§§ 836, 837 BGB bei einer Bautreppe

Michael PeusMichael Peus

Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 11. Januar 2023 – 4 U 136/21

Der Generalunternehmer, der eine Bautreppe errichtet, ist Besitzer derer im Sinne des § 837 BGB, so dass er bei deren Einsturz gemäß § 836 BGB haften kann.

Sachverhalt

Der Generalunternehmer errichtete eine hölzerne Bautreppe, damit die Arbeiter der Subunternehmer bereits vor Einbringung der geplanten Treppe in den oberen Stockwerken arbeiten konnten. Für Arbeiten am Innenputz wurde durch eine Subunternehmerin die Treppe einmal abgeschraubt und anschließend ohne Verschraubung hingestellt. Anschließend verletzte sich ein Arbeiter einer anderen Firma, als die Treppe ins Rutschen geriet und er 2,5m tief stürzte. Streitgegenständlich sind Ansprüche wegen der Schädigung. In Anspruch genommen wird zuletzt nur noch die Generalunternehmerin.

Das Landgericht hatte die Klage (mit sozialrechtlichem Hintergrund) abgewiesen. Das Landgericht begründete dies damit, dass der Nachweis einer Pflichtverletzung nicht geführt sei. Dagegen wurde klägerseits Berufung eingelegt.

Entscheidungsgründe

Die Berufung hatte Erfolg. Die Generalunternehmerin haftet für die Verletzung des gestürzten Arbeiters:

ist die Bautreppe ein „anderes mit dem Grundstück verbundenes Werk“ i.S.d. §§ 836, 837 BGB, das zum maßgeblichen Zeitpunkt des Unfalls im Eigenbesitz der Beklagten stand und eingestürzt ist, wodurch der Geschädigte verletzt wurde

Im Einzelnen:

  1. „Werk‟ im Sinne der §§ 836, 837 BGB
    „Mit „Werk“ i.S.d. §§ 836, 837 BGB ist ein einem bestimmten Zweck dienender, von Menschenhand nach den Regeln der Baukunst oder der Erfahrung unter Verbindung mit dem Erdkörper hergestellter Gegenstand gemeint (RGZ 60, 139; 76, 261; HRR 1930 Nr 904; OLG Rostock, Urteil vom 15.09.2003 – 3 U 58/03 -). Es macht keinen Unterschied, ob die Herstellung auf Dauer oder zu einem vorübergehenden Zweck (Fahrnisbauten) erfolgt (RG WarnR 1909 Nr 23; JW 1910, 288; BGH, Urteil vom 08.02.1972 – VI ZR 155/70 -; OLG Stuttgart, Urteil vom 28.04.2009 – 6 U 56/08 -) und welcher Art die Verbindung mit dem Erdkörper ist, ob es sich also um unterirdische Anlagen oder um mit dem Erdboden verbundene oberirdische Anlagen handelt, ob die Verbindung eher lose oder eine tiefgründige ist. Eine Verbindung i.S.v. § 94 BGB ist nicht erforderlich; die Verbindung mit dem Grund und Boden durch die eigene Schwere des Werks genügt (OLG Rostock, Urteil vom 15.09.2003 – 3 U 58/03 – Baugerüst; OLG Hamm, Urteil vom 27.04.1995 – 27 U 169/94 – Turmdrehkran; OLG München, Urteil vom 04.04.2000 – 18 U 4536/99 – Turmdrehkran; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.02.1998 – 22 U 124/97 – Bierpavillon). Das Werk darf bedingt durch seine Schwerkraft lediglich nicht ohne Weiteres fortbewegt werden können, wie es beispielsweise bei Leitern (OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.02.2018 – Rn 20), Fahrzeugen oder Baumaterial der Fall ist (Staudinger/Bernau (2018) § 836 BGB Rn 23 mwN).‟
  2. Warum war die Bautreppe ein solches Werk?
    „Dies vorangestellt, besteht ungeachtet der Tatsache, dass die Bautreppe (jedenfalls) zum Zeitpunkt des Unfalls offenkundig – andernfalls hätte die Bautreppe nicht ins Rutschen geraten und herabfallen können – nicht fest – mittels drei Schrauben – mit dem Gebäude verbunden war, kein Zweifel daran, dass sie eine für die Anwendbarkeit der §§ 836, 837 BGB hinreichende Verbindung mit dem Gebäude aufwies. Denn auf das Mittel der Verbindung kommt es nicht an, sondern auf die sachgerechte Einfügung der Teile zum bestimmungsgemäßen Zweck des Werkes (so bereits BGH, Urteil vom 04.03.1997 – VI ZR 51/96 – Rn 9). Die auf zwei Holzpaletten genagelte Bautreppe ließ sich nicht ohne weiteres fortbewegen – nach dem eigenen Vortrag der Beklagten soll dies auch den Mitarbeitern der K. GmbH nur „gemeinsam möglich‟ gewesen sein – und sie sollte bis zur Einbringung der endgültigen Treppe in dem Gebäude verbleiben. Dass die Treppe auf Paletten stand, ändert daran nichts, entscheidend ist das Gewicht der Gesamtkonstruktion.‟
  3. Generalunternehmerin war und blieb Besitzerin
    „Ursprünglich stand die Bautreppe im Eigenbesitz der Beklagten, die sie als Generalunternehmerin hat errichten lassen, um den weiteren am Bau Beteiligten während der Bauzeit und bevor die endgültige Treppe eingebaut ist, den Zugang zu dem Dachgeschoß des zu errichtenden Wohnhauses zu ermöglichen und die dort anfallenden Bauarbeiten durchzuführen. (…) Ihren Eigenbesitz an der Bautreppe hat die Beklagte nicht dadurch verloren, dass sie selbst im Zeitraum nach dem 29.03. bis zum Unfalltag am 06.04.2016 nicht auf der Baustelle tätig war. Denn allein die vorübergehende Abwesenheit des Eigenbesitzers von der Baustelle lässt nicht den Schluss zu, dass der Eigenbesitzer seinen Beherrschungswillen aufgibt. (…) Auch der von der Beklagten behauptete – letztlich ohnehin nicht erwiesene (dazu unten) – Abbau der Bautreppe durch Mitarbeiter der K. GmbH ohne ihr Wissen und Aufbau an derselben Stelle, aber ohne hinreichende Befestigung führte nicht zum Verlust des Eigenbesitzes der Beklagten. Ein Übergang vom Fremdbesitz der Fa. K. an der Bautreppe zum Eigenbesitz könnte nur dann angenommen werden, wenn mit dem Ab- und Wiederaufbau der Bautreppe ein neues Werk i.S.d. §§ 836, 837 BGB entstanden wäre (…). Das liegt indes fern.‟
  4. Einsturz
    „c) Die Bautreppe ist eingestürzt – unter „Einsturz“ wird der plötzliche und unwillkürliche Zusammenbruch des gesamten Gebäudes oder Werkes infolge Lösung der Verbindungen, die es zusammenhalten (Staudinger/Bernau (2018) § 836 BGB Rn 26), verstanden – und dieses Einstürzen beruhte auf der mangelhaften Errichtung der Bautreppe. Insoweit gilt der Beweis des ersten Anscheins, der für die Verursachung des Einsturzes des Werkes durch die fehlerhafte Errichtung bzw. mangelhafte Unterhaltung des Werkes spricht und sich auch auf die Kausalität für das schädigende Ereignis in Form des Einsturzes oder der Ablösung von Teilen erstreckt.‟
  5. kein pflichtgemäßer Zustand
    Das Oberlandesgericht führt aus, dass schon das Verrutschen der Treppe belegt, dass die Treppe nicht – wie beklagtenseits behauptet – gesichert war.

