§§ 104 ff. SGB VII: Betriebswegeunfall

OLG Dresden, Urteil vom 24.7.2013 — Aktenzeichen: 7 U 2032/12

Leitsatz
Stellt ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern für die Heimfahrt von einer betriebsfernen Arbeitsstätte einen betriebseigenen Pkw zur Verfügung und trägt er auch die anfallenden Kosten, handelt es sich um einen „Sammeltransport“ im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch dann, wenn der Pkw lediglich von zwei Arbeitnehmern benutzt wird, die sich bei der Heimfahrt abwechseln. Ereignet sich dabei ein Verkehrsunfall, greift deshalb das Haftungsprivileg der §§ 104, 105 SGB VII, weil es sich um einen Betriebswegeunfall handelt.

Sachverhalt
Der Kläger befand sich als Beifahrer im Pkw seines Arbeitgebers auf der BAB 4. Das Fahrzeug wurde von seinem Arbeitskollegen D gesteuert. Vor Ihnen hatte sich eine Verkehrsunfall zwischen den Beklagten zu 1) und 2) ereignet, nach dem deren Fahrzeuge auf der Autobahn liegen blieben. Diesen wich ein weiterer Lkw aus, der dann auf dem Seitenstreifen zum Stillstand kam. D wich den Unfallfahrzeugen zwar ebenfalls noch aus, geriert dabei jedoch gegen den stehenden Lkw, wodurch der Kläger erheblich verletzt wurde.

Entscheidung
Das OLG führt aus, dass Ansprüche des Klägers gegen die Beklagten zu 1) und 2) nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld um den Mitverursachungsanteil des Haftungsprivilegierten gemindert seien.

Zwar würden die Beklagten zu 1) und 2) neben dem Arbeitgeber des Klägers als Halter sowie seinem Arbeitskollegen als ggfls. schuldhaft handelnden Fahrer grundsätzlich als Gesamtschuldner haften. Ein Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitskollegen D sowie den gemeinsamen Arbeitgeber sei gemäß § 104 Abs. 1 SGB VII bzw. § 105 Abs. 1 S. 1 SGB VII allerdings ausgeschlossen, was zu einer Kürzung der Ansprüche des Klägers auch im Verhältnis zu den nicht haftungsprivilegierten Schädigern führe (gestörte Gesamtschuld). Nach den §§ 104 ff. SGB VII haftet ein Unternehmer und eine andere im Betrieb tätige Personen nur dann, wenn der Versicherungsfall sich auf einem nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg ereignet habe (Betriebswegeunfall).

Nach zutreffender Ansicht des OLG lag ein Betriebswegeunfall vor: Entscheidend sei, ob die Fahrt sich als Teil der innerbetrieblichen Organisation und deren Funktionsbereich darstelle oder nicht. Für die Bejahung einer „Betriebsfahrt“ im o.g. Sinne würden von der Rechtsprechung keine übersteigerten Voraussetzungen verlangt. So sei bereits das Zurverfügungstellen eines betriebseigenen Pkw als Teil der betrieblichen Organisation angesehen worden. Erst recht gelte dies, wenn die Treibstoffkosten ebenfalls vom Arbeitgeber übernommen werden. Maßgeblich sei, ob sich in dem Unfall „das betriebliche Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem manifestiert oder ob dieses Verhältnis zum Unfall keinen oder nur einen losen Zusammenhang habe. In Fällen, in denen ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern mittels eines Sammeltransports eine Heimfahrtmöglichkeit zur Verfügung stelle, bestehe eine ausreichende organisatorische Verknüpfung. Dabei sei nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber etwa einen eigenständigen „Fahrer“ für den Transport beschäftige. Genügend sei vielmehr, dass einer der Arbeitnehmer die Heimfahrten übernimme oder diese im Wechsel zwischen mehreren Arbeitnehmern erfolge. Es dabei keinen Unterschied, ob lediglich zwei Arbeitnehmer diese Möglichkeit nutzen oder mehrere. Es gebe keine Vorgaben in Bezug auf die Mindestgröße eines „Sammeltransports“.

