbezogenes Element – er nehme insbesondere nicht die weitere Anspruchsvoraussetzung der haftungsbegründenden Kausalität in sich auf. Ob das Handeln des Schädigers die festgestellte Rechtsgutsverletzung verursacht habe, sei erst in einem weiteren Schritt – ebenfalls nach dem strengen Beweismaß des § 286 ZPO – zu prüfen. Somit können auch Nacken- und Kopfschmerzen eine Körperverletzung im Sinne dieser Bestimmungen und damit eine Primärverletzung begründen (unabhängig von der Kausalitätsfrage). Da eine Schadensersatzpflicht nur besteht, wenn die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fällt, muss die Rechtsgutsverletzung in einem inneren Zusammenhang mit der durch den Schädiger geschaffenen Gefahrenlage stehen; ein rein äußerlicher, gewissermaßen zufälliger Zusammenhang genügt nicht. An dem erforderlichen Schutzzweckzusammenhang fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise zu gewärtigen hat. Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten. Das Berufungsgericht habe aber übersehen, dass der Schädiger grundsätzlich auch für psychische Auswirkungen einer Verletzungshandlung haftungsrechtlich einzustehen habe, was anschließend vom BGH im Fall der Klägerin bejaht wird.

Anmerkung.

Die Problematik der Entscheidung liegt darin, dass der Eindruck entstehen könnte, behauptete (subjektive) Schmerzen und Übelkeit genügen für einen Schmerzensgeldanspruch nach einem (Verkehrs-)Unfall. Hiervon sind insbesondere HWS-Prozesse betroffen, in denen regelmäßig nur derart unspezifischen Beeinträchtigungen behauptet werden. Tatsächlich sagt der BGH aber nur, was auch nichts Neues ist, dass Schmerzen und Übelkeit grds. eine schadensersatzrelevante Körperverletzung sein können und zwar selbst dann, wenn sie nur psychisch/mittelbar durch ein Unfallereignis vermittelt worden sind. Bei der Frage, ob überhaupt einer Körperverletzung vorliegt, spiele die Frage nach der Kausalität (zunächst noch) keine Rolle. Er sagt aber auch, dass im einem zweiten Schritt anschließend zu prüfen ist, ob die Schmerzen etc. nun kausal-adäquat durch den behaupteten Unfall (ggfls. auch psychisch vermittelt) verursacht wurden. Im konkreten Fall war dies nicht mehr streitig bzw. vom BGH in der Revision zu beachten, weil die Revision versäumt hatte, die vom OLG bejahte adäquate Kausalität des Unfalles anzugreifen. Dies war daher unstreitig und es bedurfte durch den BGH nur eine Bewertung, ob die Schmerzen hier auch wertungsmäßig noch dem Unfall oder nur dem allgemeinen Lebensrisiko zuzurechnen waren.

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Kein Unterlassungsanspruch der Anwohner bei Verstößen gegen Lkw-Durchfahrtsverbot

BGH, Urt. v. 14.06.2022 – VI ZR 110/21

 

Leitsätze (redaktionell)
1. Das in der Landeshauptstadt Stuttgart angeordnete Durchfahrtsverbot für Lkw ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB.

2. Für die Beurteilung, ob ein Gesetz ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 BGB ist, kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf den Inhalt, Zweck und die Entstehungsgeschichte an, d.h. es ist danach zu fragen, ob der Gesetzgeber auch einen Rechtsschutz der betreffenden Form für individuelle Personen(gruppen) beabsichtigt hat. Die Erreichung eines objektiven Individualschutzes durch die bloße Befolgung der Norm reicht nicht aus.

