BGH überträgt Mietwagenrechtsprechung auf Sachverständigengebühren

Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.06.2017 – Aktenzeichen: VII ZR 95/16

Leitsatz
Ein Gutachter, der dem Geschädigten eines Verkehrsunfalls die Erstellung eines Gutachtens zu den Schäden an dem Unfallfahrzeug zu einem Honorar anbietet, das deutlich über dem ortsüblichen Honorar liegt, muss diesen über das Risiko aufklären, dass der gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherer das Honorar nicht in vollem Umfang erstattet (Anschluss an BGH, Urteile vom 28. Juni 2006 – XII ZR 50/04, BGHZ 168, 168; vom 24. Oktober 2007 – XII ZR 155/05, NJW-RR 2008, 470; vom 25. März 2009 – XII ZR 117/07, NJW-RR 2009, 1101).

Sachverhalt
Nach einem durch den Versicherungsnehmer des klagenden KH-Versicherers verschuldeten Unfall ließ der Geschädigte durch den beklagten Kfz-Sachverständigen ein Schadengutachten für die Ermittlung des eingetretenen Schadens erstellen. Hierzu unterzeichnete der Geschädigte eine Honorarvereinbarung, nach der zum einen in Abhängigkeit von der Schadenhöhe ein Grundhonorar berechnet wird und zum anderen Pauschalbeträge für bestimmte Nebenkosten gezahlt werden sollen.

Nach Ermittlung der Reparaturkosten in Höhe von 2.294,44 € netto, berechnete der Beklagte ein Grundhonorar in Höhe von 680,00 € und Nebenkosten in Höhe von 197,40 €, mithin ein Gesamthonorar in Höhe von 877,40 € netto (1.044,11 € brutto).

Nachdem die Klägerin zunächst lediglich einen Teilbetrag reguliert hatte, wurde sie verurteilt, den Geschädigten von dem nicht regulierten Teil freizustellen. Der Geschädigte hat seine Ansprüche gegenüber dem Beklagten im Gegenzug an die Klägerin abgetreten. Die Klägerin begehrt eine Rückzahlung in Höhe von 392,72 €.

Entscheidung
Der BGH bestätigt zunächst das Berufungsgericht dahingehend, dass die Honorarvereinbarung zwischen dem Geschädigten und dem Beklagten nicht nichtig sei. Hierbei verneint der BGH das Vorliegen der Voraussetzungen des Wuchers (§ 138 Abs. 2 BGB), da jedenfalls keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass der Beklagte vorsätzlich das Vorliegen einer besondere Schwächesituation des Geschädigten ausgenutzt habe. Auch ein wucherähnliches Rechtsgeschäft (§ 138 Abs. 1 BGB) läge nicht vor, da kein grobes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gegeben sei. Nach einem in I. Instanz eingeholten Gutachten übersteigt das abgerechnete Honorar das ortsübliche um ca. 400,00 €, mithin um ca. 60 %. Bei einem solchen Verhältnis sei es jedenfalls nicht zu beanstanden, wenn der Tatrichter ein wucherähnliches Rechtsgeschäft verneint, wobei der BGH ausdrücklich offen lässt, ob bei Verträgen der vorliegenden Art die übliche Schwelle von mindestens 90 % für die Annahme eines groben Missverhältnisses erreicht werden muss. Eine Abweichung von 60 % genügte dem BGH jedenfalls noch nicht.

Auch lehnte der BGH eine Sittenwidrigkeit wegen kollusivem Verhaltens des Geschädigten und des Beklagten ab, da zumindest dem Geschädigten die deutliche Überschreitung der ortsüblichen Honorare nicht bekannt sein dürfte und nicht bekannt sein muss.

Allerdings bejaht der BGH eine Beratungspflicht des Sachverständigen gegenüber dem Geschädigten aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB, da sich das Bestehen und der Umfang einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht nach der erkennbaren Geschäftsunerfahrenheit bzw. -erfahrenheit des Vertragspartners richtet. Da der durchschnittliche Geschädigte nicht nur unvermittelt, sondern in der Regel auch erstmals in die Situation gerät, ein Schadengutachten einholen zu müssen, wendet er sich an einen Sachverständigen in der Annahme, dass dessen Kosten, eine volle Einstandspflicht des Unfallgegners unterstellt, vollumfänglich übernommen werden. Demgegenüber ist dem Sachverständigen ebenso wie einem Mietwagenunternehmen bekannt, dass bei einer deutlichen Überschreitung der ortsüblichen Gebühren, das Risiko besteht, dass diese nicht vollständig übernommen werden. Daher ist der Sachverständige nach Treu und Glauben verpflichtet den Geschädigten darüber aufzuklären, dass möglicherweise die Gebühren nicht in vollem Umfang erstattet werden.

Dies ist ihm auch zumutbar, da er keine für die Aufklärung erforderliche gesonderte Marktanalyse durchführen muss, denn es ist davon auszugehen, dass dem Sachverständigen ohnehin die ortsübliche Höhe bekannt ist. Jedenfalls kann der Sachverständige in zumutbarer Weise auf Honorarumfragen etwa der DEKRA oder des TÜV bzw. des Berufsverbandes der freiberuflichen und unabhängigen Sachverständigen zurückgreifen.

Auch der Vorteil, dass dem Geschädigten unter Berücksichtigung der subjektbezogenen Schadensbetrachtung durch die fehlende Aufklärung durch den Sachverständigen durch die Klägerin das Honorar in voller Höhe erstattet worden ist, führt nicht zu einem Erlöschen des Anspruches, sondern vielmehr kann dieser nach Abtretung geltend gemacht werden. Eine Leistung des KH-Versicherers soll nicht den Kfz-Sachverständigen entlasten.

