Zu den Grundsätzen des Anspruchs auf Schlusszahlung

OLG Köln, Urteil vom 5.7.2017 — Aktenzeichen: 16 U 138/15

Sachverhalt
Die Beklagte beauftragte die Auftragnehmerin mehrfach in den Jahren 2004 bis 2006 mit dem Einbau von Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik. Die jeweiligen Werkleistungen als solche blieben unbeanstandet. Förmliche Abnahmen wurden nicht erklärt, weil die Auftragnehmerin kurz vor Fertigstellung der Projekte insolvent ging. Der bestellte Insolvenzverwalter erteilte die Schlussrechnungen insgesamt i.H.v. rund 170.000,00 €. Zahlungen hierauf erfolgten nur teilweise.

Die Beklagte hat vor dem Landgericht Köln hierzu die Ansicht vertreten, die Vergütungsberechnungen seien nicht nachvollziehbar, insbesondere weil die Auftragnehmerin diesen ein lediglich einseitig erstelltes Aufmaß zugrunde gelegt habe. Auch habe die Auftragnehmerin gegenüber den Schlusszahlungen keinen Vorbehalt erklärt und sei daher mit weiteren Forderungen ausgeschlossen. Jedenfalls sei die Werklohnforderung teilweise erloschen, weil der Beklagten ein Anspruch auf Zahlung einer Vertragsstrafe zustehe.

Entscheidung
In der Berufungsinstanz ist das OLG Köln dieser Rechtsauffassung in wesentlichen Punkten entgegen getreten und hat die folgenden, in Rechtsprechung und Literatur anerkannten Grundsätze zusammengefasst:

1. Im Werklohnprozess ist der Auftragnehmer darlegungs- und beweisbelastet für die Erbringung der in seiner Schlussrechnung geltend gemachten Leistungen, wobei die bloße Darlegung schon durch Vorlage einer nachvollziehbaren Schlussrechnung erfolgen kann.

2. Sodann ist es Sache des Auftraggebers, die fehlende Prüfbarkeit der Schlussrechnung im Einzelnen zu rügen. Legt der Auftragnehmer ein Aufmaß vor und hat der Auftraggeber konkrete Kenntnis von den erbrachten Leistungen, darf der Auftraggeber nicht einfach pauschal das Aufmaß bestreiten, sondern muss vielmehr darlegen, welche Positionen aus welchen Gründen unrichtig sind.

3. Die Abnahme kann auch dadurch erfolgen, dass der Auftraggeber in die Prüfung der Schlussrechnung eintritt. Um sich in diesem Falle einen Vertragsstrafe-Anspruch zu erhalten, muss der Auftraggeber im zeitlichen Zusammenhang zur Rechnungsprüfung einen Strafvorbehalt erklären; anderenfalls kann er die Vertragsstrafe nicht verlangen.

4. Damit eine Äußerung des Auftraggebers als Schlusszahlungserklärung gilt, muss darin unmissverständlich zum Ausdruck kommen, dass endgültig keine weiteren Zahlungen geleistet werden. Ein in einem Schreiben des Auftraggebers aufgeführter 3-facher Einbehalt für diverse Mängel erfüllt diese Voraussetzungen nicht, denn die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts ist nicht als endgültige Zahlungsverweigerung anzusehen.

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Populäre Rechtsirrtümer am Bau – heute: Optischer Mangel, kleiner Minderwert

Sachverhalt
Optischer Mangel – kleiner Minderwert

Das war eine Standardansage, die ich zu Beginn meiner Anwaltstätigkeit von einem Mandanten – einem Gewerbehallenbauer – regelmäßig gegenüber Mängelrügen von Bestellern zu hören bekam. Auch heute begegnet einem der Satz so oder ähnlich öfter. Wahrheit oder Irrtum?

