Die Mithaftung des Geschädigten ist auch bei den zur Bezifferung des Schadens aufgewendeten Sachverständigenkosten zu berücksichtigen

BGH, Urteil vom 7.2.2012 — Aktenzeichen: VI ZR 133/11

Anlässlich eines Verkehrsunfalles hatte der BGH nach Feststellung einer anteiligen Mitverantwortung des Klägers am Zustandekommen des Schadenereignisses darüber zu entscheiden, ob der Mitverantwortungsbeitrag auch bei der Erstattungsfähigkeit der vom Kläger zur Ermittlung des Schadensumfangs aufgewendeten Sachverständigenkosten zu brücksichtigen ist. Trotz einer dem Kläger bereits in der Berufungsinstanz zugesprochenen Mithaftung von 50 %, hatte das Berufungsgericht dem Kläger dessen Sachverständigenkosten zu 100 % zugebilligt.

Leitsatz
Im Falle einer nur quotenmäßigen Haftung des Schädigers hat dieser dem Geschädigten dessen Sachverständigenkosten nur im Umfang der Haftungsquote zu erstatten.

Entscheidung
Der BGH hatte sich somit mit der in jüngere Zeit von einigen Oberlandesgerichten unterschiedlich beurteilten Frage zu befassen, ob Sachverständigenkosten bzw. Kosten zur Schadensermittlung nicht unabhängig von eine Mithaftung des Anspruchstellers etwa deshalb ohne Abzug zu erstatten seien, da sie nur entstünden, weil der Geschädigte seinen erstattungsfähigen Anteil des Gesamtschadens gegenüber dem Schädiger beziffern müsse. Da sie nicht anfielen, wenn der Geschädigte den Unfall allein verursacht habe, müsse man sie — so die bejahende Ansicht — wie die Kosten des Rechtsanwalts unabhängig von einer Mithaftung betrachten.

Dieser Ansicht erteilt der BGH eine Absage. Zur Begründung führt er aus: Soweit zur Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs eine Begutachtung durch einen Sachverständigen erforderlich und zweckmäßig sei, gehörten die Kosten eines vom Geschädigten eingeholten Schadensgutachtens zu den mit dem Schaden unmittelbar verbundenen und auszugleichenden Vermögensnachteilen. Ist der Geschädigte als Fahrzeughalter in erheblicher Weise für den Schaden mitverantwortlich, führe dies nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG jedoch zu einer Beschränkung von Grund UND Umfang des Schadensersatzanspruchs. Die Bestimmung statuiere — ebenso wie § 254 Abs. 1 BGB, § 9 StVG und § 4 HaftPflG — eine Ausnahme vom Grundsatz des Alles-oder-Nichts-Prinzips des Schadensrechtes. Dies habe zur Folge, dass auch der Anspruch auf Ersatz der Kosten eines Sachverständigengutachtens nur ungeschmälert fortbestehen könne. Auch diese Kosten seien vollständig durch den Unfall verursacht, denn ohne die Unfallbeteiligung des Geschädigten wäre es dazu nicht gekommen. Da die Einholung eines Gutachtens nicht allein dem Nachweis des vom Schädiger zu tragenden Schadensanteils diene, sondern auch im eigenen Interesse des Geschädigten liege, da das Gutachten ihm Gewissheit über das Ausmaß des Schadens verschaffe, sei der in Rechtsprechung und Literatur vorzufindende Ansicht einer unbeschränkten Erstattungsfähigkeit dieser Kosten nicht zu folgen. Auch das Argument der von Mitverantwortungsanteilen nicht betroffenen Anwaltsgebühren lässt der BGH nicht geltend. Denn bei dieser Schadensposition handle es sich nur um eine Nebenforderung. Außerdem erfolge auch dort indirekt eine Berücksichtigung der Mitverantwortung, allerdings nicht durch eine Quotelung der Kosten, sondern durch eine Quotelung des Streitwerts.

Da Kosten der Schadensermittlung bei nahezu jedem Schadenereignis anfallen, ist die Entscheidung des BGH zu einer zuvor nicht höchstrichterlich geklärten Problematik für die Regulierungspraxis von großer Relevanz.

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Bundesgerichtshof entscheidet zur Verkehrssicherungspflicht auf Bahnsteigen — Neue Erkenntnisse bringt die Entscheidung aber nicht!