 

Sachverhalt
Die Kläger sind Eigentümer von Grundstücken an bzw. in direkter Nähe der H. Straße in Stuttgart, die zu einer Umweltzone gehört und in der ein Lkw-Durchfahrtsverbots besteht. Diese Verbotszonen erstrecken sich über das gesamte Stadtgebiet. Die Kläger verlangen von dem Beklagten (dem Betreiber eines Speditionsunternehmens, dessen Mitarbeiter die H. Straße mehrmals am Tag mit Lkw befahren) die Unterlassung des Befahrens und begründen dies mit einer Gesundheitsgefährdung durch die Feinstaub- und Stickoxidbelastung.

Vor Amts- und Landgericht hatte die Klage keinen Erfolg. Mit ihrer Revision verfolgen die Kläger nun ihr Begehren weiter.

 

Entscheidung
Der BGH weist die Revision zurück. Den Klägern steht kein Unterlassungsanspruch gegen den Beklagten zu.

Die Kläger haben keinen Anspruch gem. § 1004 Abs. 1 i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Gesundheitsverletzung und der Beklagten ist nach dem Vortrag der Kläger auch keine wesentliche Beeinträchtigung der Grundstücksbenutzung zuzurechnen. Es besteht damit auch kein Anspruch gem. § 1004 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 906 BGB.

Selbst bei einem unterstellten Verstoß gegen das Durchfahrtsverbot stünde den Klägern kein Anspruch analog § 823 Abs. 1 i.V.m. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes zu. Das Durchfahrtsverbot stützt sich auf § 40 Abs. 1 S. 1 BImSchG i.V.m. dem Luftreinhalteplan für die Landeshauptstadt Stuttgart und ist kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB, das den Anwohnern ermöglicht, zivilrechtlich einen Unterlassungsanspruch gegen Zuwiderhandelnde geltend zu machen. Ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB ist eine Rechtsnorm, die zumindest auch dazu dienen soll, dem Einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechtsgutes oder eines bestimmten Rechtsinteresses zu schützen. Maßgeblich für diese Beurteilung ist nicht die Wirkung, sondern der Inhalt, Zweck und die Entstehungsgeschichte der Norm. Der Gesetzgeber muss diesen Schutz mit dem Erlass der Norm zumindest mittelbar beabsichtigt haben. Dieser Schutz muss somit zum Aufgabenbereich der Norm gehören. Ein Individualschutz, der durch die bloße Befolgung der Norm objektiv erreicht werden kann, genügt nicht.

Vorliegend wurde das Durchfahrtsverbot für das ganze Stadtgebiet Stuttgarts angeordnet, mit dem Ziel, die allgemeine Luftqualität zu verbessern und gegen die Überschreitung der Immissionswerte vorzugehen. Die Kläger sind durch diese Regelung zwar begünstigt, allerdings nur als ein Teil der Allgemeinheit. Aufgrund des großen Geltungsgebietes kann keine unmittelbare Gefahr für die Anlieger durch die Überschreitung der Immissionsgrenzwerte und eine potentielle Gesundheitsbeeinträchtigung durch die Immissionen der Kraftfahrzeuge angenommen werden. Die Größe dieses Gebietes deutet schon daraufhin, dass das Lkw-Durchfahrtverbot nicht dem Schutz des Einzelnen dienen sollte. Auch unter Berücksichtigung des Gesundheitsschutzes ergibt sich kein individueller Unterlassungsanspruch hinsichtlich des Befahrens der gesamten Verbotszone. Es ist keine Personengruppe bestimmbar, die das Verbot mittels eines zivilrechtlichen Unterlassungsanspruchs gegen Verstöße schützen sollte. Aus § 40 Abs. 1 S. 1 BImSchG i.V.m. dem Durchfahrtverbot ergibt sich kein Anspruch des einzelnen Bürgers auf dessen Vollzug.

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Hinterbliebenengeld XIV: kein Hinterbliebenengeld ohne Näheverhältnis

Michael PeusMichael Peus

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BGH, Beschluss vom 28.10.2021 – 4 StR 300/21

Sachverhalt

Die Klägerin begehrt Hinterbliebenengeld. Ihr Ehemann, von dem sie getrennt lebte, tötete am 08.02.2020 einen Mann, mit dem sie eine Ende November 2019 begonnene intime Liebesbeziehung hatte. Diese Beziehung wollten sie als auch das Opfer noch geheim halten. Das Opfer stritt im Freundeskreis eine Beziehung deshalb auch ab. In der Woche vor der Tötung übernachtete das Opfer täglich bei der Klägerin.

