Auch der Betriebsrat muss mal ausruhen…

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 18.1.201 — Aktenzeichen: 7 AZR 224/15

Sachverhalt
Der Kläger ist Mitglied im Betriebsrat des Betriebs der Beklagten. In der Nacht vom 16.07.2013 auf den 17.07.2013 arbeitete er in der Nachtschicht von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr mit einer Pausenzeit ab 2:30 Uhr. Für den Folgetag war eine Betriebsratssitzung um 13:00 Uhr geplant.

Um 02:30 Uhr — zu der eigentlichen Pausenzeit — stellte der Kläger seine Arbeit ein und ging nach Hause. Die Beklagte kürzte Arbeitszeitkonto und Lohn für diese Nachtschicht. Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner Klage.

Entscheidung
Das BAG hat dem Kläger Recht gegeben und damit die vorausgegangene Entscheidung des LArbG Hamm bestätigt.

§ 5 I ArbZG verpflichtet den Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer nach Beendigung seiner Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von 11 Stunden zu gewähren.

Nach Beendigung der Arbeit um 02:30 Uhr und unter Berücksichtigung der Pausenzeit bis 03:00 Uhr hatte der Kläger nur 10 1/2 Stunden Zeit sich zu erholen. Hätte er bis 6:00 Uhr durchgearbeitet, hätte ihm nur ein Erholungszeitraum von 7 Stunden zur Verfügung gestanden. Insoweit durfte er seine Arbeitsleistung vorzeitig einstellen.

Insoweit sei auch unerheblich, ob die Zeit der Erbringung von Betriebsratstätigkeit selbst Arbeitszeit im Sinne von § 5 I ArbZG sei.

§ 37 II BetrVG verpflichtet den Arbeitgeber, den Arbeitnehmer ohne Minderung des Arbeitsentgeltes von seiner beruflichen Tätigkeit freizustellen, wenn eine außerhalb der Arbeitszeit liegende Betriebsratstätigkeit die Arbeitsleistung unmöglich oder unzumutbar mache.

Hätte der Kläger seine Arbeit nach der Pause fortgesetzt und seine Arbeitsleistung erbracht und hätte dennoch er an der Betriebsratssitzung um 13:00 Uhr teilgenommen, hätte ihm in keinem Fall genügend Erholungszeit zur Verfügung gestanden. Insoweit war ihm die Erbringung der Arbeitsleistung in diesem Einzelfall unzumutbar und die Befreiung von der Arbeitstätigkeit erforderlich im Sinne von § 37 II BetrVG. Nach dieser Vorschrift durfte das Arbeitsentgelt dann auch nicht gekürzt werden.

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Allgemeinverbindlichkeitserklärungen unwirksam

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.1.2017 — Aktenzeichen: 10 ABR 34/15 und 10 ABR 43/15

Sachverhalt
Die Sozialkassen des Baugewerbes sind gemeinsame Einrichtungen der Tarifvertragsparteien des Baugewerbes. Die Urlaubs- und Lohnausgleichskasse erbringt Leistungen im Urlaubs- und Berufsbildungsverfahren. Zum Teil werden auch Altersversorgungsleistungen erbracht. Die Kasse nährt sich von Beiträgen der Arbeitgeber — vornehmlich der tarifgebunden Arbeitgeber. Durch Allgemeinverbindlichkeitserklärungen der letzten Jahre wurde die Bindungswirkung der Regelungen auf nicht tarifgebundene Arbeitgeber erstreckt, so dass auch diese verpflichtet waren, Beiträge zu entrichten.

Entscheidung
Nachdem das BAG mit zwei Beschlüssen vom 21.09.2016 (Aktenzeichen 10 ABR 33/15 und 10 ABR 48/15) bereits die Unwirksamkeit der Allgemeinverbindlichkeitserklärungen der Jahre 2008, 2010 und 2014 festgestellt hatte, hat das BAG nun entschieden, dass auch die Allgemeinverbindlichkeitserklärungen der Tarifverträge über Sozialkassenverfahren des Baugewerbes in 2012 und 2013 unwirksam sind.

Nach Auffassung des BAG konnte nämlich nicht positiv festgestellt werden, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Allgemeinverbindlichkeitserklärung in der Baubranche mindestens 50 % der unter den Geltungsbereich des Tarifvertrages fallenden Arbeitnehmern bei tarifgebundenen Arbeitgebern beschäftigt waren. Dies war in diesen Jahren allerdings für eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung erforderlich.