Hinweis

Der ordnungsgemäße Zustand von Gerüsten (vgl. Artikel) oder – wie vorliegend – Bautreppen ist immer wieder Gegenstand von Rechtsstreitigkeiten. Mit Blick auf die vom Brandenburgischen Oberlandesgericht beispielhaft herangezogenen Vergleichsentscheidungen (vorstehend Ziffer 1) kommt gerade bei den Schadenursachen Drehkran, Gerüst und Bautreppe eine Haftung nach dem Maßstab de § 836 BGB in Betracht und bezüglich der Verantwortlichkeit nach § 837 BGB nicht nur der Grundstückseigentümer, sondern der die Sache errichtende Generalunternehmer.

 

 

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Grundsatzentscheidung: Selbständiges Beweisverfahren hemmt die Verjährung sämtlicher Mängelansprüche bis zur vollständigen Verfahrensbeendigung!

Jochen ZiliusJochen Zilius

BGH, Urteil vom 22.06.2023 – VII ZR 881/21

 

Problemdarstellung

Ein selbständiges Beweisverfahren dient oftmals nicht nur der Aufklärung von Mängeln oder technischer Fragen, sondern der Verjährungshemmung , wenn es einmal schnell gehen muss und insbesondere dann, wenn eine Vielzahl von Mängeln oder Mängelkomplexen an verschiedenen Gewerken in Rede steht. (Wahrscheinlich) davon ausgehend, dass nach allgemeiner Auffassung jeder Werkmangel seinen eigenen, separat zu betrachtenden (Gewährleistungs-)Anspruch begründet, sind die Instanzgerichte bisher deutlich überwiegend davon ausgegangen, dass der Beginn und die Beendigung des Beweisverfahrens hinsichtlich jedes  Mangelpunktes isoliert betrachtet werden müsse mit der Folge einer uneinheitlichen  Verjährungshemmung. Haben die Verfahrensbeteiligten also etwa nach Erstattung des ersten Gutachtens nur Ergänzungsfragen bezüglich Mangel A, nicht aber bezüglich Mangel B gestellt, war nach dieser Auffassung das Beweisverfahren für Mangel B nach Ablauf der Stellungnahmefrist zum Gutachten beendet, sodass nach der sog. Ablaufhemmung von weiteren sechs Monaten die Verjährungsuhr für Mangel B wieder zu laufen begann, für Mangel A hingegen nicht.

In der Praxis ergaben sich dadurch nicht unerhebliche Schwierigkeiten, weil jeder Mangelpunkt gesondert unter Kontrolle zu nehmen und ggf. parallel verjährungshemmende Maßnahmen zu ergreifen waren; im besten Falle durch Verjährungsvereinbarung , bei Verweigerung dieser ggf. durch Feststellungsklage. Genau daran knüpfte die sich in der Minderheit befindliche Kritik u. a. an, weil nämlich ein selbständiges Beweisverfahren nach der Gesetzesbegründung eigentlich dazu dienen soll, Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

 

Rechtsprechungsänderung

Nach Zulassung der Revision durch das Oberlandesgericht Stuttgart hat der Bundesgerichtshof hingegen nun mit Urteil vom 22.06.2023 – VII ZR 881/21 festgestellt, dass ein selbständiges Beweisverfahren die Verjährung sämtlicher Mängelansprüche im Zeitraum der Anhängigkeit des Beweisantrags bei Gericht bis zur Beendigung des gesamten Beweisverfahrens zuzüglich einer Ablaufhemmung von sechs Monaten hemmt und hat damit seine bisherige Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 03.12.1992 – VII ZR 86/92) aufgegeben.

In der zugrundeliegenden Rechtssache hat die Klägerin einen Kostenvorschussanspruch von 67.200,00 € zur Mangelbeseitigung wegen Attikarissen geltend gemacht. Dem Rechtsstreit vorausgegangen war ein selbständiges Beweisverfahren, dessen Streitgegenstand nicht nur diese Rissen, sondern auch Mängel an Beton-Fensterlamellen war. Das damalige Ergänzungsgutachten des Gerichtssachverständigen befasste sich noch mit beiden Mangelpunkten, allerdings nahm die Klägerin innerhalb der gerichtlichen Frist bis zum 19.04.2013 nur zu den Beton-Fensterlamellen Stellung, äußerte sich aber nicht mehr zu den Attikarissen. Nach Erstattung weiterer Gutachten endete das Beweisverfahren insgesamt nach Ablauf der letzten Stellungnahmefrist am 23.03.2015.

Mit ihrer am 26.06.2015 eingereichten Klage hat die Klägerin Kostenvorschuss wegen verschiedener Mängel, u.a. wegen der Attikarisse geltend gemacht. Die Beklagte hat die Verjährungseinrede erhoben. Das Landgericht Stuttgart hat die Klage insoweit als verjährt abgewiesen und hierzu mit Verweis auf die damals herrschende Rechtsprechung ausgeführt, dass die Verjährungshemmung der Mängel im Zusammenhang mit den Attikarissen nach Ablauf der Stellungnahmefrist am 19.04.2013 zzgl. einer Ablaufhemmung von sechs Monaten  weiter lief und die Verjährung bis zur Klageerhebung eingetreten sei.

Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht Stuttgart das landgerichtliche Urteil insoweit aufgehoben und unter Vertretung der bis dahin bekannten Mindermeinung festgestellt, dass bereits verschiedene prozessuale Erwägungen eine einheitliche Verjährungshemmung in selbständigen Beweisverfahren geböten. Wegen der divergierenden Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte hat es die Revision zugelassen.

Der Bundesgerichtshof hat mit eingehend zitierter Entscheidung schließlich das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart insoweit bestätigt und hat sich zur Begründung weniger auf prozessuale Überlegungen gestützt, sondern vielmehr die gesetzliche Regelung der Verjährungshemmung in § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB neu ausgelegt. Seiner Auffassung nach sei allein diese Vorschrift maßgeblich und lasse keinen Interpretationsspielraum zu, weil dort ausdrücklich von der „Beendigung des eingeleiteten Verfahrens“ die Rede sei. Dem stehe auch nicht entgegen, dass ein selbständiges Beweisverfahren mit verschiedenen Mängeln/Streitgegenständen auf verschiedene Ansprüche gerichtet sei, weil es sich hierbei nach dem materiell-rechtlichen Verständnis nicht bloß um den Verbund quasi mehrerer selbständiger Beweisverfahren, sondern vielmehr um ein Gesamtverfahren handele, das entweder beendet sei oder nicht.

