Gerüstunfall und Anscheinsbeweis

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Koblenz, Urteil v. 28.3.2022, Az.: 15 U 565/21

Leitsätze

1. Ein Baugerüst ist ein mit einem Grundstück verbundenes Werk im Sinne des § 836 BGB, für das der Gerüsthersteller als Besitzer gemäß § 837 BGB verantwortlich ist. Er muss im Sinne des § 836 BGB zur Widerlegung der gegen ihn sprechenden Vermutung darlegen und beweisen, dass er zum Zwecke der Abwendung der Ge-fahr die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat.

2. Gerüstbretter sind ein Teil dieses Werkes, selbst wenn sie mit ihm nur durch die Schwerkraft verbunden sind. Ein zur Gerüsterstellung verwendetes, zum Begehen durch Gerüstbenutzer bestimmtes Brett muss so beschaffen sein, dass es nicht durchbricht, wenn es von einem Bauhandwerker betreten wird. Geschieht dies dennoch, so spricht typischerweise nach der allgemeinen Lebenserfahrung der An-schein dafür, dass dieses Brett von seiner Beschaffenheit her objektiv nicht für ein Baugerüst geeignet war.

3. Allerdings greift der Anscheinsbeweis nicht durch, wenn das Schadensereignis Umstände aufweist, die vom typischen Geschehensablauf abweichen und konkret eine andere, ernsthaft ebenfalls in Betracht kommende Möglichkeit für die Entwicklung des Unfalls nahelegen. Solche zur Erschütterung des Anscheinsbeweises geeignete Umstände müssen vom Gerüstersteller nachgewiesen werden.

Sachverhalt

Der Kläger macht Ansprüche auf Schadensersatz aus Verletzung der Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich eines von dem Beklagten erstellten Baugerüsts geltend. Der Beklagte betreibt einen Gerüstbaubetrieb. Er stellte zur Sanierung der Pfarrkirche … in …[Z], bei der die Außenfassade abgestemmt und die Außenmauer aus Tuffstein neu aufgebaut werden sollte, im Frühjahr 2012 ein aus Arbeitsgerüst und Aufstiegsgerüst bestehendes Fassadengerüst der Fa. …[A] auf. Am Gerüst war ein Hinweisschild über die maximale Belastung (300 kg/m2) angebracht. Der Kläger, der als angestellter Steinmetz an der Baustelle arbeitete, verletzte sich dort am 06.11.2012. Nach dem Unfall wurde eine gebrochene Durchstiegstafel aus Sperrholz an einem Leiterdurchstieg durch Mitarbeiter des Beklagten ausgetauscht.

Entscheidung

Das Erstgericht hat aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme durch Anhörung des Klägers und Vernehmung der von diesem benannten Zeugen …[B] und …[C] die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger, wie von ihm vorgetragen, durch den Gerüstboden gebrochen ist. Dagegen hat der Beklagte mit seiner Berufung nichts erinnert. Aufgrund des damit feststehenden Sachverhalts sprach für die objektive Fehlerhaftigkeit des Werkes – ebenso wie für deren Ursächlichkeit für den Schadenseintritt – hier der Beweis des ersten Anscheins. Zur Erschütterung des Anscheinsbeweises geeignete Umstände im vorgenannten Sinne habe die Beweisaufnahme nach Ansicht des OLG nicht ergeben. Der Grundstücksbesitzer im Sinne des § 836 BGB muss zur Widerlegung der gegen ihn sprechenden Vermutung darlegen und beweisen, dass er zum Zwecke der Abwendung der Gefahr die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat. Dabei sind an Substantiierung und Beweispflichten des Haftpflichtigen hohe Anforderungen zu stellen. Insoweit verbleibende Zweifel müssten zu Lasten des beweispflichtigen Beklagten gehen.

Entgegen der Auffassung des Beklagten sei nach den eingangs genannten Maßstäben nicht vom Kläger darzulegen und zu beweisen, dass die streitgegenständliche Belagstafel mit so erheblichen Verschleißerscheinungen eingebaut gewesen sei, dass dieser Belag nicht mehr verwendungsfähig war und nicht hätte eingebaut werden dürfen. Vielmehr müsse sich die Beklagte exkulpieren. Angaben von Zeugen, dass bei der Errichtung des Gerüsts nichts falsch gemacht worden sei und die vom Sachverständigen festgestellte kritische Abnutzung des Holzbelags erst während der Bauarbeiten eingetreten sei, genügten insoweit nicht. Es könne auch dahinstehen, ob in dem angefochtenen Urteil übersehen wurde, dass der Unfall auch auf eine nachträglich eingetretene Verschlechterung der Beschaffenheit des Belags, eine unzulässige Gewichtsbelastung oder ein Fehlverhalten des Klägers zurückgehen könne. Auch dies hätte die Beklagte beweisen müssen.

Auch ein nachweislich schuldhaftes Handeln eines weiteren “Schädigers“ – nach Auffassung des Beklagten soll es sich dabei um den Arbeitgeber des Beklagten handeln – sei weder erstinstanzlich festgestellt noch nach den Grundsätzen einer Haftungsreduzierung wegen gestörter Gesamtschuld zu berücksichtigen gewesen. Dies gelte insbesondere für den Vortrag, der Arbeitgeber des Klägers habe sei-ne „primäre“ Verkehrssicherungspflicht verletzt. Soweit der Beklagte darauf hingewiesen habe, dass der Unternehmer, der die Verwendung von Gerüsten für seine Beschäftigten zulässt, die Verantwortung dafür trage, dass sich diese in einem ordnungsgemäßen Zustand befinden, sei damit ein schuldhafter Verstoß des Arbeitgebers des Beklagten schon nicht substantiiert vorgetragen. Gleiches gelte, so-weit er auf die Verpflichtung zu einer Unterweisung über die Gerüstbenutzung durch den Arbeitgeber hingewiesen und „mit Nichtwissen bestritten“ habe, dass der Kläger entsprechend unterwiesen und diese Unterweisung regelmäßig wieder-holt wurde. Der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast entspreche dieser Vortrag nicht.

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Umfang der Bindungswirkung nach § 108 SGB VII

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

OLG Hamm, Urteil vom 22.02.2022, Az.: I-26 U 67/21

Leitsätze

1. § 118 SGB X erfasst nur Entscheidungen dazu, dass und in welchem Umfang der Leistungsträger zur Leistung verpflichtet ist. Gemeint ist nicht die Feststellung der Leistungspflicht, sondern die Gewährung bzw. Ablehnung der Leistung durch Verwaltungsakt. Nicht erfasst wird die Entscheidung über eine einzelne Voraussetzung der Leistungspflicht. Dies gilt auch für die zivilrechtliche Frage, ob zwischen der Schädigung und dem geltend gemachten Schaden ein Kausalzusammenhang besteht. Hierfür gilt die Bindungswirkung des § 118 SGB X nicht.

2. Zusammengefasst ist eine Bindungswirkung anzunehmen hinsichtlich der Leistungen im Verhältnis Leistungsträger zu Geschädigtem (= Leistungsempfänger), nicht aber hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs im Verhältnis Geschädigter zu Schädiger, der auf den Leistungsträger übergegangen ist.