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Grenzen der Verkehrssicherungspflicht

Bundesgerichtshof, Urteil vom 13.6.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 395/16

Ist einem zunächst Verkehrssicherungspflichtigen die Verfügungsgewalt über die Gefahrenquelle durch eine hoheitliche Maßnahme entzogen, trifft ihn keine Sicherungspflicht mehr, auch keine Überwachungspflicht.

Leitsatz
a) Wird dem zunächst Verkehrssicherungspflichtigen mittels einer hoheitlichen Maßnahme (hier: vorzeitige Besitzeinweisung gemäß § 18 f. BFStrG) die tatsächliche Verfügungsgewalt über ein Grundstück gegen oder ohne seinen Willen entzogen und verbleibt bei ihm infolge dieses Entzugs nur noch eine rein formale Rechtsposition im Sinne einer vermögensrechtlichen Zuordnung (Eigentum), so reicht dies für die Begründung einer deiktischen Haftung für die von dem Grundstück ausgehende Gefahr nicht aus.

b) Es verbleibt in solchen Fällen auch kein Raum für eine reduzierte Verkehrssicherungspflicht in Form von Überwachungspflichten.

Sachverhalt
Der Kläger parkte seinen PKW auf einem Grundstück. Aufgrund eines Windstoßes fiel ein Ast auf den Pkw und beschädigte diesen. Der Ast fiel von einem Baum, der sich auf dem Grundstück der Beklagten befand. Allerdings war etwa zwei Jahre zuvor Bundesrepublik Deutschland in den Besitz dieses Grundstücks nach den Regelung des Bundesfernstraßengesetzes eingewiesen worden. Der Kläger verlangte Ersatz seiner Reparaturkosten in Höhe von rd. 6000 Euro unter dem Aspekt der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht.

Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil dahingehend abgeändert, dass es die Klage abgewiesen hat. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidung
Der Bundesgerichtshof hat ausgeführt:

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ergibt sich aus § 823 Abs. 1 BGB grundsätzlich für jeden, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft oder andauern lässt, die Verpflichtung, die notwendigen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, um andere vor Schäden zu bewahren. Im Rahmen dieser Verkehrssicherungspflicht hat derjenige, der die Verfügungsgewalt über ein Grundstück ausübt, soweit möglich und zumutbar grundsätzlich dafür zu sorgen, dass von dort stehenden Bäumen keine Gefahr für die Rechtsgüter anderer — etwa auf öffentlichen Verkehrsflächen oder be- nachbauten Privatgrundstücken — ausgeht.Dazu gehört es, den Baumbestand in angemessenen Zeitabständen zum Beispiel auf Krankheitsbefall oder Äste, die herunterfallen könnten, zu überwachen. 2. Soweit eine Gefahrenquelle dem Einflussbereich des zunächst Verkehrssicherungspflichtigen ganz oder teilweise entzogen ist, kann sich eine neue Zuständigkeitsverteilung ergeben. Für die haftungsrechtliche Zurechnung kommt es dann vor allem darauf an, wer in der Lage ist, die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen, was wesentlich von der tatsächlichen Verfügungsgewalt über die jeweilige Gefahrenquelle abhängen kann. a) Wird die Verkehrssicherungspflicht auf einen Dritten — unter Umständen, aber nicht notwendig unter gleichzeitiger Einräumung des unmittelbaren Besitzes — delegiert, so wird der Dritte für den Gefahrenbereich nach allgemeinen Deliktsgrundsätzen verantwortlich. Damit ist der ursprüngliche Verkehrssicherungspflichtige nicht völlig entlastet. Er bleibt — in Grenzen — zur Überwachung des Dritten verpflichtet und ist insofern neben diesem selbst noch verantwortlich. Dies gilt nicht nur dann, wenn die Verkehrssicherungspflicht vertraglich auf einen Dritten übertragen worden ist, sondern auch, wenn letzterer faktisch die Aufgabe der Verkehrssicherung in dem Gefahrenbereich übernommen hat und im Hinblick hierauf Schutzvorkehrungen durch den ursprünglich Verkehrssicherungspflichtigen unterbleiben, weil sich dieser auf ein Tätigenden des Dritten verlässt. Eine völlige Entlastung des ursprünglich Verkehrssicherungspflichtigen findet auch in den Fällen nicht statt, in denen sich aufgrund der faktischen Gegebenheiten einer Geschäftssparte, etwa bei internationalen Warenlieferungs- und Transportketten, die Verlagerung der Möglichkeiten zur primären Gefahrenbeherrschung auf weitere Beteiligte nicht vermeiden lässt. b) Von den genannten Fällen der Delegierung und der spartentypischen Verlagerung der Verkehrssicherungspflicht sind die Fälle zu unterscheiden, in denen dem zunächst Verkehrssicherungspflichtigen die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Gefahrenquelle gegen oder ohne seinen Willen entzogen wird, er sich seiner Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gefahrenquelle also nicht freiwillig begibt. Verbleibt infolge dieses Entzugs bei dem ursprünglich Verkehrssicherungspflichtigen nur noch eine rein formale Rechtsposition im Sinne einer vermögensrechtlichen Zuordnung (Eigentum), so reicht dies für die Begründung einer deliktischen Haftung für die von der Sache ausgehende Gefahr nicht aus. Auch dort, wo eine öffentlich- rechtliche Herrschaft über eine Sache besteht, wie beispielsweise bei Widmung derselben zum Gemeingebrauch, kann der privatrechtliche Eigentümer dieser Sache sein privates Recht insoweit nicht mehr ausüben und in seiner Rolle als Privateigentümer nichts mehr zur Verkehrssicherung unternehmen. Soweit sein Eigentum durch die hoheitliche Verwaltung zurückgedrängt ist, kann aus ihm (dem Eigentum) eine Rechtspflicht zum Tätigenden nicht hergeleitet werden. Es verbleibt in solchen Fällen auch kein Raum für eine reduzierte Verkehrssicherungspflicht in Form von Überwachungspflichten. Wer mit der zwangsweisen Verlagerung seiner tatsächlichen Verfügungsgewalt auf einen Dritten konfrontiert wird, den er nicht auswählt und auf den er rechtlich nicht einwirken kann, hat diesen nicht zu überwachen. 3. Nach diesen Grundsätzen war die Beklagte zwar ursprünglich verkehrssicherungspflichtig. Sie hatte dafür zu sorgen, dass von den Bäumen auf ihrem Grundstück keine Gefahr auf die Parkfläche ausging. Diese Pflichtenstellung hat sie aber mit Wirksamwerden der vorzeitigen Besitzeinweisung gemäß § 18f FStrG gänzlich verloren; es verblieben auch keine Überwachungspflichten.

