Gefälligkeiten am Bau und ihre Risiken

Landgericht Bochum, Urteil vom 5.2.2008 — Aktenzeichen: 11 S 173/07

Leitsatz
Freundschaftsdienste an Baustellen führen nicht zu einem stillschweigenden Haftungsverzicht. Auch bei Gefälligkeiten wird gehaftet.

Sachverhalt
Die Klägerin liefert zu einem Bauvorhaben Gegenstände. Der Zugang zu dem betreffenden Bauvorhaben ist versperrt. Die Arbeiter der Klägerin bitten daher einen an einem anderen Bauvorhaben tätigen Kranfahrer (den Beklagten), die Ladung mit Hilfe seines Krans aufzunehmen und am betreffenden Bauvorhaben abzustellen. Dazu fahren die Arbeiter der Klägerin unmittelbar neben den Kran und beginnen, ihre Ladung auf eine Palette zu stellen, damit diese vom Kran aufgenommen werden kann. Beim Schwenken des Kranes gerät das Gegengewicht des Krans gegen den Lkw der Klägerin und beschädigt diesen. Die Klägerin verklagt nun den helfenden Kranfahrer auf Schadensersatz. Mit Erfolg.

Entscheidung
Das Landgericht verneint zunächst vertragliche oder vertragsähnliche Ansprüche zwischen der Klägerin und dem Beklagten; die Tätigkeit des Beklagten sei reine Gefälligkeit gewesen, ohne jegliche vertragliche Bindung. Aber die Klägerin habe unter dem Aspekt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB Anspruch auf Schadensersatz.

Mit dem Betrieb des Krans habe der Beklagte — dieser war nur Arbeiter eines anderen Bauunternehmens — eine Gefahrenquelle eröffnet. In dem Umstand, dass die Arbeiter der Klägerin ihre Lkw unmittelbar in den Schwenkbereich des Krans gefahren hätten, liege indes nicht die Schaffung der Gefahr; der Lkw sei lediglich in den Bereich einer Gefahrenquelle verbracht worden, was ein Unterschied ausmache. Beim Schwenken habe der Kranfahrer nicht aufgepasst, was zur Haftung führe.

Einen stillschweigenden Haftungsverzicht in Form des Ausschlusses leichter Fahrlässigkeit wollte das Landgericht nicht annehmen. Zwar werde es den Hilfeleistenden unangenehm berühren, wenn er im Schadensfalle trotz seiner bereitwilligen Hilfe zur Verantwortung gezogen werde; der bloße Umstand, dass jemand aus Freundschaft, Hilfsbereitschaft oder schlichter Gefälligkeit handelt, könne aber für den Haftungsmaßstab nicht maßgebend sein.

Letztlich bestätigt das Landgericht eine Haftung des Beklagten, allerdings unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Klägerin von 50 %, deren Mitarbeiter den Lkw in den Schwenkbereich gestellt hatten.

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Keine Haftung wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten bei massivem Verstoß gegen Eigeninteressen des Verletzten

Oberlandesgericht Düsseldorf, Urteil vom 14.3.2007 — Aktenzeichen: I-19 U 30/06

Leitsatz
Die Klage eines Geschädigten wegen angeblicher Verletzung von Verkehrssicherungspflichten und daraus resultierender Schäden (hier: Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderung) ist unbegründet, wenn feststeht, dass die jenige Gefahr, die im konkreten Fall zum Schaden geführt hat, jedermann vor Augen stehen muss und vor der sich deswegen jedermann durch die zu verlangende eigene Vorsicht ohne weiteres hätte selbst schützen können.

Sachverhalt
Das OLG Düsseldorf hat durch sein Urteil vom 14.03.2007 nochmals die Voraussetzungen für eine Haftung unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten in Abwägung zu einem Eigenverschulden klargestellt.

Im konkreten Falle hatte die dortige Klägerin Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit einer Verletzung des Fußes geltend gemacht. Die Klägerin war am Unfalltag mit der Zehe ihres rechten Fußes unter eine 4 cm überstehende Deckplatte einer Glastür geraten, wodurch die Zehe nicht unerheblich verletzt worden war. Bei der Glastür handelte es sich um das Portal eines Kaufhauses. Dieses Glasportal konnte über die komplette Breite elektrisch zu im Boden versenkt werden. Die obere Abdeckplatte, die über die Glasfläche um ca. 4 cm hinaus ragte, diente bei völliger Versenkung dazu, den Schacht, in dem die Glastür versenkt wurde, abzudecken. Im konkreten Fall bestand darüber hinaus die Besonderheit, dass die eigentlichen Glasflächen an der Oberkante einen breiten, in Warnfarben schraffierten Balken aufwies, der während des Absenkvorgangs deutlich jedem in der Nähe stehenden vor Augen trat. Am Unfalltag hatte die Klägerin, die in dem Kaufhaus beschäftigt war, die Beklagte veranlasst, das Portal herabzusenken. Während des Absenkvorgangs war die Klägerin mit ihrem rechten Fuß unter die obere Abdeckplatte geraten. Die Einzelheiten hierzu waren zwischen den Parteien streitig.

