Berufungsbegründung: Pflichten bei Vorlage der Handakte

BGH, Beschluss vom 06.07.2011 — Aktenzeichen: XII ZB 88/11

Leitsatz
1. Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt spätestens mit dem Zeitpunkt, in dem der verantwortliche Anwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen von ihm zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen können und müssen. 2. Wird dem Anwalt die Handakte zur Fertigung der Berufungsbegründung vorgelegt, muss er anhand der Handakte auch prüfen, ob die Berufungsfrist eingehalten worden ist.

Sachverhalt
Ein amtsgerichtliches klageabweisendes Urteil war dem Kläger am 30.10.2009 zugestellt worden. Die Berufungsschrift des Klägers war beim Berufungsgericht am 2.12.2009 eingegangen. Hierauf wies das Berufungsgericht mit Schreiben vom gleichen Tage hin. Bereits am 30.11.2009 war die Berufungsschrift per Telefax an das Amtsgericht gesandt worden. Dieses leitete den Schriftsatz an das zuständige Berufungsgericht weiter, wo der Schriftsatz am 3.12.2009 einging.

Am 12.1.2011 wies das Berufungsgericht den Kläger darauf hin, dass die Berufungsfrist nicht eingehalten sei. Der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers vom 14.1.2011 wurde vom Berufungsgericht zurückgewiesen, da er nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO gestellt worden sei.

Hiergegen hat sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde zum BGH gewandt.

Entscheidung
Der BGH hat dahinstehen lassen, ob die Anwendung der Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO rechtsfehlerfrei erfolgt ist. Denn der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war bereits gem. § 234 Abs. 1 und 2 ZPO unzulässig. Die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist beginnt gem. § 234 Abs. 2 ZPO mit dem Tag, an dem das Hindernis — hier die Unkenntnis von dem verspäteten Eingang der Berufungsschrift beim Berufungsgericht — behoben ist. Das ist schon dann der Fall, sobald die Unkenntnis und damit die Verhinderung nicht mehr unverschuldet ist. Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt daher spätestens in dem Zeitpunkt, in dem der verantwortliche Anwalt bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen von ihm zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen können und müssen.

Spätestens bei Vorlage der Handakte zur Fertigung der Berufungsbegründung, deren Frist am 30.12.2009 ablief, hatte der Prozessbevollmächtigte des Klägers — so der BGH — Anlass gehabt, auch die Einhaltung der Berufungsfrist zu überprüfen. Hierbei hätte er anhand der gerichtlichen Eingangsbestätigung vom 2.12.2009 bemerken müssen, dass die Berufung beim Gericht nicht fristgemäß eingegangen war.

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Verschulden bei Fristversäumnis – Überprüfung der Uhrzeit am Faxgerät

BGH, Urteil vom 27.1.2011 — Aktenzeichen: III ZB 55/10

Leitsatz
Soll bei der Ermittlung der genauen Uhrzeit zum Zwecke der Wahrung der Frist allein die Anzeige des in der Anwaltskanzlei verwendeten Faxgeräts ausreichend sein, muss diese Anzeige zuverlässig die maßgebliche Zeit wiedergeben. Ist dieses Faxgerät technisch nicht dafür ausgelegt, selbstständig einen stetigen Abgleich mit der gesetzlichen Zeit vorzunehmen, hat der Anwalt dafür Sorge zu tragen, dass regelmäßig eine Überprüfung der Zeiteinstellung am Faxgerät stattfindet.