Entscheidung

Das OLG Hamm arbeitet heraus, dass § 118 SGB X nur Entscheidungen dazu erfasst, dass und in welchem Umfang der Leistungsträger zur Leistung verpflichtet ist. Gemeint ist nicht die Feststellung der Leistungspflicht, sondern die Gewährung bzw. Ablehnung der Leistung durch Verwaltungsakt. Dies gilt auch für die zivilrechtliche Frage, ob zwischen der Schädigung und dem geltend gemachten Schaden ein Kausalzusammenhang besteht. Hierfür gilt die Bindungswirkung des § 118 SGB X nicht. Dies hat der BGH im Urteil vom 16.03.2021 (VI ZR 773/20) noch einmal bestätigt, wenn er ausführt, dass sich die Bindungswirkung des § 118 SGB X inhaltlich nur auf die Verpflichtung des Leistungsträgers zur Leistung, nicht aber auf die zivilrechtlichen Haftungsvoraussetzungen wie die Kausalität zwischen der Schädigungshandlung und dem eingetretenen Schaden erstreckt.

Der Senat führt weiter aus: Bereits nach dem Wortlaut des § 118 SGB X erstreckt sich die Bindungswirkung nur auf das „Ob‟ und den Umfang der Leistungspflicht des den Regressanspruch gegen den Schädiger verfolgenden Leistungsträgers. Sie umfasst danach grundsätzlich lediglich die Zuständigkeit für die Leistung, die Versicherteneigenschaft des Geschädigten sowie die Leistungshöhe ). Diese Auslegung entspricht allein dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Denn dadurch soll aus prozessökonomischen Gründen verhindert werden, dass Zivilgerichte sozialversicherungsrechtliche Vorfragen prüfen. Diese sozialrechtlichen Vorfragen umfassen nicht die zivilrechtlichen Haftungsvoraussetzungen. Denn die (sozialrechtlichen) Entscheidungsträger entscheiden allein auf der Grundlage der sozialrechtlichen Kausalitätstheorien, die aber nicht identisch sind mit den zivilrechtlichen. Die sozialrechtlichen Kausalitätsanforderungen gelten daher nicht zugleich auch für die zivilrechtliche Auseinandersetzung des Haftpflichtschadens. Nicht gebunden ist das Gericht ferner an die Tatsachenermittlung, an die (nicht tragende) Begründung der vorausgehenden Entscheidung oder an Art und Ausmaß der gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Zusammengefasst ist eine Bindungswirkung anzunehmen hinsichtlich der Leistungen im Verhältnis Leistungsträger zu Geschädigtem (= Leistungsempfänger), nicht aber hinsichtlich des Schadensersatzanspruchs im Verhältnis Geschädigter zu Schädiger, der auf den Leistungsträger übergegangen ist.

Relevanz

Der letzte Satz ist durchaus wichtig. Denn er zeigt, dass die Bindungswirkung auf das Verhältnis zwischen Leistungsempfänger(Geschädigter) und SVT beschränkt ist. Die Bindungswirkung erstreckt sich lediglich auf Leistungen im Verhältnis Leistungsträger zu Geschädigtem, nicht aber auf den gem. §§ 116, 119 SGB X übergegangenen Schadensersatzanspruch im Verhältnis Geschädigter zu Schädiger. Auch bei der Leistungshöhe, die grds. von der Bindung erfasst ist (s. oben), ist nur die Beziehung SVT/Geschädigter gemeint, also welche sozialversicherungsrechtlichen Ansprüche des Geschädigten gegenüber dem SVT bestehen. Dass diese automatisch deckungsgleich (kongruent) mit dem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger sind, erwächst nicht in Bindung. So ist etwa der zivilrechtliche Einwand der mangelnden Erforderlichkeit gem. § 249 BGB nicht verwehrt.

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Hinterbliebenengeld (XVIII) im Mordfall

Michael PeusMichael Peus

zur tabellarischen Übersicht Stand 08/2022zur textlichen Darstellung, Stand 08/2022

LG Amberg, Urt. v. 19.08.2021 – 11 Ks 100 Js 6315/20

 

Leitsatz (redaktionell)

Für die Bemessung des Hinterbliebenengeldes sind die persönlichen Kontakte und Verhältnisse zwischen Antragsteller und Verstorbenem maßgeblich.

 

Sachverhalt

Nach einem zweifachen Mord (27.06.2020) verlangen der erwachsene Sohn einer Getöteten und die erwachsene Tochter eines anderen Getöteten ein angemessenes Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB.

 

Entscheidung

Das Landgericht spricht dem Mann für den Verlust seiner Mutter ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 12.500€ und der Tochter für den Verlust ihres Vaters ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 10.000€ zu.

Seine Bemessung stützt das Gericht auf die persönlichen Kontakte und Verhältnisse, differenziert ausschließlich anhand der anerkannten Kriterien und zeigt mit der unterschiedlichen Bemessung, dass es auch bei dem faktisch selben Haftungssachverhalt in der haftungsausfüllenden Kausalität zu Unterschieden bei identischem Verwandtschaftsverhältnis kommen kann:

Der Sohn hatte zu seiner Mutter regelmäßigen, persönlichen Kontakt und war oft zu Besuch, insb. sonntags zum Mittagessen. Weiterhin bestand bei Familienfesten ein persönlicher Kontakt. Zuletzt trafen sie sich an beiden Wochenenden vor der Tat, wohnten jedoch nicht mehr in einem gemeinsamen Haushalt.

Die Tochter lebte ebenfalls nicht mehr mit ihrem getöteten Vater in einem gemeinsamen Haushalt. Zwar bestand regelmäßiger Kontakt; in den letzten Jahren fanden aber keine persönlichen Treffen statt. Der Kontakt beschränkte sich bis Januar 2020 auf monatliche Telefonate bzw. Textnachrichten. Ab Januar 2020 wurde der Kontakt etwas enger und sie telefonierten/schrieben sich wöchentlich.

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Hinterbliebenengeld (XVII) bei Partnerschaften

Michael PeusMichael Peus

zur tabellarischen Übersicht Stand 08/2022zur textlichen Darstellung, Stand 08/2022

LG Münster, Urt. v. 07.09.2020 – 2 Ks-30 Js 119/20-06/20 

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Hinterbliebenengeld kann trotz einer kurzen Dauer einer Partnerschaft zugestanden werden; indes ist es moderat zu bemessen.

 

Sachverhalt

Die Partnerin des 22-jährigen Verstorbenen beantragt gem. § 844 Abs. 3 BGB Hinterbliebenengeld i.H.v. 3000€. Dieser wurde von ihrem Ex-Mann mit einem Messer in Tötungsabsicht angegriffen und starb an den Verletzungsfolgen. Die Beziehung dauerte bis zum Zeitpunkt des Todes des Partners zwei Monate an.

 

Entscheidung

Das LG Münster verurteilte den Ex-Mann der Antragstellerin wegen Totschlags gem. § 212 StGB und sprach ihr antragsgemäß ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 3.000€ zu. Zu den Bemessungsgründen des führte es aus, dass ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 3.000€ aufgrund der vergleichsweise kurzen Dauer der Beziehung angemessen sei.

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Hinterbliebenengeld – Darstellung (Stand 08/2022)

Michael PeusMichael Peus

zur tabellarischen Übersicht 08/2022

Die Regelungen zum Hinterbliebenengeld wurden am 17.07.2017 in dem „Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld‟ vom Bundestag beschlossen. So heißt es in § 844 Abs. 3 BGB:

(3) Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.

 

1. normative Grundlagen

In verschiedenen Gesetzen wurde diese Regelung eingeführt:

  • § 844 III BGB (Bürgerliches Gesetzbuch),
  • § 86 III AMG (Arzneimittelgesetz),
  • § 32 IV GenTG (Gentechnikgesetz),
  • § 7 III ProdHaftG (Produkthaftungsgesetz),
  • § 12 III UmweltHG (Umwelthaftungsgesetz),
  • § 28 III AtG und § 15 III AtG (Atomgesetz),
  • § 10 III StVG (Straßenverkehrsgesetz),
  • § 5 III HaftPflG (Haftpflichtgesetz),
  • § 35 III LuftVG und
  • § 72 VI LuftVG (Luftverkehrsgesetz).