Das Landgericht Wuppertal hatte bereits in erster Instanz die Klage der Klägerin abgewiesen mit der Begründung, dass eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten auf Seiten der Beklagten nicht bestehe.

Entscheidung
Das OLG Düsseldorf bestätigte das landgerichtliche Urteil und führte zur Begründung aus, dass nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung eine Verkehrssicherungspflicht nicht allein schon durch jede theoretische Möglichkeit einer Gefährdung ausgelöst wird. Da eine jeglichen Schadensfall ausschließende Verkehrssicherung nicht erreichbar sei und auch die berechtigten Verkehrserwartungen nicht auf einen Schutz vor allen nur denkbaren Gefahren ausgerichtet seien, beschränke sich die Verkehrssicherungspflicht Dritter auf das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar seien und die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halte, um Andere vor Schaden zu bewahren. Haftungsbegründend werde die Nichtabwendung einer Gefahr erst, wenn sich vorausschauend für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergäbe, dass Rechtsgüter anderer Personen verletzt werden könnten. Es sei im Einzelfall daher eine Gesamtabwägung nach Ausmaß und Größe der Gefahr, Art und Umfang des Verkehrs und seiner berechtigten Sicherheitserwartungen, sowie der Zumutbarkeit der Aufwendungen für den Sicherungspflichtigen vorzunehmen.

Angesichts der konkreten Ausgestaltung des hier entscheidenden Glasportals habe allerdings die dortige Beklagte davon ausgehen dürfen, dass von diesem Portal keine besondere Gefahr ausgehe für eine Person, die zumindest einen Schritt entfernt von der Glastür stehe. Denn die Grenzen zwischen abhilfebedürftigen Gefahren und von den Benutzern hinzunehmenden Erschwernissen werde ganz maßgeblich – so das OLG Düsseldorf – durch die sich im Rahmen des vernünftigen haltenden Sicherheitserwartungen des Verkehrs bestimmt, die sich Wesentlich an dem äußeren Erscheinungsbild der Verkehrsfläche und der Verkehrsbedeutung orientierten. Die Sicherheitserwartungen des Verkehrs sei gegenüber denjenigen Gefahren herabgesetzt, die jedem vor Augen stehen müssten und von denen man sich deshalb durch die zu verlangende eigene Vorsicht ohne Weiteres selbst schützen könne.

Aus diesem Grunde habe die in Anspruch genommene Beklagte im konkreten Fall nicht damit rechnen müssen, dass die Klägerin, vor deren Augen sich das deutlich als Gefahr durch den Warnbalken gekennzeichnete Glasportal gesenkt habe, plötzlich einen Schritt nach vorne in den unmittelbaren Nahbereich des Glasportals und der Abdeckung machen würde, so dass keineswegs eine Verpflichtung bestanden haben, vorab durch ausdrücklichen Hinweis die Klägerin darauf aufmerksam zu machen, dass sie einen bestimmten Sicherheitsabstand einzuhalten habe. Die Beklagte habe nämlich gerade nicht damit rechnen müssen, dass die Klägerin, dem Portal näher trete, bevor dieses vollständig im Boden versenkt sei.

Erfreulich deutlich stellt das OLG Düsseldorf in diesem Zusammenhang nochmals klar, dass eine Verkehrssicherungspflicht jedenfalls nicht bei solchen Gefahren bestehen, die jedem vor Augen stehen müssen und vor denen man sich deshalb durch entsprechende eigene Vorsicht ohne weiteres schützen kann und muss.

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Kein Schadensersatzanspruch eines Fahrschulprüflings

AG Rheda-Wiedenbrück, Urteil vom 14.9.2006 — Aktenzeichen: 4 C 469/05

Sachverhalt
Die Frage, ob ein Fahrschüler, dessen praktische Fahrprüfung wegen eines unverschuldeten Unfalls abgebrochen werden muss, vom Unfallverursacher Schadensersatz wegen daraus resultierender Kosten einer weiteren Prüfung und weiterer Fahrstunden ersetzen muss, war Gegenstand des inzwischen rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Rheda-Wiedenbrück vom 14.09.2006.

Der klagende Fahrschüler war während seiner Fahrschulprüfung ohne jegliches Eigenverschulden in einen Unfall geraten. Infolge dieses Unfalls wurde der Fahrschulwagen derart zerstört und der Prüfer darüber hinaus verletzt, dass die Prüfung nicht fortgesetzt werden konnte. Der Kläger hatte darauf hin weitere Prüfgebühren für die Folgeprüfung sowie — während der Überbrückungszeit — Kosten für weitere fünf Fahrstunden aufgewandt, deren Erstattung er klageweise gegen den Unfallverursacher geltend machte.

Entscheidung
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Bei den Schäden, die der Kläger erlitten habe, handele es sich ausschließlich um allgemeine Vermögensschäden, die indes nicht auf der Verletzung eines der in §§ 7, 17, 18 StVG, § 823 I BGB genannten Rechtsgüter beruhe.