Bundesgerichtshof, Urteil vom 17.1.2012 — Aktenzeichen: X ZR 59/11

Sachverhalt
Ein Fahrgast war aufgrund von Glatteis auf einem Bahnsteig gestürzt und hat sich verletzt. Der Bahnhof steht im Eigentum der DB Station & Service AG; diese hatte die Reinigung und den Winterdienst auf die DB Services GmbH übertragen; diese wiederum hatte ein weiteres Unternehmen mit dem Winterdienst betraut. Der Fahrgast erwarb seine Fahrkarte bei der DB Fernverkehr AG. Der Fahrgast nahm wegen seines Schadens die DB Fernverkehr AG, von der er die Fahrkarte erworben hat, und die DB Services GmbH auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht wies die Klage gegen die DB Fernverkehr AG durch Teilurteil ab. Dies war unzulässig, wie OLG Hamm und BGH nun entschieden.

Entscheidung
Ein Eisenbahnverkehrsunternehmen sei — so der BGH — aufgrund eines Personenbeförderungsvertrages verpflichtet, die Beförderung so durchzuführen, dass der Fahrgast keinen Schaden erleidet. Dies betrifft nicht nur den eigentlichen Beförderungsvorgang zwischen Ein- und Aussteigen, sondern auch den Zu- und Abgang. Trotz der rechtlichen Trennung von Fahrbetrieb und Infrastruktur durch das Gesetz zur Neuordnung des Eisenbahnwesens ist ein Eisenbahnverkehrsunternehmen aufgrund eines Beförderungsvertrages gehalten, Bahnanlagen wie Bahnsteige, die der Fahrgast vor und nach der Beförderung benutzen muss, bereit zu stellen und verkehrssicher zu halten. Dies ist dem Eisenbahnverkehrsunternehmen, das diese Bahnanlagen aufgrund eines Stationsnutzungsvertrages mit dem Infrastrukturunternehmen nutzt, im Zusammenwirken mit diesem möglich. Wird diese Pflicht schuldhaft verletzt, haftet das Eisenbahnverkehrsunternehmen gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB und hat ein etwaiges Verschulden des Eisenbahninfrastrukturunternehmens — im Fall der Übertragung der Verkehrssicherungspflichten auf weitere Dritte deren Verschulden – in gleichem Umfang zu vertreten wie ein eigenes Verschulden (§ 278 BGB).

Praxishinweis
Neue „bahnbrechende“ Erkenntnisse bringt die Entscheidung nicht. Letztlich bestätigt der BGH nur, dass es neben der deliktischen Haftung auch eine vertragliche Haftung gibt, bestätigt also den haftungsrechtlichen Grundsatz, der seit jeher gilt: Der Vertragspartner haftet seinen Kunden; soweit der Vertragspartner – wie oft — seine (Streu)Pflichten auf einen Dritten, den sog. Erfüllungsgehilfen, übertragen hat, muss er sich dessen Verschulden als eigenes Verschulden zurechnen lassen. Auch dies ist nicht neu.

Im Ergebnis haftet der Vertragspartner des Fahrgastes; dieser wird sich allerdings bei dem Unternehmen schadlos halten können, welches im Innenverhältnis mit dem Winterdienst beauftragt worden war.

Nicht entschieden hat der Bundesgerichtshof, was gilt, wenn der Geschädigte keinen Vertrag geschlossen hat bzw. schließen wollte, etwa weil er sich nur deshalb im Bahnhof aufhält, um sich aufzuwärmen oder aus sonstigen Motiven. Hier dürfte eine vertragliche Haftung nicht greifen, so dass es bei der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nach § 823 BGB bleibt.

Nicht entschieden hat der Bundesgerichtshof auch, in welchem Umfang den Fahrgast ein Mitverschulden trifft. Dies wird nun im weiteren Verlauf des Verfahrens in den unteren Instanzen geklärt.

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Bei Schwarzarbeit kein Versicherungsschutz

Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 23.5.2011 — Aktenzeichen: 16 U 141/10

Leitsatz
Der Privathaftpflichtversicherer braucht seinem Versicherungsnehmer keinen Versicherungsschutz zu gewähren, wenn dieser „schwarz“ arbeitet. Verlegt und verschweißt ein angestellter Dachdeckergeselle Dachpappe an einem Gebäude und gerät dieses in Brand, ist der Versicherer nicht eintrittspflichtig, wenn es sich nicht lediglich um eine Gefälligkeit handelt, z. B. nachbarschaftliche Hilfe.