 

2. zeitlicher Anwendungsbereich

Die Überleitungsvorschrift findet sich im Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch unter Art. 229 § 43 EGBGB. Diese Regelungen gelten für zum Tod führende Verletzungen, die nach dem 22.07.2017 eingetreten sind. Hinterbliebenengeld kommt somit in Betracht für Sachverhalte, in denen die zum Tod führende Verletzung ab dem 22.07.2017 eingetreten ist (zutreffend: OLG München; Anwendungsbereich verkannt: LG Limburg). Wie das OLG Düsseldorf verdeutlicht, hat die Einführung des Hinterbliebenengeldes auch keine mittelbare Auswirkung auf alte Sachverhalte vor Einführung des Hinterbliebenengeldes. Auch der BGH bestätigt, dass über den Sinn und Zweck des Hinterbliebenengeldes hinaus keine neuen gesetzgeberischen Intentionen unterstellt werden können; damit verbleibe es dabei, dass Geldentschädigungsansprüche wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts im Grundsatz nicht vererblich seien (BGH im Teil-Urteil vom 29.11.2021, VI ZR 258/18).

 

3. Ausschluss nach SGB VII !

Die Frage war umstritten. Nunmehr hat der BGH (VI ZR 3/21) entschieden, dass eine Privilegierung des Schädigers nach §§ 104, 105 SGB VII auch zu einem Ausschluss des Anspruchs auf Hinterbliebenengeld führt. Damit gelangte der Bundesgerichtshof zum selben Ergebnis, wie wir bereits vertreten haben. Dem OLG Koblenz erteilt der BGH mithin eine klare Absage und teilt die Rechtsansicht des LG Koblenz und LG Mainz, weiter dazu hier.

 

4. Bemessungskriterien

Hinterbliebenengeld (§ 844 Abs. 3 BGB oder § 10 Abs. 3 StVG) fügt sich der Höhe nach in den gesetzgeberisch vorgesehenen Rahmen bzw. die bisherigen Entscheidungen zum Schmerzensgeld ein. Entsprechend der Rechtsprechung zum Schmerzensgeld muss ein Anspruchsteller nur einen Mindestbetrag fordern, ohne dass das Gericht durch diesen an einer höheren Bewertung gehindert wäre (vgl. LG München II). Darin liegt kein Verstoß gegen § 308 Abs. 2 ZPO (ne ultra petita).

Eine wirtschaftliche Abhängigkeit zu dem verstorbenen Elternteil bleibt bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes unberücksichtigt. Zudem kann das Hinterbliebenengeld nicht mit Härteleistungen für Opfer terroristischer und extremistischer Taten verglichen werden, welchen bei Verlust eines Elternteils die Möglichkeit der Zahlung von Härteleistungen in Höhe von pauschal 30.000 € zusteht. Bei diesen Entschädigungen handelt es sich um eine freiwillige und besondere Solidaritätsleistung des Staates und entspricht daher schon nicht dem Regelungszweck des Hinterbliebenengeldes (vgl. OLG Köln, Urteil vom 05.05.2022 – 18 U 168/21).

Falls ein Geschädigter (auch) Schmerzensgeldansprüche besitzt, erhöht das Vorliegen beider Anspruchsgrundlagen nicht den Gesamtanspruch. Vielmehr geht sonst der eine Anspruch in dem anderen auf bzw. ist der Anspruch auf Hinterbliebenengeld in der Höhe subsidiär, vgl. LG BonnLG Regensburg, OLG Koblenz und OLG München.

Ein Mitverschulden des Verstorbenen ist anspruchsmindernd (bis anspruchsausschließend, LG Limburg; arg. ex. OLG Hamm, Beschluss vom 08.03.2022 – 9 U 157/21) zu berücksichtigen, vgl. OLG Koblenz.

 

5. Angehörige: auch der Nasciturus!?

Was ist mit Hinterbliebenengeld für ein zum Verletzungszeitpunkt gezeugtes, aber noch nicht geborenes Kind? Nach dem Gesetzestext ist auf den Zeitpunkt der Verletzung abzustellen:

„Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Ein besonderes persönliches Näheverhältnis wird vermutet, wenn der Hinterbliebene der Ehegatte, der Lebenspartner, ein Elternteil oder ein Kind des Getöteten war.‟
vgl. z.B. § 844 Abs. 3 BGB

Nach § 1 BGB beginnt die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Geburt. Entsprechend den hiesigen Erwägungen in der Übersicht 07/2021 hat das OLG München entschieden, dass dem Nasciturus kein Hinterbliebenengeld zusteht.

 

6. Exkurs: Strafrecht

Falls ein Angehöriger einen Anspruch auf Hinterbliebenengeld hat, ist er in einem Strafverfahren gegen den Schädiger Verletzter im Sinne des § 403 StPO (Geltendmachung eines Anspruchs im Adhäsionsverfahren), vgl. BGH im Beschluss vom 05.09.2019 – 4 StR 178/19. Er ist jedoch kein Verletzter im Sinne des § 46a StGB (Täter-Oper-Ausgleich, Schadenswiedergutmachung), vgl. BGH im Beschluss vom 06.06.2018 – 4 StR 144/18.

 

7. Höhe
zur tabellarischen Übersicht 08/2022

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Hinterbliebenengeld – Übersicht (Stand 08/2022)