Sachverhalt
Ein Rechtsanwalt hatte eine Berufungsbegründung am letzten Tag der Frist an das Landgericht gefaxt. In der Absenderzeile war als Uhrzeit 23:49 Uhr angegeben. Als Empfangszeit im Faxgerät des Landgerichts war 00:03 Uhr angegeben, mit einer Dauer einer Übertragung von 2 Minuten und 16 Sekunden. Nach Hinweis auf die mögliche Verspätung des Eingangs der Berufungsbegründung hat die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und geltend gemacht, ihr Prozessvertreter habe um 23:30 Uhr die Uhrzeit an seinem Computer kontrolliert. Nach Durchsicht des Schriftsatzes habe der Prozessbevollmächtigte dann um 23:49 Uhr das Fax an das Landgericht versandt; um 23:51 Uhr sei der Sendebericht ausgedruckt worden. Nach dem Hinweis auf den verspäteten Zugang des Faxschreibens habe der Prozessbevollmächtigte festgestellt, dass die Faxuhranzeige erheblich nach gehe. Das Faxgerät habe bis dato immer einwandfrei gearbeitet. Der Prozessbevollmächtigte sei davon ausgegangen, dass die Zeitanzeige des Faxgeräts korrekt sei. Die Zeiteinstellung sei durch den für die Wartung des Faxgeräts eingesetzten Dienstleister fehlerhaft erfolgt.

Das Landgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Entscheidung
Der BGH hat ausgeführt, dass die Klägerin nicht hinreichend dargelegt und glaubhaft gemacht hat, dass die Versäumnis der Berufungsbegründungsfrist nicht auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhte. Nach Ansicht des BGH ist es nicht ausgeschlossen, dass die Nichteinhaltung einer Frist auf einen Organisationsmangel in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten zurückzuführen ist. Grundsätzlich ist ein Rechtsanwalt verpflichtet, durch entsprechende Organisation seines Büros und die notwendigen Einzelanweisungen das Möglichste zu tun, um Fehlerquellen bei der Behandlung von Fristsachen auszuschließen. Die aufzuwendende Sorgfalt durch den Rechtsanwalt ist bei Ausschöpfung der Rechtsmittelfrist bis zum letzten Tag wegen der damit verbundenen Gefahren erhöht. Ob ein Schriftsatz noch rechtzeitig bei Gericht eingegangen ist, bestimmt sich dabei nach der gesetzlichen Zeit im Sinne der §§ 1, 2 des Gesetzes über die Zeitbestimmung. Nutzt ein Rechtsanwalt die Fristen bis zur letzten Minute aus, hat er durch entsprechende Vorkehrungen zur Wahrung seiner erhöhten Sorgfaltspflicht dafür Sorge zu tragen, dass die technischen Voraussetzungen für eine Fristwahrung gegeben sind. Dem korrekten Erfassen der maßgeblichen Zeit kommt dabei besondere Bedeutung zu. Die Anzeige eines Faxgerätes muss dabei zuverlässig die maßgebliche Zeit wiedergeben. Wenn ein Gerät in Gebrauch ist, das technisch nicht dafür ausgelegt ist, selbstständig einen stetigen Abgleich mit der gesetzlichen Zeit vorzunehmen, gehört die Überprüfung der Zeiteinstellung am Faxgerät zur anwaltlichen Sorgfalt. Ansonsten kann durch Bedienungsfehler, wegen eines Stromausfalls oder wegen üblicher Ungenauigkeit bei langen Zeitabläufen die rechtlich maßgebliche Zeit von der auf dem Faxgerät angezeigten Zeit in erheblicher Weise abweichen.

Da die Klägerin nicht dargelegt hat, dass das vom Prozessbevollmächtigten benutzte Faxgerät in der Lage war, selbstständig einen Abgleich mit der gesetzlichen Zeit vorzunehmen und auch nicht dargelegt wurde, dass eine Überprüfung der Zeit stattgefunden hat, war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen; denn die Fristversäumnis war nicht unverschuldet.

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Zu den Nachforschungs- und Aufklärungspflichten eines Anlageberaters bei Vermittlung einer Anlage

BGH, Urteil vom 16.9.2010 — Aktenzeichen: III ZR 14/10

Leitsatz
Zum Umfang der Nachforschungspflichten eines Anlageberaters im Hinblick auf den im Emissionsprospekt eines Filmfonds angesprochenen Erlösversicherer.