Sachverhalt
Ein angesteller Dachdeckergeselle unterhält eine Privathaftpflichtversicherung. In seiner Freizeit verlegte und verschweißte der Versicherungsnehmer Dachpappe an einem Wohn- und Wirtschaftsgebäude. Gebäudeeigentümer und Dachdecker kannten sich. Beim Verschweißen der Dachpappe geriet das Haus in Brand, weil sich altes und trockenes Stroh entzündet hatte, das zur Wärmedämmung unter den Eternit-Dachplatten lag. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von mehreren 100.000,00 Euro.

Der Dachdecker nahm seinen Haftpflichtversicherer aus der Privathaftpflichtversicherung in Anspruch. Das Landgericht gab dem Dachdecker recht. Das Schleswig-Holsteinische OLG hob das Urteil auf und wies die Klage ab.

Entscheidung
Das Schleswig-Holsteinische OLG war der Auffassung, dass der Ausschlusstatbestand nach den Versicherungsbedingungen erfüllt ist, wonach die Gefahren u.a. eines Berufes vom Versicherungsschutz ausgenommen sind. Der Kläger sei hier im Kernbereich seiner beruflichen Ausbildung und Tätigkeit tätig geworden. Er sei ausgebildeter Dachdecker, angestellt bei einem Dachdeckerbetrieb, habe mit professionellem Dachdeckerwerkzeug unter Heranziehung des ihm auch sonst zugeordneten Auszubildenden Dachdeckerarbeiten ausgeführt. Zwar seien vom Versicherungsschutz in der Privathaftpflichtversicherung erfaßt Gefälligkeits- und Gelegenheitsarbeiten, wenn sie zwar zum Beruf des Versicherten gehörten, aber nicht zum Zweck des Erwerbs ausgeführt würden.

Vorliegend fehle es aber an derartigen, die Privatheit des Handelns begründenden Momenten.

Es fehle bereits an einem Nachbarschafts- oder Freundschaftsverhältnis zwischen dem Dachdecker und Gebäudeeigentümer. Es könne dahinstehen, ob der Dachdecker den Gebäudeeigentümer vom Sehen her kannte oder nicht. Unstreitig sei es zu den Arbeiten dadurch gekommen, dass der Gebäudeeigentümer sich an den Geschäftsführer des Dachdeckerunternehmens gewandt habe wegen Arbeiten an einem neu zu errichtenden Anbaues, die zu machen seien, „aber nicht über eine Dachdeckerfirma“. Der Inhaber des Dachdeckerbetriebs auf seinen Mitarbeiter verwiesen, der zum Gebäudeeigentümer gefahren sei, um die Ausführung der Arbeiten zu planen und zu vereinbaren. Eine solche Anbahnung und Gestaltung habe mit nachbarschaftlicher Hilfe nichts zu tun. Im Vordergrund stände vielmehr die Nachfrage nach professioneller Arbeit außerhalb eines regulären (betriebsbezogenen) Auftragszusammenhangs, also nach einer umsatzsteuerfreien Leistung, im allgemeinem Sprachgebauch: nach Schwarzarbeit.

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Eis aus der Dachrinne — Wer haftet?

LG Flensburg, Urteil vom 15.3.2011 — Aktenzeichen: 1 S 90/10

Sachverhalt
Die Klägerin verlangt von einem Hauseigentümer Schadensersatz. Auf dem Dach des Objekts des Beklagten lag Schnee. Unterhalb des Daches parkte die Klägerin ihren Wagen. Am nächsten Tag löste sich vom Dach des Hauses ein Eisblock und stürzte auf den Wagen der Klägerin. Dieser Eisblock lag in der Dachrinne, die sich aufgrund des Gewichts nach vorne bog, worauf hin sich der Eisblock wegen seines Gewichts aus der Rinne löste. Die Klägerin verlangte nun vom Beklagten, dem die Verkehrssicherung für das Objekt oblag, Schadensersatz. Zu Recht, so das Landgericht Flensburg.