Michael PeusMichael Peus

zur allgemeinen textlichen Darstellung

Betrag Näheverhältnis Bemessungsgründe Haftungsgrund Gericht
0 Nasciturus (Vater verstarb vor der Geburt)
kein Näheverhältnis
Nasciturus ist nach § 1 BGB noch nicht rechtsfähig; eine Ausnahme – wie in § 844 Abs. 2 BGB – hat der Gesetzgeber nicht gemacht; von einer ungewollten Regelungslücke ist nicht auszugehen. Verkehrsunfall in 2017 OLG München im Endurteil vom 05.08.2021, Az. 24 U 5354/20
0 Sohn einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen des zeitlichen Anwendungsrahmens (ab 22.07.2017) Krebsbehandlung in 2015 OLG München im Endurteil vom 25.03.2021, Az. 1 U 1831/18
[eingefügt 17.09.2021]
0 Mutter einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld, weil Schmerzensgeldanspruch höher ist und dem Hinterbliebenengeld vorgeht Mord am 29.06.2019 LG Bonn, Urteil vom 03.12.2019 – 24 Ks 7/19
[eingefügt 21.10.2020]
0 Schwiegermutter einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen Sperre nach §§ 104, 105 SGB VII Arbeitsunfall am 14.03.2018 LG Koblenz, Urteil vom 24. April 2020 – 12 O 137/19
[eingefügt 21.10.2020]
0 anbändelnde Partnerschaft
kein ausreichendes Näheverhältnis
  • erste Anbahnung des Verhältnisses ca. 25.11.2019, also knapp 2 Monate vor Tötung
  • Beziehung wurde beiderseits noch geheim gehalten
  • in der Woche vor der Tötung täglicher Besuch nebst Übernachtung
Tötungsdelikt am 08.02.2020 BGH, Beschluss vom 28.10.2021 – 4 StR 300/21
0 Schwipschwägerin
kein ausreichendes Näheverhältnis
  • enger Familienverbund
  • erhebliche gemeinsame Freizeitgestaltung
  • nicht verwandt
  • nicht verschwägert
  • kein gemeinsamer Haushalt
  • keine finanzielle Unterstützung
Verkehrsunfall am 14.09.2016 LG Limburg, Urteil vom 22.03.2019 – 2 O 177/18
[eingefügt 10.08.2020]
0 Ehemann
Näheverhältnis widerlegt
  • seit 4 Jahren getrennt
  • Scheidungsantrag 1 Jahr vorher eingereicht
  • neue Beziehung des Ehemannes
Verkehrsunfall am 14.04.2018 LG Traunstein, Endurteil v. 11.02.2020, Az. 1 O 1047/19
0 Angehörige nach § 844 Abs. 3 BGB
Näheverhältnis widerlegt
  • Die Beziehung der Angehörigen zum Verstorbenen war „gerade in den Jahren vor deren Tod als schwierig und nicht eng im Sinne eines regelmäßig gelebten persönlichen Kontakts und besonderen persönlichen Näheverhältnisses gestaltet‟.
  • Allein Trauer über den Tod des Angehörigen genügt nicht.
Mord BGH, Beschluss vom 18.05.2020, Az. 6 StR 48/20
2.000 Vater
eines 19-jährigen Verstorbenen
  • 1998 Sohn geboren
  • 2000 Mutter und Verstorbenen verlassen
  • 2006 Umzug des Vaters; persönlicher Kontakt nur in Ferienzeit; dann: Kontaktabbruch; keine familiäre Vater-Sohn-Beziehung
  • 2012: nach Versterben der Kindsmutter wieder Umgangskontakt; 2 Mal wöchentlich telefonischer Kontakt
  • 2013: es beginnt wieder Umgangskontakt in Form monatlicher Umganswochenenden und während der Schulferien
  • 2016: im September letzter persönlicher Kontakt
  • 09.09.2017: letzter Kontakt via Handy-Chat
  • Sohn war bereits Erwachsen
Mord in 09/2017; Haftung des Schädigers 100% LG Osnabrück, Urteil vom 09. Januar 2019 – 3 KLs 4/18 [eingefügt: 21.10.2020]
3.000 Schwiegertochter einer Verstorbenen Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Vater
eines verstorbenen 20-Jährigen
  • Alter des Verstorbenen
  • kein gemeinsamer Wohnsitz
  • Fahrlässigkeit auf Seiten des Beklagten
  • kurze Zeit vom Unfallzeitpunkt bis zum Eintritt des Todes
  • mindestens 50% Mitverschulden des Verstorbenen
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers (maximal) 50%
OLG Koblenz, Beschluss vom 31.08.2020 – 12 U 870/20
[eingefügt 08.01.2021]
5.000 Sohn
einer Verstorbenen
  • 48 Jahre alt
  • bereits verheiratet
Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Bruder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • Miterleben des Unfalls und des Versterbens
  • räumliche Entfernung sprach gegen besondere Nähe
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
5.000 Schwester
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • enge Verbindung im Kindesalter
  • Unternahmen noch als Erwachsene gemeinsame Reisen
  • gemeinsamen Urlaub für 2019 geplant
  • Näheverhältnis (Geschwister) ist auf niedriger Stufe anzusiedeln
Mord in 08/2018
Haftung der Schädigerin 100%
Landgericht München II, Urteil vom 18. Dezember 2020, Az. 1 Ks 31 Js 47130/18
6.500 Tochter
eines Unfallopfers
  • Tochter war erste Ansprechpartnerin des Vaters
  • Tochter trauerte noch 18 Monate nach Unfall um den Vater
  • Wohnorte knapp 150 km auseinander
  • grundsätzlich gewöhnliche Vater-Tochter-Beziehung
Verkehrsunfall
in 2018
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Flensburg, SCHLÜNDER: 1304-2019
[eingefügt 14.08.2020]
7.500 Kinder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • alle Kinder schon über 20 Jahre alt
  • waren nicht auf Fürsorge des Verstorbenen angewiesen
  • waren in einem Alter, in dem man sich von dem Elternhaus allmählich löst
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
7.500 Kinder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • noch keine Schul- und Berufsabschlüsse
  • Alter der Kinder zwischen 14 und 19 Jahren
  • regelmäßiger Kontakt via Messenger
  • wechselseitige Besuche und Telefonate
  • lebten bei der Kindsmutter
Mord in 08/2018
Haftung der Schädigerin 100%
Landgericht München II, Urteil vom 18. Dezember 2020, Az. 1 Ks 31 Js 47130/18
8.000 erwachsene Tochter
einer Verstorbenen
  • enges emotionales Verhältnis trotz räumlicher Distanz
  • Töchter waren schon erwachsen
Mord in 08/2019
Haftung des Schädigers 100%
LG Münster Urteil vom 16.07.2020 – 2 Ks-30 Js 206/19-23/19
[eingefügt 08.01.2021]
8.000 Schwiegermutter
einer Verstorbenen
  • besonders enges Verhältnis zwischen Schwiegermutter und Verstorbener (etwa Mutter-Tochter-Verhältnis)
  • verstorbene Schwiegertochter gehört nicht zum engsten Kreis der Angehörigen
Arbeitsunfall am 14.03.2018
Haftung des Schädigers 100%
OLG Koblenz Urteil vom 21.12.2020 – 12 U 711/20
[eingefügt 28.07.2021]
10.000 Tochter eines Verstorbenen
  • Kontakt durch monatliche  Telefonate und Textnachrichten bis Januar 2020 (5 Monate vor Tod)
  • enge Bindung
  • kein gemeinsamer Hausstand
  • Tochter bereits erwachsen
  • keine persönlichen Treffen in den letzten Jahren
  • Tochter hatte keine Kenntnis von neuer Beziehung des Verstorbenen
Mord in 06/2020, Haftung des Schädigers 100% LG Amberg, Urteil vom 19.08.2021 – 11 Ks 100 Js 6315/20
10.000 Tochter
eines Verstorbenen
  • Tochter war Ansprech- und Notfallkontaktperson des Verstorbenen
  • enge Bindung
  • nach dem Tod des Vaters: Schlafstörungen, Ängste beim Autofahren, Arbeitsplatzwechsel
  • Schockschaden
Verkehrsunfall in 12/2018
Haftung des Schädigers 100%
Oberlandgericht Schleswig, Urteil vom 23.02.2021, Az. 7 U 149/20
10.000 Ehemann
einer Verstorbenen
  • 40 Ehejahre
Unfalltod
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Wiesbaden, Beschluss vom 23.10.2018, Az. 3 O 219/18
10.000 Mutter
einer Getöteten
  • Aufgrund Angehörigenverhältnis nach gesetzlicher Vermutung gem. § 844 Abs. 3 BGB besonderes persönliches Näheverhältnis
  • Anerkenntnis des Angeklagten gem. § 406 Abs. 2 StPO
Mord am 27.10.2019 LG Mannheim, Urt. v. 15.07.20 – 1 Ks 400 Js 35919/19
10.000 Tochter (ca. 4 Jahre alt)
einer Getöteten
  • Aufgrund Angehörigenverhältnis nach gesetzlicher Vermutung gem. § 844 Abs. 3 BGB besonderes persönliches Näheverhältnis
  • Anerkenntnis des Angeklagten gem. § 406 Abs. 2 StPO
Mord am 27.10.2019 LG Mannheim, Urt. v. 15.07.20 – 1 Ks 400 Js 35919/19
12.000 Ehefrau
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • 30 Ehejahre
  • 4 gemeinsame Kinder
  • klare Aufgabenverteilung
  • Vertrauensverhältnis mit finanzieller Abhängigkeit vom Verstorbenen
  • grobe Fahrlässigkeit des Schädigers
  • seit 28 Jahren wurde das gemeinsame Hobby (Motorradfahren) nicht ausgeübt
  • gemeinsame Aktivitäten erschöpften sich im Nordseeurlaub
  • Schädiger bereute und zahlte 2.000 Euro schon im Strafverfahren
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
12.000 Tochter (19 Jahre alt) eines  Verstorbenen
  • enge Vater-Tochter-Beziehung
Verkehrsunfall in 2020
Haftung des Schädigers 100%
OLG Köln, Urteil vom 05.05.2022, 18 U 168/21
12.500 Sohn einer Verstorbenen
  • regelmäßiger persönlicher  Kontakt zur Mutter mit vielen Besuchen
  • Sonntags Mittagessen bei Mutter
  • weitere Kontakte auf Familienfesten
  • letzte Begegnungen an beiden Wochenenden vor dem Versterben
  • Sohn ist schon erwachsen
  • kein gemeinsamer Haushalt
Mord in 06/2020, Haftung des Schädigers 100% LG Amberg, Urteil vom 19.08.2021 – 11 Ks 100 Js 6315/20
15.000 Mutter und Vater
einer 16-jährigen Verstorbenen
  • spätes Wunschkind
  • einziges Kind
  • wesentlicher Lebensinhalt und sozialer Bezugspunkt
  • schuldhafte Unfallverursachung, Leiden der Verstorbenen und Kenntnis der Eltern
Verkehrsunfall am 30.04.2018
Haftung des Schädigers 100%
LG Leipzig, Urteil vom 08.11.2019 – 05 O 758/19 [eingefügt: 21.10.2020]
15.000 Tochter
einer 45-jährigen Verstorbenen
  • einzig nahe Verwandte in Deutschland
  • vorsätzliche Tötung
Totschlag im Jahr 2019
Haftung des Schädigers 100%
LG Regensburg, Urteil 16.12.2020, Az. Ks 103 Js 28875/19 [eingefügt: 11.05.2021]