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Vorsicht vor Schiebetüren im Supermarkt!

AG Lünen, Urteil vom 13.1.2014 — Aktenzeichen: 7 C 537/13 (VU)

Sachverhalt
Die Klägerin ging gerichtlich gegen einen Lebensmittelmarkt vor, weil sie von einer plötzlich zugehenden automatischen Schiebetür getroffen wurde und auf eine vor dem Lebensmittelmarkt zu Werbezwecken aufgestellte Palette mit Grillkohle fiel. Dabei soll sie sich eine Rippe gebrochen und multiple Hämatome zugezogen haben.

Die streitgegenständliche Schiebetür war etwa eine Woche vor dem Vorfall ohne relevante Beanstandungen gewartet worden. Vergleichbare Vorfälle hat es in der Vergangenheit nicht gegeben.

Entscheidung
Das Amtsgericht Lünen war der Auffassung, dass ein Lebensmittelmarkt nicht verschuldensunabhängig für eine von einer automatischen Schiebetür ausgehenden Gefährdung haftet. Ein Verschulden konnte die Klägerin jedoch nicht nachweisen. Da sich bei der unstreitig durchgeführten Wartung und in der Vergangenheit keine Anhaltspunkte dafür ergeben hatten, dass die Tür nicht voll funktionstüchtig sein könnte, bestand für die Beklagte keinerlei Veranlassung, in irgendeiner Weise tätig zu werden.

Auch eine gesonderte Absicherung der mit Kohlesäcken bestapelten Palette vor dem Lebensmittelmarkt war nicht geschuldet, da sich keine von der Palette unmittelbar ausgehende Gefahr verwirklicht hatte.

Damit liegt das AG Lünen auf einer Linie mit den Landgerichten und Oberlandesgerichten. Das LG Nürnberg-Fürth vertritt insoweit die Auffassung, dass selbstschließende Türen aufgrund ihrer Verbreitung und Integration in unseren Alltag keine Gefahrenquellen darstellen (NJW-RR 2012, 860). Auch das OLG Celle (Urteil vom 03.05.2000, Az. 9 U 210/99) und das OLG Koblenz (MDR 2000, 1375) haben entsprechend entschieden, dass ein Kunde immer damit rechnen muss, dass sich eine automatische Schiebetür einmal nicht öffnet oder wieder schließt. Auch mit einem Defekt müsste immer gerechnet werden.

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Hersteller internationaler Produkte

LG Berlin, Urteil vom 10.2.2012 — Aktenzeichen: 19 O 263/11

Leitsatz
1. Die inländische Vertriebsgesellschaft eines ausländischen Herstellers haftet grundsätzlich nicht für Schäden, die auf einem Konstruktionsoder Fabrikationsfehler des von Ihr vertriebenen Produkts beruhen. 2. Die Produktbeobachtungspflicht der inländischen Vertriebsgesellschaft ist auch bei Konzernverbundenheit mit dem Nicht-EU-Hersteller und dem EU-Importeur grundsätzlich auf die von ihr im Inland vertriebenen Produkte beschränkt.

Sachverhalt
Der an Impotenz leidende Kläger erhielt operativ eine Penisprothese eingesetzt. Die Beklagte hatte die Prothese in Deutschland vertrieben. Produzent war die Fa. X mit Sitz in den USA. Diese führte auch die Qualitätskontrollen durch. Die Fa. X lieferte die hergestellten Protghesen anschließend an ihre europäische Tochtergesellschaft in den Niederlanden — Fa. Y. Die Beklagte, die eine Tochtegesellschaft der Fa. Y ist, erwarb von dieser die Prothese und veräußerte sie ans Klinikum, wo dem Kläger die Prothese eingesetzt wurde. Diese erwies sich jedoch als funktionsuntüchtig und der Kläger begehrte Schadensersatz aus Produkthaftung.