Entscheidung
Das Landgericht sah einen Anspruch nach §§ 836, 838 BGB, der für herabfallende Gebäudeteile eine verschuldensunabhängige Haftung des Eigentümers vorsieht; zwar sei der Eisblock kein Gebäudeteil im Sinne jener Regelung; allerdings sei es hier zu einer physikalischen Veränderung des Bauteils gekommen (die sich nach vorn biegende Rinne), die dann den Eisblock nicht mehr habe zurückhalten können. Insoweit spreche ein Anscheinsbeweis für eine fehlerhafte Errichtung bzw. mangelhafte Unterhaltung des Gebäudes, da die Rinne nicht in der Lage gewesen sei, Schmelzwasser ordnungsgemäß abzuleiten; es hätte also überhaupt keine Eisbildung geben dürfen. Ein Mitverschulden sah das Gericht nicht; denn die Gefahrenlage sei von der Straße aus für die Klägerin nicht erkennbar gewesen.

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Zum Entschädigungsmaßstab eines Kfz, das ein Unikat ist

BGH, Urteil vom 2.3.2010 — Aktenzeichen: VI ZR 144/09

Der BGH hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob bei der fiktiven Schadensabrechnung eines als „Unikat“ anzusehenden Kraftfahrzeuges ein über den Wiederbeschaffungswert hinausgehender Schadensbetrag abgerechnet werden kann.

Sachverhalt
Bei einem Verkehrsunfall war der Pkw des Klägers, ein Pkw Typ Wartburg 353, Erstzulassung 1966, mit einem Rahmen und den entsprechenden Sonderausrüstungen eines Wartburg 353 W, beschädigt worden. Die Haftung des Beklagten dem Grunde nach war unstreitig. Der Beklagte zahlte den Schadensersatz in Höhe des Wiederbeschaffungswertes. Darüber hinausgehend verlangte der Kläger weiteren Schadensersatz, nämlich den Differenzbetrag zu den Nettoreparaturkosten. Der Kläger begründete dies mit den Ausführungen des Sachverständigen, dass ein vergleichbares Fahrzeug auf dem Gebrauchtwarenmarkt nicht mehr zu erwerben sei und die Wiederherstellung des beschädigten Fahrzeuges nur dadurch adäquat gewährleistet werden könne, indem ein Wartburg 353 erworben und mit den Original-Teilen zu einen Wartburg 353 W umgebaut wird. Den weiteren über den entschädigungspflichtigen Wiederbeschaffungswert hinausgehenden Schadensbetrag verlangte der Kläger von dem Beklagten ersetzt.

Entscheidung
Der BGH wies mit Urteil vom 02.03.2010 die Klage als unbegründet ab. Dem Kläger stünden keine weiteren über den Wiederbeschaffungswert hinausgehenden Schadensersatzansprüche zu. Hierzu führte der BGH aus: Bei Fahrzeugschäden kann der Geschädigte regelmäßig Reparatur des Unfallfahrzeuges oder Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeuges verlangen. Reparaturkosten sind bis zu 30 % über den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges abrechnungsfähig, wenn die Reparatur fachgerecht und entsprechend der Schätzung des Sachverständigen ausgeführt wurde. Ist eine Wiederherstellung unmöglich, wird der Schadensersatzanspruch des Klägers auch durch die Höhe des Wiederbeschaffungswertes beschränkt. Es kommt nicht darauf an, ob es sich um ein Kfz als „Unikat“ handelt oder nicht. Nach der Sicht des BGH ist der Wiederbeschaffungswert bei Kfz in Fällen der vorliegenden Art sowohl hinsichtlich der Restitution als auch hinsichtlich der Kompensation ein geeigneter Maßstab für die zu leistende Entschädigung.

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Umfang der Sorgfaltspflichten gemäß § 14 Abs. 1 StVO

BGH, Urteil vom 6.10.2009 — Aktenzeichen: VI ZR 216/08

Der Kläger hatte seinen Pkw neben einer Straße geparkt. Im Zeitpunkt des Unfallereignisses war am Fahrzeug des Klägers die hintere linke Tür zum Teil geöffnet, da er sein auf dem Rücksitz sitzendes Kind abschnallen und herausheben wollte. In diesem Moment fuhr auf der Straße ein Lkw an dem Fahrzeug des Klägers vorbei. Durch einen Luftzug öffnete sich die hintere Fahrzeugtür vollständig und es kam zur Kollision. Die Parteien streiten über die Schadensverteilung.

Entscheidung
Der BGH bestätigte die Haftungsverteilung des Landgerichtes auf Basis 50:50.