Die Feststellung der Unwirksamkeit wirkt gemäß § 98 IV ArbGG für und gegen jedermann (inter-omnes-Wirkung). Nicht tarifgebundene Arbeitgeber können daher prüfen lassen, ob Ihnen Rückforderungsansprüche gegen die SOKA-BAU zustehen.

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Besonders grobe Behandlungsfehler

Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 15.11.2016 — Aktenzeichen: 26 U 37/14

Sachverhalt
Die Klägerin befand sich im April 2009 zur Durchführung einer laparoskopischen Gastropexie in stationärer Behandlung bei der Beklagten.

Eine radiologische Untersuchung im Mai 2009 ergab, dass eine Revisionsoperation notwendig ist. Hierzu begab die Klägerin sich in ein von der Streitverkündeten getragenes Hospital. Im Operationsbericht zur Revisionsoperation wurde ausgeführt, dass sich eine Fixation von der Korpusgrenze über den Korpus an die ventrale Bauwand fände, mit nicht viel resorbierbarem Nahtmaterial; die Nähe wurden gelöst, wonach sich der Magen prall füllte.

Im nachfolgenden Zeitraum wurde die Klägerin noch mehrfach stationär behandelt; es fand eine Magenteilresektion statt, an die sich Wundheilungsstörungen anschlossen; es erfolgte eine Bauchdeckenrevision und zuletzt im November 2013 eine Laparotomie, eine ausgiebige offene Adhäsiolyse, eine Aufhebung der Gastropexie sowie eine Durchführung einer hinteren unteren Gastrojejunostomie.

Die Klägerin nahm allein die Beklagte auf Schadensersatz wegen begangener Behandlungsfehler in Anspruch.

Das Landgericht hat der Klage nur teilweise stattgegeben, weil die Operation im April 2009 zwar indiziert gewesen, aber fehlerhaft ausgeführt worden sei; die Funduskaskade habe unverändert fortbestanden, der Operateur hätte den höchsten Punkt des Fundus fixieren müssen, um eine erneute Abkippung zu verhindern; doch auch der Operateur der Streitverkündeten, der die Revisionsoperation im Juli 2009 ausgeführt habe, habe fehlerhaft gehandelt, weil er zwar die Nähte gelöst, aber nicht den Status quo wieder hergestellt habe.

Das Landgericht wies deshalb die Klage ab, soweit Folgen auf den Aufenthalt bei der Streitverkündeten zurückzuführen waren. Es stellte insoweit einen groben Behandlungsfehler fest, der geeignet war, den Ursachenzusammenhang zu unterbrechen.

Entscheidung
Das OLG Hamm hat auf die Berufung der Klägerin der Klage im weiteren Umfang stattgegeben und die Beklagte zu einem Schmerzensgeld in Höhe von 70.000,00 € und Schadensersatz verurteilt.

Nach Auffassung des Arzthaftungssenats haftet der Erstschädiger für sämtliche Schadensfolgen, die auf den Ersteingriff kausal zurückzuführen sind – hier die im April 2009 fehlerhaft durchgeführte Gastropexie.

Zu den Schadensfolgen zählten – entgegen der Auffassung des Landgerichts – auch sämtliche Folgen, die mit der grob fehlerhaften Revisionoperation im Juli 2009 zusammenhingen. Auch diese wären im vorliegenden Fall dem Erstschädiger zuzurechnen.

Entsprechend der Rechtsprechung des BGH umfasst die Einstandspflicht regelmäßig auch die Folgen eines Fehlers des nachbehandelnden Arztes. Nur ganz ausnahmsweise kann eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs geltend gemacht werden, nämlich dann, wenn es an dem erforderlichen inneren Zusammenhang fehlt, weil das Schadensrisiko der Erstbehandlung im Zeitpunkt der Weiterbehandlung schon gänzlich abgeklungen war oder wenn der Zweitschädiger in außergewöhnlich hohem Maße die an ein gewissenhaftes ärztliches Verhalten zu stellenden Anforderungen außer Acht gelassen und derart gegen alle ärztlichen Regeln und Erfahrungen verstoßen hat, dass der eingetretene Schaden seinem Handeln haftungsrechtlich-wertend allein und ausschließlich zugeordnet werden muss.