Entscheidung
Das LG hat Ansprüche des Klägers aus Produzentenhaftung nach § 823 BGB sowie nach § 1 Produkthaftungsgesetz verneint: Die Beklagte sei nicht Hersteller der Produkts gem. § 4 Produkthaftungsgesetz. Selbst bei konzernmäßiger Verflechtung hafte die inländische Vertriebsgesellschaft eines ausländischen Herstellers grundsätzlich nicht für Schäden, die auf einem Konstruktions- oder Fabrikationsfehler des von Ihr vertriebenen Produkts beruhten. Eine Verpflichtung des (konzerninternen) Vertriebshändlers zur eigenständigen Gefahrabwendungspflicht, d.h., die von ihm vertriebenen Produkte auf ihre gefahrenfreie Beschaffenheit zu untersuchen, bestehe ferner nur dann, wenn sich der Fehler auch ohne Überprüfung leicht und sofort erkennen lasse. So sei der vorliegende Fall jedoch nicht gelagert. Eine Haftung wegen der Verletzung von Produktbeobachtungspflichten komme ebenfalls nicht in Betracht. Die Beklagte treffe zwar eine eigene Pflicht zur Produktbeobachtung, weil sie als Importeur der Prothese diese im Inland allein vertreibe — Monopolstellung. Jedoch gehe die Produktbeobachtungspflicht bei im EU-Ausland hergestellten Produkten nur soweit, Beschwerden zu sammeln und an den Hersteller weiterzuleiten. Beschwerden seien jedoch nicht bekannt. Als Importeur der Prothese habe die Beklagte außerdem nur eine Beobachtungspflicht für den inländischen Bereich — Deutschland — getroffen, also dort, wo sie vertrieben habe. Eine Produktbeobachtungspflicht für den US-Markt bestünde nicht. Mit seiner Ansicht steht das LG Berlin nicht allein. Der BGH hat diese Rechtsprechung in seinen Entscheidungen in NJW 1994, 517 sowie NJW 1987, 312 ff. bereits manifestiert.

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Schadensregulierungsbeauftragter im Sinne der Richtlinie 2009/103 EG „als Vertreter“ zustellungsbevollmächtigt

EuGH – 2. Kammer, Urteil vom 10.10.2013 — Aktenzeichen: C – 306/12

Leitsatz
1. Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht ist dahin auszulegen, dass zu den ausreichenden Befugnissen, über die der Schadenregulierungsbeauftragte verfügen muss, die Vollmacht gehört, die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke, die für die Einleitung eines Verfahrens zur Regulierung eines Unfallschadens vor dem zuständigen Gericht erforderlich sind, rechtswirksam entgegenzunehmen.

2. Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen die nationalen Rechtsvorschriften die Bestimmungen von Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103 quasi wörtlich übernommen haben, ist das vorlegende Gericht verpflichtet, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden das nationale Recht so auszulegen, dass es mit der Auslegung dieser Richtlinie durch den Gerichtshof der Europäischen Union vereinbar ist.

Sachverhalt
Am 24. Juni 2011 wurde ein der Spedition W. gehörender Lkw in der Nähe von Paris (Frankreich) bei einem Verkehrsunfall durch ein bei A. versichertes Fahrzeug beschädigt. Die Spedition W. beantragte beim erstinstanzlich angerufenen deutschen Gericht eine Entschädigung in Höhe von 2 382,89 Euro. Die Klage wurde nicht A. zugestellt, sondern ihrer Beauftragten in Deutschland, der X. Das Gericht wies die Klage als unzulässig ab und führte zur Begründung aus, dass die Klage der X, die nicht zustellungsbevollmächtigt sei, nicht wirksam zugestellt worden sei. Die Spedition W. legte gegen dieses Urteil Berufung beim Landgericht ein.

Nach Ansicht des vorlegenden Berufungsgerichts hing der Ausgang des Berufungsverfahrens von der Auslegung der Richtlinie 2009/103 ab.

Das Berufungsgericht hatte daher das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103 dahin auszulegen, dass die Befugnisse des Schadenregulierungsbeauftragten eine passive Zustellungsvollmacht für das Versicherungsunternehmen umfassen, so dass in dem Klageverfahren des Geschädigten gegen das Versicherungsunternehmen auf Ersatz des Unfallschadens eine gerichtliche Zustellung mit Wirkung gegen das Versicherungsunternehmen an den von ihm benannten Schadenregulierungsbeauftragten bewirkt werden kann?