 

Entscheidung
Nachdem die Klägerin nicht zu dem in § 844 Abs. 3 BGB genannten Personenkreis gehörte, hätte sie ein besonderes persönliches Näheverhältnis beweisen müssen. Anhand der feststehenden Tatsachen konnte ein solches jedoch nicht festgestellt werden.

„Für das Vorliegen eines besonderen persönlichen Näheverhältnisses ist die Intensität der tatsächlich gelebten sozialen Beziehung maßgeblich (vgl. BT-Drucks. 18/11397, S. 12 f.; BGH, Beschluss vom 18. Mai 2020 – 6 StR 48/20, Rn. 4; MüKo-BGB/Wagner, 8. Aufl., § 844 Rn. 101; BeckOGK/Eichelberger, Stand: 01.09.2021, § 844 BGB Rn. 221).‟

Die gelebte, etwa 2 Monate anbahnende Beziehung genügte nicht, um ein gelebtes Näheverhältnis zu begründen.

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Hinterbliebenengeld XIII: Hinterbliebenengeld nach Verkehrsunfall

Michael PeusMichael Peus

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Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 23.02.2021 – 7 U 149/20

 

Amtliche Leitsätze

  1. Es gibt keine Legaldefinition für „seelisches Leid“. Mit dem Hinterbliebenengeld soll der Trauerschaden, der die erlittenen seelischen Beeinträchtigungen umfasst, abgegolten werden.
  2. Der Betrag von 10.000,00 € stellt nach dem Sinn und Zweck der neu eingefügten Regelungen (§§ 844 Abs. 3 BGB, 10 Abs. 3 StVG) keine Obergrenze, sondern Anker, Richtschnur und Orientierungshilfe für die Bemessung im Einzelfall dar. Bei der konkreten Bemessung ist § 287 ZPO anwendbar.
  3. Schockschäden für psychisches Leid einerseits und Hinterbliebenengeld für seelisches Leid andererseits stehen nicht in einem Stufenverhältnis zueinander, sondern es handelt sich um zwei unterschiedliche Ansprüche. Andauernde seelische Schmerzen können zumindest gleichwertige oder sogar – je nach Dauer und Intensität – höhere Betroffenheiten auslösen.
  4. Wie beim Schmerzensgeld handelt es sich auch beim Hinterbliebenengeld um einen Anspruch wegen einer immateriellen Einbuße. In beiden Fällen sind sowohl die Ausgleichs- als auch die Genugtuungsfunktion zu berücksichtigen.
  5. Die Bemessung des Hinterbliebenengeldes muss sich in das stimmige Gesamtgefüge der deutschen und europäischen Rechtsprechung zum Schmerzens- / Hinterbliebenengeld einfügen.

 

Zum Fall
Im Dezember 2018 ist der Vater der Klägerin bei einem schweren Verkehrsunfall verunglückt. Der Vater der Klägerin verstarb noch am Unfallort. Die Beklagte ist der Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Fahrers. Die Klägerin verlangt ein Hinterbliebenengeld in Höhe von mindestens 10.000 €.

 

Entscheidung
Das Oberlandesgericht sah ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 10.000 € als berechtigt an.

 

1. Besonderes Näheverhältnis
Nach § 10 III StVG (entsprechend § 844 III BGB) schuldet der Ersatzpflichtige dem Hinterbliebenen, der mit dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld. Ein besonders Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene ein Kind des Getöteten ist. Mit dem Hinterbliebenengeld soll der Trauerschaden abgegolten werden, sofern kein Nachweis für eine physische oder psychische Erkrankung geführt werden kann bzw. die Schwelle zum nachweisbarer Schockschaden nicht überschritten wurde.