 

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Hinterbliebenengeld XVI – Vergleichbarkeit mit Härteleistung?

Michael PeusMichael Peus

zur tabellarischen Übersicht Stand 08/2022zur textlichen Darstellung, Stand 08/2022

OLG Köln, Urteil vom 05.05.2022 – 18 U 168/21

Leitsätze (amtlich)

  1. Bei der Bemessung der Anspruchshöhe kann der im Regierungsentwurf (BT- Drucks. 18/11397 S. 11) bei der Gesetzesfolgenbewertung genannte Betrag von 10.000 Euro als Ausgangspunkt für die den Gerichten überantwortete Einzelfallprüfung herangezogen werden.
  2. Eine Übertragung der in der „Richtlinie zur Zahlung von Härteleistungen für Opfer terroristischer und extremistischer Taten aus dem Bundeshaushalt (Kapitel 0718 Titel 681 02 und 681 01)“ des Bundesministeriums der Justiz für Härtefälle vorgesehenen Pauschalbeträge kommt nicht in Betracht.

 

Sachverhalt

Die Klägerin (geboren 2001) verlangt wegen eines Verkehrsunfalls im September 2020, bei dem der Vater der Klägerin zu Tode kam, Hinterbliebenengeld von der Beklagten zu 1), die den Unfall verursacht hat, und der Beklagten zu 2), bei welcher der unfallverursachende Pkw versichert war. Die umfassende Haftung der Beklagten dem Grunde nach ist unstreitig.

Das vorinstanzliche Landgericht erachtet einen Betrag in Höhe von insgesamt 12.000 € für angemessen.

Die Klägerin legt gegen dieses Urteil Berufung ein und verlangt eine höhere Summe. Unter anderem beruft sie sich ergänzend auf die Richtlinie der Bundesregierung zur Zahlung von Härteleistungen für Opfer terroristischer und extremistischer Taten aus dem Bundeshaushalt. Diese sehen bei Verlust eines Elternteils einen Pauschalbetrag i.H.v. 30.000 € vor.

 

Entscheidung

Das OLG Köln erklärt die Berufung schon für unzulässig. Aber auch inhaltlich sei ein Angriff gegen das erstinstanzliche Urteil erfolglos.

Grundsätzlich hat der Ersatzpflichtige dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonders engen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 StVG.

Ziel und Zweck des Hinterbliebenengeldes besteht darin, die durch den Verlust eines besonders nahestehenden Menschen verursachte Trauer des Hinterbliebenen und das ihm zugefügte seelische Leid zu lindern. Dabei betont der Gesetzgeber, dass eine Bewertung des verlorenen Lebens bzw. des in Geld nicht messbaren Verlustes des Hinterbliebenen nicht in die Bemessung mit einfließe, da die Entschädigung keinen Ausgleich für den Verlust des Lebens darstellen soll und kann.

Bei sog. Schockschäden, die über das gewöhnliche Maß an Trauer und seelischem Leid hinausgehen, liegen die durchschnittlichen Beträge bei etwa 10.000 Euro. Im Regelfall fällt das Hinterbliebenengeld niedriger aus, als die Entschädigungen beim Schockschaden.

Eine enge soziale Vater-Tochter Beziehung, welche die moderate Erhöhung des Hinterbliebenengeldes rechtfertigt, sei hier gegeben. Die wirtschaftliche Abhängigkeit vom Vater bleibt bei der Bemessung des Hinterbliebenengeldes hingegen unberücksichtigt.

Das Hinterbliebenengeld ist nach Ansicht des OLG Köln – richtigerweise – nicht mit einem Fall von Opfern terroristischer und extremistischer Taten zu vergleichen, welchen bei Verlust eines Elternteils die Möglichkeit der Zahlung von Härteleistungen in Höhe von pauschal 30.000 € zusteht. Bei diesen Entschädigungen handelt es sich nämlich um eine freiwillige und besondere Solidaritätsleistung des Staates und entspricht daher schon nicht dem Regelungszweck des Hinterbliebenengeldes.

12.000 € Hinterbliebenengeld waren damit angemessen und ausreichend.

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Hinterbliebenengeld – Übersicht (Stand 05/2022)