Ausgangslage
Ein Mangel ist – machen wir es heute kurz – die Abweichung der Ist-Beschaffenheit von der vorauszusetzenden Soll-Beschaffenheit. Tritt ein solcher Mangel auf, hat der Besteller zunächst ein Recht auf Nacherfüllung. Der Unternehmer hat die Wahl, wie er den Mangel beseitigt. Am Bau wird er regelmäßig die Nachbesserung wählen.

Nach § 635 Abs. 3 BGB kann der Unternehmer die Nacherfüllung verweigern, wenn sie unmöglich oder nur mit unverhältnismäßigen Kosten möglich ist. Damit endet auch schon der gesetzliche Befund.

Kein Anspruch des Bestellers auf Minderwert

Die erste Aussage, auch wenn er meistens nicht im Zentrum des Interesses steht, ist daher: Der Kunde kann nicht wählen, ob er einen Minderwert haben möchte, auch nicht bei nur optischen Mängeln. Will der Unternehmer nachbessern, so darf er das.

Was sind unverhältnismäßige Kosten?

Meistens ist es anders. Der Auftragnehmer wäre froh, wenn er manche Mängelpunkte durch einen Abzug vom Werklohn abgelten könnte. Ein Anspruch auf dieses Vorgehen besteht nur bei unverhältnismäßigen Kosten. An diesem Rechtsbegriff arbeiten sich Juristen und Ingenieure ab, mit durchaus unterschiedlichen Resultaten.

Einig ist man sich, dass es jedenfalls nicht auf die Kosten der Mangelbeseitigung als solche ankommt, auch nicht auf diese Kosten im Verhältnis zum Auftragswert oder zum Wert des mangelhaften Bauteils. Wesentlich ist das Verhältnis zwischen dem Vorteil, den der Kunde durch die Nachbesserung erreichen kann und den andererseits bei der Nachbesserung entstehenden Kosten. Diese beiden Dinge sollen in einem gesunden Verhältnis zueinander stehen.

Im Einzelfall kann das schwierig zu entscheiden sein. Eine Faustregel ist jedenfalls, dass bei einer spürbaren Funktionsbeeinträchtigung regelmäßig Nachbesserung verlangt werden kann — auch wenn es teuer ist. Ein klassisches Beispiel ist das nachträgliche „Zersägen“ von Doppelhaushälften, wenn es in der Trennfuge Schallbrücken gibt. Wenn deutliche Vorteile beim Schallschutz erzielt werden, wird der Erwerber auch bei hohen Kosten das Recht haben, Nachbesserung zu verlangen.

Man muss andererseits eine fühlbare Beeinträchtigung voraussetzen. Ob eine teure Nachbesserung noch erzwungen werden kann, wenn die Heizungsanlage statt einer vereinbarten Raumtemperatur von 22,0°C nur eine solche von 21,8°C erreichen kann, ist zu bezweifeln.

Der typische optische Mangel beeinträchtigt die Funktion gerade nicht. Auch das zerbeulte Auto fährt, auch die krumme Wand steht, auch die verkratzte Heizung wärmt. Hier kommt es auf den Einzelfall an. Zum einen natürlich auf die Kosten der Nachbesserung, zum anderen darauf, welche Stellenwert denn die Optik gerade des betroffenen Bauteils einnimmt. Zum Beispiel: Der Schiefstand einer Betonstütze in einer Tiefgarage oder bestimmte optische Mängel in einer Industriehalle sind eher zu tolerieren als optische Mängel dort, wo Kunden bewusst in „etwas Schönes“ investiert haben, so beispielsweise in ein neues Badezimmer, obwohl durchaus Dusche, Toilette und Warmwasser funktionsfähig schon vorher vorhanden waren.

Das gilt übrigens auch, wenn die Optik nicht objektiv „verschandelt“ ist, sondern nur eine andere – vielleicht für Dritte ebenso schöne – Fliesensorte eingebaut ist oder ein anderes Waschbecken als bestellt.