Sachverhalt
Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen behaupteter Beratungspflichtverletzung des Beklagten anlässlich der Beteiligung an einem Filmfonds. Bei diesem Filmfonds wurde zur Reduzierung des Erlösrisikos eine Erlösversicherung abgeschlossen. Als möglicher Erlösversicherer wurde z. B. die NEIS, Brüssel angegeben. Vor der NEIS-Versicherung hatte das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen bzgl. Kaskoversicherungen bei Klein- und mittleren Privatflugzeugen und bezgl. des Direktversicherungsgeschäftes in Deutschland gewarnt. Als Filmeinnahmen ausblieben, glich die NEIS diese nicht aus, weshalb der Filmfonds inzwischen nahezu wertlos ist. Der Beklagte hatte sich vor den Beratungsgesprächen auf einer Schulung über das Konzept des Filmfonds kundig gemacht sowie in Fachzeitschriften über den Ruf des Filmfonds der Apollo Media GmbH & Co. KG nachgelesen. Er hatte jedoch keine Informationen über die Erlösversicherung, insbesondere die im Prospekt genannten NEIS, eingeholt. Die Klägerin ist der Auffassung, der Beklagte habe eine Anfrage an das Bundesaufsichtsamt für das Versicherungswesen richten müssen und hätte dann Kenntnis von dessen negativer Pressemitteilung über die NEIS bzgl. der Kaskoversicherung für Privatflugzeuge und des Direktvertriebs gehabt.

Entscheidung
Der BGH hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen und das klageabweisende Urteil des Oberlandesgerichts München bestätigt. Der BGH führt aus, grundsätzlich müsse sich der Berater aktuelle Informationen bzgl. der Erlösversicherer verschaffen, wozu die Auswertung vorhandener Veröffentlichungen in der Wirtschaftspresse gehöre. Ein Verstoß gegen diese Pflicht führe aber nur dann zu einer Haftung, wenn bei der gebotenen Prüfung ein Risiko erkennbar geworden wäre, über das der Anleger hätte aufgeklärt werden müssen, oder aber, wenn erkennbar geworden wäre, dass eine Empfehlung der Anlage nicht anleger- und/oder objektgerecht sei. Die Presseveröffentlichung des Bundesaufsichtsamts habe der Beklagte bei der Beratung aber weder erkennen noch habe síe ihm präsent sein müssen. Im Zeitpunkt der Beratung sei die Mitteilung bereits 4 Jahre alt gewesen. Zudem habe die Mitteilung Kaskoversicherungsverträge und den Betrieb des Direktversicherungsgeschäfts betroffen. Für eine Erlösversicherung für einen Filmfonds habe dies keine Rolle gespielt. Daher sei eine Anfrage an das Bundesaufsichtsamts zur Abklärung des Risikos nicht erforderlich gewesen.

Zudem schulde ein Berater an sich keine Nachfrage bei der Aufsichtsbehörde. Ein Anlageberater könne regelmäßig davon ausgehen, dass für die Öffentlichkeit bestimmte Informationen (Presseerklärung) der zuständigen Aufsichtsbehörde auch in der vom Berater zur Kenntnis zu nehmenden einschlägigen Wirtschaftspresse ihren Niederschlag finden. Daher reiche die Auswertung der einschlägigen Wirtschaftspresse.

Der Beklagte habe auch nicht über das Unterlassen der Einholung von Erkundigungen bzgl. der NEIS aufklären müssen. Der BGH führt dazu aus, dass der Berater grundsätzlich keine weiteren Nachforschungen anstellen muss, wenn die geschuldete Lektüre der einschlägigen Wirtschaftspresse keinen Anlass gibt, an der Seriosität der an einer Kapitalanlage Beteiligten zu zweifeln. In dem Fall bestehe auch keine Aufklärungspflicht im Hinblick auf eine Unterlassung der weiteren Nachforschung.