Falls die Frage zu 1 bejaht wird:

2. Entfaltet Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103 unmittelbare Wirkung dergestalt, dass sich der Geschädigte vor dem nationalen Gericht darauf berufen kann mit der Folge, dass das nationale Gericht von einer gegenüber dem Versicherungsunternehmen wirksamen Zustellung auszugehen hat, wenn eine Zustellung an den Schadenregulierungsbeauftragten „als Vertreter“ des Versicherungsunternehmens bewirkt worden ist, eine Zustellungsvollmacht jedoch weder rechtsgeschäftlich erteilt worden ist, noch das nationale Recht für diesen Fall eine gesetzliche Zustellungsvollmacht begründet, die Zustellung jedoch im Übrigen alle durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt?

Entscheidung
Der EuGH stellt im Hinblick auf die zu 1) aufgeworfene Frage klar, dass aus den der entscheidenden Richtlinie zugrunde liegenden Erwägungen sich klar ergibt, dass die Vertretung von Versicherungsunternehmen, wie sie in Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie vorgesehen sei – ohne dass sie die Einhaltung der Regelungen des internationalen Privat- und Zivilprozessrechts in Frage stellen könnte –, nach dem Willen des Unionsgesetzgebers die Vertretung umfasse, die es den Geschädigten erlaube, die Klage auf Ersatz ihres Schadens rechtswirksam bei den nationalen Gerichten zu erheben. Im Übrigen ergäbe sich aus den Vorarbeiten zu den Richtlinien, die der Richtlinie 2009/103 vorausgegangen sind und mit ihr für den Versicherungsbereich kodifiziert wurden, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Vertretung eines Versicherungsunternehmens im Staat des Geschädigten eine passive Zustellungsvollmacht für gerichtliche Schriftstücke umfassen solle, wenn auch mit eingeschränktem Charakter, da sie die Regelungen des internationalen Privat- und Zivilprozessrechts über die Festlegung der gerichtlichen Zuständigkeiten nicht berühren sollte. In diesen Grenzen gehöre die passive Zustellungsvollmacht für gerichtliche Schriftstücke zu den ausreichenden Befugnissen, über die der Schadenregulierungsbeauftragte verfügen müsse. Wäre eine solche Vollmacht nicht umfasst, würde der Richtlinie eine ihrer Zielsetzungen genommen. Die Funktion des Schadenregulierungsbeauftragten bestehe nämlich im Einklang mit den Zielen der Richtlinie gerade darin, den Unfallopfern ihr Vorgehen zu erleichtern und es ihnen insbesondere zu ermöglichen, ihre Ansprüche in ihrer eigenen Sprache geltend zu machen. Diesen Zielen würde es widersprechen, wenn den Unfallopfern, nachdem sie die vorherigen Schritte unmittelbar gegenüber diesem Vertreter unternommen haben – und obwohl sie direkt gegen den Versicherer klagen können –, die Möglichkeit genommen würde, die gerichtlichen Schriftstücke an diesen Vertreter zustellen zu lassen, um die Schadensersatzklage vor dem international zuständigen Gericht durchzuführen. Zu den ausreichenden Befugnissen, über die der Schadenregulierungsbeauftragte verfügen müsse, gehöre daher — so der EuGH — die Vollmacht, die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke, die für die Einleitung eines Verfahrens zur Regulierung eines Unfallschadens vor dem zuständigen Gericht erforderlich sind, rechtswirksam entgegenzunehmen.

Zur zweiten Frage stellt der EuGH fest, dass § 7b Abs. 2 VAG eine quasi wörtliche Umsetzung von Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103 darstellt. Diese Bestimmungen des nationalen Rechts sei daher im Einklang mit denjenigen des Unionsrechts dahin auszulegen, dass der Schadenregulierungsbeauftragte dazu befugt sei, die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke entgegenzunehmen. Nach alledem sei auf die zweite Frage zu antworten, dass das vorlegende Gericht unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen die nationalen Rechtsvorschriften die Bestimmungen von Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103 quasi wörtlich übernommen haben, verpflichtet sei, unter Berücksichtigung des gesamten innerstaatlichen Rechts und unter Anwendung der dort anerkannten Auslegungsmethoden das nationale Recht so auszulegen, dass es mit der Auslegung dieser Richtlinie durch den Gerichtshof vereinbar ist.