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Haftung des SiGeKo? – Eher selten

OLG Köln – Beschluss, Urteil vom 23.11.2016 — Aktenzeichen: 3 U 97/16

Ein Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator kann haften, wenn er gegen seinen Vertrag oder die Baustellenverordnung verstößt und diese Pflichtverletzungen für den Schaden kausal sind. Beweisbelastet ist der Anspruchssteller. Dieser Nachweis ist selten zu führen, wie auch dieser Fall zeigt.

Leitsatz
1. Der Einsturz einer Baugrube beruht nicht auf einer unzureichenden Überwachungstätigkeit des Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinators, wenn der gefährliche Zustand zwischen zwei vorgesehenen Kontrollterminen eingetreten ist.

2. Der Geschädigte trägt die Beweislast dafür, dass der Baustellenunfall auf einer unzureichenden Einweisungstätigkeit des Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinators beruht.

3. Ein Versäumnis ist nicht ursächlich, wenn die einzuweisenden Personen die Gefahrenlage auch ohne die Einweisung erkannt hatten.

Sachverhalt
Die Klägerin nimmt den von ihr als Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinator beauftragten Beklagten wegen eines Arbeitsunfall eines Bauarbeiters in Anspruch. Dieser ist nach dem Einsturz einer Baugrube verletzt worden. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das OLG Köln maß der Berufung keine Aussicht auf Erfolg ein. Daraufhin wurde die Berufung zurück genommen.

Entscheidung
Das OLG verneinte einen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen den SiGeKo. Zwar komme im Fall der Beauftragung eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzkoordinators, dem sog. SiGeKo durch einen Bauunternehmer eine grundsätzliche Haftung desselben in Betracht, hier aber nicht.

Ein durch eine Pflichtverletzung des SiGeKo kausal entstandener Schaden konnte nicht festgestellt werden.

Der Umfang der von einem SiGeKo übernommenen Pflichten ergibt sich zunächst aus dem Vertrag sowie aus § 3 Abs. 2 und 3 Baustellenverordnung (BaustV). Dies gilt auch für die Verkehrssicherungspflicht. Um die Grenze zu einer bloßen Gefährdungshaftung nicht zu verwischen, sei — so das OLG — für die Bestimmung einer eventuellen Pflichtverletzung des SiGeKo zu prüfen, ob von diesem im Rahmen seiner Beauftragung das getan worden ist, was im konkreten Fall unter Berücksichtigung der Vorgaben der BaustV sowie des Vertrags geeignet, angemessen und zumutbar war, um bestehende Gefahren tunlichst abzuwenden. Eine Konkretisierung der Pflicht ergibt sich aus dem Umfang der Überwachungspflichten nach Maßgabe der aufgestellten Sicherheits- und Gesundheitspläne. Danach hatte der SiGeKo zunächst regelmäßige Objektkontrollen durchzuführen. In diesen Bereich fällt auch die Pflicht zur stichprobenartigen Überprüfung gemeinsamer Gerätschaften. Da die Überwachungspflicht grundsätzlich Aufgabe des bauleitenden Architekten ist, erfasst sie auch die Überwachung gefahrenträchtiger Arbeiten. Die Aufgabe des SiGeKo ist daher auf die stichprobenartige Kontrolle der Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften beschränkt.Dementsprechend war — so das Gericht — vorliegend im Vertrag die Überwachungspflicht der SiGeKo auf Begehungen im Abstand von 14 Tagen konkretisiert, die nach den vorgelegten Protokollen auch durchgeführt wurden. Insoweit traf den SiGeKo lediglich die Pflicht, die anlässlich dieser Termine konkret festgestellten Probleme in dem zu fertigenden Protokoll zu dokumentieren. Bei der zeitnah vor den streitgegenständlichen Arbeiten durchgeführten Begehung war allerdings mit den streitgegenständlichen Arbeiten noch nicht begonnen worden, so dass hier auch keine Mängel haben aufgenommen werden können, während der nachfolgende, turnusmäßige Termin erst nach dem Schadensfall erfolgte. Eine Verletzung der Überwachungspflicht kann insoweit nicht festgestellt werden.