2. Bemessung des Hinterbliebenengeldes
Das Hinterbliebenengeld soll eine angemessene Entschädigung in Geld für das seelische Leid sein. Es kann nie das Leid des Betroffenen aufwiegen, dient aber zur Anerkennung und Linderung des seelischen Leids. Im Gesetz oder in der Gesetzesbegründung gibt es jedoch keine konkreten Vorgaben, wie die Bemessung erfolgen soll. Allgemeingültige Bemessungskriterien könnten nicht bestimmt werden, da die Beurteilung und Bewertung bei körperlichen und psychischen Schäden stets im Zusammenhang mit vielen Schwierigkeiten verbunden ist.  Das Hinterbliebenengeld erfolgt aus einem Anspruch wegen immaterieller Einbuße (Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion). Als Anhaltspunkt für die Vorstellungen des Gesetzgebers gelte der Betrag von 10.000 €. Dieser stelle aber lediglich einen Anker bzw. Orientierungshilfe für die Bemessung dar. Die Bemessung des Hinterbliebenengeldes muss sich in das stimmige Gesamtgefüge der deutschen und europäischen Rechtsprechung zum Schmerzens-/ Hinterbliebenengeld einfügen (europäisches Entschädigungsniveau deutlich höher)

Das OLG hielt in diesem Fall eine Zahlung von insgesamt 10.000 € für angemessen, weil der Vater der Klägerin verstarb, zu dem sie ein enges Verhältnis pflegte, sie z.B. seine Notfallkontaktperson war.

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Keine Haftung bei Sturz auf einer Treppe zum Watt

Michael PeusMichael Peus

OLG Schleswig, Hinweisbeschluss vom 02.06.2021 – 11 U 31/21

 

Leitsätze

  1. Auf die typischen Gefahren des Meeresstrandes müssen sich Badegäste einstellen. An die Rutschfestigkeit außendeichs am Meer gelegener Badetreppen sind deshalb nicht die gleichen Anforderungen zu stellen, die für Treppen in Sport- und Arbeitsstätten gelten.
  2. Der Anscheinsbeweis für die Verletzung der inneren Sorgfaltspflicht ist erschüttert, wenn die Planung einer solchen Treppenanlage einer Fachplanerin übertragen ist und auch der gerichtlich beauftragte Sachverständige keine Mängel der Ausführung erkennen konnte.

 

Sachverhalt

Die Klägerin stürzte bei der Benutzung einer von der Badestelle in das Watt der Nordsee führenden Treppe. Dabei rutschte sie auf dem nassen Untergrund aus und verletzte sich.

Sie fordert Schadensersatz und behauptet, die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt, indem sie für die Treppenstufen zu glattes bzw. rutschiges Material genutzt und die mit erheblichen Moos und Materialablagerungen bedeckten Stufen nicht ordnungsgemäß gesäubert hätte.

Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen.

 

Rechtliches

Der Senat des OLG Schleswig wies darauf hin, dass das Gericht die Berufung zurückweisen werde.

Bereits das Landgericht konnte keinen objektiven Pflichtverstoß feststellen, der eine Haftung der Beklagten nach § 823 I BGB begründen würde. Als Verkehrssicherungspflichtiger muss man nicht allen denkbaren Gefahren vorbeugen. Es kann nur Schutz vor Gefahren verlangt werden, die über das übliche Nutzungsrisiko hinausgehen und die für den Benutzer unvorhersehbar bzw. nicht ohne weiteres erkennbar sind.

Bei einer Treppe am Wattenmeer ist es unvermeidbar, dass diese durch Ablagerungen von Schwebstoffen bereits innerhalb einer Tide rutschig wird. Es gibt keine öffentlich-rechtlichen Normen oder Regelwerke, die bestimmte rutschhemmende Werte für solche Treppenanlagen vorschreiben. Um ein Ausrutschen zu vermeiden, wurden Handläufe an die Treppe befestigt. Laut Sachverständigengutachten sei auch das für die Treppe verwendete Betonmaterial geeignet und biete einen ausreichend rutschfesten Bodenbelag.