Dem Kläger stehe auch kein Ersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 8 Abs. 1 StVO zu. Zwar stehe unstreitig fest, dass der Unfall durch das Beklagtenfahrzeug fahrlässig im Rahmen eines Vorfahrtsverstoßes verursacht worden sei. Indes stelle § 8 Abs. 1 StVO kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB im Hinblick auf Vermögensschäden dar. Der Schutz reiner Vermögensinteressen sei von § 8 StVO nicht erfasst.

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Haftungsprivilegierung nach § 105 SGB VII – Drittausstrahlung wegen gestörten Gesamtschuldverhältnisses

AG Dorsten, Urteil vom 6.1.2006 — Aktenzeichen: 30 C 42/05

Das AG Dorsten hat durch Urteil vom 06.01.2006 entschieden, dass ein Geschädigter keine Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen einen Dritten hat, obschon ein unfallursächliches Mitverschulden des Dritten bejaht wird, wenn der Unfall im Wesentlichen durch einen Arbeitskollegen des Geschädigten verursacht wurde und den Geschädigten im Übrigen selbst ebenfalls ein Mitverschulden trifft.

Mit der Klage verfolgte der Kläger Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aufgrund eines Verkehrsunfalls. Der Kläger, angestellter Berufskraftfahrer eines Transportunternehmens, befand sich zum Unfallzeitpunkt in der Schlafkabine des Lkw. Ein weiterer Angestellter dieses Transportunternehmens, der Zeuge Z., steuerte zu diesem Zeitpunkt (nachts um 1.14 h) den Lkw-Zug auf der Autobahn. Als der Zeuge Z. sich während der Fahrt eine Zigarette anstecken wollte, fiel ihm das Feuerzeug aus der Hand und auf den Boden des Lkw. Während er versuchte, das Feuerzeug wieder aufzuheben, verlor er die Kontrolle über den Lkw-Zug. Dabei brach der Anhänger des Zuges komplett aus. Die Zugmaschine des Lkw kippte quer zur Fahrtrichtung der Autobahn auf die Seite und blockierte beide Fahrspuren der Autobahn. Die Unterseite des Lkw zeigte dabei in Richtung des auf der Autobahn herannahenden Verkehrs. Der in Anspruch genommene Beklagte befuhr mit seinem Pkw ebenfalls die selbe Autobahn. Bei Annäherung an die Unfallstelle erkannte er im Bereich des Standstreifens mehrere Fahrzeuge mit eingeschaltetem Warnblinklicht. Der Beklagte wie auch die weiteren Insassen seines Fahrzeuges gingen von einer Pannen-Situation aus. Als der Beklagte nach Passieren dieser Fahrzeuge das Fernlicht einschaltete, bemerkte er plötzlich die dunkle Fläche des Lkw, leitete noch eine Vollbremsung ein, ohne indes eine Kollision mit dem Führerhaus verhindern zu können.

Der Kläger behauptete im Rechtsstreit, durch den Anstoß des Beklagten-Fahrzeuges einerseits Verletzungen erlitten zu haben, andererseits Beschädigungen an ihm gehörenden, im Lkw befindlichen Gegenständen.

Nach durchgeführter Beweisaufnahme insbesondere durch Vernehmung des Zeugen Z. und die unfallaufnehmenden Polizeibeamten sowie die Insassen des Beklagten-Fahrzeuges hat das AG Dorsten die Klage abgewiesen, da der Beklagte bereits dem Grunde nach nicht hafte.

Das Amtsgericht bejaht bei seiner Entscheidung zwar, dass der Beklagte die hier entscheidende Kollision schuldhaft mitverursacht habe, insbesondere weil er ersichtlich nicht das Sichtfahrgebot auf Autobahnen, wonach ein Fahrzeugführer sein Fahrzeug innerhalb des einsehbaren Bereiches zum Stehen bringen können muss, eingehalten habe. Dieser Verursachungsbeitrag träte allerdings vollständig einerseits hinter einem Mitverschulden des Klägers selbst und andererseits – aufgrund eines gestörten Gesamtschuldverhältnisses – gegenüber dem überwiegenden Verursachungsbeitrag des Zeugen Z. zurück.

Der Zeuge Z. habe durch sein leichtfertiges Verhalten den Ausgangsunfall (Umstürzen des Lkw) verursacht. Insoweit hafte der Zeuge Z. grundsätzlich gesamtschuldnerisch neben dem Beklagten wegen des Unfallereignisses, wobei ihn in einer direkten Abwägung der Verursachungsbeiträge die überwiegende Haftung von 70 % träfe. Da der Kläger und der Zeuge Z. Angestellte desselben Unternehmens seien, könne der Kläger den Zeugen Z. aufgrund der nach § 105 SGB VII für Angestellte desselben Unternehmens geltenden Haftungsprivilegierung nicht auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch nehmen. Über das Institut des gestörten Gesamtschuldnerverhältnisses müsse sich der Kläger daher auch diesen Verursachungsbeitrag des Zeugen Z. anspruchsmindernd bereits entgegenhalten lassen, soweit er Ansprüche gegenüber den Beklagten geltend mache.