Die Ingenieure nähern sich dem Thema gerne durch Tabellen und Methoden. Bekannt sind beispielsweise die Zielbaummethode zur Ermittlung von Wertminderungen. Oder auch die Matrix zur Mängelbewertung von Oswald. Diese Methoden sind auch für Juristen interessant, weil sie einem die Möglichkeit geben, sich mit Argumenten an die Fragestellung anzunähern, statt nur „nach Gefühl“ vorzugehen. Man darf solche Tabelle aber auch nicht einfach „anwenden“, denn sie haben keine eigene Stütze im Gesetz, sondern versuchen auch nur eine Abbildung dessen, was unverhältnismäßige Kosten sind.

Wie ermittelt sich der Minderwert, wenn die Nachbesserung verweigert werden kann?

Hier kommt es auf den Einzelfall an, der ja eher auf den Bagatellcharakter zulaufen kann oder eben auch deutlichere Mängel abdecken muss. Jedenfalls sollte der Minderwert immer unterhalb der Nachbesserungskosten liegen, denn sonst kann man ja — außer bei wirklicher Unmöglichkeit — lieber die Nachbesserung wählen. Erreicht nach einigem Nachdenken der anzusetzende Minderwert beträchtliche Größenordnungen von vielleicht 30 bis 50 % der Nachbesserungskosten, sollte man noch einmal überprüfen, ob nicht doch die Nachbesserung geschuldet ist. Denn auch der ermittelte Minderwert zeigt dann ja eine deutliche Beeinträchtigung auf.

Fazit
Es gilt also nur eine Regel: Ist die Mangelbeseitigung für den Unternehmer unzumutbar und beruft er sich darauf, führt dies zu einem Minderwert statt zur Nachbesserung. Der optische Mangel ist aber nicht etwa automatisch nur mit einem Minderwert zu belegen. Im gewerblich-industriellen Bereich ist das eher der Fall, wenn dort die technische Funktion sehr stark im Vordergrund steht. Die Optik kann aber auch eine sehr wichtige Funktion sein, insbesondere dann, wenn eigens dafür viel Geld angelegt wird. Dann kann auch bei optischen Mängeln ohne weiteres Nachbesserung verlangt werden.

Mein Hallenbauer gab übrigens seinen neuen Wagen wegen kleinerer Lackfehler ganz selbstverständlich zurück und erhielt ein anderes Fahrzeug. Von wegen „optischer Mangel – kleiner Minderwert“. Es ist eben alles eine Frage der Perspektive…

Dieser Beitrag erschien zunächst in unserer regelmäßige Kolumne in der Fachzeitschrift TAB – Technik am Bau

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Abmahnung muss auf rechtliche Konsequenzen hinweisen!

BGH, Urteil vom 12.10.2011 — Aktenzeichen: VIII ZR 3/11

Leitsatz
Für eine Abmahnung nach § 314 BGB genügt die bloße Rüge vertragswidrigen Verhaltens nicht; darüber hinaus muss aus der Erklärung des Gläubigers für den Schuldner deutlich werden, dass die weitere vertragliche Zusammenarbeit auf dem Spiel steht und er für den Fall weiterer Verstöße mit rechtlichen Konsequenzen rechnen muss.

Sachverhalt
Die Parteien verbindet ein Factoringvertrag. Nach dem Factoringvertrag sollte die Klägerin zusätzlich zu einer jährlichen Factoringgebühr für die Bevorschussung des jeweiligen Kaufpreises Zinsen entrichten. Im Januar 2009 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie ab sofort höhere Zinsen für die Bevorschussung des jeweiligen Kaufpreises berechnen werde. Dem widersprach die Klägerin. Trotzdem berechnete die Beklagte in den Folgemonaten den erhöhten Vorschusszins. Mit Schreiben vom 30.04.2009 wies die Klägerin darauf hin, dass die Zinsberechnung der Beklagten nicht dem vereinbarten Vertrag entspreche. Sie bat darum, wieder den vertraglich vereinbarten Zinssatz abzurechnen. Da die Beklagte weiterhin den erhöhten Zinssatz berechnete, kündigte die Klägerin den Factoringvertrag vorzeitig. Die Beklagte war der Ansicht, dass die fristlose Kündigung unwirksam sei und hat daher einen Betrag in Höhe von 51.968,57 € einbehalten. Der Klage der Klägerin auf Zahlung dieses Betrages nebst Zinsen wurde in der Berufungsinstanz stattgegeben. Hiergegen wandte sich die Beklagte mit der Revision.