Selbst bei Vorliegen eines ungeeigneten Materials fehle für eine deliktische Haftung der Beklagten ein Verschulden, da die Planung der Anlage von einer Fachplanerin übernommen wurde. Fahrlässigkeit könne hier nur bejaht werden, wenn die Beklagte eine fehlerhafte Planung erkannt hätte. Dies sei hier nicht ersichtlich.

 

Das Gericht ist außerdem der Ansicht, dass ein Nutzer einer Badestelle stets damit rechnen muss, dass aufgrund der natürlichen Begebenheiten des Meeres  Treppen rutschig sein können und trage selbst die Verantwortung, diese mit Vorsicht zu benutzen. Es sei für jeden Nutzer offenkundig, dass mit den typischen Gefahren des Strandes – wie eine Sturzgefahr durch Schlick, Strömungen, Treibgut, Meerestieren oder auch Wellen – zu rechnen ist.

Bei einer Treppenanlage am Watt, die dauerhaft durch die Gezeiten und das Wetter beeinflusst ist, könne nicht davon ausgegangen werden, dass diese ständig gesäubert wird und “rutschfest“ ist.

Die Berufung wurde daraufhin zurückgenommen.

 

Zusatz:

Die einschlägigen Unfallverhütungsregelungen fänden lediglich Anwendung auf Arbeitsräume, Arbeitsbereiche, betriebliche Verkehrswege und nicht auf Treppenanlagen, die dauerhaft von wetterbedingten Ereignissen beeinflusst werden. Eine Treppe am Watt könne auch nicht mit Nass- und Barfußbereiche in Bädern, Krankenhäusern oder Umkleide-, Wasch und Duschwanen von Sport- und Arbeitsstätten gleichgesetzt werden.

 

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Verlass auf zuständigen Ansprechpartner?

Michael PeusMichael Peus

Landgericht Würzburg, Urteil vom 03.11.2021, Az. 64 O 126/21 Bau

 

Zum Fall

Die Klägerin, Betreiberin der Straßenbeleuchtungseinrichtungen des Stromversorgungsnetzes und Eigentümerin der Beleuchtungseinrichtung am streitgegenständlichen Straßenabschnitt, macht aufgrund einer durch die Beklagte verursachten Beschädigung eines Stromkabels im Rahmen von Tiefbauarbeiten Schadensersatzansprüche geltend.

Auf den Planunterlagen, die der Beklagten vorlagen, wurden die Beleuchtungsmasten mit dem Vermerk eingezeichnet, dass die Lage der Kabel mit Suchgeräten ermittelt worden sei. Zusätzlich wurden vor Beginn der Tiefbauarbeiten noch Besprechungen vor Ort gehalten über die im Boden verlegten Versorgungsleitungen. Die zuständige Arbeitskraft für die Leitungen – aus dem Haus der Klägerin – hatte die Beklagte eingewiesen und ihr gezeigt, wo genau die streitgegenständlichen Kabel verlaufen würden und zwar nicht in der Nähe der zu montierenden Leitplanken, sondern mit ausreichend Abstand zu ihnen.

Der Beklagten wurde von dem zuständigen Einweiser vor Ort eindeutig mitgeteilt, dass in diesem Bereich keine Suchschlitze – um den Kabelverlauf zu ermitteln und so Beschädigungen zu vermeiden – erforderlich wären. Aufgrund dieser klaren Aussage wurde auf die Installation von Suchschlitzen verzichtet, ansonsten hätte man diese angelegt.

Auch dem staatlichen Bauamt als Auftraggeber wurde mitgeteilt, dass im streitgegenständlichen Bereich keine Suchschlitze angelegt werden müssten, da eine konkrete Einweisung durch den Zuständigen erfolgt sei.