Die weitere Pflicht zur Aufstellung eines Sicherheits- und Gesundheitsschutzplans ergibt sich aus dem Vertrag und § 3 II Nr. 2 BaustV. Vorliegend war aufgrund des bindigen Bodens Kapitel 8.2.3 der DIN 4124 (262) anzuwenden. Danach war es so, dass zunächst bis zur Tiefe von 1,25 m ausgebaggert werden, dann aber die Arbeit nur noch in Schritten von jeweils 50 cm fortgesetzt werden durfte. Die beiden Sicherheits- und Gesundheitsschutzpläne, die im Verfahren vorgelegt und unstreitig vor Ort ausgehängt wurden, verweisen auf die BGV C 22 sowie die Anlagen D 112/113. Die BGV C22 enthält dabei nur allgemeine Vorschriften zur Baugrubensicherung. Der weitere Hinweis auf D 113 ergibt aber, dass dort entsprechend der oben genannten DIN von einer maximalen Aushubtiefe von zunächst nur 1,25 m gesprochen wird. Die weitere Einschränkung der nur sukzessiv möglichen Fortsetzung der Aushubarbeiten ist hier allerdings nicht genannt. Damit dürfte hier in Bezug auf den zuletzt genannten Punkt eine Lücke vorliegen, die Anhaltspunkt für eine Pflichtverletzung sein könnte.

Entsprechendes gilt für eine Einweisungspflicht. Der Vertrag sieht vor, dass eine Einweisung aller Aufsichtsführenden und Bauleitenden am Bauvorhaben in den Sicherheitsplan zu erfolgen hatte. Ob dies geschehen ist, ist zwischen den Parteien streitig.

Dies alles könne — so das Gericht — dahinstehen, da etwaige Pflichtverletzungen bezogen auf die Einweisung nicht für den eingetretenen Schaden nachweisbar ursächlich geworden sind. Grundsätzlich trifft den Anspruchssteiler die Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen, also auch für die Kausalität. Dieser Beweis konnte nicht geführt werden.

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Verkehrssicherung an Waldwegen

OLG Saarbrücken, Urteil vom 16.3.2017 — Aktenzeichen: 4 U 126/16

Die Naherholung im Wald birgt Gefahren. Die Wander- und Waldwege sind häufig naturbelassen. Stürzt jemand auf einem solchen Waldweg, stellt sich die Frage der Haftung. Das OLG Saarbrücken setzt die Rechtsprechung fort, dass man für waldtypische Gefahren grundsätzlich nicht haftet.

Leitsatz
1. Im Saarland haftet im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 02.10.2012 — VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 ff.) der Waldbesitzer auch bei Unfällen auf so genannten Premiumwanderwegen grundsätzlich nur für atypische Gefahren, nicht aber für waldtypische Gefahren.

2. Der Geschädigte hat darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass eine atypische Gefahr vorliegt und der Schaden auf einer unfallursächlichen und schuldhaften Verkehrssicherungspflichtverletzung beruht .

Sachverhalt
Die Klägerin verklagt die Gemeinde auf Schadensersatz. Sie sei auf einem Waldweg an einer Holztreppe gestürzt; auf der ersten Stufe von oben kommend habe mittig ein circa 3 cm großer Holzpflock in einer Höhe von circa 10 cm aus dem Boden geragt. Dieser Holzpflock sei nicht erkennbar gewesen, weil die gesamte Treppe mit Laub bedeckt gewesen sei. Die Klägerin, die festes Wanderschuhwerk getragen habe, sei über diesen oben abgeschnittenen Holzpflock gestürzt und habe sich verletzt. Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Gestürzt sei die Klägerin nicht über eine natürlich gewachsene, flachliegende Wurzel, sondern einen herausragenden Holzpfahl. Außerdem habe ein Geländer gefehlt.

Entscheidung
Die Klage hatte keinen Erfolg.

Auf Wanderwegen können nicht sämtliche Gefahren ausgeschlossen werden. Würde man eine völlige Gefahrlosigkeit der Wanderwege fordern, müsste man auf reizvolle Routen im Bergland ebenso wie auf einsame Waldpfade im Flachland aus Haftungsgründen verzichten. Grundsätzlich muss derjenige, der sich in die Natur begibt, mit allen Unwägbarkeiten und Gefahren rechnen. Welche Vorkehrungen bei Wanderwegen im Einzelfall zum Schutz von Leben und Gesundheit zu treffen sind, bestimmt sich nach der Gefahrensituation unter Berücksichtigung des normalen Benutzerkreises. Abzustellen ist dabei auf den durchschnittlichen Wanderer, bei dem man neben guter Kondition auch ein Maß an Erfahrung und Vorsicht voraussetzt. Hingegen können weder der Spaziergänger noch der routinierte Bergwanderer den Maßstab geben. Inhalt und Umfang der Verkehrssicherungspflicht richten sich ferner nach dem Zweck der Einrichtung, mithin nach dem Verkehr, dem der Weg dient. Dieser Zweck wird unter anderem bestimmt durch wegepolizeiliche Anordnungen und die tatsächliche Beschaffenheit des Weges. Von Bedeutung sind weiter die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen sowie die Zumutbarkeit von Maßnahmen.