Lediglich hilfsweise begründete der Bundesgerichtshof seine Entscheidung auch noch mit prozessrechtlichen Argumenten, wonach nämlich die dem Antragsgegner gesetzlich zustehende Möglichkeit zur Herbeiführung einer Kostenfolge nach allgemeiner Auffassung die vollständige Verfahrensbeendigung voraussetze und dies gerade im Widerspruch zu einer differenzierten Verfahrensbeendigung bezüglich verschiedener Mängel stehe.

Nach Feststellung des Bundesgerichtshofs gelten diese Grundsätze übrigens nicht nur bei verschiedenen Mängelsachverhalten bzw. -komplexen, sondern sogar bei der Begutachtung verschiedener Mängel durch verschiedene Gerichtssachverständige, solange diese innerhalb eines prozessualen Beweisverfahrens tätig waren.

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zu „ca.“-Angaben bei Bauvertragsfristen

Björn Kieckhäfer

OLG Hamm, Beschluss vom 04.11.2021 – 21 U 10/20

(Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

Gerade in Zeiten von Personalknappheit und Lieferengpässen stellt sich für den Bauunternehmer regelmäßig die Frage nach der Vereinbarung von Fertigstellungsfristen. Wird eine zu lange Frist vereinbart, besteht die Gefahr, dass der Auftraggeber „abspringt“. Wird die Fertigstellungsfrist zu knapp bemessen, so läuft der Bauunternehmer Gefahr, die vereinbarte Frist nicht einzuhalten zu können. Vor diesem Hintergrund werden regelmäßig Fertigstellungsfristen vereinbart, die lediglich eine „ca.“-Angabe enthalten. Das OLG Hamm hatte sich im Rahmen einer solchen Vereinbarung mit der Frage zu befassen, ob der Auftragnehmer bei Vereinbarung einer solchen Frist in Verzug gerät und ob hieraus ein entsprechender Schadensersatzanspruch zugunsten des Auftraggebers erwächst.

 

Sachverhalt

In dem vom OLG Hamm zu entscheidenden Fall verlangte die Klägerin nach Fertigstellung ihrer Bauleistung die Zahlung des vereinbarten Werklohns von der Beklagten. Die Beklagte stützte Gegenansprüche in Gestalt von Schadensersatz auf den Verzug der Klägerin wegen verspäteter Fertigstellung der Leistung. Eine entsprechende Mahnung hinsichtlich der Einhaltung eines bestimmten Fertigstellungstermins wurde von der Beklagten nicht behauptet. Vielmehr stützte die Beklagte den Verzug der Fertigstellung auf die Vereinbarung von Lieferfristen, welche während und nach dem Vertragsschluss zwischen den Parteien kommuniziert wurden. Hierbei handelte es sich nicht um konkrete Zeitangaben, sondern um „ca.“-Fristen.

 

Entscheidung

Nach der Entscheidung des OLG Hamm genügen solche Fristen grundsätzlich nicht den Anforderungen an eine kalendermäßige Bestimmung. Da in dem zugrundeliegenden Fall keine konkreten Fristen zu Produktionsbeginn, Montagebeginn oder -dauer vereinbart wurden, konnte sich die Beklagte nicht mit Erfolg auf verzögerungsbedingte Schadensersatzansprüche berufen. Dies ergab sich für den Senat insbesondere auch aus dem Umstand, dass die Ausführung des Gewerks von einer Mitwirkung der Beklagten abhing. Der Arbeitsbeginn wurde durch die Vereinbarung von „ca“-Fristen gerade nicht hinreichend konkret bestimmt.

 

Praxistipp:

Der Senat stellt bei dieser Entscheidung nochmal heraus, dass es sich bei der Vereinbarung von Fertigstellungsfristen um annahmebedürftige Willenserklärungen handelt, welche auch nach dem eigentlichen Vertragsschluss vereinbart werden können. Nicht ausreichend für einen Verzug des Auftragnehmers ist hingegen die (ggf. nachträglich) einseitige Fristbestimmung durch den Auftraggeber. Zusätzlich stellt der Senat in seiner Entscheidung klar, dass die Vereinbarung einer „ca.“-Angabe jedoch nicht per se einer verbindlichen Fristvereinbarung entgegensteht. Demnach lässt sich auch bei Vereinbarung von „ca.“-Fristen im Einzelfall ein Verzögerungsschaden ableiten, sofern sich die zeitliche Fixierung aus den weiteren Umständen der vertraglichen Vereinbarung ergibt. Im Falle einer „ca.“-Vereinbarung kann also auch ein Toleranzzeitraum gesehen werden, was jeweils im Wege der Auslegung festzustellen ist. Es bedarf also – wie so oft – einer Analyse der jeweiligen Begleitumstände.

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Bauherr beauftragt Gutachter mit Schadensermittlung: Wer trägt die Kosten?

Saskia HierscheSaskia Hiersche

OLG Stuttgart, Urteil vom 28.01.2020 – 10 U 47/19; BGH, Beschluss vom 06.04.2022 – VII ZR 47/20 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen)

VOB/B § 13 Nr. 7 Abs. 3 Satz 1

Sachverhalt

Die Beklagte (Auftragnehmerin) liefert und montiert eine Polycarbonatfassade für eine Halle. Die Leistung wird abgenommen. Sodann stellt die Klägerin (Bauherrin) Mängel an den Fassadenteilen (u.a. Abplatzungen, Verfärbungen im Stoß- und Plattenbereich, spröde und harte Stöße, Risse im Bereich der Außenfläche) fest. Um Umfang und Ursache der Schäden abzuklären, beauftragt die Klägerin Privatgutachter. Dadurch entstehen Kosten von insgesamt  6.282,80 €. Gegenüber der beklagten Auftragnehmerin rügt die klagende Bauherrin die Mangelhaftigkeit der Werkleistung und fordert zur Mängelbeseitigung auf.

Muss die beklagte Auftragnehmerin die Gutachterkosten zur Ermittlung von Ursachen und Ausmaß der aufgetretenen Mängel in Höhe von 6.282,80 Euro erstatten?

Entscheidung

Das OLG Stuttgart bejaht kurzerhand einen Anspruch auf Erstattung der vorprozessual von der Klägerin aufgewendeten Kosten für Sachverständigengutachten aus  §  13 Nr. 7 Abs. 3 S. 1 VOB/B.