Michael PeusMichael Peus

zur allgemeinen textlichen Darstellung

zur tabellarischen Darstellung 08/22

Betrag Näheverhältnis Bemessungsgründe Haftungsgrund Gericht
0 Nasciturus (Vater verstarb vor der Geburt)
kein Näheverhältnis
Nasciturus ist nach § 1 BGB noch nicht rechtsfähig; eine Ausnahme – wie in § 844 Abs. 2 BGB – hat der Gesetzgeber nicht gemacht; von einer ungewollten Regelungslücke ist nicht auszugehen. Verkehrsunfall in 2017 OLG München im Endurteil vom 05.08.2021, Az. 24 U 5354/20
0 Sohn einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen des zeitlichen Anwendungsrahmens (ab 22.07.2017) Krebsbehandlung in 2015 OLG München im Endurteil vom 25.03.2021, Az. 1 U 1831/18
[eingefügt 17.09.2021]
0 Mutter einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld, weil Schmerzensgeldanspruch höher ist und dem Hinterbliebenengeld vorgeht Mord am 29.06.2019 LG Bonn, Urteil vom 03.12.2019 – 24 Ks 7/19
[eingefügt 21.10.2020]
0 Schwiegermutter einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen Sperre nach §§ 104, 105 SGB VII Arbeitsunfall am 14.03.2018 LG Koblenz, Urteil vom 24. April 2020 – 12 O 137/19
[eingefügt 21.10.2020]
0 anbändelnde Partnerschaft
kein ausreichendes Näheverhältnis
  • erste Anbahnung des Verhältnisses ca. 25.11.2019, also knapp 2 Monate vor Tötung
  • Beziehung wurde beiderseits noch geheim gehalten
  • in der Woche vor der Tötung täglicher Besuch nebst Übernachtung
Tötungsdelikt am 08.02.2020 BGH, Beschluss vom 28.10.2021 – 4 StR 300/21
0 Schwipschwägerin
kein ausreichendes Näheverhältnis
  • enger Familienverbund
  • erhebliche gemeinsame Freizeitgestaltung
  • nicht verwandt
  • nicht verschwägert
  • kein gemeinsamer Haushalt
  • keine finanzielle Unterstützung
Verkehrsunfall am 14.09.2016 LG Limburg, Urteil vom 22.03.2019 – 2 O 177/18
[eingefügt 10.08.2020]
0 Ehemann
Näheverhältnis widerlegt
  • seit 4 Jahren getrennt
  • Scheidungsantrag 1 Jahr vorher eingereicht
  • neue Beziehung des Ehemannes
Verkehrsunfall am 14.04.2018 LG Traunstein, Endurteil v. 11.02.2020, Az. 1 O 1047/19
0 Angehörige nach § 844 Abs. 3 BGB
Näheverhältnis widerlegt
  • Die Beziehung der Angehörigen zum Verstorbenen war „gerade in den Jahren vor deren Tod als schwierig und nicht eng im Sinne eines regelmäßig gelebten persönlichen Kontakts und besonderen persönlichen Näheverhältnisses gestaltet‟.
  • Allein Trauer über den Tod des Angehörigen genügt nicht.
Mord BGH, Beschluss vom 18.05.2020, Az. 6 StR 48/20
2.000 Vater
eines 19-jährigen Verstorbenen
  • 1998 Sohn geboren
  • 2000 Mutter und Verstorbenen verlassen
  • 2006 Umzug des Vaters; persönlicher Kontakt nur in Ferienzeit; dann: Kontaktabbruch; keine familiäre Vater-Sohn-Beziehung
  • 2012: nach Versterben der Kindsmutter wieder Umgangskontakt; 2 Mal wöchentlich telefonischer Kontakt
  • 2013: es beginnt wieder Umgangskontakt in Form monatlicher Umganswochenenden und während der Schulferien
  • 2016: im September letzter persönlicher Kontakt
  • 09.09.2017: letzter Kontakt via Handy-Chat
  • Sohn war bereits Erwachsen
Mord in 09/2017; Haftung des Schädigers 100% LG Osnabrück, Urteil vom 09. Januar 2019 – 3 KLs 4/18 [eingefügt: 21.10.2020]
3.000 Schwiegertochter einer Verstorbenen Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Vater
eines verstorbenen 20-Jährigen
  • Alter des Verstorbenen
  • kein gemeinsamer Wohnsitz
  • Fahrlässigkeit auf Seiten des Beklagten
  • kurze Zeit vom Unfallzeitpunkt bis zum Eintritt des Todes
  • mindestens 50% Mitverschulden des Verstorbenen
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers (maximal) 50%
OLG Koblenz, Beschluss vom 31.08.2020 – 12 U 870/20
[eingefügt 08.01.2021]
5.000 Sohn
einer Verstorbenen
  • 48 Jahre alt
  • bereits verheiratet
Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Bruder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • Miterleben des Unfalls und des Versterbens
  • räumliche Entfernung sprach gegen besondere Nähe
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
5.000 Schwester
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • enge Verbindung im Kindesalter
  • Unternahmen noch als Erwachsene gemeinsame Reisen
  • gemeinsamen Urlaub für 2019 geplant
  • Näheverhältnis (Geschwister) ist auf niedriger Stufe anzusiedeln
Mord in 08/2018
Haftung der Schädigerin 100%
Landgericht München II, Urteil vom 18. Dezember 2020, Az. 1 Ks 31 Js 47130/18
6.500 Tochter
eines Unfallopfers
  • Tochter war erste Ansprechpartnerin des Vaters
  • Tochter trauerte noch 18 Monate nach Unfall um den Vater
  • Wohnorte knapp 150 km auseinander
  • grundsätzlich gewöhnliche Vater-Tochter-Beziehung
Verkehrsunfall
in 2018
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Flensburg, SCHLÜNDER: 1304-2019
[eingefügt 14.08.2020]
7.500 Kinder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • alle Kinder schon über 20 Jahre alt
  • waren nicht auf Fürsorge des Verstorbenen angewiesen
  • waren in einem Alter, in dem man sich von dem Elternhaus allmählich löst
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
7.500 Kinder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • noch keine Schul- und Berufsabschlüsse
  • Alter der Kinder zwischen 14 und 19 Jahren
  • regelmäßiger Kontakt via Messenger
  • wechselseitige Besuche und Telefonate
  • lebten bei der Kindsmutter
Mord in 08/2018
Haftung der Schädigerin 100%
Landgericht München II, Urteil vom 18. Dezember 2020, Az. 1 Ks 31 Js 47130/18
8.000 erwachsene Tochter
einer Verstorbenen
  • enges emotionales Verhältnis trotz räumlicher Distanz
  • Töchter waren schon erwachsen
Mord in 08/2019
Haftung des Schädigers 100%
LG Münster Urteil vom 16.07.2020 – 2 Ks-30 Js 206/19-23/19
[eingefügt 08.01.2021]
8.000 Schwiegermutter
einer Verstorbenen
  • besonders enges Verhältnis zwischen Schwiegermutter und Verstorbener (etwa Mutter-Tochter-Verhältnis)
  • verstorbene Schwiegertochter gehört nicht zum engsten Kreis der Angehörigen
Arbeitsunfall am 14.03.2018
Haftung des Schädigers 100%
OLG Koblenz Urteil vom 21.12.2020 – 12 U 711/20
[eingefügt 28.07.2021]
10.000 Tochter eines Verstorbenen
  • Kontakt durch monatliche  Telefonate und Textnachrichten bis Januar 2020 (5 Monate vor Tod)
  • enge Bindung
  • kein gemeinsamer Hausstand
  • Tochter bereits erwachsen
  • keine persönlichen Treffen in den letzten Jahren
  • Tochter hatte keine Kenntnis von neuer Beziehung des Verstorbenen
Mord in 06/2020, Haftung des Schädigers 100% LG Amberg, Urteil vom 19.08.2021 – 11 Ks 100 Js 6315/20
10.000 Tochter
eines Verstorbenen
  • Tochter war Ansprech- und Notfallkontaktperson des Verstorbenen
  • enge Bindung
  • nach dem Tod des Vaters: Schlafstörungen, Ängste beim Autofahren, Arbeitsplatzwechsel
  • Schockschaden
Verkehrsunfall in 12/2018
Haftung des Schädigers 100%
Oberlandgericht Schleswig, Urteil vom 23.02.2021, Az. 7 U 149/20
10.000 Ehemann
einer Verstorbenen
  • 40 Ehejahre
Unfalltod
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Wiesbaden, Beschluss vom 23.10.2018, Az. 3 O 219/18
10.000 Mutter
einer Getöteten
  • Aufgrund Angehörigenverhältnis nach gesetzlicher Vermutung gem. § 844 Abs. 3 BGB besonderes persönliches Näheverhältnis
  • Anerkenntnis des Angeklagten gem. § 406 Abs. 2 StPO
Mord am 27.10.2019 LG Mannheim, Urt. v. 15.07.20 – 1 Ks 400 Js 35919/19
10.000 Tochter (ca. 4 Jahre alt)
einer Getöteten
  • Aufgrund Angehörigenverhältnis nach gesetzlicher Vermutung gem. § 844 Abs. 3 BGB besonderes persönliches Näheverhältnis
  • Anerkenntnis des Angeklagten gem. § 406 Abs. 2 StPO
Mord am 27.10.2019 LG Mannheim, Urt. v. 15.07.20 – 1 Ks 400 Js 35919/19
12.000 Ehefrau
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • 30 Ehejahre
  • 4 gemeinsame Kinder
  • klare Aufgabenverteilung
  • Vertrauensverhältnis mit finanzieller Abhängigkeit vom Verstorbenen
  • grobe Fahrlässigkeit des Schädigers
  • seit 28 Jahren wurde das gemeinsame Hobby (Motorradfahren) nicht ausgeübt
  • gemeinsame Aktivitäten erschöpften sich im Nordseeurlaub
  • Schädiger bereute und zahlte 2.000 Euro schon im Strafverfahren
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
12.500 Sohn einer Verstorbenen
  • regelmäßiger persönlicher  Kontakt zur Mutter mit vielen Besuchen
  • Sonntags Mittagessen bei Mutter
  • weitere Kontakte auf Familienfesten
  • letzte Begegnungen an beiden Wochenenden vor dem Versterben
  • Sohn ist schon erwachsen
  • kein gemeinsamer Haushalt
Mord in 06/2020, Haftung des Schädigers 100% LG Amberg, Urteil vom 19.08.2021 – 11 Ks 100 Js 6315/20
15.000 Mutter und Vater
einer 16-jährigen Verstorbenen
  • spätes Wunschkind
  • einziges Kind
  • wesentlicher Lebensinhalt und sozialer Bezugspunkt
  • schuldhafte Unfallverursachung, Leiden der Verstorbenen und Kenntnis der Eltern
Verkehrsunfall am 30.04.2018
Haftung des Schädigers 100%
LG Leipzig, Urteil vom 08.11.2019 – 05 O 758/19 [eingefügt: 21.10.2020]
15.000 Tochter
einer 45-jährigen Verstorbenen
  • einzig nahe Verwandte in Deutschland
  • vorsätzliche Tötung
Totschlag im Jahr 2019
Haftung des Schädigers 100%
LG Regensburg, Urteil 16.12.2020, Az. Ks 103 Js 28875/19 [eingefügt: 11.05.2021]