Im vorliegenden Fall hat das OLG Hamm diese Voraussetzungen für einen „besonders groben Behandlungsfehler“ verneint. Selbst wenn das ärztliche Verhalten vom gerichtlich bestellten Sachverständigen als völlig unverständlich bewertet worden sei, so folgte dieser Entschluss allein aus der Analyse der schriftlichen Unterlagen.

Vom Senat befragt, welche Folgen ein solcher Fehler für einen Arzt in seiner Klinik gehabt hätte, führte der Sachverständige aus, dass der Fehler allenfalls zu einer mündlichen Abmahnung durch ihn, nicht aber zu einer Information der Verwaltung der Klinik geführt hätte. Der Fehler hätte also keine Folgen für das Bestehen des Arbeitsverhältnisses oder gar die Approbation gehabt. Ein Abweichen vom gewissenhaften ärztlichen Verhalten in einem außergewöhnlich hohen Maß konnte der Senat demnach nicht feststellen.

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Der medizinische Eingriff hat keine Opfer

LSG Bayern, Urteil vom 21.7.2016 — Aktenzeichen: L 15 VG 31/14

Sachverhalt
Eine Chromosomenanalyse bei der Klägerin ergab einen männlichen Chromosomensatz. Im Alter von 16 Jahren wurden bei ihr eine fehlende Gebärmutter und eine nur teilweise angelegte Scheide festgestellt. 1979 erfolgte eine Scheidenplastik.

Vor der Operation erfolgte allerdings keine Aufklärung der Klägerin über den festgestellten Chromosomensatz, was die behandelnden Ärzte in einem Arztbericht damit begründeten, dass sie die Klägerin nicht beunruhigen wollten.

Die Klägerin behauptete, sie hätte in die damalige Operation nicht eingewilligt, wenn ihr das Ergebnis der Untersuchung unterbreitet worden wäre; sie sei um große Bereiche ihres menschlichen Seins vorsätzlich betrogen worden. Aus diesem Grund machte sie wegen einer vorsätzlichen Verletzung Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) geltend. Ihre Ansprüche wurden jedoch auch – im Widerspruchsverfahren – zurückgewiesen. Die Klage vor dem Sozialgericht Nürnberg wurde abgewiesen.

Entscheidung
Das LSG hat diese Entscheidung bestätigt und auch die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.

Die Verletzungshandlung im OEG ist eigenständig und ohne Bezugnahme auf das StGB geregelt ist. Der tätliche Angriff im Sinne des § 1 OEG wird durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person geprägt, bei der eine körperliche Einwirkung auf einen anderen stattfindet. Ein aggressives Verhalten des Täters wird nicht vorausgesetzt. Nach Auffassung des LSG (in Einklang mit der bisherigen BSG-Rechtsprechung) ist Grundvoraussetzung für die Wertung eines ärztlichen Eingriffs als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff eine nach dem StGB strafbare vorsätzliche Körperverletzung.

Auch wenn jeder ärztliche Eingriff den Tatbestand einer (vorsätzlichen) Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB erfüllt, ist aber zu berücksichtigen, dass ärztliche Eingriffe – wie die gesamte Tätigkeit des Arztes – von einem Heilauftrag bestimmt werden. Für diese Konstellation bedarf es daher einer Korrektur des Begriffs des „vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs“ dahingehend, dass ein strafbarer ärztlicher Eingriff nur dann als Angriff zu werten ist, wenn aus der Sicht eines verständigen Dritten in keiner Weise dem Wohl des Patienten gedient werden sollte. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von finanziellen Interessen leiten lässt und die gesundheitlichen Belange des Patienten hintenanstehen lässt.

Im vorliegenden Fall war diese Konstellation nicht gegeben. Die Operation sollte jedenfalls auch dem Wohl der Klägerin dienen. Hierzu hatte das Gericht sogar ein Gutachten eingeholt, welches zu dem Ergebnis kam, dass es — zum damaligen Zeitpunkt — an sich dem medizinischen Standard entsprach, die Klägerin feminisierend zu behandeln.

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Vorsicht: Anderkonto ist nicht gleich Anderkonto!

KG Berlin, Urteil vom 7.3.2016 — Aktenzeichen: Not 18/15

Sachverhalt
Bei einer freiwilligen Auktion wurden Grundstücke versteigert.