Hinzu käme – aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme – dass feststehe, dass der Kläger sich in unverantwortlicher Weise selbst weiter in Gefahr begeben habe, da er nicht unmittelbar nach dem Unfall den quer auf der Autobahn blockierend liegenden Lkw verlassen habe. Denn insoweKläger sich noch einen längeren Zeitraum im Fahrerhaus aufgehalten habe. Im Ergebnis träte daher das Verschulden des Beklagten hinter dem eigenen Mitverschulden des Klägers und dem ihm anzurechnenden Verursachungsbeitrag des Zeugen Z. vollständig zurück.

Das Urteil des AG Dorsten verdient deswegen besondere Beachtung, weil der dort zugrundeliegende Sachverhalt zeigt, dass die Haftungsprivilegien der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 104 ff. SGB VII) im Einzelfall auch Auswirkungen auf die Frage der Haftung von Außenstehenden (nicht Betriebsangehörigen oder sonstigen privilegierten Personen) erlangen über das Institut der sogenannten gestörten Gesamtschuldnerschaft. Dieser Aspekt war auch im vorliegenden Fall in der vorprozessualen Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und der mitbeklagten Pkw-Haftpflichtversicherung völlig außer Acht gelassen worden.

Das Urteil ist rechtskräftig.

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50%ige Haftung bei Beschädigung durch elektrisches Garagentor

AG Hamm, Urteil vom 6.1.2005 — Aktenzeichen: 17 C 422/05

Die Frage, ob und in welchem Umfang ein Garagenbesitzer, der über ein elektrisch schließendes Garagentor verfügt, haftet, wenn während des Schließvorgangs ein am Garagentor vorbeifahrender Pkw beschädigt wird, war Gegenstand des inzwischen rechtskräftigen Urteils des AG Hamm vom 06.01.2005 (AZ: 17 C 422/05).

Das Amtsgericht erkannte der dort Geschädigten unter Zugrundelegung einer Haftungsquote von 50 % Schadensersatzansprüche zu.

Der Garagenbesitzer hafte nach dem allgemeinen Grundsatz, wonach derjenige, der eine Gefahrenlage schaffe, verpflichtet sei, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern, wobei die rechtlich gebotene Verkehrssicherung diejenigen Maßnahmen umfasse, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend halte, um andere vor Schäden zu bewahren. Bei einem elektrischen Garagentorbetrieb bestehe die Möglichkeit, dass dieses betätigt werde, auch wenn sich der Benutzer nicht unmittelbar vor dem Tor befinde. Beim Schließen eines Garagentores von Hand habe der Benutzer leichter die Möglichkeit, dafür Sorge zu tragen, dass sich während des Schließens niemand in den Schwenkbereich des Tores begebe. Die gleiche Sicherheit müsse der Benutzer schaffen, wenn er ein elektrisch angetriebenes Rolltor mittels einer Fernbedienung in Gang setzte. Es sei dafür Sorge zu tragen, dass sich während des gesamten Schließvorgangs niemand in den Gefahrenbereich begeben könne. Gegen diese Verkehrssicherungspflicht habe der Beklagte verstoßen.

Allerdings müsse sich auch die dort klagende Geschädigte ein nicht unerhebliches Mitverschulden entgegenhalten lassen, dass einerseits aus der Betriebsgefahr ihres Fahrzeuges herrühre. Denn der Betrieb des Fahrzeuges habe sich beim Zustandekommen des Unfalls ausgewirkt, da durch das Motorengeräusch die Klägerin anders als ein Fußgänger das Geräusch des Elektromotors des Garagentorantriebs nicht habe hören können, und sie sich darüber hinaus auch schneller als ein Fußgänger in den Schwenkbereich des Tores habe bewegen können. Hinzu käme, dass die Klägerin den Schließvorgang des Garagentores auch hätte visuell wahrnehmen können, wie die durchgeführte Beweisaufnahme ergeben hatte. Schließlich sei zu Lasten der Klägerin auch zu berücksichtigen, dass dieser bekannt gewesen sei, dass auf dem hier entscheidenden Garagenhof mehrere Garagen existierten, die über einen elektrischen Garagentorantrieb einschließlich Fernbedienung verfügten. Dementsprechend hätte auch die Klägerin besonders sorgfältig sein müssen.

Nicht zu problematisieren war in diesem Rechtsstreit die äußerst interessante Frage, ob bei einer derartigen Sachverhaltskonstellation die Geschädigte auch direkte Schadensersatzansprüche gegen die Kfz-Haftpflichtversicherer des Schädigers nach § 3 Nr. 2 PflichtVersG gehabt hatte. Im vorliegenden Rechtsstreit war die Haftpflichtversicherung nicht mitbeklagt worden, so dass sich diese Frage nicht stellte.