Fazit
Anstatt einer äußerst komplizierten, langwierigen und häufig kostenträchtigen Auslandszustellung (Übersetzung der Schriftsätze etc.) kann zukünftig eine Klage wegen eines im Ausland erlittenen Verkehrsunfalls in Deutschland an den Regulierungsbeauftragten des ausländischen gegnerischen Kfz-Versicherers wirksam zugestellt werden.

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Beweislastverteilung bei der Produzentenhaftung wenn der Produzent des mangelhaften Gerätes kein Vergleichsgerät zur Verfügung stellt

Landgericht Koblenz, Urteil vom 8.5.2013 — Aktenzeichen: 16 O 280/10

Kündigt der Produzent eines Gerätes im Rahmen eines Produzentenhaftpflichtprozesses die Zurverfügungstellung eines Vergleichsgerätes an und stellt dies trotz mehrfacher gerichtlicher Aufforderung nicht zur Verfügung, geht es zu seinen Lasten, wenn ein Sachverständiger die Schadenursache aus diesem Grund nicht abschließend klären kann.

Leitsatz
Kann ein gerichtlich bestellter Sachverständiger mangels eines vom Produzenten angekündigten jedoch nicht zur Verfügung gestellten Vergleichsgerätes keine eindeutigen Feststellungen zu einer Schadenursache treffen, geht dies zu Lasten des Produzenten (red. Leitsatz)

Sachverhalt
Die Klägerin ist Sachversicherer einer Immobilie, in der es aufgrund des Defekts einer Friteuse zu einem Brand kam. Sie regressiert gegen die Beklagte als Produzentin der Friteuse.

Die Beklagte hat behauptet, zu dem Brand sei es lediglich gekommen, da die Versicherungsnehmerin der Klägerin einen Sicherungsschalter der Friteuse in unzulässiger Weise arretierte. Die Klägerin hat behauptet, zum Brand der Friteuse kam es durch den Defekt eines Schutztemperaturbegrenzers.

Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat bei der Beklagten als Produzentin der Friteuse um Zurverfügungstellung eines Vergleichsgerätes gebeten. Die Beklagte hat die Zurverfügungstellung des Vergleichsgerätes zugesagt. Trotz mehrfacher gerichtlicher Aufforderung stellte die Beklagte dem gerichtlich bestellten Sachverständigen jedoch kein Vergleichsgerät zur Verfügung. Nach ungefähr einem Jahr gab das Gericht dem Sachverständigen auf, sein Gutachten ohne Hinzuziehung eines Vergleichsgerätes zu erstatten. Der gerichtlich bestellte Sachverständige hat festgestellt, mangels Vergleichsgerätes nicht abschließend feststellen zu können, ob der Brand durch die von der Beklagten behauptete Arretierung eines Schalters oder den Defekt des Schutztemperaturbegrenzers entstand.

Entscheidung
Das Landgericht hat bei der Beweiswürdigung zu Lasten der Beklagten gewertet, dass die Möglichkeit der Fixierung eines Schalters als Brandursache ausscheidet. Die Beklagte hätte ein Vergleichsgerät zur Verfügung stellen müssen, um dem gerichtlich bestellten Sachverständigen anderweitige Feststellung zu ermöglichen. Trotz mehrfacher Ankündigung der Beklagten und mehrfacher Aufforderung des Gerichts hat die Beklagte kein Vergleichsgerät zur Verfügung gestellt. Als Brandursache verblieb also lediglich der von der Klägerin geltend gemachte Defekt des Sicherheitstemperaturbegrenzers.