In dem notariell zu beurkundenden Grundstückskaufvertrag verpflichtete sich der Ersteher, den vollständigen Kaufpreis unabhängig vom Vorliegen einer zur Wirksamkeit des Vertrages notwendigen Genehmigung auf einem Anderkonto des Auktionators zu hinterlegen sowie an diesen eine Courtage zu zahlen. Bei endgültiger Verweigerung einer für den Vertrag notwendigen Genehmigung oder bei Rücktritt verpflichtete sich das Auktionshaus zur Rückzahlung der Courtage.

Im vorliegenden Fall wurde der Vertrag nicht vollzogen.

Entscheidung
Der Senat für Notarsachen am KG Berlin hat eine Ermahnung zu Lasten des Notars bestätigt. Hat eine Partei bei einem gegenseitigen Vertrag eine ungesicherte Vorleistung zu erbringen, ist sie vom Notar in zweifacher Hinsicht zu belehren, erstens über die Folgen, die im Falle der Leistungsunfähigkeit des durch die Vorleistung begünstigten eintreten, zweitens dahingehend, wie diese Risiken vermieden werden können.

Ein bloßes als „Anderkonto“ bezeichnetes Konto vermeidet diese Risiken nicht. Bei der Einzahlung auf ein Konto des Auktionators besteht ein höheres Verlustrisiko als bei einem Notaranderkonto. Der Notar hat anvertraute Gelder unverzüglich einem Sonderkonto für fremde Gelder zuzuführen. Notaranderkonten gehören bei Insolvenz des Notars nicht zur Insolvenzmasse. Darüber hinaus bestehen für den Notar Berufshaftpflichtversicherungen mit Mindestversicherungssummen von 500.000,00 € und Gruppenanschlussversicherungen der Notarkammern. Schließlich sichern die Notarkammern sogar Schäden wegen wissentlicher Pflichtverletzung ab.

Ein Auktionator hingegen hat nicht die Möglichkeit, ein entsprechend abgesichertes Anderkonto zu eröffnen, weil er nicht zum Notar bestellt ist; Anderkonten können nur von bestimmten Berufsgruppen eingerichtet werden: Notaren, Rechtsanwälten, Patentanwälten, Wirtschaftsprüfern, vereidigten Buchprüfern, Steuerberatern und Steuerbevollmächtigten.

An dem Risiko der Überweisung an den Auktionator änderte sich nach Auffassung des Senats nichts dadurch, dass der Auktionator im vorliegenden Fall mit einer Versicherungssumme von 1,5 Mio. Euro versichert war. Bei wissentlichen Pflichtverletzungen des Auktionators, die zum Ausschluss des Versicherungsschutzes geführt hätten, wäre dies nicht weiterführend gewesen. Bei einem Notar hingegen hätte noch die sog. Vertrauensschadenversicherung eingreifen können.

Die beurkundete Vereinbarung zur Zahlung der Courtage des Auktionshauses stellte nach Auffassung des Senats dagegen keine ungesicherte Vorleistung dar. Dies wäre — anders als im zu entscheidenden Fall — nur dann der Fall, wenn die Courtageabrede in das zwischen dem Erwerber und der Veräußerin begründete Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung mit aufgenommen worden wäre.