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Anforderung an die anwaltliche Büroorganisation bei Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax

BGH, Beschluss vom 07.07.2010 — Aktenzeichen: XII ZB 59/10

Leitsatz
Bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax kommt der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung zu einer wirksamen Ausgangskontrolle nur dann nach, wenn er seinen Büroangestellten die Weisung erteilt, sich einen Sendebericht ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen. Die Ausgangskontrolle soll nicht nur Fehler bei der Übermittlung ausschließen, sondern auch die Feststellung ermöglichen, ob der Schriftsatz auch wirklich übermittelt worden ist.

Eine konkrete Einzelanweisung an seine Büroangestellten, einen fristwahrenden Schriftsatz per Telefax zu übersenden, macht die Ausgangskontrolle nicht entbehrlich.

Entscheidung
Ein Rechtsanwalt hat in seinem Büro eine Ausgangskontrolle zu schaffen, durch die gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze rechtzeitig hinausgehen. Dies ist ständige Rechtsprechung des BGH. Dieser Verpflichtung kommt der Rechtsanwalt nach Auffassung des BGH bei der Übermittlung von Schriftsätzen per Telefax nur dann nach, wenn er seinen Büroangestellten die Weisung erteilt, sich einen Sendebericht ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen. Tut er dies nicht, ist eine Wiedereinsetzung gemäß § 233 ZPO wegen verschuldeter Fristversäumnis nicht möglich.

Durch die Ausgangskontrolle anhand eines Sendeberichts soll insbesondere die Feststellung ermöglicht werden, ob der Schriftsatz überhaupt übermittel worden ist. Die konkrete Einzelanweisung, die komplette Berufungsbegründung an das Berufungsgericht zu senden, reicht nach Ansicht des BGH nicht aus und macht eine Ausgangskontrolle nicht entbehrlich, da die Anweisung, den Schriftsatz per Telefax zu übersenden, alleine die Art der Übersendung betrifft. Dies umfasst indessen nicht zugleich die Ausgangskontrolle. Hierzu ist die Anweisung erforderlich, den Übermittlungsvorgang erst als abgeschlossen zu betrachten, wenn ein entsprechender Ausdruck des Sendeberichts vorliegt. Ohne seine Vorlage ist eine wirksame Ausgangskotrolle nicht möglich, und zwar weder für die Bürokraft selbst noch für den Rechtsanwalt. Der Rechtsanwalt sollte daher darauf achten, dass er die Weisung entsprechend den Vorgaben des BGH erteilt.

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Sicherheitsvereinbarung in AGB–Bürgschaft über Baukosten

BGH, Urteil vom 27.5.2010 — Aktenzeichen: VII ZR 165/09

Im BGB-Vertrag ist der Bauunternehmer vorleistungspflichtig. Verbaute Teile fallen grundsätzlich in das Eigentum des Bauherrn. Dem Sicherungsbedürfnis des Bauunternehmens kann auch privaten Bauherren gegenüber durch eine Sicherheitsvereinbarung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Rechnung getragen werden.

Der BGH hat entschieden, dass eine in den AGB enthaltene Klausel eines Fertighausanbieters gegenüber privaten Bauherren wirksam ist, nach der der Bauherr verpflichtet ist, eine unbefristete, selbstschuldnerische Bürgschaft eines Kreditinstituts in Höhe der geschuldeten Gesamtvergütung zur Sicherung aller Zahlungsverpflichtungen des Bauherrn vorzulegen. Zwar müsse der Bauherr für die Beibringung einer solchen Bürgschaft Kosten aufwenden (Avalprovision bei seiner Bank). Doch auf der anderen Seite stehe das legitime und gleichwertige Interesse des Unternehmers, seine Werklohnforderung gegen Insolvenz abzusichern. Es gäbe keine gesetzlichen Regelungen, die sein Sicherungsbedürfnis ausreichend erfüllten. Die Kostenbelastung für den Bauherrn falle im Rahmen der üblichen Finanzierungskosten dagegen nicht entscheidend ins Gesicht.