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Unfallverursacher haftet nicht für ausschließlich therapiebedingte Schäden eines anderen Unfallbeteiligten

OLG Hamm, Urteil vom 8.9.2005 — Aktenzeichen: 6 U 185/04

Der u.a. für Verkehrsrecht zuständige 6. Zivilsenat des OLG Hamm hat durch Urteil vom 08.09.2005 klargestellt, dass ein Unfallverursacher nicht für Gesundheitsschäden eines anderen Unfallbeteiligten haftet, die ausschließlich ihren Grund darin finden, dass im Anschluss an den Unfall eine (fehlerhafte) Arztbehandlung zu Gesundheitsverletzungen führt. In derartigen Fällen fehlt der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang, weil Unfall- und Gesundheitsverletzung nur in einem äußeren, gleichsam zufälligen Zusammenhang stehen. In dem zugrundeliegenden Rechtsstreit machte der Kläger Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend. Die 100%ige Haftung der Beklagten dem Grunde nach war zwischen den Parteien unstreitig. Streitig war allerdings die Frage, ob der Kläger durch den Unfall Körperverletzungen/Gesundheitsbeeinträchtigungen erlitten hatte, auf die er die geltend gemachten Ansprüche stützte.

Der Kläger begab sich kurze Zeit nach dem Unfall in ärztliche Behandlung, wobei ihm hier nach Erstellung eines Computertomogramms als Diagnose mitgeteilt wurde, bei ihm läge eine Wirbelbogenfraktur im Bereich des 6. Halswirbelkörpers (HWK) vor. In einer 2. Kontroll-Computertomographie wenig später ließ sich eine derartige Fraktur nicht nachweisen. Eine sodann vom Kläger unternommene Arbeitsbelastungserprobung wurde durch den Kläger abgebrochen. Der Kläger begab sich in neurologische/psychiatrische Behandlung, wobei durch unterschiedliche Ärzte unterschiedliche Befunde erhoben wurden. Attestiert wurde dem Kläger letztendlich über einen Zeitraum von nahezu 1 1/2 Jahren seit dem Unfalltag eine Arbeitsunfähigkeit.

Der Kläger behauptete, bei dem Unfall habe er sich eine Fraktur des 6. HWK sowie eine schwere HWS-Zerrung zugezogen, die zu einer Arbeitsunfähigkeit von 1 1/2 Jahren geführt hätte. Darüber hinaus sei es zu Schlafstörungen, ständigen Kopfschmerzen und Schmerzen an der HWS und zu einer Schmerzverarbeitungsstörung gekommen.

Seitens der Beklagten – dem Fahrer des unfallverursachenden Fahrzeuges und der eintrittspflichtigen Kfz-Haftpflichtversicherung – wurden unfallbedingte Verletzungen des Klägers bestritten.

Das angerufene Landgericht hatte nach Einholung eines technischen, eines fachchirurgischen und eines psychiatrischen Gutachtens der Klage überwiegend stattgegeben mit der Begründung, zwar sei nicht bewiesen, dass es unmittelbar durch den Unfall zu einer Körper- oder Gesundheitsverletzung des Klägers gekommen sei. Eine Gesundheitsverletzung sei aber deswegen gegeben, weil sich eine Schmerzverarbeitungsstörung entwickelt habe, die auf den Unfall zurückzuführen sei.

Das OLG Hamm hob – nach erneuter Anhörung des psychiatrischen Sachverständigen – das landgerichtliche Urteil auf und wies die Klage ab, da nicht festgestellt werden könne, dass der hier entscheidende Verkehrsunfall zu einer Körperverletzung des Klägers oder zu einer Gesundheitsverletzung geführt habe, die mit dem Unfall in einem haftungsrechtlichen Zusammenhang stehe.

Aufgrund der gutachterlichen Ausführungen stehe nicht fest, dass der Unfall unmittelbar eine Körper- oder Gesundheitsverletzung des Klägers verursacht habe. Insbesondere belegten sämtliche objektiven Befunde aus der Zeit unmittelbar nach dem Unfall keinesfalls eine Fraktur des 6. Halswirbelkörpers.

Der durch das psychiatrische Sachverständigengutachten zwar grundsätzlich bestätigte psychische Schaden (Schmerzverarbeitungsstörung, Anpassungsstörung mit somatoformen Schmerzstörungen) habe seine Ursache in einer psychischen Reaktion des Klägers darauf gehabt, dass ihm durch die behandelnden Ärzte nach röntgenologischer und computertomographischer Erstuntersuchung erklärt worden sei, es läge eine Fraktur des 6. HWK vor mit der Gefahr einer Querschnittslähmung. Genau diese Ausgangsdiagnose sei allerdings objektiv zu keinem Zeitpunkt – ebenfalls nach den gerichtlich eingeholten Gutachten – gerechtfertigt gewesen.

In einer derartigen Konstellation fehle es an einer haftungsbegrinzig festzustellenden Gesundheitsbeeinträchtigung (psychische Erkrankungen). Denn der Unfallverursacher des Verkehrsunfalls hafte nicht für therapiebedingte Gesundheitsschäden, also solche Schäden, die ausschließlich dadurch entstehen, dass sich nach einem Unfall der bis dahin Unverletzte in ärztliche Behandlung begibt und hier durch Falschbehandlung eine Gesundheitsverletzung erleide. In dieser Konstellation fehlt der haftungsrechtliche Zusammenhang, weil der Unfall und die Gesundheitsverletzung nur in einem äußeren, gleichsam zufälligen Zusammenhang stehen. Da auch nicht feststellbar sei, dass das Unfallereignis für sich genommen bereits eine psychische Erkrankung des Klägers mit Krankheitswert ausgelöst habe, ließe sich auch keine Mitursächlichkeit im haftungsrechtlichen Sinne feststellen.