Entscheidung
Der BGH hält die Revision für begründet. Eine Kündigung des Factoringvertrages aus wichtigem Grund ist unwirksam, weil es an einer vorherigen Abmahnung des vertragswidrigen Verhaltens fehlt, auf das die Klägerin die von ihr erklärte vorzeitige Kündigung gestützt hat. Nach § 314 Abs. 2 BGB ist eine auf eine Verletzung vertraglicher Pflichten gestützte Kündigung aus wichtigem Grund grundsätzlich erst nach Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach erfolgloser Abmahnung zulässig. Eine Abmahnung muss den Schuldner darauf hinweisen, dass er vertragliche Pflichten verletzt hat und ihm für den Fall eines weiteren Vertragsverstoßes Konsequenzen drohen. Dabei ist zwar keine ausdrückliche Kündigungsandrohung erforderlich, jedoch muss aus der Erklärung des Gläubigers für den Schuldner deutlich werden, dass die weitere vertragliche Zusammenarbeit auf dem Spiel steht. Eine Abmahnung nach § 314 BGB setzt zumindest eine konkludente Androhung vertragsrechtlicher Konsequenzen voraus.

Praxishinweis
Sollten in einem Vertragsverhältnis Gründe vorliegen, die zur außerordentlichen Kündigung berechtigen, muss der Kündigende zuvor das vertragswidrige Verhalten gegenüber dem Vertragspartner abmahnen. Wichtig ist hierbei, dass der Kündigende zumindest darauf hinweist, dass bei einer weiteren Zuwiderhandlung des abgemahnten Verhaltens rechtliche Konsequenzen drohen, insbesondere die Beendigung des Vertrages mit sofortiger Wirkung. Zumindest sollte aus einer Abmahnung schlüssig hervorgehen, dass der Abmahnende sich weitere Zuwiderhandlungen nicht mehr gefallen lässt und das Vertragsverhältnis im schlimmsten Fall beenden wird.

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Reform des § 522 ZPO

Das Gesetz zur Änderung des § 522 ZPO ist mit dem 27.10.2011 in Kraft getreten. Damit gibt es nunmehr eine Rechtsmittelmöglichkeit bei Beschlüssen nach § 522 Abs. 2 ZPO, mit denen das Berufungsgericht die Berufung einstimmig als unbegründet zurückweist. Die Neuregelung findet auf alle derartigen Beschlüsse Anwendung, die ab dem 27.10.2011 erlassen werden.

Nach der zum 01.01.2002 in Kraft getretenen ZPO-Reform vom 27.07.2001 waren die Berufungsgerichte nach § 522 Abs. 2 und 3 ZPO verpflichtet, eine Berufung unabhängig vom Streitwert und ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen und vor allem unanfechtbaren Beschluss zurückzuweisen, wenn sie davon überzeugt waren, dass

1) die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat,
2) die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und
3) die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert.

Künftig sind die — nach wie vor möglichen – Zurückweisungsbeschlüsse nach § 522 Abs. 2 ZPO in gleicher Weise anfechtbar wie Berufungsurteile. Ab einem Streitwert von € 20.000 ist die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH statthaftes Rechtsmittel.

Darüber hinaus ist nunmehr als zusätzliche Voraussetzung erforderlich, dass die Berufung offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg ist und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Zudem ist die Entscheidung, eine Berufung bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, nicht mehr zwingend, sondern als Soll-Vorschrift ausgestaltet.

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Ist das Verbot des Angebots von Sportwetten im Internet wirksam?