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Gefahr, die vor sich selbst warnt, muss nicht beseitigt werden

Landgericht Essen, Urteil vom 20.6.2013 — Aktenzeichen: 3 O 99/13 (noch nicht rechtskräftig)

Sachverhalt
Die zum Zeitpunkt des Sturzes 72-jährige Klägerin betrat ein Ladenlokal, in dessen Eingangsbereich ein Elektriker Installationsarbeiten auf einer Leiter ausführte. Sie blieb mit dem Fuß an der Leiter hängen, stürzte, und trug Verletzungen davon. Für diese verlangte sie vom Ladeninhaber und von dem Elektriker Schmerzensgeld.

Entscheidung
Das Landgericht Essen wies die Klage ab. Zwar bestünden grundsätzlich für Ladeninhaber Verkehrssicherungspflichten im Bereich der Verkaufsfläche. Diese könnten im Einzelfall sogar durch konkrete Vereinbarung auf andere übertragen werden.

Vorliegend scheide eine Haftung des Ladeninhabers aber deswegen aus, weil es an der Verletzung von Sicherungspflichten fehle und das Mitverschulden der Klägerin so hoch sei, dass eine eventuelle Pflichtverletzung der Verkehrssicherungspflichtigen daneben nicht mehr ins Gewicht falle. Ein Geschäftskunde hat sich nämlich den gegebenen Verhältnissen anzupassen und das Ladenlokal so hinzunehmen, wie es sich ihm erkennbar darbietet, weil eine vollständige Gefahrlosigkeit nicht erreicht werden kann.

Bei einer Leiter handelt es sich nach Auffassung des Landgerichts um einen Gegenstand, der so groß ist, dass er in jedem Fall vor sich selber warne. Daher musste vor der Leiter als Gefahrenquelle nicht gewarnt und sie auch nicht beseitigt werden.

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Baustellensicherung umfasst nicht offensichtliche Gefahren

AG Dortmund, Urteil vom 19.3.2013 — Aktenzeichen: 429 C 10368/12 (nicht rechtskräftig)

Leitsatz
Durch die Verkehrssicherung muss nicht jede Unfallgefahr ausgeschlossen werden. Es sind nur solche Sicherungsmaßnahmen erforderlich und zumutbar, die ein verständiger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für ausreichend halten darf, um andere vor Schaden zu bewahren.

Sachverhalt
Die Klägerin behauptete, in der Dortmunder Innenstadt über einen Bauzaun gefallen zu sein. Der mehrere Meter lange Metallzaun sei nicht richtig mit den anderen Zaunelementen verbunden gewesen und deshalb auf den Gehweg gestürzt.

Die Beklagte, die die Baustelle betrieb, war der Auffassung, dass vor einer solch offensichtlichen Gefahr nicht gewarnt werden müsse. Der Klägerin sei sehr wohl bewusst gewesen, dass sie sich in einem Baustellenbereich befindet. Im Übrigen behauptete sie, am Vorabend den Zaun ordnungsgemäß abgesichert zu haben.

Entscheidung
Das Amtsgericht Dortmund wies die Klage auf Schmerzensgeld und Schadensersatz ab. Unabhängig von der Frage, ob der Zaun ordnungsgemäß abgesichert worden sei, sei hier eine Verletzung der Verkehrssicherungspflichten von vornherein nicht gegeben.

Der Bereich, in dem die Klägerin zu Sturz kam, war gut einsehbar. Der Klägerin sei bewusst gewesen, dass sie einen Baustellenbereich durchquert. Neben dem streitgegenständlichen Zaunelement hätten sich dort weitere Sperrzäune befunden, die in den Farben rot und weiß gekennzeichnet gewesen seien. Selbst wenn die Klägerin gerade um eine Ecke gebogen sei, so hätte sie das streitgegenständliche Zaunelement schon aufgrund seines Ausmaßes am Boden liegend erkennen müssen, da es nicht unmittelbar hinter der Ecke lag, um die die Klägerin gegangen sein will.