Bei den geltend gemachten Kosten handele es sich um Gutachterkosten, die von der Klägerin aufgewendet worden seien, um an der baulichen Anlage entstandene Schäden und deren Ursache festzustellen. Derartige Kosten sind als Schaden an der baulichen Anlage gemäß § 13 Nr. 7 Abs. 3 S. 1 VOB/B ersatzfähig (vgl. die Nachweise bei Wirth in Ingenstau/Korbion, VOB-Kommentar, 20. Auflage, § 13 Abs. 7 VOB/B Rn. 137 f.).

Der erstinstanzlich von der Beklagten erhobene Einwand, das Gutachten sei völlig unbrauchbar, ändere nichts an der Erforderlichkeit eines Gutachtens und der Ersatzfähigkeit der Kosten.

Praxishinweis

Ob vorprozessual aufgewendete Privatgutachterkosten gem. §§ 280, 634 Nr. 4 BGB erstattungsfähig sind, ist ein häufiger Streitpunkt. Folgende Grundsätze wurden von der Rechtsprechung zu dieser Frage entwickelt:

Eine Erstattungsfähigkeit ist regelmäßig zu bejahen, wenn eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei die Einschaltung eines Privatgutachters „ex ante‟ als sachdienlich ansehen durfte (BGH, Beschluss v. 20.12.2011 – VI ZB 17/11). Dies bedeutet zugleich, dass die Erstattungsfähigkeit nicht von der Überzeugungskraft der Begutachtung abhängig ist (BGH, Beschluss vom 26.02.2013 – VI ZB 59/12), so dass die obige Entscheidung des OLG Stuttgart richtig sein dürfte.

Hinsichtlich der Beurteilung der Erstattungsfähigkeit der Gutachterkosten ist im privaten Baurecht einzubeziehen, dass sich ein Auftraggeber bei der Geltendmachung von Mängelansprüchen auf die Rüge von Mangelsymptomen beschränken darf (Symptomtheorie des BGH, vgl. Urteil v. 03.12.1998, VII ZR 405/97). Mitberücksichtigt werden muss auch, dass dem Auftragnehmer die Entscheidung über Art und Umfang von (Nach-)Erfüllungsmethoden  zusteht (OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.08.2013 – 22 U 4/13). Zu Gunsten des Auftraggebers ist wiederum zu bedenken, dass der Auftragnehmer ggf. ein nicht mangelfreies Werk als mangelfrei bezeichnet hat und eine nicht fällige Schlussrechnung gestellt hat. Damit hat der Auftragnehmer seine Pflichten gegenüber dem Auftraggeber schuldhaft verletzt (OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.09.2016 – 22 U 68/16).

Davon abzugrenzen sind die Kosten einer baubegleitenden Begutachtung. Diese muss der Bauherr / Auftraggeber immer selbst tragen (OLG Stuttgart, Urteil vom 16.11.2016 – 3 U 98/16; OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.10.2010 – 21 U 194/09).

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Konkludente Abnahme der Objektbetreuung

Johannes DeppenkemperJohannes Deppenkemper

OLG München, Az.: 28 U 5991/20 Bau, Beschluss vom 23.03.2021; BGH, Az.: VII ZR 279/21, Beschluss vom 26.04.2023, Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen

 

Sachverhalt

Die Bauherren (Kläger) beauftragten den Architekten (Beklagten) mit den Leistungsphasen 1-9. Das Bauwerk wurde erstellt, die Bauherren zogen im Sommer 2005 ein. Im Dezember 2019 erhoben die Bauherrn Klage wegen behaupteter Mängel. Der beklagte Architekt erhebt die Einrede der Verjährung.

 

Entscheidung

Sowohl Landgericht als auch OLG sind der Auffassung, dass zum Zeitpunkt der Klageerhebung im Dezember 2019 die reguläre Verjährungsfrist abgelaufen gewesen sei. Die Abnahme der Architektenleistung sei durch die Bauherren spätestens mit Ablauf des Jahres 2010 konkludent erfolgt. Bei Bezug des Objektes durch die Bauherren im Sommer 2005 sei die Gewährleistungsfrist für die Bauleistungen Ende Juni 2010 geendet. Damit sei auch zugleich die Leistungsphase 9 beendet. Ohne Bedeutung sei, dass der Architekt den klagenden Bauherrn keine Instandsunterlagen zum Bau übergeben habe, da die Bauherren nicht vorgetragen hätten, dass sie den Architekten zur Vorlage solcher Pläne aufgefordert hätten.

 

Praxishinweis

Die Begründung des Eintrittes der Verjährung begegnet Bedenken. Das OLG knüpft an den tatsächlichen Bezug der Wohnung im Sommer 2005 an, die Gewährleistungsfrist beginne zu laufen, sodass 5 Jahre später (Sommer 2010) die Gewährleistungsfrist für Baumängel abgelaufen sei. Die Abnahme der Bauleistung als Voraussetzung für den Beginn der Gewährleistungsfrist gem. §§ 634 a Abs. 1 Nr. 2, 634 a Abs. 2 BGB kann auch nicht im tatsächlichen Bezug eines neuerstellten Objektes zu sehen sein. Um zu einer konkludenten rechtsgeschäftlichen Abnahmeerklärung des Bauherrn zu gelangen, bedarf es viel mehr neben dem tatsächlichen Bezug des Objekts einer dem Bauherrn zuzubilligenden Prüfungsfrist, was das OLG München missachtet hat. Hinzu kommt im konkreten Fall das Problem, dass der Architekt nicht sämtliche Grundleistungen erbracht hatte (Leistungsphase 8). Dies jedoch hindert eine konkludente Abnahme dann nicht, wenn der Bauherr die fehlende Leistung (hier: Pläne) überhaupt nicht eingefordert hat.

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Anforderungen an die Abrechnung bei Stundenlohnansprüchen

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

Anforderungen an die Abrechnung bei Stundenlohnansprüchen

 

BGH, Beschl. v. 01.02.2023 – VII ZR 882/21

 

Leitsatz (redaktionell)

Der Auftragnehmer, der seine Vergütung vereinbarungsgemäß nach Stunden abrechnet, hat nur darzulegen und ggfs. zu beweisen, wie viele Stunden zu welchem Stundensatz aufgewandt wurden. Eine Differenzierung dahin, die Stunden den genauen Einzeltätigkeiten zuzuordnen und vorzutragen, welche Leistung wann erbracht wurde, ist im Ansatz nicht erforderlich. Eine unwirtschaftliche Betriebsführung hat dagegen der Auftraggeber darzulegen.

 

Sachverhalt

Die Klägerin (AN) und der Beklagte (AG) schlossen einen Vertrag über die Durchführung von Malerarbeiten an 15 Reihenhäusern. Im Laufe der Zeit war die Klägerin noch mit weiteren kleineren Arbeiten beauftragt worden. Eine Abschlagsrechnung von rd. 12.000,- € wird noch gezahlt, die weiter abgerechneten 28.000 € nicht. Diesen Vergütungsanspruch macht die Klägerin nun klageweise geltend.