BGH, Urteil vom 28.9.2011 — Aktenzeichen: I ZR 92/09

Sachverhalt
In der Entscheidung des BGH ging es um die Frage, ob in- und ausländische Wettunternehmen nach dem Inkrafttreten des Glücksspielstaatsvertrages am 01.01.2008 ihr Wettangebot im Internet für deutsche Spieler bewerben und anbieten dürfen. Die Wettunternehmen wurden von verschiedenen staatlichen Lottogesellschaften auf Unterlassung, Auskunft und Feststellung einer Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen. Die Klagen waren vor den Instanzgerichten überwiegend erfolgreich.

Entscheidung
Der Bundesgerichtshof hat die Klagen der Lottogesellschaften für begründet erachtet. Gemäß § 4 IV des Glücksspielstaatsvertrages sei es in- und ausländischen Wettunternehmen in Deutschland verboten, ihr Wettangebot im Internet anzubieten. Daran ändere auch eine durch einen anderen Mitgliedsstaat der EU (z. B. Gibralta oder Malta) erteilte Erlaubnis nichts.

Das Verbot von Glücksspielen im Internet verstoße auch nicht gegen die Dienstleistungsfreiheit in der europäischen Union. Zwar stelle das Verbot eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar; diese sei aber durch die verfolgten Ziele des Verbotes, wie Suchtbekämpfung, Jugendschutz und Betrugsvorbeugung gerechtfertigt. Wegen der größeren Gefahren des Internets, insbesondere wegen der Anonymität, der fehlenden sozialen Kontrolle und der jederzeitigen Verfügbarkeit, könne der Vertriebsweg über das Internet stärker als herkömmliche Absatzwege eingeschränkt werden.

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Änderung der BGH-Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des besonderen Gerichtsstandes der Widerklage auf isolierte Drittwiderklagen gegen den Zedenten der Klageforderung

BGH, Beschluss vom 30.9.2010 — Aktenzeichen: Xa ARZ 191/10

Leitsatz
Die Bestimmung über den besonderen Gerichtsstand der Widerklage ist auf Drittwiderklagen gegen den bisher nicht am Verfahren beteiligten Zedenten der Klageforderung entsprechend anwendbar.

Sachverhalt
Die Klägerin, ein zahnärztliches Rechenzentrum, hat aus abgetretenem Recht eines Zahnarztes gegen den Beklagten einen zahnärztlichen Honoraranspruch geltend gemacht. Der Beklagte hat gegen den Zahnarzt, also den Zedenten der Klageforderung, Drittwiderklage mit der Feststellung erhoben, dass diesem Ansprüche aus zahnärztlicher Behandlung nicht zustehen. Der Drittwiderbeklagte hat die Unzuständigkeit des Landgerichts der Klage für die Widerklage gerügt.

Nach einem Gerichtsstandsbestimmungsantrag des Beklagten musste sich der BGH nach Vorlage durch das OLG München mit der Frage befassen, ob ein gemeinsamer Gerichtsstand bestimmt werden kann oder das Landgericht der Klage auch für die isolierte Drittwiderklage zuständig ist.

Entscheidung
Der BGH hat entscheiden, dass § 33 ZPO auf Drittwiderklagen gegen den bisher nicht am Verfahren beteiligten Zedenten der Klageforderung entsprechend anzuwenden ist. Damit weicht der BGH von seiner bisherigen Rechtsprechung ab, wonach § 33 ZPO für den bisher nicht am Verfahren beteiligten Drittwiderbeklagten keinen Gerichtsstand am Gericht der Klage begründet (vgl. BGH, Urteil vom 5.4.2001, VII ZR 135/00).