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Medizinischer Standard

BGH, Urteil vom 22.12.2015 — Aktenzeichen: VI ZR 67/15

Sachverhalt
Die Klägerin ging als Rechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes gegen die Beklagten vor. Dieser hatte viele Jahre zuvor einen Herzinfarkt erlitten und eine Bypassoperation erhalten, seit der er sich einmal jährlich zur kardiologischen Kontrolle bei dem Beklagten zu 2) vorstellen musste. Im Jahr 2003 wurden eine Mitralklappeninsuffizienz und eine Trikuspidalklappeninsuffizienz II. Grades diagnostiziert. Im November 2007 suchte der Erblasser den Beklagten zu 2) auf und klagte über Atemnot. Am 13. November 2007 wurde er in dem von der Beklagten zu 1) betriebenen Krankenhaus wegen des erneuten Verdachts auf Herzinfarkt stationär aufgenommen, wo er sich bis zum 21.11.2007 befand. Zwei Tage später wurde er erneut bei der Beklagten zu 1) eingewiesen, wo er nach ambulanter Behandlung eine neue Medikation erhielt. Am 20.12.2007 stellte sich der Erblasser bei dem Beklagten zu 2) aufgrund weiter bestehender Kurzatmigkeit vor. Eine Röntgenaufnahme der Lunge und ein CT förderten zu Tage, dass sich Wasser in der Lunge befand, weshalb eine Überweisung an die Beklagte zu 1) für eine Punktion erfolgte; außerdem diagnostizierte der Beklagte zu 2) eine Blutsenkung, die auf eine Entzündung hinwies; er verschrieb dem Erblasser ein Antibiotikum. Wegen der Einnahme von Marcumar konnte die Punktion erst am 27.12.2007 stattfinden; dabei wurden 1,5 Liter Wasser entzogen. Zwei weitere Tage später wurde der Erblasser entlassen. Am 24.01.2008 erfolgte eine erneute Einweisung durch den Beklagten zu 2) in eine Klinik für Thorax-Chirurgie zur Abklärung von Pleuraergüssen. Am 14.03.2008 erfolgte die notfallmäßige Einweisung durch den Beklagten zu 2) wegen des Verdachts auf Darmverschluss; dort wurden erhöhte Entzündungswerte diagnostiziert und Antibiotika verordnet. Am 01. und 02. April 2008 erfolgten in dem von der Beklagten zu 1) betriebenen Krankenhaus Echokardiographien, welche den Befund einer schweren operationsbedürftigen Mitralklappeninsuffizienz erbrachten. Eine am 04.04.2008 erfolgte Herzkatheteruntersuchung bestätigte diesen Befund und ergab die Notwendigkeit einer erneuten Bypass-Operation. Zu dieser kam es nicht mehr, weil der Erblasser am 10.04.2008 verstarb.

Die Klägerin machte mit der Klage geltend, die Beklagten hätten die Herzkatheteruntersuchungen früher veranlassen müssen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückgewiesen, womit die Klägerin sich mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde wendete.

Entscheidung
Der BGH hat die Nichtzulassungsbeschwerde für zulässig und begründet erklärt und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung zurückgewiesen.

Nach Auffassung des BGH hat das Berufungsgericht unter Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerin unberücksichtigt gelassen. Diese hatte Behauptungen aufgestellt, die in ihrem privat eingeholten Sachverständigengutachten nicht enthalten waren. Der BGH wies in seiner Entscheidung darauf hin, dass eine Partei die unter Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellten Behauptungen nicht vorab durch Vorlage eines Privatsachverständigengutachtens belegen muss.

Darüber hinaus nutzte der BGH die Gelegenheit klarzustellen, dass das Absehen von einer ärztlichen Maßnahme nicht erst dann behandlungsfehlerhaft ist, wenn die Maßnahme „zwingend geboten“ ist, sondern bereits dann, wenn ihr Unterbleiben dem im Zeitpunkt der Behandlung bestehenden medizinischen Standard zuwiderläuft. Das Landgericht war insoweit fehlerhaft davon ausgegangen, dass eine Maßnahme, die unterlassen wird, zwingend geboten sein muss, um einen Behandlungsfehlervorwurf zu begründen. Damit hat der BGH noch einmal betont, dass – entsprechend seiner ständigen Rechtsprechung – der Prüfungsmaßstab allein der medizinische Standard ist, der Auskunft darüber gibt, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann; er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat.

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Kein Anspruch auf Privatanschrift des behandelnden Klinikarztes

BGH, Urteil vom 20.1.2015 — Aktenzeichen: VI ZR 137/14

Sachverhalt
Der Kläger nahm nach einer stationären Behandlung einen Klinikträger und zwei bei diesem angestellte Ärzte auf Schadensersatz in Anspruch. Aufgrund verschiedener Zustellungsproblematiken verlangte der Klägerin von der beklagten Klinik auch Auskunft über die Privatanschrift eines betroffenen Arztes.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Beklagte zur Auskunft verurteilt, weil sich Anonymität nicht mit dem Wesen des Arzt-Patienten-Verhältnisses vertrage.

Entscheidung
Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Nach Auffassung des BGH hat ein Patient zwar auch grundsätzlich außerhalb eines Rechtsstreits Anspruch auf Einsicht in die ihn betreffenden Krankenunterlagen; ein Klinikträger sei auch grundsätzlich gehalten, einem Patienten den Namen des ihm behandelnden Arztes mitzuteilen.

Der Kläger brauchte aber zur Führung des Zivilprozesses nicht die Privatanschrift des Arztes, weil die Klageschrift unter der Klinikanschrift zugestellt werden konnte.