Das Landgericht wies die Klage ab, das OLG wies die Berufung der Klägerin mit der Begründung zurück: Die Klägerin habe nicht substantiiert genug dargelegt, welche zusätzlichen Arbeiten (von wem und wann) erfolgt seien und von wem sie beauftragt wurden. Die Sache geht zum BGH.

 

Entscheidung

Mit Erfolg! Der BGH hebt den Beschluss auf und verweist die Sache zurück.

Das Urteil des Berufungsgerichts hat die Anforderungen an die Darstellung überspannt und daher den ausreichenden Sachvortrag der Klägerin nicht zur Kenntnis genommen sowie die angebotenen Beweise nicht erhoben (Art. 103 GG, rechtliches Gehör). Nach der Rspr. des BGH hat der Auftragnehmer bei einem zeitabhängigen Vergütungsanspruch, namentlich Stundenlohn, nur darzulegen und zu beweisen, wie viele Stunden für die Vertragsleistungen zu welchem Stundensatz aufgewandt wurden. Es ist nicht erforderlich, dass die einzelnen Stunden den einzelnen Arbeiten zugeordnet oder zeitlich angegeben werden. Der Auftragnehmer hat eine solche Aufschlüsselung nur vorzunehmen, wenn diese vorher vertraglich vereinbart wurde.

Dem Besteller obliegt es hingegen, Tatsachen vorzutragen, aus denen sich die unwirtschaftliche Betriebsführung des Unternehmers ergibt, falls er meint, die vielen Stunden seien nicht erforderlich gewesen.

Die Klägerin trug vor, sie habe für die beauftragten 15 Häuser Malerarbeiten durchgeführt, wobei sie bei den Häusern 1-6 und 15 Arbeiten im Innen- und Außenbereich und bei den Häusern 7-14 nur Arbeiten im Außenbereich vornahm. Sie hatte dargelegt, wie viele Stunden hierfür jeweils aufgewendet wurden. Der Vortrag ist ausreichend.

 

Anmerkung

Die Instanzrechtsprechung legt zuweilen die Latte des erforderlichen Vortrags reichlich hoch. Bei einem klassischen Stundenlohnvertrag ist dabei gar nicht so viel erforderlich. Die Gesamtanzahl der Stunden für die beauftragten Arbeiten reicht prinzipiell aus.

Die Ausnahmen sollte man sich vor Augen führen:

Wenn die VOB/B als Vertragsgrundlage vereinbart ist, sind nach § 15 Abs. 3 Stundenlohnzettel einzureichen. Es ist fast einhellige Meinung, dass diese Angaben dazu enthalten müssen, wer wann welche Leistung erbracht hat.

Wenn über die Vergütung nicht gesprochen wurde, gilt der ortsübliche Preis als geschuldet. Auch dieser setzt sich im Kern aus Materialkosten und Lohnkosten sowie Zuschlägen zusammen. Hier dienen geleistete Stunden und eingesetztes Material nur als Kalkulationsgrundlage für den üblichen Preis. Da gilt der Grundsatz, dass derjenige, der eine bestimmte Vergütung haben möchte, deren Richtigkeit beweisen muss. Der AN tut in diesem Fall gut daran, die Kosten für die einzelnen Leistungen nachvollziehbar darzustellen.

Um bei Stundenlohnabreden Streitigkeiten vorzubeugen, empfiehlt es sich, Abschlagsrechnungen zu schreiben und erst nachdem diese beglichen wurden oder sich die Vertragsparteien zumindest über die Stundenanzahl einig sind, weitere Leistungen zu erbringen. Nicht immer so leicht in der Praxis, aber immerhin liefen auch in diesem Fall rd. 750 Stunden auf, ohne dass eine weitere Zwischenabrechnung erfolgte.

 

(Dr. Harald Scholz und Wissenschaftliche Mitarbeiterin stud. iur. Antonia Hinte)

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Unwirksame Kündigung nach VOB/B wegen Mängeln vor der Abnahme

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

Die Pflicht zur Mängelbeseitigung schon vor der Abnahme (§ 4 Abs. 7 VOB/B) ist ein Markenzeichen der VOB/B. Eine Kündigung aus wichtigem Grund, gestützt auf solche Mängel vor der Abnahme, hat der BGH jedoch in einem aktuellen Urteil gekippt, wenn die VOB/B nicht ohne Änderung vereinbart worden ist. Dann verstößt §§ 8 Abs. 3 VOB/B in Verbindung mit § 4 Abs. 7 VOB/B gegen AGB-Recht und ist unwirksam, wenn der Auftraggeber den Vertrag gestellt hat.

BGH, Urteil vom 19.01.2023, Az. VII ZR 34/20

Sachverhalt

Die Klägerin wird mit Straßen- und Tiefbauarbeiten beim Ausbau einer Stadtbahnlinie von der Beklagten beauftragt. Die Auftragssumme beläuft sich auf ca. 3 Millionen € netto.

Während der Ausführung entsteht eine Meinungsverschiedenheit darüber, ob der eingebaute Beton an einem bestimmten Straßenabschnitt eine ausreichende Qualität hat. Die Klägerin beseitigt diesen Mangel – der mit einem Aufwand von rund 6.000,00 € in 2 – 3 Arbeitstagen zu erledigen war – nicht. Denn sie versteht die vertraglichen Vorgaben anders.

Nach Fristsetzung und Kündigungsandrohung gemäß § 4 Abs. 7, 8 Abs. 3 VOB/B spricht die Beklagte die Kündigung des gesamten restlichen Vertrages aus.

Die Beklagte verlangt nun Schadensersatz für die Mehrkosten der restlichen Ausführung in Höhe von rund 4 Millionen €, die Klägerin steht auf dem Standpunkt, dass es sich um eine freie Kündigung handelt und verlangt Restwerklohn von 2,4 Millionen €.

Im Laufe des Rechtsstreits wird festgestellt, dass im Prinzip ein Mangel vorgelegen hat und dieser innerhalb der Fristsetzung mit Kündigungsandrohung nicht beseitigt wurde. Was die rechtliche Frage einer berechtigten Kündigung aus wichtigem Grund angeht, entscheiden die Instanzen unterschiedlich.

Entscheidung

Der BGH hat mit seinem Urteil die Weichen zugunsten der Auftragnehmerin (Klägerin) gestellt. Eine abschließende Entscheidung war nicht möglich, der BGH stellt aber fest, dass sich die ausgesprochene Kündigung nicht auf § 4 Abs. 7, 8 Abs. 3 VOB/B als wichtigen Grund stützen konnte.

Dies funktioniert aus rechtlichen Gründen nicht.

Die VOB/B ist zwar auf Anweisung des Gesetzgebers dem Zugriff des AGB- Rechts entzogen. Dies gilt aber nur dann, wenn sie als Gesamtpaket ohne Änderungen vereinbart ist (vgl. § 310 Abs. 1 Satz 3 BGB). So auch die Rechtsprechung des BGH seit ca. 20 Jahren.