Das Urteil ist bislang nicht rechtskräftig.

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Begrenzung der Haftung aus der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht

OLG Saabrücken, Urteil vom 7.7.2005 — Aktenzeichen: 8 U 383/05 – 74, rechtskräftig.

Verletzungen, die sich lediglich als Verwirklichung der Gefahr fernliegender Benutzung der zu sichernden Sache darstellen, liegen außerhalb des Schutzbereichs der Verkehrssicherungspflicht.

Sachverhalt
Das OLG Saarbrücken hatte sich mit einem Unfall auf einer Baustelle zu beschäftigen. Der Kläger, der zum Unfallzeitpunkt noch nicht volljährig war, nahm das bauausführende Unternehmen, den verantwortlichen Polier, den Bauleiter und die Sicherheitskraft wegen angeblicher Verkehrssicherungspflichtverletzung im Zusammenhang mit der Lagerung von Kanalrohren in Anspruch. Zum Unfallzeitpunkt war eines der auf der Baustelle gelagerten Stahlbetonrohre mit einem Gewicht von 1,85 t und einem Innendurchmesser von
80 cm von Jugendlichen dadurch ins Rollen gebracht worden, dass diese die Rohre durch rhythmische Bewegungen „aufgeschaukelt“ hatten. Im einzelnen waren die Umstände, wie die Jugendlichen das fast zwei Tonnen schwere Rohr ins Rollen gebracht hatten, ungeklärt. Der Kläger wurde bei dem Versuch, auf das auf ihn zurollende Rohr aufzuspringen bzw. darüber zu springen, erfasst und verletzt.

Entscheidung
Sowohl das Landgericht Saarbrücken als auch das OLG Saarbrücken wiesen die Klage ab. Die Verletzungen des Klägers stellen sich nach Ansicht des Senats nicht als Verwirklichung derjenigen Gefahr dar, vor der die den Beklagten obliegende Verkehrssicherungspflicht gerade schützen sollte und waren deshalb vom Schutzbereich dieser Verkehrssicherungspflicht nicht umfasst.

Der geschilderte Geschehensablauf stellt sich nach Ansicht des Senats als ein Fall fernliegender Benutzung der Kanalrohre dar, zu deren Abwehr die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten nicht bestand. Zum einem biete bereits das tonnenschwere Eigengewicht der Kanalrohre an sich Gewähr dafür, dass mit diesen kein grober Unfug getrieben werden könne. Zum anderen hätten die Beklagten nicht damit rechnen müssen, dass es Jugendlichen doch gelänge, ein Kanalrohr in Bewegung zu setzen. Eine derartige „Nutzung“ der Kanalrohre durch Jugendliche läge insbesondere angesichts der darin liegenden besonderen Leichtfertigkeit, die in der auch für Jugendliche erkennbaren Gefährlichkeit des bewussten in Bewegung Setzens schwerer Kanalrohre begründet sei, fern. Gerade bei der Fortsetzung eines erfolgreichen „Aufschaukel-Versuches“ sei erkennbar die Gefahr eines „Außer-Kontrolle-Geratens“ mit unabsehbaren Folgen gegeben. Die Beklagten hätten im Zusammenhang mit der Lagerung der Kanalrohre berechtigterweise davon ausgehen dürfen, dass Jugendliche, die so alt sind, dass sie die in diesem Zusammenhang erforderlichen erheblichen Körperkräfte überhaupt entwickeln können, die Leichtfertigkeit eines solchen Tuns ohne weiteres erkennen und sich hierdurch demgemäss abschrecken ließen.

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Haftpflichtrecht; Besondere Vereinbarungen für Reitschulen, Pferdeverleih, Pensionsbetriebe

Landgerichts Essen, Urteil vom 7.4.2005 — Aktenzeichen: 4 O 339/04

Auslegung der Risikobeschränkung in den Besonderen Vereinbarungen für Reitschulen, Pferdeverleih, Pensionsbetriebe – AH 569–10.98, wonach Schäden an den Pensionstieren sowie die persönliche Haftpflicht der fremden Tierbenutzer nicht versichert sind.

(Leitsatz des Verfassers)

Sachverhalt
Der Kläger betreibt in Düsseldorf eine Reitschule, zu der eine Pferdepension gehört. Der Kläger ist bei der Beklagten betriebshaftpflichtversichert.

Im August 2003 ereignete sich in der Reithalle des Klägers ein Unfall, bei dem ein Pensionspferd durch das Ausschlagen eines Schulpferdes des Klägers erhebliche Verletzungen erlitt, die dazu führten, dass das Pensionspferd eingeschläfert werden musste. Das Schulpferd des Klägers wurde im Rahmen eines Reitunterrichtes, das Pensionspferd außerhalb des Reitunterrichtes durch den Sohn des Klägers zum Vergnügen geritten. Mit der Eigentümerin des Pensionspferdes bestand ein Pensionsvertrag, der auch die Benutzung der Reithalle gestattete. Die Eigentümerin des Pensionspferdes hat Schadensersatzansprüche gegenüber dem Kläger geltend gemacht.