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Wohnfläche mit Abweichung der vereinbarten Wohnfläche um mehr als 10 %

BGH, Urteil vom 10.3.2010 — Aktenzeichen: VIII ZR 144/09

Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH ist eine Abweichung der vereinbarten Wohnfläche um mehr als 10 % ein zur Minderung berechtigender Sachmangel. Dies gilt auch dann, wenn der Mietvertrag zur Größe der Fläche eine „ca.‟-Angabe enthält. Mit der jetzigen Entscheidung hat der BGH (erneut) darauf hingewiesen, dass auch bei der Berechnung der Minderung der relativierende Zusatz keine zusätzliche Toleranzschwelle rechtfertigt.

Das Landgericht hat die Auffassung vertreten, die mit „ca. 100 qm“ angegebene Wohnfläche sei nur mit 95 qm anzusetzen. Der Zusatz „circa“ rechtfertige eine Abweichung von 5 %. Dem folgt der BGH nicht. Für die Feststellung des Mangels kommt es nur darauf an, ob die Abweichung mehr als 10 % beträgt. Ist dies der Fall, ist die Miete um den Prozentsatz der Flächenabweichung zu mindern. Ist etwa die Wohnfläche 15 % kleiner als die vertraglich vereinbarte, beträgt die Minderung ebenfalls 15 %.

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Haftung eines Rechtsanwaltspartners für vor seinem Eintritt in die Partnerschaft begangene berufliche Fehler

BGH, Urteil vom 19.11.2009 — Aktenzeichen: IX ZR 12/09

Leitsatz
Ist ein Partner mit der Bearbeitung eines Auftrags befasst, so kann er auch für vor seinem Eintritt in die Partnerschaft begangene berufliche Fehler eines anderen mit dem Auftrag befassten Partners haften; selbst wenn er sie nicht mehr korrigieren kann.

Sachverhalt
Die Klägerin macht gegen den Beklagten – Partner einer Partnerschaftsgesellschaft — Ansprüche wegen einer Pflichtverletzung aus einem Anwaltsvertrag geltend. Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Im Dezember 2001 erhob die Kanzlei, eine Partnerschaftgesellschaft, im Interesse der Klägerin eine Klage. Der Beklagte trat der Kanzlei mit Wirkung zum 01.01.2002 als Partner bei. Für das Verfahren der Klägerin hat der Beklagte im Mai 2000 die Entgegnung auf die Klageerwiderung gefertigt. Die Klage wurde wegen fehlender Klagebefugnis abgewiesen. Dies hatte zur Folge, dass bei erneuter Erhebung der Klage die Ansprüche der Klägerin teilweise verjährt waren.

Die Klägerin nahm sodann den Beklagten auf Schadensersatz in Anspruch. Das Oberlandesgericht gab der Klage statt. Der BGH wies die Revision des Beklagten zurück.

Entscheidung
Nach Ansicht des BGH haften gemäß § 8 Abs. 1 S. 2 PartGG i.V.m. § 130 HGB neu eintretende Gesellschafter auch für vor dem Betritt begründete Verbindlichkeiten der Partnerschaftsgesellschaft. Diese Erwägung treffe auch für Verbindlichkeiten zu, die sich aus fehlerhafter Berufsausübung ergeben. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 8 Abs. 2 PartGG. Danach haften Partner nicht, wenn sie mit der Bearbeitung des in Rede stehenden Auftrages nicht befasst sind. Der BGH stellt aber fest, dass daraus nicht zu schließen sei, dass Partner, die selbst keine beruflichen Fehler zu verantworten hätten, nicht haften. Nach der Gesetzesbegründung knüpfe die Haftung alleine daran an, ob ein Partner irgendwann mit der Angelegenheit befasst gewesen sei. Diese Haftung könne mithin als verschuldensunabhängige Handelndenhaftung verstanden werden. Der Gesetzgeber habe damit eine einfache und unbürokratische gesetzliche Regelung der Handelndenhaftung schaffen wollen.