 

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Hinterbliebenengeld XV – bei vorsätzlichem Tötungsdelikt

Michael PeusMichael Peus

LG Mannheim, Urt. v. 15.05.2020 – 1 Ks 400 Js 35919/19

 

Leitsätze (redaktionell)

  1. Beantragen Angehörige Hinterbliebenengeld, kann das besondere persönliche Näheverhältnis gem. § 844 Abs. 3 BGB vermutet werden.
  2. Auch ein unbezifferter Antrag auf Hinterbliebenengeld ist hinreichend bestimmt.

 

Sachverhalt

Infolge eines Mordes an der Geschädigten Y. beantragen die Mutter (F.Ö.) und Tochter (S.S.; vertreten durch ihren leiblichen Vater) der Y. im Adhäsionsverfahren Hinterbliebenengeld. Die Höhe des Anspruchs stellen sie dabei in das Ermessen des Gerichts.

 

Entscheidung

Das Landgericht sprach der Mutter und der Tochter jeweils ein Hinterbliebenengeld i.H.v. 10.000€ zu.

Der Antrag ist zulässig. Bei Mutter und Tochter handelt es sich um mittelbar Verletzte des Tötungsdelikts an Y. Gem. § 844 Abs. 3 BGB wird aufgrund der Angehörigenstellung ein besonderes persönliches Näheverhältnis vermutet. Der Angeklagte ist der richtige Antragsgegner, Rechtshängigkeit liegt nicht vor.
Weiterhin sind die Anträge trotz keiner Angabe der geforderten Anspruchshöhe hinreichend bestimmt gem. § 404 Abs. 1 S. 2 StPO, denn deren Bemessung steht im billigen Ermessen des Gerichts. S.S. als minderjährige Tochter der Geschädigten ist ebenso antragsberechtigt, da die Klageerhebung durch die von ihrem leiblichen Vater als gesetzlichem Vertreter wirksam beauftragte Prozessvertreterin erfolgte.

Der Antrag ist aufgrund des ausdrücklichen prozessualen, uneingeschränkten Anerkenntnisses des Angeklagten gem. § 406 Abs. 2 StPO auch begründet. Dieses Anerkenntnis bezog sich zudem auf die gesetzlich vorgesehene Anspruchshöhe von 10.000€.

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Hinterbliebenengeld – Übersicht (Stand 05/2022)