Die Voraussetzungen liegen hier nicht vor. In den Vertrag sind Besondere Vertragsbedingungen des Hauptauftraggebers einbezogen worden. Diese enthalten teilweise Abweichungen von den Regelungen der VOB/B.

Das AGB- Recht findet daher Anwendung. Der BGH hat für den Augenblick zu unterstellen, dass der Auftraggeber Verwender der Vertragsbedingungen gewesen ist und prüft die Klauseln unter diesem Blickwinkel.

Danach ist die Kündigungsklausel wegen Mängeln vor Abnahme unwirksam. Denn der Wortlaut von §§ 4 Abs. 7, 8 Abs. 3 VOB/B schließt nicht aus, dass auch schon wegen kleiner, unwesentlicher Mängel eine Kündigung des Gesamtvertrages ausgesprochen wird. Darin liegt eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers nach AGB-Recht (§ 307 BGB).

Die weiteren offenen Fragen wird nun das wieder zuständige Oberlandesgericht zu klären haben.

Praxishinweis

Wahnsinn! Durch die Konfrontation der Vertragsparteien, gemischt mit rechtlichen Feinheiten, entsteht ein explosiver Cocktail, aus einem kleineren Mangel wird ein Millionenschaden.

Wie konnte es soweit kommen?

Die Parteien waren äußerst risikobereit. Wegen eines Streits um Mängel im Wert von 6.000,00 € eine Kündigung eines umfangreichen Vertrages mitten in der Vertragsdurchführung zu riskieren, ist absolut waghalsig. Vielleicht kennen wir auch nicht die ganze Geschichte.

Diese Risikobereitschaft traf auf eine gefährliche Rechtslage. Ein paar aufgefundene – für den Fall völlig unwichtige – Zusatzklauseln haben den Fall entschieden. Die Privilegierung der VOB/B durch den Gesetzgeber endet eben, wenn die Parteien die VOB/B nicht als Paket nehmen, sondern daraus einen eigenen Vertrag „stricken“. Und dann setzt eben die Kontrolle des AGB-Rechts auf unfaire Klauseln ein.

Lösung 1 ist nun, die VOB/B wirklich ohne jede Abweichung zu vereinbaren. Der Fall deutet aber an, dass das im Wust der Dokumente manchmal gar nicht so leicht ist und von irgendwoher Zusatzbedingungen „hineinrutschen“ können.

Lösung 2 ist es, die VOB/B in der nächsten Fassung von Klauseln zu befreien, die für sich betrachtet einen der Vertragspartner unfair benachteiligen. Mir leuchtet jedenfalls nicht ein, warum die VOB/B nur funktioniert, wenn man unfaire Einzelregelungen einbaut.

Bis dahin steht die Praxis vor echten Problemen: Können ausgesprochene Kündigungen wegen Mängeln vor Abnahme eventuell nach BGB gerettet werden? Und wie kann man jetzt noch einen Anspruch auf Mangelbeseitigung vor Abnahme durchsetzen? Die Kosten der Beseitigung sollten nach bisheriger Rechtslage nur über eine (Teil-) Kündigung beim Auftragnehmer geltend gemacht werden können. Die Baujuristen müssen nachdenken…

(Dr. Harald Scholz, Hamm)

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift tab - Technik am Bau tab.de

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Zur Teilkündigung im VOB-Vertrag

Jochen ZiliusJochen Zilius

OLG Düsseldorf, Urteil vom 08.12.2022 – I-5 U 232/21

 

Sachverhalt

Die Klägerin hat beantragt, die Abnahmewirkungen für die Teilleistung eines Bauvorhabens festzustellen. Dem zugrunde liegt die Errichtung des Justizzentrums in Bochum, im Zuge derer der Beklagte die Klägerin mit der Ausführung von Dachabdichtungsarbeiten an den einzelnen Gebäudeteilen A – F beauftragte. Im Sommer 2016 rügte die Beklagte unter anderem ein zu geringes Gefälle an den Bauteilen A – E, erklärte am 02.12.2016 die Teilkündigung hinsichtlich des Bauteils F und lehnte am 10.01.2017 die Abnahme der Teilleistungen am Gebäudekomplex F ab. Die Klägerin war der Auffassung, es liege eine unwirksame Teilkündigung vor, sodass die Abnahmewirkungen eingetreten seien. Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben, wogegen der Beklagte Berufung eingelegt hat.

 

Entscheidung

Ohne Erfolg! Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat festgestellt, die Feststellungsklage sei zulässig und begründet. Entsprechend der klägerischen Rechtauffassung liege bezüglich des Gebäudeteils F eine unwirksame Teilkündigung vor. Somit habe die Beklagte am 02.12.2016 den Auftrag der Klägerin nicht wirksam teilweise entzogen i.S.d. § 8 III Nr. 1 S. 2 VOB/B. Denn eine Teilkündigung sei nur wirksam auf einen in sich abgeschlossenen Teil der vertraglichen Leistung zu erklären, was eng auszulegen sei. Dadurch werde das Interesse des Auftraggebers daran geschützt, dass es bei zusammengehörigen Leistungsteilen nicht zu einer „Zergliederung“ durch unterschiedliche Abnahmewirkungen und damit zu unterschiedlichen Gewährleistungsfristen oder Gefahrübergängen kommen könne.

Insofern handele es sich bei den Arbeiten zum Gebäudeteil Teil F gerade nicht um in sich abgeschlossenen Leistungen i.S.d. § 8 VOB/B, weil bereits aus gerichtsaktenkundigen Fotos deutlich werde, dass das Justizzentrum ein lediglich aus diversen Teilen bestehender Gebäudekomplex sei; eine gedankliche Teilung sei also gar nicht möglich. Zudem ergebe sich auch aus der Leistungsbeschreibung eine räumliche oder sachliche Trennung der einzelnen Arbeitsbereiche gerade nicht.  Auch der Streit über etwaige Mängel spreche gegen eine isolierte Betrachtung des Bauteiles F, da ein zu geringes Gefälle bei nahezu allen Bauteilen gerügt worden sei. Schließlich scheitere die Anwendung des Kündigungstatbestands aus § 8 III Nr. 1 S. 2 VOB/B auch nicht an einer AGB-rechtlichen Kontrolle, weil die Vorschrift keine Abweichung vom gesetzlichen Leitbild darstelle und sich der Beklagte als Verwender ohnehin nicht auf eine etwaige Unwirksamkeit berufen könne.

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Keine Sozialkassenpflicht für Verleger von Fußbodenheizung?