Der Auskunftserteilung in einem solchen Fall stehen nach der Auffassung des BGH außerdem datenschutzrechtliche Vorschriften entgegen. Die Regelungen des § 32 BDSG gestatte dem Arbeitgeber die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Daten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses. Der Arbeitgeber sei aber grundsätzlich nicht berechtigt, personenbezogene Daten an Dritte weiterzuleiten. Da die Daten für die Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben worden seien, sei die Übermittlung an Dritte nach dem Datenschutzgesetz wegen des Zweckbindungsgebotes für die zweckfremde Verwendung ausgeschlossen.

Vor diesem Hintergrund hätte sich auch nichts am Ergebnis geändert, wenn die Klage nicht unter der Klinikanschrift hätte zugestellt werden können.

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Surfen im Internet während der Arbeitszeit kann den Arbeitsplatz kosten

BAG, Urteil vom 7.7.2006 — Aktenzeichen: 2 AZR 581/04 – ;veröffentlicht in NZA 2006, 98 ff.
Ein Arbeitnehmer hatte während der Arbeitszeit stundenlang im Internet gesurft. Das Landesarbeitsgericht hatte einen Rauswurf des Arbeitnehmers noch ausgeschlossen, da es an einer vorherigen Abmahnung durch den Arbeitgeber fehle. Das Bundesarbeitsgericht hatte in seinem Urteil vom 07.07.2005 mit dem Sünder weniger Geduld.

In dem vom BAG entschiedenen Fall hatte der Arbeitnehmer eingeräumt, während eines Monats am Arbeitsplatz wenigstens 5 bis 5 1/2 Stunden privat im Internet gesurft zu haben. Er hatte dabei auch Seiten mit erotischem oder pornographischen Inhalt aufgerufen und teilweise als Dateien heruntergeladen. Der Arbeitgeber hatte daraufhin das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund fristlos gekündigt; eine Abmahnung war nicht vorausgegangen. Das LAG hatte der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers noch stattgegeben. Das BAG hat das Berufungsurteil durch seine Entscheidung vom 07.07.2005 aufgehoben und den Fall zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Das BAG unterstreicht, dass ein Arbeitnehmer grundsätzlich nicht darauf vertrauen könne, der Arbeitgeber werde es tolerieren, wenn er während der Arbeitszeit das Internet in erheblichen zeitlichen Umfang nutzt. Vielmehr müsse der Arbeitnehmer damit rechnen, dass der Arbeitgeber nicht einverstanden ist, wenn er seine Arbeitsleistung in dieser Zeit nicht erbringt und gleichwohl eine entsprechende Vergütung dafür beansprucht. Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitgeber keine klarstellenden Regelungen zur Internetnutzung aufgestellt hatte. Bei einer fehlenden ausdrücklichen Gestattung oder Duldung des Arbeitgebers ist eine private Nutzung des Internets grundsätzlich nicht erlaubt.

Der Arbeitnehmer kann ferner nicht damit rechnen, sein Arbeitgeber werde es hinnehmen, dass er sich pornographische Dateien aus dem Internet herunterlädt. Denn der Arbeitgeber hat ein Interesse daran, von Dritten nicht mit solchen Aktivitäten seiner Mitarbeiter in Verbindung gebracht zu werden.

Nach Auffassung des BAG bedarf es in solchen Fällen keiner Abmahnung. Für den Arbeitnehmer sei sein Fehlverhalten ohne weiteres erkennbar; er müsse auf die Pflichtwidrigkeit seines Handelns nicht zuvor hingewiesen werden.

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Neue Spielregeln für den arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag

Die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen der Großen Koalition und der Beschluss der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 05./06.07.2005 haben die steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Folgen für arbeitsrechtliche Auflösungsverträge verändert.

In der Vergangenheit waren Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten oder gerichtlich ausgesprochenen Auflösung des Arbeitsverhältnisses in bestimmten Grenzen steuerfrei, § 3 Nr. 9 EStG. Der Umfang der Steuerbefreiung war abhängig von der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses sowie vom Lebensalter des Arbeitnehmers. Dieses Steuergeschenk hat die Große Koalition jetzt mit Wirkung ab 01.01.2006 aufgehoben. Künftig unterliegt die vom Arbeitgeber gewährte Entlassungsentschädigung vom ersten Cent an der Einkommensteuerpflicht. Nach der Übergangsvorschrift des § 52 IV a EStG bleibt allerdings das alte steuergünstige Recht anwendbar, wenn die Abfindung wegen einer bis zum 31.12.2005 anhängig gewordenen Klage verabredet wird. Letzteres gilt insbesondere für Kündigungsschutzverfahren, die noch im vergangenen Kalenderjahr eingeleitet worden sind.