Die Änderung seiner Rechtsprechung begründet der BGH damit, dass der besondere Gerichtsstand des § 33 ZPO seinen Grund darin habe, dass bei Bestehen eines Sachzusammenhanges die Verfahrenskonzentration gefördert und zugleich ein prozessuales Gleichgewicht hergestellt werden solle. Zusammenhängende Ansprüche sollen einheitlich verhandelt und entschieden werden, um eine Vervielfältigung und Zersplitterung von Prozessen über einen einheitlichen Lebenssachverhalt und die damit einhergehende Gefahr sich widersprechender Entscheidungen zu vermeiden. Ferner sei es dem Zedenten der Klageforderung zumutbar, sich vor dem Gericht der Klage auf die Verhandlung und Entscheidung zusammenhängender Ansprüche einzulassen. Dass der Zessionar nach § 35 ZPO einen Gerichtsstand gewählt haben möge, der dem Zedenten nicht genehm sei, ändere hieran nichts, da der Zedent mit der Abtretung die Ausübung des Wahlrechts nach § 35 ZPO durch den Zessionar in Kauf genommen habe.

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Heimliche Aufzeichnung von Telefonaten nicht erlaubt

OLG Stuttgart, Urteil vom 18.11.2009 — Aktenzeichen: 3 U 128/09

Der Volksmund sagt: Wer schreibt, der bleibt. Die Praxis sieht anders aus. Vieles erfolgt auf Zuruf, vieles wird mündlich abgesprochen. Hinterher gibt es Beweisprobleme. Dies dachte sich auch der Kläger, als er ein Telefonat heimlich mitschnitt, in dem sein Gesprächspartner (der Beklagte) bestätigte, von ihm als Anzahlung für einen Grundstückskauf einen sechsstelligen Betrag bar erhalten zu haben. Im späteren Verfahren, in dem der Kläger Rückzahlung des Betrages verlangte, bestritt der Beklagte, dieses Geld erhalten zu haben. Triumphierend präsentierte der Kläger seinen Telefonmitschnitt und dachte an einen Klageerfolg. Seine Rechnung ging aber nicht auf.

Entscheidung
Das Landgericht wies die Klage ab. Den Antrag des Klägers, seine heimlich gefertigte Tonbandaufnahme betreffend das in Rede stehende Telefonat mit dem Beklagten abzuspielen, lehnte das Gericht ab, nachdem der Beklagte sein Einverständnis versagte. Und dies zu Recht, sagte das Oberlandesgericht Stuttgart in zweiter Instanz. Ohne Zustimmung des Betroffenen sei es grundsätzlich unzulässig, einen heimlichen Mitschnitt eines Telefongesprächs im Zivilprozess zu verwerten; denn die Aufzeichnung verletze das Persönlichkeitsrecht des anderen Gesprächsteilnehmers.

Hinweis:

Diese strenge Rechtsprechung gilt auch für das Mithören von Telefonaten. Wird zu Beginn eines Telefongespräches auf die Anwesenheit einer dritten Person und das Einschalten des Lautsprechers hingewiesen und widerspricht der Gesprächspartner nicht, ist sein Verhalten als Zustimmung zu werten. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, Beschluss vom 09.10.2002. Der Mithörende kann für diesen Hinweis als Zeuge benannt werden, er muss dann im Zivilprozess dazu vernommen werden. Ohne einen Hinweis auf den mithörenden Dritten und das Lautstellen oder bei Widerspruch des Gesprächspartners ist das Mithören nicht gestattet. Die landläufige Meinung, dass jedenfalls im Geschäftsleben aufgrund der Verbreitung von Mithöreinrichtungen jederzeit mit Mithörern zu rechnen sei, ist lange überholt.

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Gerichtliche Dichtkunst

LG Frankfurt, Urteil vom 17.2.1982 — Aktenzeichen: 2/22 O 495/81

Leitsatz:
Auch eine Mahnung in Versen begründet Verzug;
der Gläubiger muss nur deutlich genug
darin dem Schuldner sagen,
das Ausbleiben der Leistung werde Folgen haben.

Tatbestand und Entscheidungsgründe:
Maklerlohn begehrt der Kläger
mit der Begründung, daß nach reger
Tätigkeit er dem Beklagten
Räume nachgewiesen, die behagten.

Nach Abschluß eines Mietvertrages
habe er seine Rechnung eines Tages
dem Beklagten übersandt;
der habe darauf nichts eingewandt.