Das Verhalten des Klägers ist an dem Maßstab des § 14 Abs. 1 StVO zu beurteilen. Gem. § 14 Abs. 1 StVO muss sich, wer ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Diese Sorgfaltsanforderung gilt neben der gesamten Dauer eines Ein- oder Aussteigevorgangs auch für Situationen, in denen sich ein Kfz-Insasse im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ein- oder Aussteigevorgang bei geöffneter Tür in das Kfz beugt, um einem anderen Insassen beim Aussteigen behilflich zu sein oder auch Gegenstände zu ver- oder entladen. Maßgeblich ist der unmittelbare Zusammenhang zum Ein- und Aussteigen. Wird hierbei eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer nicht ausgeschlossen, ist der Sorgfaltsanforderung des § 14 Abs. 1 StVO nicht Genüge getan.

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Stundenverrechnungssätze in der Reparaturkostenabrechnung nach einem Verkehrsunfall

BGH, Urteil vom 20.10.2009 — Aktenzeichen: XI ZR 53/2009

Der BGH hat sich bereits in dem sogenannten „Porsche-Urteil“ damit auseinandergesetzt, ob der durch einen Verkehrsunfall Geschädigte bei der Schadensspezifikation auf Gutachtenbasis die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zu Grunde legen darf. Diese Frage hat der BGH dem Grunde nach bejaht. Allerdings ist stets die Schadensminderungspflicht des Geschädigten zu berücksichtigen. Kann der Schädiger den Geschädigten daher auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos zugänglichen sogenannten „freien Fachwerkstatt“ verweisen und auch darlegen, dass eine dortige Reparatur dem Qualitätsstandard einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht, so sind die Stundenverrechnungssätze der freien Fachwerkstatt bei der Schadensabrechnung zu Grunde zu legen.

Nun hat der BGH in der jüngsten Entscheidung in Fortsetzung der in dem Porsche-Urteil geäußerten Rechtsauffassung entschieden, dass für den Geschädigten eine Reparatur in einer „freien Fachwerkstatt“ für den Geschädigten auch zumutbar sein muss. Der Verweis auf eine freie Fachwerkstatt kann für den Geschädigten trotz der diesem obliegenden Schadensminderungspflicht unzumutbar sein, wenn ein Fahrzeug bis zum Alter von drei Jahren beschädigt ist. Wegen der noch möglicherweise bestehenden Herstellergarantie, der späteren Inanspruchnahme von Gewährleistungsrechten oder Kulanzleistungen muss sich der Geschädigte dann grundsätzlich nicht auf andere Reparaturmöglichkeiten verweisen lassen. Auch für ältere Fahrzeuge könne dies gelten, wenn der Geschädigte konkret darlegt, dass das Fahrzeug — in dem der BGH-Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt ging es um einen 9 1/2 Jahre alten VW Golf mit einer Laufleistung von über 119.000 km — stets in der markengebundenen Fachwerkstatt gewartet und repariert wurde.

Nach den Feststellungen des BGH kann daher der Geschädigte grundsätzlich die Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zu Grunde legen. Zwar kann der Schädiger auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt verweisen. Er hat dann aber darzulegen, dass die günstigere Reparaturmöglichkeit für den Geschädigten mühelos und ohne Weiteres zugänglich ist und die dortige Reparatur dem Qualitätsstandard einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht („Porsche-Urteil‟). Selbst für den Fall, dass diese Voraussetzungen vorliegen, kann der Verweis des Geschädigten auf die freie Fachwerkstatt dennoch unzumutbar sein.

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Sturz im Pflegeheim — Wer zahlt?

OLG Hamm, Urteil vom 2.7.2009 — Aktenzeichen: 26 U 27/09

Das OLG Hamm hatte sich in einer jüngeren Entscheidung damit zu beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen ein Pflegeheim beweisen muss, dass ein Sturzereignis eines Heimbewohners nicht durch eine Pflichtverletzung des Pflegeheims verursacht wurde.

Grundsätzlich hat der Geschädigte die sogenannten anspruchsbegründenden Tatbestandsvoraussetzungen, damit auch eine Pflichtverletzung, darzulegen und zu beweisen. Allerdings kann es unter besonderen Umständen zu einer Beweislastumkehr kommen, so dass der Schädiger beweisen muss, dass er nicht die ihm obliegende Pflicht schuldhaft verletzt hat. Dies ist nach der Entscheidung des OLG Hamm im Fall des Sturzes eines Heimbewohners dann der Fall, wenn sich das Sturzereignis in einer konkreten Gefahrensituation und bei gesteigerten Obhutspflichten, deren Beherrschung gerade einer Pflegekraft übertragen war (hier: begleiteter Transfer eines Heimbewohners), ereignete. Im einzelnen:

Bei dem gestürzten Heimbewohner war bereits über einen längeren Zeitraum eine erhebliche Sturzgefährdung festgestellt worden. Der Heimbewohner wurde daher stets von einer Pflegekraft begleitet (begleiteter Transfer). Während des Rückwegs aus dem Speisesaal ins Bewohnerzimmer kam es auf dem Flur im Beisein der Pflegekraft zu einem folgenschweren Sturz.