Waldbesitzer haften grundsätzlich nur für atypische Gefahren, nicht aber für waldtypische Gefahren. Dies gilt auch für Waldwege. Auf der Grundlage des eigenen Sachvortrags der Klägerin ist die vorstehend genannte Haftungsbeschränkung zu beachten. Eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass der Waldbesitzer nicht für waldtypische Gefahren an Waldwegen verantwortlich ist, kommt nicht bereits dann in Betracht, wenn diese stark frequentiert werden.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend keine Verkehrssicherungspflichtverletzung gegeben.

Ein Geländer habe nicht gefehlt. Im Wald stellen selbst unbefestigte und ungesicherte Böschungen für den vorsichtigen Benutzer eines Weges keine unvorhergesehene Gefahrenquelle dar. Eine derartige Situation ist auf Waldwegen nicht ungewöhnlich, sondern alltäglich. Es entspricht allgemeiner Erfahrung, dass die Wegränder uneben, ausgewaschen und abschüssig sein können. Dies alles ist dem Durchschnittsspaziergänger und -wanderer bekannt. Er weiß auch, dass abfallende Stellen durch den Laubfall im Herbst oft nicht sofort zu erkennen sind, und muss diesen üblichen Gefahren durch besondere Vorsicht beim Ausweichen an den Wegrand begegnen. Diese Überlegungen müssen erst recht gelten, wenn es sich nicht um eine unbefestigte und ungesicherte Böschung handelt, sondern die Anforderungen und Gefahren für den Wanderer durch eine Abtretung des Höhenunterschieds, wie hier, geringer sind. Die Anbindung eines Geländers ist jedenfalls bei einem Waldweg, der mittels Abtretung einen Höhenunterschied überwindet, nicht erforderlich. Es wird nicht von jedermann erwartet und kann auch nicht erwartet werden, dass die Benutzung von Wanderwegen sich ähnlich unproblematisch gestaltet wie die Benutzung eines innerörtlichen Spazierwegs oder eines asphaltierten Wirtschaftsweges. Zweckbestimmung des Wanderweges ist es gerade, die geringere Ausbaustufe zugunsten der Naturbelassenheit hinzunehmen, um dem Wanderer ein möglichst unberührtes Bild von der Natur zu gewährleisten. Folglich muss der Verkehrssicherungspflichtige lediglich dafür Sorge tragen, dass die von den Benutzern gehegte Erwartung hinsichtlich der Qualität bzw. Ausbaustufe des Wanderweges nicht von dem abweicht, was im Blick auf bestimmte Gefahrenquellen vorgefunden wird.

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Makler haftet nicht für Schaden einer später gegründeten Drittfirma

Hinweisbeschluss

OLG Köln vom 03.01.2017, Az.: 24 U 131/16

Sachverhalt
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen der Verletzung von Pflichten aus einem Maklervertrag.

Die S GbR hatte die Beklagte beauftragt, einen Grundstückskäufer zu finden. Wenige Tage vor Abschluss des notariellen Kaufvertrages übermittelte die Klägerin der Beklagten ein Kaufpreisangebot über 1,7 Mio €. Dieses wurde nicht an die S GbR weitergeleitet, die daraufhin das Grundstück für etwa 1,4 Mio. € an X verkaufte.

Die Gesellschafter der Klägerin gründeten nach dem Vertragsabschluss zwischen der S GbR und X die A GmbH. Die A GmbH erwarb das Grundstück für 2,3 Mio. € von X.

Als die Klägerin Kenntnis darüber erlangte, dass die S GbR nicht über ihr Angebot informiert worden war, ließ sie sich alle Ansprüche der A GmbH abtreten und nahm die Beklagte auf Zahlung der Differenz zu ihrem Angebot in Höhe von ca. 600.000,00 € in Anspruch.

Entscheidung
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat die Klägerin nach einem Hinweisbeschluss des OLG Köln vom 30.01.2017 zurückgenommen.

Die Klägerin selbst war nicht aktivlegitimiert, da ihr gegenüber möglicherweise Pflichten verletzt worden sind, indem das Angebot nicht weitergeleitet wurde. Sie hatte aber keinen Schaden erlitten.

Im Wege der Abtretung konnte die Klägerin keine Ansprüche der A GmbH erwerben, weil diese möglicherweise einen Schaden hatte, ihr gegenüber aber keine Pflichten verletzt worden sind.

Schließlich konnte die Berechtigung der Klägerin nicht über die Grundsätze der Drittschadensliquidation hergestellt werden, bei denen der Schaden zum Anspruch „gezogen“ wird, wenn Anspruch und Schaden auseinanderfallen und sich dies aus Sicht des Schädigers als zufällig darstellt. In der Regel muss dafür das vertraglich geschützte Interesse aufgrund besonderer Rechtsbeziehungen auf den Dritten verlagert werden. Hierfür hat die Rechtsprechung besondere, allerdings nicht abschließende Fallgruppen geschaffen, u.a. die Fälle mittelbarer Stellvertretung und der Gefahrenentlastung.

Das OLG Köln hat vorliegend eine mit diesen Gruppen vergleichbare Interessenlage verneint. Zwar mochte der Umstand, dass die A GmbH zum Zeitpunkt der Pflichtverletzung noch nicht existierte, auf den ersten Blick eine Nähe zu den Fällen der obligatorischen Gefahrenentlastung z.B. beim Versendungskauf herstellen. Die A GmbH wurde aber — anders als in den Fällen des Versendungskaufes — nicht Vertragspartner der Beklagten.

Vielmehr war nach Auffassung des OLG Köln die zu beurteilende Konstellation einer Vertragskette vergleichbar, bei der der Käufer nach der Rechtsprechung des BGH aber nicht berechtigt ist, den Schaden seines Abnehmers einzufordern.