Bezahlt jedoch habe der Beklagte nicht.
Deshalb habe er an ihn ein Schreiben gericht`.
Darin heißt es unter anderem wörtlich
(und das ist für die Entscheidung erheblich):

„Das Mahnen, Herr, ist eine schwere Kunst!
Sie werden`s oft am eigenen Leib verspüren.
Man will das Geld, doch will man auch die Gunst
des werten Kunden nicht verlieren.

Allein der Stand der Kasse zwingt uns doch,
ein kurz` Gesuch bei Ihnen einzureichen:
Sie möchten uns, wenn möglich heute noch,
die unten aufgeführte Schuld begleichen.“

Da der Beklagte nicht zur Sitzung erschien,
wurde auf Antrag des Klägers gegen ihn
dieses Versäumnisurteil erlassen.
Fraglich war nur, wie der Tenor zu fassen.

Der Zinsen wegen! Ist zum Eintritt des Verzug`
der Wortlaut obigen Schreibens deutlich genug?
Oder kommt eine Mahnung nicht in Betracht,
wenn ein Gläubiger den Anspruch in Versen geltend macht?

Die Kammer jedenfalls stört sich nicht dran
und meint, nicht auf die Form, den Inhalt kommt`s an.
Eine Mahnung bedarf nach ständiger Rechtsprechung
weder bestimmter Androhung noch Fristsetzung.

Doch muß der Gläubiger dem Schuldner sagen,
das Ausbleiben der Leistung werde Folgen haben.
Das geschah hier! Trotz vordergründiger Heiterkeit
fehlt dem Schreiben nicht die nötige Ernstlichkeit.

Denn der Beklagte konnte dem Schreiben entnehmen,
er müsse sich endlich zur Zahlung bequemen,
der Kläger sei — nach so langer Zeit –
zu weiterem Warten nicht mehr bereit.

Folglich kann der Kläger Zinsen verlangen,
die mit den Zugang des Briefs zu laufen anfangen.
Der Zinsausspruch im Tenor ist also richtig.
Dies darzulegen erschien der Kammer wichtig.

Wegen der Entscheidung über die Zinsen
wird auf §§ 284, 286, 288 BGB verwiesen.
Vollstreckbarkeit, Kosten beruhen auf ZPO-
Paragraphen 91, 708 Nummer Zwo.

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Herstellervorschriften und/oder anerkannte Regeln der Technik: Was gilt?

Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.7.2009 — Aktenzeichen: VII ZR 164/08

Leitsatz
Eine mit der Grundüberholung einer technischen Anlage beauftragte Fachwerkstatt hat die hierfür geltenden, über die anerkannten Regeln der Technik hinausgehenden Anforderungen des Herstellers möglicherweise dann zu beachten, wenn sie die Sicherheit des Betriebs dieser Anlage betreffen.

Sachverhalt
Der Betreiber eines Hallenbades beauftrage die Beklagte mit der Generalüberholung eines Zwölf-Zylinder-Gasmotors der Firma C. beauftragt.

Die Beklagte tauschte dabei entgegen den Wartungsvorschriften des Herstellers die Befestigungsschrauben der Kontergewichte auf der Kurbelwelle nicht aus, sondern verwendete diese nach Überprüfung erneut. Die Wartungsvorschriften der Firma C. waren der Beklagten nicht zugänglich, weil sie kein von der Firma C. autorisiertes Fachunternehmen war. Andere Hersteller vergleichbarer Motoren ließen aber zum Teil eine Weiterverwendung der Befestigungsschrauben nach Überprüfung zu.

Nach Inbetriebnahme des generalüberholten Motors riss infolge des Bruchs zweier Befestigungsschrauben ein Gegengewicht der Kurbelwelle ab und verursachte erhebliche Folgeschäden am Motor. Einen Teil der daraus entstandenen Schäden verlangt die Klägerin von der Beklagten ersetzt.