Das OLG Hamm sah darin, dass es trotz der bekannten erhöhten Sturzgefährdung des Heimbewohners und während des begleiteten Transfers zu einem Sturzereignis kam, die Beweislast auf der Seite des Pflegeheims. Der gerichtliche Sachverständige erläuterte, dass eine Pflegekraft in der Lage sein muss, sich auf eine solche Situation einzustellen, um unverzüglich zupacken zu können. Die Tatsache, dass es zu einem Sturz kam, spricht für ein pflichtwidriges fahrlässiges Verhalten. Den Anforderungen an den Entlastungsbeweis genügte das Pflegeheim nicht. Der Einwand, dass Stürze nie völlig auszuschließen sind, reichte nicht. Besondere Umstände, die zu dem Sturzereignis führten, waren nicht ersichtlich und dargetan. Dass die Pflegekraft nicht in der Lage war, den Heimbewohner aufzufangen, spricht — so die Ausführungen des OLG Hamm — vielmehr dafür, dass im entscheidenden Augenblick jedenfalls die notwendige Aufmerksamkeit nicht gegeben war bzw. notwendige Gegenmaßnahmen schuldhaft nicht ergriffen wurden.

Nach den Feststellungen des OLG Hamm hat daher ein Pflegeheim bei einem sturzgefährdeten Heimbewohner, der während eine begleiteten Transfers zu Fall kommt, darzulegen und zu beweisen, dass auf Grund besonderer Umstände im Einzelfall das Sturzereignis nicht vermieden werden konnte.

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Arzthaftung bei mangelnder Mitwirkung des Patienten

BGH, Urteil vom 16.6.2009 — Aktenzeichen: VI ZR 157/08

Leitsatz
Die mangelnde Mitwirkung des Patienten an einer medizinisch gebotenen Behandlung schließt einen Behandlungsfehler nicht aus, wenn der Patient über das Risiko der Nichtbehandlung nicht ausreichend aufgeklärt worden ist.

Sachverhalt
Der Kläger wurde am 25.03.1999 wegen eines Hypophysentumors in der Klinik der Beklagten operiert und nachfolgend am 03.04.1999 nach Hause entlassen. Am 05.04.1999 begann er körperlich abzubauen. Telefonisch empfahl die diensthabende Ärztin der Ehefrau des Klägers, diesen in die Klinik zu bringen, falls der Zustand sich weiter verschlechtere. Am 06.04.1999 suchte der Kläger geschwächt und im Rollstuhl sitzend in Begleitung seiner Ehefrau erneut die Klinik auf. Dort wurde ein MRT veranlasst, das einen normalen Befund nach erfolgter Operation eines Hyphysentumors ergab. Dem Kläger wurde ein stationärer Aufenthalt angeraten und eine Infusionsbehandlung verordnet. Der Kläger lehnte dies ab und begab sich nach Hause. Am darauffolgenden Tag erfogte eine notfallmäßige Einweisung des Klägers nach einem Bettsturz. Die weiteren Untersuchungen führten zur Feststellung eines Schlaganfalls, der infolge einer Dehydration(„Austrocknung‟) eingetreten war. Der Kläger verlangte Schadenersatz und Schmerzensgeld.

Die vom BGH u.a. zu entscheidende Frage war, ob der Beklagten am 06.04.1999 ein Behandlungsfehler wegen der nicht durchgeführten stationären Aufnahme einschließlich Infusion anzulasten war. Das OLG hatte entschieden, dass ein Behandlungsfehler deswegen ausscheide, weil der Kläger zu dieser Behandlung überhaupt nicht bereit gewesen wäre.
Entscheidung
Das OLG hatte in der Vorinstanz hierzu die Auffasung vertreten, dass es der Beklagten nicht möglich gewesen sei, den Kläger zu einer solchen Behandlung zu zwingen.