Stefan KrappelStefan Krappel

Arbeitsgericht Wiesbaden Az. 12 Ca 172/22 SK

 

Sachverhalt

Immer wieder kommt es zum Streit zwischen der Urlaubs- und Lohnausgleichskasse der Bauwirtschaft (ULAK) und Betrieben, die in irgendeiner Form ein Baugewerbe ausüben. Die Pflicht, Beiträge zur Sozialkasse abzuführen, regelt der Tarifvertrag über das Sozialkassenverfahren im Baugewerbe (VTV-Bau). Dieser sieht vor, dass die meisten Unternehmen seinem Geltungsbereich unterfallen, notfalls über einen Auffangtatbestand. Davon gibt es jedoch Ausnahmen und hiervon wiederum Rückausnahmen. Beispielhaft werden Betriebe des Dachdeckerhandwerks oder Sanitärbetriebe ausgenommen. Für letzte gilt wiederum eine Rückausnahme. Üben die Sanitärbetriebe zeitlich überwiegend Katalogtätigkeiten aus (z.B. Fliesen- oder Rohrleitungsbauertätigkeiten) werden sie dem Geltungsbereich wieder zugeordnet.

Im vom Arbeitsgericht Wiesbaden zu entscheidenden Fall hat die ULAK einen Betrieb in die Pflicht nehmen wollen, der unter Aufsicht und Anleitung eines Gesellen mit Hilfskräften, die nicht dem Bauhauptgewerbe entstammen, ausschließlich Schläuche für Fußbodenheizung verlegt. Der Arbeitsablauf gestaltet sich derart, dass aus Kunststoff bestehende Schläuche von einer Rolle abgerollt, zugeschnitten, gebogen, ggf. mit einer Presse mit anderen Teilen verbunden und schließlich mit dem Boden befestigt werden. Die Mitarbeiter des Betriebes sorgen für die Anschlüsse an die Verteiler, führen Druck- und Dichtigkeitsprüfungen durch und sind auch bei der Inbetriebnahme der Heizung zugegen. Der Betrieb führt auch Wartungen und Reparaturen bereits installierten Schlaufen durch.

Die ULAK ist davon ausgegangen, dass es sich um einen Betrieb handelt, der baugewerbliche Arbeiten ausführt und nicht als Betrieb des Gas- und Wasserinstallationsgewerbes aus dem fachlichen Geltungsbereich des VTV-Bau auszunehmen sei, jedenfalls greife eine Rückausnahme, weil der Betrieb Rohre verlege, also Rohrleitungsbau im Sinne von § 1 Abs. 2 Abschn. V Ziff. 25 VTV-Bau ausübe.

 

Entscheidung

Dieser Auffassung hat das Arbeitsgericht Wiesbaden eine klare Absage erteilt und die auf rückständige Beiträge gerichtete Klage abgewiesen. Nach Einschätzung des Arbeitsgerichts ist der hier betroffene Betrieb nicht zur Zahlung verpflichtet, da er einen Betrieb des Gas- und Wasserinstallationsgewerbes darstellt und insoweit aus dem fachlichen Geltungsbereichs des VTV ausgenommen ist.

In Anlehnung an bereits vorausgegangene Rechtsprechung des BAG geht das Arbeitsgericht davon aus, dass es bei Betrieben mit Tätigkeiten, die sowohl baulichen Charakter haben als auch einem Ausnahmetatbestand unterfallen, darauf ankomme, welches Gepräge die Verrichtung dem Unternehmen verleihe; für die Abgrenzung kommt es dabei darauf an, ob die Ausführung der Arbeiten durch gelernte Kräfte des speziellen Handwerks erfolgt bzw. durch Fachleute angeleitet und überwacht wird. Das BAG hatte hierzu bereits entschieden, dass dies nicht zwingend ein Meister sein muss.

Nach Auffassung des Arbeitsgerichts stellt das Verlegen von Schlaufen für Fußbodenheizungen eine Tätigkeit dar, die typischerweise von Installateuren des Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnikgewerbes ausgeführt wird. Da im vorliegenden Fall ein ausgebildeter Gas- und Wasserinstallateur die Tätigkeit angeleitet und überwacht habe, sei es ausreichend, wenn die Tätigkeit im Übrigen durch ungelernte Kräfte ausgeführt werde; anders als bei der Installation einer komplizierten Heizungsanlage fielen beim Verlegen von Schlaufen eine ganze Reihe zeitaufwändiger Tätigkeiten an, deren Verrichtung als solche wiederum kein im hohem Maße ausgeprägtes Wissen oder Können erfordere. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts und zur Sicherung des Gepräges ist es daher ausreichend, wenn ein einschlägig ausgebildeter Beschäftigter das Gesamtvorhaben plant und eine überschaubare Anzahl von Untergebenen anleitet und überwacht, was bei maximal drei Helfern im vorliegenden Fall gewährleistet war.

Der Auffassung der ULAK, dass ein solcher Betrieb Rohrleitungsbau betreibe, schloss sich das Arbeitsgericht nicht an. Nach der Rechtsprechung kann zwar auch eine Schlaufe für eine Fußbodenheizung ein „Rohr“ sein. Rohrleitungsbauer unterliegen allerdings einer anderen Ausbildung und werden auch nicht im gleichen Bereich eingesetzt. Rohrleitungsbauer erstellen, warten und reparieren der Branche zugehörige Rohrleitungssysteme, um den Transport von Gas, Wasser, Öl oder Fernwärme in Wohn-. Gewerbe- bzw. Industriegebäude zu ermöglichen. Rohrleitungsbauer sind keine Feininstallateure, sondern werden auch in der Herstellung von Schachtbauwerken, Baugruben und Verkehrswegen unterwiesen; Kenntnisse über das Arbeiten in Gebäuden wie die Vornahme von Druckprüfung von Sanitäranlagen und Heizungen werden ihnen in der Ausbildung nicht vermittelt; dafür zu sorgen, dass das von den öffentlichen Versorgungsträgern angelieferte Wasser oder Gas innerhalb der einzelnen Gebäuden an die Stellen komme, wo es gebraucht werde, obliege den Angehörigen anderer Gewerke, insbesondere denjenigen des Heizungs- Sanitär- und Klimatechnikgewerks.

 

(Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Berufung wird beim LAG Hessen zum Az. 10 Sa 433/23 SK geführt.)

 

 

 

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Verkehrssicherungspflicht eines Baugerüstes und Mitverschulden des Nutzers

Michael PeusMichael Peus

Saarländisches OLG, Urt. v. 07.07.2021 – 1 U 31/20

 

Leitsätze (amtlich)