Dem Haftpflichtversicherungsvertrag zwischen dem Kläger und der Beklagten, der die Risiken der Reitschule absichern sollte, lagen die allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Haftpflichtversicherung (AHB)sowie Besondere Vereinbarungen für Reitschulen, Pferdeverleih, Pensionsbetriebe zugrunde (AH 569-10.98), die wie folgt lauten:

„Nicht versichert sind Schäden an den Pensionstieren, sowie die persönliche Haftpflicht der fremden Tierbenutzer.“

Der Kläger verlangte von der Beklagten Versicherungsschutz. Er war der Ansicht, der Ausschlusstatbestand der AH 569-10.98 greife im vorliegenden Fall nicht ein, da kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Pensionsbetrieb bzw. der Unterbringung des Pferdes in der Pension auf der einen Seite und dem Schadenseintritt auf der anderen Seite bestanden habe. Das Pensionspferd sei nicht im Rahmen des Pensionsvertrages, sondern lediglich zum Vergnügen geritten worden.

Das Landgericht Essen hat die Klage abgewiesen.

Entscheidung
Das Landgericht Essen hat einen Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Gewährung von Versicherungsschutz aus § 149 VVG in Verbindung mit dem Versicherungsvertrag verneint.

Gemäß § 1 Ziffer 2 lit b) der allgemeinen Vertragsbedingungen erstrecke sich der Versicherungsschutz auf das im Versicherungsschein angegebene versicherte Risiko. Das Unfallereignis gehöre jedoch nicht zu den versicherten Risiken, da es von der Einschränkung der Besonderen Vereinbarung AH 569-10.98 erfasst werde. Durch den Unfall sei ein Schaden an einem Pensionstier entstanden, da zwischen dem Kläger und der Eigentümerin des Pferdes ein Pensionsvertrag geschlossen worden sei.

Eine andere Beurteilung ergebe sich auch nicht im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Risikobegrenzung. Hintergrund der Risikobegrenzung sei, dass aus der Sicht des Versicherungsunternehmens eigene Sachen des Versicherungsnehmers und Sachen, die in seine Obhut gegeben werden, wirtschaftlich eine Einheit darstellen. Fremde Sachen in der Obhut des Versicherungsnehmers seien dessen Einwirkungen ebenso ausgesetzt wie eigene Sachen, für die Versicherungsschutz nicht gewährt werde.

Zwar greife die Risikobegrenzung nach ihrem Sinn und Zweck dort nicht mehr, wo ein Zusammenhang zwischen dem Pensionsbetrieb und dem schadensstiftenden Ereignis fehle. Für die Risikobegrenzung sei kein Raum, wenn ein Pferd, für das ein Pensionsvertrag geschlossen worden sei, wie ein beliebiges „Fremdpferd“ in den Einwirkungsbereich des Klägers gelange und durch ein von diesem zu verantwortendes Ereignis geschädigt werde.

Ein solcher Fall sei vorliegend jedoch nicht gegeben. Insbesondere komme es nicht darauf an, ob das Pferd zum eigenen Vergnügen oder aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung aus dem Pensionsvertrag geritten worden sei. Selbst wenn die Eigentümerin des Pferdes dieses selbst geritteners nicht aufgehoben gewesen. Das Pferd sei in der Reithalle des Klägers geritten worden. Hierbei handele es sich typischerweise um einen Ort, in dem auch die Pensionspferde des Klägers bewegt würden und damit seiner Einwirkung ausgesetzt seien. So stehe es den Vertragspartnern des Klägers frei, nicht nur die Stallungen des Pensionsbetriebes, sondern auch die Reithalle des Klägers für ihre Tiere zu nutzen. Der Kläger könne nicht nur in den Stallungen, sondern auch in seiner Reithalle konkret auf die Benutzung Einfluss nehmen, etwa indem er durch Anweisungen dafür Sorge trage, dass bestimmte Pferde oder Reitgruppen voneinander getrennt würden und so für eine möglichst gefahrlose Nutzung Sorge trage.

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Aufklärungspflichten von Ärzten über Nebenwirkungen

VI. Zivilsenats, Urteil vom 15.3.2005 — Aktenzeichen: VI ZR 289/03

Zum Fall
Die Klägerin war wegen Menstruationsbeschwerden in ärztlicher Behandlung. Im November 1994 verschrieb die Gynäkologin der damals 29jährigen Klägerin das Antikonzeptionsmittel „Cyclosa“, eine Pille der sog. dritten Generation. Die Klägerin – eine Raucherin – nahm die Pille seit Ende 1994 ein. Im Februar 1995 erlitt sie aufgrund von Wechselwirkungen zwischen dem Medikament und dem über das Rauchen zugeführte Nikotin einen Hirninfarkt.