Michael PeusMichael Peus

zur allgemeinen textlichen Darstellung

zur tabellarischen Darstellung 08/22

Betrag Näheverhältnis Bemessungsgründe Haftungsgrund Gericht
0 Nasciturus (Vater verstarb vor der Geburt)
kein Näheverhältnis
Nasciturus ist nach § 1 BGB noch nicht rechtsfähig; eine Ausnahme – wie in § 844 Abs. 2 BGB – hat der Gesetzgeber nicht gemacht; von einer ungewollten Regelungslücke ist nicht auszugehen. Verkehrsunfall in 2017 OLG München im Endurteil vom 05.08.2021, Az. 24 U 5354/20
0 Sohn einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen des zeitlichen Anwendungsrahmens (ab 22.07.2017) Krebsbehandlung in 2015 OLG München im Endurteil vom 25.03.2021, Az. 1 U 1831/18
[eingefügt 17.09.2021]
0 Mutter einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld, weil Schmerzensgeldanspruch höher ist und dem Hinterbliebenengeld vorgeht Mord am 29.06.2019 LG Bonn, Urteil vom 03.12.2019 – 24 Ks 7/19
[eingefügt 21.10.2020]
0 Schwiegermutter einer Getöteten kein Anspruch auf Hinterbliebenengeld wegen Sperre nach §§ 104, 105 SGB VII Arbeitsunfall am 14.03.2018 LG Koblenz, Urteil vom 24. April 2020 – 12 O 137/19
[eingefügt 21.10.2020]
0 anbändelnde Partnerschaft
kein ausreichendes Näheverhältnis
  • erste Anbahnung des Verhältnisses ca. 25.11.2019, also knapp 2 Monate vor Tötung
  • Beziehung wurde beiderseits noch geheim gehalten
  • in der Woche vor der Tötung täglicher Besuch nebst Übernachtung
Tötungsdelikt am 08.02.2020 BGH, Beschluss vom 28.10.2021 – 4 StR 300/21
0 Schwipschwägerin
kein ausreichendes Näheverhältnis
  • enger Familienverbund
  • erhebliche gemeinsame Freizeitgestaltung
  • nicht verwandt
  • nicht verschwägert
  • kein gemeinsamer Haushalt
  • keine finanzielle Unterstützung
Verkehrsunfall am 14.09.2016 LG Limburg, Urteil vom 22.03.2019 – 2 O 177/18
[eingefügt 10.08.2020]
0 Ehemann
Näheverhältnis widerlegt
  • seit 4 Jahren getrennt
  • Scheidungsantrag 1 Jahr vorher eingereicht
  • neue Beziehung des Ehemannes
Verkehrsunfall am 14.04.2018 LG Traunstein, Endurteil v. 11.02.2020, Az. 1 O 1047/19
0 Angehörige nach § 844 Abs. 3 BGB
Näheverhältnis widerlegt
  • Die Beziehung der Angehörigen zum Verstorbenen war „gerade in den Jahren vor deren Tod als schwierig und nicht eng im Sinne eines regelmäßig gelebten persönlichen Kontakts und besonderen persönlichen Näheverhältnisses gestaltet‟.
  • Allein Trauer über den Tod des Angehörigen genügt nicht.
Mord BGH, Beschluss vom 18.05.2020, Az. 6 StR 48/20
2.000 Vater
eines 19-jährigen Verstorbenen
  • 1998 Sohn geboren
  • 2000 Mutter und Verstorbenen verlassen
  • 2006 Umzug des Vaters; persönlicher Kontakt nur in Ferienzeit; dann: Kontaktabbruch; keine familiäre Vater-Sohn-Beziehung
  • 2012: nach Versterben der Kindsmutter wieder Umgangskontakt; 2 Mal wöchentlich telefonischer Kontakt
  • 2013: es beginnt wieder Umgangskontakt in Form monatlicher Umganswochenenden und während der Schulferien
  • 2016: im September letzter persönlicher Kontakt
  • 09.09.2017: letzter Kontakt via Handy-Chat
  • Sohn war bereits Erwachsen
Mord in 09/2017; Haftung des Schädigers 100% LG Osnabrück, Urteil vom 09. Januar 2019 – 3 KLs 4/18 [eingefügt: 21.10.2020]
3.000 Schwiegertochter einer Verstorbenen Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Vater
eines verstorbenen 20-Jährigen
  • Alter des Verstorbenen
  • kein gemeinsamer Wohnsitz
  • Fahrlässigkeit auf Seiten des Beklagten
  • kurze Zeit vom Unfallzeitpunkt bis zum Eintritt des Todes
  • mindestens 50% Mitverschulden des Verstorbenen
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers (maximal) 50%
OLG Koblenz, Beschluss vom 31.08.2020 – 12 U 870/20
[eingefügt 08.01.2021]
5.000 Sohn
einer Verstorbenen
  • 48 Jahre alt
  • bereits verheiratet
Verkehrsunfall in 2018; Haftung des Schädigers 100% LG München II, Endurteil vom 17.05.2019 – 12 O 4540/18
5.000 Bruder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • Miterleben des Unfalls und des Versterbens
  • räumliche Entfernung sprach gegen besondere Nähe
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
5.000 Schwester
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • enge Verbindung im Kindesalter
  • Unternahmen noch als Erwachsene gemeinsame Reisen
  • gemeinsamen Urlaub für 2019 geplant
  • Näheverhältnis (Geschwister) ist auf niedriger Stufe anzusiedeln
Mord in 08/2018
Haftung der Schädigerin 100%
Landgericht München II, Urteil vom 18. Dezember 2020, Az. 1 Ks 31 Js 47130/18
6.500 Tochter
eines Unfallopfers
  • Tochter war erste Ansprechpartnerin des Vaters
  • Tochter trauerte noch 18 Monate nach Unfall um den Vater
  • Wohnorte knapp 150 km auseinander
  • grundsätzlich gewöhnliche Vater-Tochter-Beziehung
Verkehrsunfall
in 2018
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Flensburg, SCHLÜNDER: 1304-2019
[eingefügt 14.08.2020]
7.500 Kinder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • alle Kinder schon über 20 Jahre alt
  • waren nicht auf Fürsorge des Verstorbenen angewiesen
  • waren in einem Alter, in dem man sich von dem Elternhaus allmählich löst
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
7.500 Kinder
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • noch keine Schul- und Berufsabschlüsse
  • Alter der Kinder zwischen 14 und 19 Jahren
  • regelmäßiger Kontakt via Messenger
  • wechselseitige Besuche und Telefonate
  • lebten bei der Kindsmutter
Mord in 08/2018
Haftung der Schädigerin 100%
Landgericht München II, Urteil vom 18. Dezember 2020, Az. 1 Ks 31 Js 47130/18
8.000 erwachsene Tochter
einer Verstorbenen
  • enges emotionales Verhältnis trotz räumlicher Distanz
  • Töchter waren schon erwachsen
Mord in 08/2019
Haftung des Schädigers 100%
LG Münster Urteil vom 16.07.2020 – 2 Ks-30 Js 206/19-23/19
[eingefügt 08.01.2021]
8.000 Schwiegermutter
einer Verstorbenen
  • besonders enges Verhältnis zwischen Schwiegermutter und Verstorbener (etwa Mutter-Tochter-Verhältnis)
  • verstorbene Schwiegertochter gehört nicht zum engsten Kreis der Angehörigen
Arbeitsunfall am 14.03.2018
Haftung des Schädigers 100%
OLG Koblenz Urteil vom 21.12.2020 – 12 U 711/20
[eingefügt 28.07.2021]
10.000 Tochter eines Verstorbenen
  • Kontakt durch monatliche  Telefonate und Textnachrichten bis Januar 2020 (5 Monate vor Tod)
  • enge Bindung
  • kein gemeinsamer Hausstand
  • Tochter bereits erwachsen
  • keine persönlichen Treffen in den letzten Jahren
  • Tochter hatte keine Kenntnis von neuer Beziehung des Verstorbenen
Mord in 06/2020, Haftung des Schädigers 100% LG Amberg, Urteil vom 19.08.2021 – 11 Ks 100 Js 6315/20
10.000 Tochter
eines Verstorbenen
  • Tochter war Ansprech- und Notfallkontaktperson des Verstorbenen
  • enge Bindung
  • nach dem Tod des Vaters: Schlafstörungen, Ängste beim Autofahren, Arbeitsplatzwechsel
  • Schockschaden
Verkehrsunfall in 12/2018
Haftung des Schädigers 100%
Oberlandgericht Schleswig, Urteil vom 23.02.2021, Az. 7 U 149/20
10.000 Ehemann
einer Verstorbenen
  • 40 Ehejahre
Unfalltod
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Wiesbaden, Beschluss vom 23.10.2018, Az. 3 O 219/18
12.000 Ehefrau
eines 60-jährigen Verstorbenen
  • 30 Ehejahre
  • 4 gemeinsame Kinder
  • klare Aufgabenverteilung
  • Vertrauensverhältnis mit finanzieller Abhängigkeit vom Verstorbenen
  • grobe Fahrlässigkeit des Schädigers
  • seit 28 Jahren wurde das gemeinsame Hobby (Motorradfahren) nicht ausgeübt
  • gemeinsame Aktivitäten erschöpften sich im Nordseeurlaub
  • Schädiger bereute und zahlte 2.000 Euro schon im Strafverfahren
Verkehrsunfall
Haftung des Schädigers 100%
Landgericht Tübingen, Urteil vom 17. Mai 2019, Az. 3 O 108/18
12.500 Sohn einer Verstorbenen
  • regelmäßiger persönlicher  Kontakt zur Mutter mit vielen Besuchen
  • Sonntags Mittagessen bei Mutter
  • weitere Kontakte auf Familienfesten
  • letzte Begegnungen an beiden Wochenenden vor dem Versterben
  • Sohn ist schon erwachsen
  • kein gemeinsamer Haushalt
Mord in 06/2020, Haftung des Schädigers 100% LG Amberg, Urteil vom 19.08.2021 – 11 Ks 100 Js 6315/20
15.000 Mutter und Vater
einer 16-jährigen Verstorbenen
  • spätes Wunschkind
  • einziges Kind
  • wesentlicher Lebensinhalt und sozialer Bezugspunkt
  • schuldhafte Unfallverursachung, Leiden der Verstorbenen und Kenntnis der Eltern
Verkehrsunfall am 30.04.2018
Haftung des Schädigers 100%
LG Leipzig, Urteil vom 08.11.2019 – 05 O 758/19 [eingefügt: 21.10.2020]
15.000 Tochter
einer 45-jährigen Verstorbenen
  • einzig nahe Verwandte in Deutschland
  • vorsätzliche Tötung
Totschlag im Jahr 2019
Haftung des Schädigers 100%
LG Regensburg, Urteil 16.12.2020, Az. Ks 103 Js 28875/19 [eingefügt: 11.05.2021]

 

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