Nach Auffassung des AG Dortmund muss jeder Fußgänger ungeachtet etwaiger Verkehrssicherungspflichten auch die eigene Vorsicht walten lassen. Er kann nicht erwarten, vor jeder Gefahr geschützt zu werden, die ohne Weiteres erkennbar ist und auf die er sich einstellen könnte. Die Klägerin hätte daher schlichtweg vorsichtiger sein müssen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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Sachverständigenhaftung

OLG Koblenz, Beschluss vom 06.08.2012 — Aktenzeichen: 5 W 420/12

Leitsatz
Vor Inkrafttreten des § 839 a BGB haftet ein gerichtlich beauftragter Sachverständiger für eine Falschbegutachtung nur unter den Voraussetzungen des § 826 BGB.

Entscheidung
Das OLG Koblenz hatte zu entscheiden, ob und inwieweit ein gerichtlich beauftragter Sachverständiger vor Inkrafttreten des § 839 a BGB für eine Falschbegutachtung in Anspruch genommen werden kann, nachdem er in einem Vorprozess entgegen der überwiegenden Lehrmeinung eine Hysterektomie als indiziert erachtet hatte.

Dabei wies das OLG Koblenz zunächst darauf hin, dass vor dem Inkrafttreten des § 839 a BGB (01.08.2002) ein gerichtlich beauftragter Sachverständiger nur unter den Voraussetzungen des § 826 BGB haftet.

Sodann führte das OLG Koblenz aus, dass vom Vorliegen dieser in § 826 BGB normierten Voraussetzungen nur dann ausgegangen werden könne, wenn der Sachverständige in bedenken- und gewissenloser Weise eine falsche Begutachtung zum Nachteil des Geschädigten abgegeben und dessen Schädigung zumindest billigend in Kauf genommen habe. Auch wenn der Sachverständige im vorliegenden Fall entgegen der überwiegenden Lehrmeinung im Vorprozess eine Hysterektomie als indiziert erachtet habe, könne damit nicht vom Vorliegen der in § 826 BGB normierten Voraussetzungen ausgegangen werden, weil ein Gutachterstreit und eine kontroverse Diskussion zum Wesen wissenschaftlich ausgerichteter Betätigung gehöre und kein Beleg für eine von vorneherein vorhandene Unredlichkeit sei.

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Eintrittspflicht der Haftpflichtversicherung bei grobem Foulspiel

OLG Karlsruhe, Urteil vom 27.9.2012 — Aktenzeichen: 9 U 162/11

Leitsatz
1. Grätscht ein Fußballspieler mit 20 bis 30 m Anlauf und gestrecktem Bein von hinten in seinen Gegner, ohne den Ball erreichen zu können, so dass sein Gegner in erheblichem Umfang verletzt wird, so lässt der äußere Hergang eines solchen groben Foulspiels grundsätzlich nicht auf einen die Leistungspflicht des Haftpflichtversicherers ausschließenden Verletzungsvorsatz gemäß § 103 VVG schließen.
2. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn der Spieler zuvor den Gegner mit dem Hinweis bedroht hat, ihm bei der nächsten Aktion die Beine zu brechen.

Sachverhalt
Der Kläger verlangte von dem beklagten Haftpflichtversicherer die Freistellung von Ansprüchen des Zeugen S., dem er durch ein grobes Foul bei einem Fußballspiel zweier Vereinsmannschaften u. a. einen Wadenbeinbruch zugefügt hatte.

Nachdem die Klage im erstinstanzlichen Verfahren durch Urteil des LG abgewiesen worden war, hatte auch die Berufung des Klägers keinen Erfolg.

Entscheidung
Das OLG Karlsruhe hat zunächst in seinem Berufungsurteil nochmals darauf hingewiesen, dass auch dann, wenn ein Spieler mit 20 bis 30 m Anlauf und gestrecktem Bein von hinten in seinen Gegner hinein grätscht, ohne den Ball erreichen zu können, diese Indizien in Anbetracht des schnellen und kampfbetonten Fußballsports für sich genommen noch nicht ausreichen, um den Verletzungsvorsatz zu begründen. Nach den weiteren Ausführungen des OLG Karlsruhe kann dieser Grundsatz jedoch dann nicht mehr gelten, wenn der Spieler kurze Zeit vor dem Foulspiel seinem Gegner gedroht habe, ihm bei der nächsten Aktion die Beine zu brechen. Eine solche Drohung lasse jedenfalls in der Zusammenschau mit dem besonderen Umständen im äußeren Hergang des Foulspiels auf einen entsprechenden Vorsatz schließen.