Das Landgericht hat der Klage zunächst teilweise stattgegeben. In der Berufungsinstanz wurde das Urteil des Landgerichts jedoch aufgehoben und die Klage abgewiesen mit der Begründung, der Beklagten sei keine schuldhafte Pflichtverletzung anzulasten, weil sie mit der Weiterverwendung der Schrauben nach gewissenhafter Prüfung nicht gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verstoßen habe.

Entscheidung
Diese Einschätzung bedarf nach Ansicht des BGH einer weiteren Überprüfung:

Der BGH hebt das Berufungsurteil daher auf und verweist die Sache an das Berufungsgericht zurück. Die Beklagte sei — auch nach erfolgter Sichtprüfung — möglicherweise nicht befugt gewesen, die Schrauben erneut zu verwenden. Ob ausgebaute Teile zu erneuern seien, richte sich nach den anerkannten Regeln der Technik. Über die anerkannten Regeln der Technik hinausgehende Anforderungen des Herstellers für die Grundüberholung und Wartung seien möglicherweise jedenfalls dann zu beachten, wenn sie die Sicherheit des Betriebs einer technischen Anlage beträfen. Diese Sicherheitsanforderungen fußten auf der eigenen Einschätzung des Herstellers. Der Besteller — hier der Betreiber des Hallenbades – sei regelmäßig nicht bereit, das Risiko einer anderen Einschätzung zu übernehmen. Vielmehr erwarte er, dass sich ein Fachunternehmen die Wartungsvorschriften beschaffe und diese beachte.

Genaueres müsse nun aber das OLG aufklären. Die Sache wird daher u.a. hinsichtlich des behaupteten Pflichtenverstoßes neu aufgerollt.

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Bundesgerichtshof bremst Schwarzparker aus

Bundesgerichtshof, Urteil vom 5.6.2009 — Aktenzeichen: V ZR 144/08

Sachverhalt
Der Kläger stellte sein Fahrzeug unbefugt auf einen Parkplatz eines Einkaufszentrums ab, ohne dort einzukaufen. Die Schilder wiesen ausdrücklich darauf hin, dass widerrechtlich abgestellte Fahrzeuge abgeschleppt werden. Dies geschah dann auch. Als der Kläger zurück zum Parkplatz kam und sein Fahrzeug nicht mehr vorfand, erfuhr er, dass sich das Fahrzeug beim Abschleppunternehmen befinde. Dort musste der Kläger das Fahrzeug gegen Bezahlung der Abschleppkosten (150,00 €) auslösen. Diesen Betrag verlangte er vom Parkplatzbesitzer erstattet.

Ohne Erfolg.

Entscheidung
Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, dass der Parkplatzbesitzer berechtigt gewesen sei, das Fahrzeug abschleppen zu lassen. Das unbefugte Abstellen des Fahrzeugs sei eine Beeinträchigung des unmittelbaren Besitzes an der Parkplatzfläche und damit letztlich als verbotene Eigenmacht zu qualifizieren. Zur Beseitigung dieser Beeinträchtigung habe der Parkplatzbesitzer sofort sein ihm von dem Gesetz gewährtes Selbsthilferecht (§ 859 BGB) ausüben dürfen. Auch wenn dies prinzipiell nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht schrankenlos gelte, habe er hier — auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit — keiner Einschränkung unterlegen. Selbst wenn auf dem Gelände andere Parkplätze noch frei gewesen wären — mit diesem Einwand verteidigte sich der Kläger -, stünde dies der Befugnis des Parkplatzbesitzers zum Abschleppen nicht entgegen. Denn der unmittelbare Grundstücksbesitzer könne sich der verbotenen Eigenmacht unabhängig davon erwehren, welches räumliche Ausmaß sie habe und ob sie die Nutzungsmöglichkeit von ihr nicht betroffener Grundstücksteile unberührt lasse. Dieses Recht habe der Grundstücksbesitzer nicht anders als durch Abschleppen durchsetzen können. Dass er sich dabei des Abschleppunternehmens bedient habe, sei grundsätzlich nicht zu beanstanden.

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