Schließlich stellte sich die Schadensverlagerung auch nicht als zufällig dar, weil diese durch bewusste Entscheidung, eine neue Gesellschaft zu gründen und damit das Objekt zu erwerben, erst entstanden ist.

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Hausverwalterhaftung bei herabstürzenden Ästen und Bäumen

Beschluss des OLG Oldenburg vom 11.05.2017 — Aktenzeichen: 12 U 7/17

Sachverhalt
Eine Frau hatte ihr Auto unter einer Rotbuche in einer Wohnanlage geparkt. Als sie zum Auto zurückkam, war ein Ast heruntergefallen und hatte das Auto beschädigt. Die Frau verlangt Schadensersatz von der Hausverwaltung, die von den Eigentümern mit der Unterhaltung der Wohnanlage beauftragt worden war. Sie ist der Auffassung, die Hausverwaltung habe den Baum nicht ausreichend untersucht und überwacht. Ein Sachverständigengutachten hatte ergeben, dass die Rinde an der Astgabelung länglich verdickt war, was ein Anzeichen für eine mögliche Instabilität ist. Nach Auffassung der Klägerin hätte die Hausverwaltung fachmännischen Rat einholen müssen.

Entscheidung
Das OLG Oldenburg sieht dies anders. Zwar müsse der Eigentümer eines Baumes grundsätzlich dafür Sorge tragen, dass von dem Baum keine Gefahr ausgehe. Er müsse daher auch Bäume auf Schäden und Erkrankungen und auf ihre Standfestigkeit hin regelmäßig untersuchen. Dies gelte in erhöhtem Maße, wenn der Baum im Bereich von Verkehrsflächen stehe und damit potentiell andere Personen gefährde. Von Gemeinden und Städten sei zu erwarten, dass sie die Straßenbäume regelmäßig von qualifizierten Personen darauf kontrollieren ließen, ob trockenes Laub, dürre Äste, Beschädigungen oder andere Anhaltspunkte vorlägen, die eine nähere Untersuchung der Bäume nahelegten. Für Privatleute seien die Anforderungen aber geringer. Diese müssten nicht laufend, sondern nur in angemessenen zeitlichen Abständen eine äußere Sichtprüfung durchführen. Es könne nur eine – gründliche – Sichtprüfung auf für einen Laien erkennbarer Probleme verlangt werden, also etwa abgestorbene Teile, Rindenverletzungen oder sichtbarer Pilzbefall. Nur wenn danach Probleme erkannt würden, müsse ein Baumfachmann hinzugezogen werden. Vorliegend sei die Instabilität des Baumes nur für ein Baumfachmann mit forstwirtschaftlichem Wissen, nicht aber für einen Laien erkennbar gewesen. Der Hausverwaltung sei daher kein Vorwurf zu machen. Die Klägerin nahm nach dem entsprechenden Hinweis des Senats die Berufung zurück.

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Keine Erstattungsfähigkeit der Kosten für eine Reparaturbestätigung

BGH, Urteil vom 24.1.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 146/16

Leitsatz
Wählte der Geschädigte den Weg der fiktiven Schadensabrechnung, sind die im Rahmen einer tatsächlich erfolgten Reparatur angefallenen Kosten einer Reparaturbestätigung für sich genommen nicht ersatzfähig. Eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung ist insoweit unzulässig.

Sachverhalt
Die Klägerin begehrt restlichen Schadenersatz nach einem Verkehrsunfallereignis, welches unstreitig allein durch den Beklagten verursacht worden ist. Den unfallbedingt eingetretenen Schaden hat die Klägerin durch einen Sachverständigen feststellen lassen. Die anschließende Reparatur wurde durch den Lebensgefährten der Klägerin, einen gelernten Kfz-Mechatroniker, vorgenommen. Für den Fall der Weiterveräußerung bzw. eines neuerlichen Unfalls ließ die Klägerin die Ordnungsgemäßheit der durchgeführten Reparatur durch den Sachverständigen bestätigen. Hierdurch entstanden Kosten in Höhe von 61,88 €, deren Übernahme der beklagte Haftpflichtversicherer ablehnte.

Entscheidung
Der BGH stellt nochmals klar, dass der Geschädigte grundsätzlich die Wahl hat, ob er fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnet. Entscheidet sich jedoch der Geschädigte für die fiktive Schadensabrechnung, sind die im Rahmen einer tatsächlich erfolgten Reparatur angefallenen Kosten nicht erstattungsfähig. Eine Vermischung der Abrechnungsarten ist insoweit unzulässig. Jedoch kann der Geschädigte für den Fall, dass die konkreten Kosten die fiktiven — ggf. nachträglich — übersteigen, zur konkreten Abrechnung übergehen.

Da die verfolgten Kosten für die Reparaturbestätigung jedoch nicht für die gewählte fiktive Berechnungsweise zur Wiederherstellung des Unfallfahrzeuges erforderlich im Sinne des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB gewesen sind, sind diese im Rahmen der fiktiven Abrechnung nicht erstattungsfähig. Es handelt sich hierbei, so der BGH weiter, um eine Position, die auf der Entscheidung der Klägerin beruht, ihr Fahrzeug nicht in einem Fachbetrieb, sondern in Eigenregie reparieren zu lassen.