Eine Ausnahme von dieser handelnden Haftung ergebe sich lediglich aus § 8 Abs. 2 a.E. PartGG für Bearbeitungsbeiträge von untergeordneter Bedeutung. Solche Bearbeitungsbeiträge sind z.B. Urlaubsvertretungen ohne eigene gebotene inhaltliche Bearbeitung oder etwa eine konsularische Beiziehung. Im Gegensatz dazu ist eine inhaltliche Befassung mit dem Mandat, bei dem konkrete Sachentscheidungen zu treffen sind, keine Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung; eine solche Tätigkeit kann eine Haftung des Partners begründen, und zwar auch für Fehler, die vor seinem Eintritt in die Partnerschaft begangen worden sind.

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Dem Bürger dürfen Verzögerungen der Briefbeförderung oder der Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet werden

Bundesgerichtshof, Urteil vom 20.5.2009 — Aktenzeichen: IV ZB 2/08

Der Postkunde darf in der Regel auf die Einhaltung der angegebenen Beförderungszeiten zumindest solange vertrauen, bis die Post selbst eine mögliche Verzögerung bekannt gibt oder solche offenkundig sind.

Sachverhalt
Am 30.04.2007 gegen 14:00 Uhr ging der Prozessbevollmächtigte des Klägers zu dem 7 bis 8 min. entfernten Briefkasten, um eine Berufungsbegründung zusammen mit anderer Post dort einzuwerfen. Der Briefkasten wird regelmäßig um 14:30 Uhr geleert. Am 30.04.2007 wurde der Briefkasten sogar erst um 14:49 Uhr geleert.

Die Berufungsbegründung wurde erst am 03.05.2007 und damit einen Tag nach Fristablauf beim zuständigen Gericht zugestellt. Diese Fristversäumnis ist dem Kläger nicht zuzurechnen.

Entscheidung
Zur Überzeugung des Bundesgerichtshofs stand fest, dass der Brief deutlich vor der angegebenen Leerungszeit um 14:30 Uhr und zumindest vor der tatsächlichen Leerung um 14:49 Uhr in den Briefkasten eingeworfen wurde. Die Deutsche Post AG und andere Unternehmen, die Universaldienstleistungen im Briefverkehr anbieten, müssen sicherstellen, dass sie an Werktagen aufgegebene Inlandssendungen im gesamten Bundesgebiet im Jahresdurchschnitt mindestens zu 80 % am ersten und zu 95 % am zweiten Tag nach der Einlieferung ausliefern (§ 2 Nr. 3 S. 1 PUDLV). Auf die Einhaltung der angegebenen Beförderungszeiten darf der Postkunde daher in der Regel solange vertrauen, bis die Post selbst eine Verzögerung bekannt gibt oder offekundig sind — z.B. durch angekündigte Streiks oder Unwetterwarnungen -. Der Postkunde darf daher auch dann auf die gewöhnlichen Postlaufzeiten vertrauen, wenn er die Postsendung erst kurz vor der angeschlagenen Leerungszeit in den Briefkasten einwirft.

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Schadensersatzberechnung für den unzureichend aufgeklärten Mandanten

BGH, Urteil vom 15.1.2009 — Aktenzeichen: IX ZR 166/07

Leitsatz
1. Die Pflicht eines Rechtsanwalts, seinen Mandanten über den Inhalt eines möglichen Vergleichs aufzuklären, dient auch dem Schutz der ohne den Vergleich bestehenden Rechtsposition des Mandanten.

2. Schließt der Mandant einen Vergleich, weil ihn sein Rechtsanwalt über dessen Inhalt unzureichend aufgeklärt hat, so kann sein Anspruch auf Schadensersatz nicht unter dem Gesichtspunkt des Schutzzwecks der verletzten Pflicht auf die Differenz zu der Vermögenslage beschränkt werden, die er – nicht aber die Gegenpartei – als Inhalt des Vergleichs akzeptiert hätte.