Nach der Packungsbeilage bestand bei Raucherinnen ein erhöhtes Risiko, an den teilweise schwerwiegenden Folgen einer Gefäßveränderung (z.B. Herzinfarkt, Schlaganfall) zu erkranken. Frauen, die älter als 30 Jahre waren, sollten während der Einnahme nicht rauchen.

Die Klägerin verlangt von ihrer Gynäkologin Schadensersatz, weil sie über die drohenden (schwerwiegenden) Folgen des Rauchens nicht aufgeklärt worden sei.

Das Berufungsgericht hatte im Rechtlichen eine „hypothetische Einwilligung der Klägerin“ angenommen und einen Schadensersatzanspruch verneint. Dies wollte der Bundesgerichtshof nicht mitmachen. Auf die Revision der Klägerin wurde die Berufungsentscheidung aufgehoben und die Sache dorthin zurückverwiesen.

Der Bundesgerichtshof hat gemeint, die Ärztin sei verpflichtet gewesen, die Patientin über die mit der Einnahme des Medikaments verbundenen Nebenwirkungen und Risiken zu informieren. Unter den hier gegebenen Umständen reiche der Warnhinweis in der Packungsbeilage des Pharmaherstellers nicht aus. In Anbetracht der möglichen schweren Folgen, die sich für die Lebensführung der Klägerin bei Einnahme des Medikaments ergeben konnten und auch später verwirklicht haben, habe auch die Ärztin darüber aufklären müssen, dass das Medikament in Verbindung mit dem Rauchen das erhebliche Risiko eines Herzinfarkts oder Schlaganfalls in sich barg. Nur dann hätte die Klägerin als Patientin ihr Selbstbestimmungsrecht ausüben und sich entweder dafür entscheiden können, das Medikament einzunehmen und das Rauchen einzustellen, oder wenn sie sich als Raucherin nicht in der Lage sah, das Rauchen aufzugeben, auf die Einnahme des Medikaments aufgrund des Risikos zu verzichten.

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Haftung von Kindern bei Beschädigungen parkender Fahrzeuge

BGH, Urteil vom 30.11.2004 — Aktenzeichen: AZ: VI ZR 335/03 und VI ZR 365/03

Der Bundesgerichtshof hat in zwei Urteilen vom 30.11.2004 klargestellt, dass auch Minderjährige in der Altersstufe zwischen 7 und 10 Jahren haften können, wenn sie parkende Fahrzeuge beschädigen, und dass insoweit der Haftungsausschluss in § 828 II S. 1 BGB nicht durchgreift.

Für schädigende Ereignisse, die nach dem 31.07.2002 eingetreten sind, ist in § 828 II S. 1 BGB die Verantwortlichkeit Minderjähriger neu geregelt worden. Demnach ist ein Minderjähriger, der das 7. aber nicht das 10. Lebensjahr vollendet hat, für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen fahrlässig zufügt, nicht verantwortlich.

In den jetzigen Urteilen hat der BGH hierzu klargestellt, dass der Gesetzgeber mit der Einführung dieser Ausnahmeregelung dem Umstand Rechnung getragen hat, dass Kinder regelmäßig frühestens ab Vollendung des 10. Lebensjahres imstande sind, die besonderen Gefahren des motorisierten (= in Bewegung befindlichen) Straßenverkehrs zu erkennen und sich den Gefahren entsprechend zu verhalten. Die durch § 828 II BGB erfolgte Heraufsetzung des deliktsfähigen Alters ist demnach – so der BGH – auf Schadensereignisse im motorisierten Straßen- oder Bahnverkehr begrenzt, da hierbei die altersbedingten Defizite eines Kindes, z. B. Entfernung und Geschwindigkeiten richtig einschätzen zu können, zum Tragen kommen, weil sich Kinder im motorisierten Verkehr u. a. durch die Schnelligkeit, Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe in einer besondere Überforderungssituation befinden. Diese Überforderungssituation ist nach dem BGH der Grund dafür, dass Kinder bis zum 10. Lebensjahr von einer Haftung freigestellt werden.

Eine solche Überforderungssituation war indes in den vom BGH entschiedenen beiden Fällen nicht gegeben, weil sich hier nicht die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs ausgewirkt hatten.

Dem BGH lag einerseits ein Sachverhalt zugrunde, bei dem ein damals 9 Jahre alter Beklagter bei einem Wettrennen mit einem Kickboard gegen einen ordnungsgemäß am rechten Straßenrand geparkten Pkw geprallt war, und andererseits ein Fall, in dem eine damals 9jährige Beklagte und ihre Spielkameraden mit Fahrrädern auf einem Parkplatz zwischen parkenden Fahrzeugen hindurchfuhren, wobei die Beklagte das Gleichgewicht verlor, mit ihrem Fahrrad umkippte und gegen einen dort geparkten Pkw stieß.

Beide Fälle betrafen nach Einschätzung des BGH — der die entsprechenden Berufungsurteile bestätigte – gerade nicht der Konstellation, dass der Unfall sich im motorisierten Straßen- bzw. Bahnverkehr ereignete, mit der Folge, dass das Haftungsprivileg des § 828 II BGB nicht zugunsten der beklagten Kinder griff.

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