Abschließend weist der BGH noch darauf hin, dass sich eine Erstattungsfähigkeit der Reparaturbestätigung auch bei fiktiver Abrechnung dann ergeben kann, wenn diese etwa für die Geltendmachung eines Nutzungsausfallschadens und somit zum Nachweis der tatsächlichen fehlenden Gebrauchsmöglichkeit des Fahrzeuges erforderlich ist. Gleiches kann beim Nachweis der Wiederherstellung der Verkehrssicherheit zu berücksichtigen sein.

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Verweisung auf eine „freie“ Fachwerkstatt

BGH, Urteil vom 7.2.2017 — Aktenzeichen: VI ZR 182/16

Sachverhalt
Der BGH hat neuerlich betont, dass der Schädiger den Geschädigten im Rahmen der fiktiven Abrechnung gemäß § 254 Abs. 2 BGB auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne weiteres zugänglichen „freien“ Werkstatt verweisen darf, wenn er darlegt und ggf. beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht. Eine solche Verweisung soll weiterhin bei Fahrzeugen, welche jünger als drei Jahre sind bzw. regelmäßig in markengebundenen Fachwerkstätten gewartet und repariert worden sind, für den Geschädigten unzumutbar sein. Die Begründung hierfür sieht der BGH auch bei älteren Fahrzeugen weiterhin darin, dass bei einem großen Teil möglicher Käufer des Fahrzeuges, bei einer regelmäßigen Wartung und Reparatur des Fahrzeuges in einer markengebundenen Fachwerkstatt eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese ordnungsgemäß und fachgerecht durchgeführt worden ist.

In dem vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt ergab sich die Besonderheit, dass das Fahrzeug des Geschädigten etwa 9 1/2 Jahre alt gewesen ist und nach dem eigenen Vortrag des Klägers zwar die Reparaturen innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Unfallereignis, aber nicht mehr die Inspektionen an dem beschädigten Fahrzeug in einer markengebundenen Fachwerkstatt durchgeführt worden sind. Daher könne der Kläger beim Verkauf nicht damit werben, dass das Fahrzeug ausschließlich in einer markengebundenen Fachwerkstatt gewartet worden ist, weshalb auch der Umstand, dass die Reparaturen in einer markengebundenen Fachwerkstatt durchgeführt worden sind, dies nicht mehr aufwiegen könne.

Bei der Abwägung hat der BGH mitberücksichtigt, dass das klägerische Fahrzeug bei der gegenständlichen Kollision lediglich leicht beschädigt worden ist. Bei einer umfangreichen Beschädigung könnte sich mithin eine abweichende Beurteilung ergeben.

Offen hat der BGH die Frage gelassen, ob die Vornahme nicht „scheckheftrelevanter“ Arbeiten am Fahrzeug, wie etwa ein Reifenwechsel oder der Austausch der Scheibenwischblätter, in einer nicht markengebundenen Fachwerkstatt ebenfalls eine Verweisung auf eine „freie“ Fachwerkstatt ermöglichen würde.

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Räum- und Streupflicht

OLG Hamm, Urteil vom 18.11.2016 — Aktenzeichen: 11 U 17/16

Den Gebietskörperschaften obliegt als Folge der allgemeinen, in Nordrhein-Westfalen hoheitlich ausgestalteten Pflicht zur Erhaltung der Verkehrssicherheit auf den öffentlichen Straßen die Pflicht, innerhalb geschlossener Ortschaften bei Vorhandensein von Schnee- und Eisglätte Räum- und Streumaßnahmen durchzuführen. Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht richten sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Danach sind Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs.

Gefahren, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerichteter Wegebenutzung und trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen, hat der Sicherungspflichtige durch Schneeräumen und Abstreuen mit abstumpfenden Mitteln zu beseitigen.

Allerdings gilt die den Kommunen obliegende Räum- und Streupflicht nicht uneingeschränkt, sondern steht sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht unter dem Vorhalt des Zumutbaren, sodass es namentlich auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt. Zudem hat sich jeder Verkehrsteilnehmer gerade im Winter den ihm erkennbar gegebenen Straßenverhältnissen anzupassen.

Im Bereich geschlossener Ortschaften ist anerkannt, dass eine Streu- und Räumpflicht eine allgemeine Glättebildung voraussetzt und nicht nur das Vorhandensein vereinzelter Glättestellen. Zunächst sind die Fahrbahnen der Straßen an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen bei Glätte zu bestreuen. Zu den wichtigen Verkehrsflächen in dem genannten Sinne zählen vor allem die verkehrsreichen Durchgangsstraßen sowie die vielbefahrenen innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen. Erst danach sind die weniger bedeutenden Straßen- und Wegestrecken zu sichern. Bei öffentlichen Straßen außerhalb der geschlossenen Ortslage sind die für den Kraftfahrzeugverkehr besonders gefährlichen Stellen zu bestreuen. Auf wenig befahrenen Straßen besteht grundsätzlich keine Räum- und Streupflicht, sofern nicht besonders gefährliche Stellen bekannt sind, auf die sich der Straßennutzer nicht einstellen kann.

Eine besonders gefährliche Stelle liegt vor, wenn der Straßenbenutzer bei der für Fahrten auf winterlichen Straßen zu fordernden schärferen Beobachtung des Straßenzustandes und damit zu fordernder erhöhter Sorgfalt den die Gefahr bedingenden Zustand der Straße nicht oder nicht rechtzeitig erkennen und deshalb die Gefahr nicht meistern kann. Demgegenüber liegt eine besonders gefährliche Stelle dann nicht vor, wenn ein umsichtiger Kraftfahrer unter Berücksichtigung der bei winterlichen Temperaturen gebotenen Vorsicht mit dem Auftreten von Glätte an der konkreten Stelle rechnen musste und die Gefahr der Stelle auch erkennbar war.