  1. Macht der Kläger sich widersprechenden Vortrag des Beklagten zur Entstehungsursache eines Unfallgeschehens in prozessual zulässiger Weise hilfsweise zur Begründung seiner Klageansprüche zu eigen, kann der Beklagte nach den Grundsätzen der Gleichwertigkeit Parteivorbringens (äquipollentes Parteivorbringen) auf der Grundlage seines eigenen Vortrags ohne Bindung des Tatgerichts an die vom Kläger gewählte Rechtsfolge verurteilt werden.
  2. Verletzt der für die Freigabe des Arbeitsgerüsts zuständige Gerüstbauer seine Verkehrssicherungspflichten, weil an einem für Bauarbeiten errichteten Arbeitsgerüst eine Gerüststange entgegen der im Gerüstbauwerk anerkannten Regel der Technik nicht mit einer sogenannten kraftschlüssigen Verbindung, sondern nur mittels Spanngurten an den Querverstrebungen befestigt und das Gerüst in diesem Zustand von dem Gerüstbauer freigegeben wird, so kann ihm nach den Umständen des Einzelfalls ein Unfallgeschehen zurechenbar sein, das sich deswegen ereignete, weil auf der Baustelle tätige Arbeiter das Gerüst nachträglich im Vergleich zum Freigabezustand veränderten, indem sie zum Zwecke des schnelleren Materialtransports die nur mit Spanngurten gesicherte Stange zunächst aushängten und sodann fehlerhaft unter einer Querstange wieder remontierten, sodass sie nunmehr bei Belastung mit Gewicht von oben nach unten abrutschen konnte.
  3. Den geschädigten Zimmermann, der eine solchermaßen fehlerhaft befestigte Stange zum Zwecke des Absteigens vom Dach auf die Gerüstebene als Abstiegshilfe nutzt und sodann stürzt, weil die Gerüststande infolge der Belastung abrutschte, trifft eine Mitverschuldensquote in Höhe von 50%, weil nach den geltenden Sicherheitsbestimmungen (Unfallverhütungsvorschriften) die Gerüststangen nicht als Auf- oder Abstiegshilfe benutzt werden dürfen.

 

Sachverhalt 

Der Kläger ist Zimmermann macht Schadensersatzansprüche aufgrund eines Arbeitsunfalls geltend. Beim Abstiege vom Dach auf ein von der Beklagten errichtetes Gerüst habe er sich an der zweitobersten Gerüststange festhalten müssen, die jedoch aufgrund der Belastung weggerutscht sei. Er habe das Gleichgewicht verloren und sei auf die Ebene des Gerüsts gestürzt und habe sich Verletzungen an der linken Schulter zugezogen. Die Stange war nur mit einem Spanngurt und nicht mit Gerüstschellen befestigt.

Das Gerüst wurde von der M GbR gestellt und vom Beklagten als Gerüstbaumeister errichtet und freigegeben.

Nachdem das Landgericht der Klage stattgegeben hat, ließ der Beklagte mit der Berufung die Entscheidung überprüfen und stützt seine Berufung insbesondere darauf, dass das Gerüst nach seiner Freigabe durch Dritte worden sei. Zwar sei die streitgegenständliche Stange auch von ihm nur mit Spanngurten befestigt gewesen, jedoch habe diese nicht abrutschen können, da diese oberhalb der Querstange befestigt gewesen sei. Hilfsweise sei dem Beklagten ein Mitverschulden anzurechnen.

 

Entscheidung

Im Ergebnis hat der Kläger einen Anspruch gegen den beklagten Gerüstbauer, aber nur unter Berücksichtigung eines hälftigen Mitverschuldens.

  1. Dem Gerüstbauer ist eine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorzuwerfen. Denn dieser hat die Stange nur mit Spanngurten und nicht mit einer kraftschlüssigen Verbindung befestigt und das Gerüst sodann zur Nutzung freigegeben.
  2. Selbst dann, wenn
    • der Beklagte zunächst die Gerüststange mit Spanngurten oberhalb der Querstange angebunden habe und
    • er das Gerüst in diesem Zustand freigeben habe und
    • das Gerüst von Dritten nachträglich in den konkret unfallursächlichen Zustand verändert wurde, indem die Maurer zum Zwecke des schnelleren Transports des Materials die betreffende Stange ausgehängt und sie später wieder unsachgemäß befestigten,

      würde der Beklagte hierfür haften. Denn das würde der objektiven Zurechnung der Installation der Stange mit Spanngurten statt einer kraftschlüssigen Verbindung nicht entgegenstehen. Denn dann verwirklicht die Gefahr, die mit der unzulässigen Verwendung von Spanngurten geschaffen wurde. Wäre stattdessen eine kraftschlüssige Verbindung zur Befestigung verwendet worden, dann hätte auch der fachunkundige Dritte diese nicht mit einem Spanngurt unterhalb der Querstange wieder befestigt, sondern es hätte sich ihm aufgedrängt, dass die Stange z.B. in das Geländerkästchen kraftschlüssig ein gehangen werden muss. Wäre die Stange zum Zeitpunkt des Aufstützens des Klägers kraftschlüssig ein gehangen gewesen, wäre es zu dem Unfall gar nicht erst gekommen, da die Stange auch nicht hätte wegrutschen können.

  3.  Der Beklagte handelte auch schuldhaft. Das Verschulden ist auch nicht ausgeschlossen, weil sich dies auf den gesamten haftungsbegründenden Tatbestand, also auch auf die haftungsbegründende Kausalität beziehen muss und für Fahrlässigkeit i.S.d. § 267 BGB die Vorhersehbarkeit der Gefahr gegeben sein muss. Hierfür reicht es jedoch aus, dass der Schädiger die Möglichkeit des Eintritts eines Schadens hätte voraussehen können. Der Beklagte befestigte die Stange bewusst und willentlich mit Spanngurten und gab das Gerüst in diesem Zustand frei, obwohl ihm bewusst war, dass andere Arbeiter regelmäßig Teile des Gerüsts zwecks Materialtransports entfernen und dies der Beklagte auch wusste. Die Möglichkeit eines Schadens, wie vorliegend, war daher für den Beklagten auch vorhersehbar. Er handelte fahrlässig, da er keine Vorkehrungen gegen eine fehlerhafte Remontierung traf und keine kraftschlüssige Verbindung zur Befestigung nutzte.
  4. Gleichwohl hat der Geschädigte ein Mitverschulden von 50% zu tragen. Allerdings musste der Kläger das Gerüst nicht vor der Benutzung darauf vertieft überprüfen, ob die Bauteile sachgerecht befestigt gewesen sind. Grds. darf man sich auf die Kontrolle des freigebenden Gerüstbauers verlassen. Der Mitverschuldensvorwurf könne deshalb nicht allein damit begründet werden, dass der Geschädigte vor der Benutzung der Stange nicht kontrollierte, wie diese befestigt wurde. Eine einfache Sichtkontrolle ist allerdings abzuverlangen. Hierbei wäre auch zu erkennen gewesen, dass es zwischen der obersten Gerüstebene und dem Dach keine Aufstiegshilfe gab. Und wenn es keine Abstiegshilfe gibt, dass man eine Gerüststange hierfür nutzen. Vielmehr ist dann eine Abstiegshilfe – z. B. Leiter – heranzuholen.
  5. Nach den Angaben des Sachverständigen sei eine Benutzung der Gerüststangen als Abstiegshilfe zwar üblich, jedoch nicht zulässig. Diese seien für eine solche Gewichtsbelastung nicht vorgesehen. Daher dürfe das Gerüst nur mittels Gehflächen oder Leitern erreicht werden. Der Kläger verstieß dadurch gegen § 10 UVV und wurde mitursächlich für den Unfall.

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