Weitere Änderungen ergeben sich aus dem Beschluss der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger vom 05./06.07.2005. Es geht um den Versicherungsschutz von Arbeitnehmern, die mit den Arbeitgebern in Aufhebungsverträgen eine Freistellung von der Arbeitsleistung unter Fortzahlung der Bezüge bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses verabreden. Bislang war es so, dass die Vereinbarung einer unwiderruflichen Freistellung an der Sozialversicherungspflicht und am Sozialversicherungsschutz des Arbeitnehmers nichts änderten. Der Arbeitgeber war also verpflichtet, auch während der Dauer der Freistellung die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung abzuführen.

Die Spitzenverbände der Krankenkassen, des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger sowie der Bundesagentur für Arbeit haben nunmehr beschlossen, dass das versicherungsrechtliche Beschäftigungsverhältnis bei einer einvernehmlichen, unwiderruflichen Freistellung von der Arbeitsleistung mit dem letzten tatsächlichen Arbeitstag endet. Dabei soll es unerheblich sein, ob das Arbeitsverhältnis als solches weiterbesteht und an den Arbeitnehmer der geschuldete Arbeitslohn fortgezahlt wird.

Der Beschluss vom 05./06.07.2005 hat erhebliche Auswirkungen. Künftig werden sich Arbeitnehmer, die mit ihrem Arbeitgeber eine unwiderrufliche Freistellung verabreden, vom Beginn des Freistellungszeitraums an gemäß § 9 SGB V freiwillig versichern müssen, wollen sie nicht nach Ablauf eines Monats auf den Krankenversicherungsschutz verzichten. Da dies mit erheblichen Mehraufwendungen verbunden ist, wird der Beschluss der Spitzenverbände – ebenso wie die verschärfte Versteuerung der Abfindung — dazu führen, dass arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge für die Arbeitgeber teurer werden.

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Keine gesetzlichen Zuschläge bei Sonn- und Feiertagsarbeit

BAG, Urteil vom 11.1.2006 — Aktenzeichen: 5 AZR 97/05

Leitsatz
Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil vom 11.01.2006 klargestellt, dass einem Arbeitnehmer, der an Sonn- oder Feiertagen beschäftigt wird, Lohnzuschläge nur zustehen, wenn dies im Tarif- oder Arbeitsvertrag geregelt ist. Aus dem Arbeitszeitgesetz ergibt sich kein Anspruch auf Sonn- und Feiertagszuschläge. Dies hat das BAG in einer Entscheidung vom 11.01.2006 klargestellt.

Sachverhalt
Der klagende Arbeitnehmer war seit vielen Jahren als Tankwart beschäftigt. Er war im Schichtdienst tätig und leistete auch Sonn- und Feiertagsarbeit. Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses machte er geltend, ihm ständen nach dem Arbeitszeitgesetz angemessene Lohnzuschläge für die erbrachte Sonn- und Feiertagsarbeit zu.

Der klagende Arbeitnehmer hatte keinen vertraglichen Anspruch auf die begehrten Zuschläge. Er war darüber hinaus nicht tarifgebunden, so dass er seinen Anspruch auch nicht auf den Tarifvertrag für das Tankstellen- und Garagengewerbe stützen konnte. Stattdessen vertrat der Arbeitnehmer die Auffassung, seine Arbeitgeberin schulde ihm die geltend gemachten Zuschläge nach §§ 6 und 11 Arbeitszeitgesetz (ArbZG).

Entscheidung
Das BAG folgte den Überlegungen des Klägers nicht. Durch die Verweisung in § 11 Abs. 2 auf § 6 Abs. 5 ArbZG entstehe noch kein Anspruch auf einen gesetzlichen Sonn- und Feiertagszuschlag. Vielmehr habe der Arbeitnehmer bei Sonn- und Feiertagsarbeit nur einen Anspruch auf einen Ersatzruhetag. Hierdurch solle aus Gründen des Arbeitsschutzes ein Ausgleich für die am Wochenende oder während der Feiertage erbrachte Mehrarbeit erfolgen.

Die Lohnklage des Arbeitnehmers hatte deshalb in allen Instanzen keinen Erfolg.

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