Dabei ist davon auszugehen, dass die Verkehrsteilnehmer wissen, dass sich aufgrund wechselnder Witterungseinwirkungen — wie insbesondere unterschiedlicher Sonnenbestrahlung, Bodentemperatur oder Bodenfeuchtigkeit — an einzelnen Straßenabschnitten Glätte bilden oder halten kann, auch wenn andere Straßenabschnitte noch oder schon wieder frei von Glätte sind. In einem Gebiet mit — wie vorliegend -neben der Straße befindlichen Waldbeständen muss ein umsichtiger Kraftfahrer daher auch mit überraschendem Auftreten von Glätte rechnen.

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Gestörte Gesamtschuld

OLG Stuttgart, Urteil vom 3.8.2016 — Aktenzeichen: 4 U 106/16

Leitsatz
Erschöpft sich der Mitverursachungsanteil des Fahrzeughalters allein darin, dass er das Fahrzeug einem Fahrer überlässt, mit dem dieser eine Körperverletzung eines Mitfahrers verschuldet, so kommt eine Haftung des Halters im Verhältnis zum Fahrer nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld nicht in Betracht.

Sachverhalt
Die klagende Unfallkasse nimmt den Beklagten zu 1) als Halter und die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherin eines PKW auf Schadensersatz aus nach § 116 Abs. 1 SGB X übergegangenem Recht auf Grund eines Verkehrsunfalles in Anspruch, den die Fahrzeugführerin des PKW durch einfach fahrlässiges Verhalten verschuldete. Die Fahrzeugführerin sowie drei weitere im Fahrzeug befindliche und durch den Unfall verletzte Mitfahrerinnen befanden sich auf einer vom gemeinsamen Lehrer veranlassten Fahrt im Rahmen eines Klassenausflugs. Die Klägerin kam für die Heilbehandlungskosten der Mitfahrerinnen auf. Die Hälfte davon macht sie gegen die Beklagten geltend. Sie hat die Meinung vertreten, dass im Innenverhältnis der Fahrerin und des Halters jede Seite zur Hälfte auf Ersatz der Aufwendungen hafte.

Entscheidung
Ohne eigene Begründung bestätigt das OLG die Entscheidung des Landgerichts, welches die Klage abgewiesen und damit begründet hat, dass sich der Mitverursachungsanteil des Beklagten zu 1) als Halter allein in der Zurverfügungstellung des PKW an die Fahrzeugführerin erschöpfte, weshalb letztlich ein Haftungsanteil des Beklagten zu 1) nicht mehr in Betracht komme. Da der Fahrzeughalter dem Fahrzeugführer nicht für die Betriebsgefahr des Fahrzeugs einzustehen habe, führt dies dazu, dass der aus Verschulden gegenüber einem Dritten haftende Fahrzeugführer im Innenverhältnis zum Fahrzeughalter allein hafte. Deshalb kann der gesetzliche Unfallversicherer in Anwendung der Grundsätze zur Lösung des „gestörten“ Gesamtschuldverhältnisses den Halter des Kfz nur in dem Umfang in Anspruch nehmen, in dem der Halter den Schaden im Innenverhältnis zu den wegen der Schulbezogenheit haftungsprivilegierten Mitschülern zu tragen hätte. Die im Innenverhältnis zwischen der Fahrerin und dem Halter angenommene Alleinhaftung der Fahrerin findet ihre Rechtfertigung darin, dass vom Halter kein neuer, anderer Handlungsstrang eröffnet wurde, sondern sein Mitverursachungsanteil sich allein darin erschöpft, dass er der Fahrerin das Fahrzeug überlassen hat, mit dem diese die Körperverletzung der Mitfahrerinnen verschuldet hatte. Dass hierin der entscheidende Gesichtspunkt zu sehen ist, folgt auch aus der Entscheidung des VI. Zivilsenats des BGH vom 23.3.1993 (VI ZR 164/92, NJW-RR 1993, 911 f). Im Abschnitt II. 3. b) weist der BGH in einer im Wesentlichen vergleichbaren Sachverhaltskonstellation darauf hin, dass eine Haftung des Halters im Verhältnis zum Fahrer in solchen Fällen nicht in Betracht kommt.

Eine gestörte Gesamtschuld bei Pkw-Unfällen ist selten, kann aber wie hier insbesondere dann vorliegen, wenn es sich um Schulfahrten oder betriebliche Sammeltransporte — auch mehrerer Unternehmen — handelt. In diesen Konstellationen kommen die §§ 104 ff. SGB VII häufig zugunsten des den Unfall verursachenden Fahrer zur Anwendung. Es stellt sich dann die Frage, ob auch der Halter wegen § 7 Abs. 1 StVG haftet, wenn er nicht selbst etwa als Fahrer im Pkw saß. Ebenso wie der Arbeitgeber bei Sammeltransport dann nur aus vermutetem Verschulden aus § 831 Abs. 1 BGB haftet, so dass es sich im Innenverhältnis auf § 840 Abs. 2 BGB berufen kann und letztlich frei wird, kann sich auch bei der Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG über die Grundsätze der gestörten Gesamtschuld wegen seiner Haftung nur für die Betriebsgefahr im Innenverhältnis quasi analog § 840 Abs. 2 und 3 BGB voll entlasten, wenn der Fahrer schuldhaft gehandelt hat.

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