Der BGH hat entschieden, dass es für die Frage, ob der Beklagten ein Behandlungsfehler unterlaufen ist, nicht darauf ankomme, ob der Kläger zu einer stationären Aufnahme mit Infusionsbehandlung hätte gezwungen werden können und/oder müssen. Ausschlaggebend sei, ob der Kläger über die Notwendigkeit der beabsichtigten Behandlungsmaßnahme (hier: stationäre Aufnahme mit Infusion) in der gebotenen Weise informiert worden sei. Denn dem Patienten könne die Nichtbefolgung ärztlicher Anweisungen oder Empfehlungen mit Rücksicht auf den Wissens- und Informationsvorsprung des Arztes gegenüber dem medizinischen Laien nur dann als Obliegenheitsverletzuing oder Mitverschulden angelastet werden, wenn er diese Anweisungen oder Empfehlugnen auch verstanden habe(so auch: BGH VersR 1997, 449 und BGH VersR 1997,1357).

Der BGH hat (auch) aus diesem Grund das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache ans OLG zurückverwiesen, da noch weitere Einzelheiten zum Sachverhalt zu klären waren.

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Haftungsprivilegierung nach § 106 Abs.3 Alt.3 SGB VII — Gemeinsame Betriebsstätte beim Verladen

LG Osnabrück, Urteil vom 16.9.2008 — Aktenzeichen: 3 S 188/08

Das LG Osnabrück — und zuvor in erster Instanz das AG Osnabrück – hatte über einen Sachverhalt zu entscheiden, bei dem der Kläger, ein Berufskraftfahrer, Schadenersatzansprüche gegenüber einem Speditionsunternehmen wegen eines Unfalls im Zusammenhang mir einem Beladevorgang geltend machte.

Zum Schaden kam es, als der Kläger — nach eigenem Vorbringen ein selbstständiger, gesetzlich unfallversicherter Berufskraftfahrer – damit beschäftigt war, seinen LKW am Lager des beklagten Speditionsunternehmens zu beladen. Dabei wurde ihm durch Mitarbeiter der Beklagten mitgeteilt, er solle eine bestimmte Palette mit einem darauf befindlichen Stahlschrank (Gewicht über 500 kg) aufladen. Der Kläger verfügte nicht über das notwendige technische Gerät, um diese Palette über die Rampe auf den Laster zu verbringen (Hubwagen bzw. Gabelstapler). Dies übernahm der Lagerleiter der Beklagten mit einem Hubwagen. Beim Anheben der Palette kippte der darauf befindliche Schrank und fiel dem Kläger auf den Fuss.

Der Kläger machte geltend, eine gemeinsame Betriebsstätte liege nicht vor, da er sich gegenüber dem Lagerleiter gegen die Beladung mit der Palette ausgesprochen habe.

Das LG Osnabrück bestätigte das erstinstanzliche Urteil des Amtsgerichtes:

Das beklagte Speditionsunternehmen hafte nicht, da hier eine Haftung nach § 106 Abs. Alt.3 SGB VII ausgeschlossen sei. Es handele sich um einen Unfall auf einer gemeinsamen Betriebsstätte des Klägers und der Beklagten, da hier betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen vorlägen, die bewusst und gewollt bei einzelenen Maßnahmen ineinander griffen, miteinander verknüpft seien, sich ergänzten oder unterstützten, wobei es ausreiche, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch blosses Tun erfolge (vgl: BGHZ 145, 331f.;BGHZ 148, 209f.; BGHZ 148, 214 f.; BGH VersR 2001, 372; BGH VersR 2002, 1107 f.; BGH — Urteil vom 08.03.2004, VI ZR 251/02). Ein bewusstes Miteinander im Arbeitsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstelle, sei ausreichend (vgl. OLG Koblenz — Urteil vom 20.12.2005, 5 U 281/07).

Daran ändere sich nichts, wenn man der Behauptung des Klägers glaube, er habe sich gegenüber dem Lagerleiter gegen die Beladung ausgesprochen: Denn eine Weigerung gegenüber dem Lagerleiter allein spreche nicht gegen die Annahme einer gemeinsamen Betriebsstätte. Es stehe fest, dass die abschließende Entscheidung, ob die Palette aufzuladen sei, bei dem Disponenten der Beklagten gelegen hätte. Solange diese Entscheidung nicht getroffen sei, wirkten Lagerleiter und LKW-Fahrer zusammen bei dem Versuch der Beladung.

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