Sachverhalt
Der Kläger schloss als damaliger Anwalt für den Beklagten im Jahre 2002 zur Erledigung eines Kündigungsschutzprozesses einen Vergleich. Dieser hatte zum Inhalt, dass das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2002 beendet wurde. Der Vergleich beinhaltete auch die noch zu zahlende Vergütung. In der Folgezeit stellte sich heraus, dass der Vergleich in zwei Punkten nicht den Vorstellungen des Beklagten entsprach. Zum einen war der frühere Arbeitgeber entgegen der Annahme des Beklagten nach dem Vergleich nicht verpflichtet, die Vergütung für die Altersteilzeit aufzustocken. Zum zweiten musste es der Beklagte hinnehmen, dass ihm der frühere Arbeitgeber eine um monatlich 321,34 € gekürzte Altersrente bezahlte. Einen den Vorstellungen des Beklagten entsprechenden Vergleich hätte der frühere Arbeitgeber nicht abgeschlossen.

In der Folgezeit beglich der Beklagte verschiedene Rechnungen des Klägers nicht. Dieser klagte im vorliegenden Rechtsstreit auf Zahlung seines Anwaltshonorars. Der Beklagte erhob daraufhin Widerklage und forderte Schadensersatz in Höhe von 163.273,43 €; dies insbesondere mit der Behauptung, der Kläger habe die ihm als Rechtsanwalt im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vergleiches obliegenden Pflichten verletzt. Er verlangt so gestellt zu werden, als wäre der Vergleich nicht geschlossen worden und das Arbeitsverhältnis bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres mithin bis zum 30.09.2006, fortgesetzt worden.

Die Widerklage hatte beim Landgericht keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat den Kläger auf die Widerklage hin verurteilt, an den Beklagten 14.460,30 € zu zahlen. Im übrigen hat es die Widerklage abgewiesen. Gegen die Abweisung der Widerklage richtete sich die Revision des Beklagten.

Entscheidung
Die Revision hatte Erfolg. Sie führte im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Der BGH führt im einzelnen aus, dass der mit der Widerklage geltend gemachte Schaden Folge der Pflichtverletzung des Klägers sei. Ein Vergleich wäre nicht zustande gekommen, wenn der Beklagte vom Kläger pflichtgemäß über den genauen Inhalt des vereinbarten Vergleichs aufgeklärt worden wäre. Einem Vergleich mit dem Inhalt, den der Beklagte akzeptiert hätte, hätte sein Arbeitgeber nicht zugestimmt. Der Prozess wäre daher bei pflichtgemäßer Aufklärung streitig fortgeführt worden. Der Beklagte hätte in diesem Prozess obsiegt, so dass sein Arbeitsverhältnis bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres fortgedauert hätte.

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes sei der Schadensersatzanspruch des Beklagten nicht auf die Herstellung der Vermögenslage begrenzt, die sich für ihn ergeben hätte, wenn der Inhalt des Vergleiches seinen Vorstellungen entsprochen hätte. Denn die Pflicht eines Rechtsanwalts, seinen Mandanten über den Inhalt eines möglichen Vergleichs aufzuklären, solle nicht nur sicherstellen, dass der Vergleich den Vorstellungen des Mandanten entspricht, sondern dient auch dem Schutz der ohne den Vergleich bestehenden Rechtsposition des Mandanten. Eine Beschränkung des ersatzfähigen Schadens auf den Umfang des Erfolgs, den der Mandant im Vergleichswege erzielen wollte, könne nur dann in Betracht kommen, wenn der Mandant einen Vergleich schließen möchte, weil er das Prozessrisiko scheut und hierbei aufgrund einer unzureichenden Belehrung über den Inhalt des Vergleichs rechtliche oder tatsächliche Positionen aufgibt, über die der Prozessgegner noch verhandlungsbereit war. Dann kann dem Mandanten als Schadensersatz nicht dasjenige zugesprochen werden, was er durch ein voll obsiegendes Urteil erhalten hätte.