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Neue Rechtsprechung des BGH zur Amtshaftung

BGH, Urteil vom 13.12.2012 — Aktenzeichen: III ZR 226/12

Leitsatz
Beschädigen in einer Kindertagesstätte untergebrachte Kinder Eigentum Dritter, so kommt dem Geschädigten, der gegen eine Gemeinde als Trägerin der Kindertagesstätte wegen Verletzung der den Erzieherinnen der Kindertagesstätte obliegenden Aufsichtspflichten Amtshaftungsansprüche nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG geltend macht, die Beweislastregel des § 832 BGB zugute (Aufgabe des Senatsurteils vom 15. März 1954, III ZR 333/52, BGHZ 13, 25).

Sachverhalt
Der Kläger parkte sein Fahrzeug im Eingangsbereich eines Schulgebäudes, in dem sich auch eine Kindertagesstätte der beklagten Stadt befindet. Am Schadenstag war eine aus acht Kindern bestehende Gruppe der Tagesstätte unter der Leitung einer Erzieherin mit Gartenarbeiten beschäftigt. Drei Kinder dieser Gruppe entfernten sich und warfen mehrere Kieselsteine auf das Fahrzeug des Klägers. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die beklagte Stadt hafte für die an seinem Fahrzeug entstandenen Lackschäden wegen Verletzung der Aufsichtspflicht seitens der Erzieherinnen der Kindertagesstätte.

Das Landgericht hat — die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung des Klägers abgeändert und die Beklagte zur Zahlung verurteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter.

Entscheidung
Der BGH gibt seine frühere Rechtsprechung (BGHZ 13, 25) auf, nach welcher die Beweislastregel des § 832 BGB im Rahmen der Haftung für die Verletzung der öffentlich-rechtlichen Aufsichtspflicht nach § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG nicht zur Anwendung kam.

Zur Begründung führt der BGH aus: Zwar sei für eine unmittelbare Anwendung der deliktsrechtlichen Haftungstatbestände der §§ 823 ff BGB im Fall von Amtspflichtverletzungen grundsätzlich kein Raum, weil § 839 BGB insofern einen Sondertatbestand darstelle. Dies bedeutet indes nicht, dass die besonderen Beweislastregeln der §§ 832, 833 Satz 2 und § 836 BGB im Rahmen der Amtshaftung keine Anwendung finden könnten. Verdrängt würden durch den Sondertatbestand des § 839 BGB lediglich die Haftungstatbestände der §§ 823 ff BGB als solche, nicht hingegen die in ihnen enthaltenen besonderen Beweislastregeln. Wie die Geltung der Beweislastregel der §§ 833, 836 BGB sei auch die Anwendung des § 832 BGB im Bereich der Amtshaftung sachlich gerechtfertigt. Für eine Haftung für eine vermutete Aufsichtspflichtverletzung sprächen dort dieselben Gründe wie im Bereich der privatrechtlichen Haftung. Dem Wesen der Aufsichtspflicht als einer gesetzlichen Pflicht gegenüber dem Geschädigten sei grundsätzlich imanent, dass der Pflichtige Rechenschaft darüber ablege, was er zur Erfüllung seiner Pflicht getan habe. Dem Geschädigten sei auf der anderen Seite der Nachweis der Aufsichtspflichtverletzung häufig unmöglich, da er regelmäßig nicht wissen könne, welche konkreten Maßnahmen zur Erfüllung der Aufsichtspflicht im Einzelfall ergriffen beziehungsweise unterlassen wurden. Die im Bereich der Amtshaftung bis hin zum Anscheinsbeweis geltenden Beweiserleichterungen würden ihm insoweit nicht bereits ausreichend helfen, da sie eine Amtspflichtverletzung gerade voraussetzten.

Um dieser unbilligen Beweisnot Rechnung zu tragen, sei deshalb die Anwendung des § 832 BGB auch im Rahmen des § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG geboten.

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