Dennoch wurde bei der Montierung der neuen Leitplanken die Versorgungsleitung der Beleuchtungsmasten beschädigt. Die Klägerin fordert Schadensersatz.

 

Entscheidung

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Als Anspruchsgrundlage kommt nur § 823 BGB in Betracht. Nach der Rechtsprechung ist derjenige, der eine Gefahrenlage schafft, grundsätzlich dazu verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer zu verhindern.

Tiefbauunternehmen haben besonders hohe Anforderungen hinsichtlich ihrer Verkehrssicherungspflicht. Darunter fällt unter anderem, sich vor den Arbeiten an öffentlichen Straßen nach den unterirdischen Versorgungsleitungen zu erkundigen zum Schutz erdverlegter Kabel und Leitungen. Sie müssen sich Gewissheit über die Verlegung von Versorgungsleitungen im Boden verschaffen und mit äußerster Vorsicht vorgehen. In der Regel geschieht dies durch die Anforderung zuverlässiger Unterlagen.

 

„Dort, wo zuverlässige und aussagekräftige Unterlagen vorliegen, darf sich der Unternehmer auf diese verlassen.“

 

Bei Unklarheiten hinsichtlich der Unterlagen besteht zusätzlich die Pflicht sich durch geeignete Maßnahmen – wie Probebohrungen – Gewissheit zu verschaffen.

Im vorliegenden Fall habe die Beklagte diesen Anforderungen entsprechend gehandelt.

Es lagen keine aussagekräftigen Bestandsunterlagen vor, sodass für die Erfüllung der Erkundungspflicht der Beklagten allein ein Einholen der Pläne nicht ausreichend war. Deshalb wurde bei einem weiteren Einweisungstermin auf der Baustelle mit einem – für die Klägerin tätigen – Ansprechpartner über den Leitungsverlauf gesprochen. Der Zuständige habe klar vermittelt, dass die Versorgungskabel der Beleuchtungsmasten den Arbeiten der Beklagten keine Probleme bereiten würden, da ein ausreichender Abstand zu den Verankerungseinrichtungen gegeben sei und deshalb auf Suchschlitze verzichtet werden könne.

Nach Ansicht des Gerichts durfte die Beklagte auf diese eindeutige Aussage des zuständigen Ansprechpartners bezüglich des Leitungsverlaufs im Rahmen der Baubesprechung vertrauen. Die Beklagte habe daher keine weiteren Nachforschungen über den Leitungsverlauf anstellen müssen und auch keine Suchschlitze anlegen müssen.

Das Tiefbauunternehmen hat demnach keine Pflichten verletzt und haftet nicht für den entstandenen Schaden.

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An Nassbereiche angrenzende Bereiche können/dürfen nass sein

Michael PeusMichael Peus

OLG München, Endurteil vom 18.08.2021 – 20 U 7180/20

 

Leitsätze (des Verfassers)

  1. Nassbereiche können Nässe aufweisen.
  2. Bereiche, die an Nassbereiche angrenzen, wie z.B. Ruhebereiche, können nass sein.
  3. Allgemeine Kontrollen genügen der Verkehrssicherungspflicht.

 

Sachverhalt

Ein Hotelgast stürzte in einem Ruhebereich. Dort befand sich eine Wasserlache der Größe von etwa zwei Din-A4-Blättern. Das Hotelpersonal hatte Kontrollen in einem Abstand von etwa 30 Minuten durchgeführt. Der Hotelgast verlangte Schadensersatz, wobei das Landgericht die Klage abgewiesen hat.

 

Entscheidung

Das Oberlandesgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Auch in einem Ruhebereich müsse ein Gast mit Nässe rechnen, insbesondere hervorgerufen durch tropfende Badebekleidung oder Haare. Eine halbstündige Kontrolle des Hotelpersonals genüge. Eine Verkehrssicherungspflichtverletzung liege nicht vor.

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