Im vorliegenden Fall musste der Beklagte sich aber zwischen der nicht gewollten durch den Vergleich herbeigeführten Vermögenslage und der bei einer Fortführung des Prozesses bestehenden Vermögenslage entscheiden. Die Pflicht zur sachgerechten Aufklärung durch den Kläger hatte somit auch den Zweck, den Beklagten davor zu bewahren, aufgrund einer Fehlvorstellung über den Inhalt des Vergleichs auf die Fortführung des Prozesses und die damit zu wahrenden Rechtsposition zu verzichten.

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Haftung des Anwalts für Schäden durch rechtsfehlerhaftes Urteil

BGH, Urteil vom 18.12.2008 — Aktenzeichen: IX ZR 179/07, NJW 2009, 987 = WM 2009, 324

Verfahren
Die Klägerin nahm als Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses Mieter ihrer Wohnung auf Zahlung von Nebenkosten in Anspruch. Die Klage hatte weder vor dem Amtsgericht noch in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht Erfolg; denn sowohl die Gerichte als auch die Anwälte, welche die Klägerin in der Berufungsinstanz mit ihrer Vertretung beauftragt hatte, hatten eine die Rechtsauffassung der Klägerin bestätigende Entscheidung des BGH übersehen.

Die Klägerin nahm so dann die Anwaltssozietät auf Schadensersatz in Anspruch. Anders als die Vorinstanzen hat der BGH der Klage stattgegeben.

Nach Ansicht des BGH hat die beklagte Anwaltssozietät ihre Pflichten aus dem Anwaltsvertrag verletzt. Der Anwalt ist verpflichtet, die Möglichkeit zu nutzen, auf die rechtliche Beurteilung des Gerichts Einfluss zu nehmen. Dazu gehört auch der Hinweis auf eine Entscheidung des BGH, die geeignet ist, die Rechtsauffassung der Klägerin zu stützen. Diese Pflicht des Anwalts entfällt nicht deswegen, weil der Richter die Entscheidung aufgrund der beigebrachten Tatsachengrundlage trifft. Der Anwalt hat ebenso wie der Richter die Befähigung zum Richteramt oder eine gleichwertige Qualifikation. Deshalb beschränkt sich die Aufgabe des Anwalts nicht auf Beibringung der Tatsachen, sondern er ist auch zur rechtlichen Durchdringung des Falles verpflichtet.

Ob durch eine solche Pflichtverletzung dem Mandanten ein Schaden entstanden ist, hängt davon ab, welchen Verlauf die Dinge bei pflichtgemäßem Verhalten genommen hätten. Hängt die Ursächlichkeit vom Ausgang eines anderen Verfahrens ab, muss das Regressgericht selbst prüfen, wie jenes Verfahren richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre. Welche rechtliche Beurteilung das mit dem Vorprozess befasste Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hätte, ist ohne Belang. Maßgeblich ist allein die Sicht des Regressgerichts, und zwar auch dann, wenn feststeht, welchen Ausgang das frühere Verfahren bei pflichtgemäßen Verhalten des Anwalts genommen hätte. Bei der vom BGH entschiedenen Konstellation ist davon auszugehen, dass das Gericht des Vorprozesses die Rechtsprechung des BGH berücksichtigt hätte, wenn das Gericht darauf hingewiesen worden wäre.

Der Zurechnungszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung des Anwalts und dem Schaden ist nicht dadurch unterbrochen worden, dass das Gericht die fragliche Rechtsauffassung selbst hätte finden müssen. Der Anwalt hat gerade die Pflicht, den Mandanten vor Fehlentscheidungen infolge nachlässiger Arbeit des zur Entscheidung berufenen Richters zu bewahren; genau dieses Risiko hat sich nach Aussicht des BGH verwirklicht.

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