Endlich Klarheit in beA beim Signieren von Schriftsätzen der Kollegen

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

Qualifiziert Signieren für Praxiskollegen geht ohne Fallstricke

 

BGH; Beschluss vom 28.02.2024, IX ZB 30/23

Leitsatz 

Signiert ein Mitglied einer mandatierten Anwaltssozietät einen Schriftsatz, den ein anderes Mitglied der Anwaltssozietät verfasst und einfach elektronisch signiert hat, in qualifiziert elek-
tronischer Form und reicht diesen Schriftsatz über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach bei Gericht ein, ist dies wirksam. Eines klarstellenden Zusatzes („für‟) bei der einfa-
chen Signatur des Schriftsatzverfassers bedarf es nicht.

Sachverhalt

Alltag in der Anwaltspraxis. Eine Berufungsbegründung muss eingereicht werden. Ein Anwalt einer Sozietät verfasst den Schriftsatz, und sein Name erscheint in maschinenschriftlicher Form unter dem Schriftsatz (einfache Signatur). Die qualifizierte elektronische Signatur mittels Signaturkarte wird von einem Kollegen aus der Praxis angebracht, ohne dass der Schriftsatz selbst noch irgendwie geändert wird. Es wird kein Zusatz „für‟ angebracht, auch wird die einfache Signatur nicht auf den Kollegen umgeschrieben.

Entscheidung

Das Landgericht Koblenz ist sich nicht zu schade, die Berufungsbegründung als unzulässig zu verwerfen. Der qualifiziert signierende Anwalt trete „im Schriftsatz‟ nicht ausreichend als verantwortende Person in Erscheinung.

Der BGH hebt die Entscheidung auf: Die Berufungsbegründung ist wirksam eingelegt. Die erste Variante des § 130a ZPO ist erfüllt, denn der Schriftsatz ist mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Diese entspricht der eigenhändigen Unterschrift auf einem Papierschriftsatz. Es besteht – auch dies eine Parallele zur Papierwelt – kein Anlass daran zu zweifeln, dass der signierende Kollege den Schriftsatz mittels seiner Signatur auch „verantworten‟ wollte. Dies müsse nicht noch einmal zusätzlich auf dem Schriftsatz zum Ausdruck gebracht werden.

Anmerkung

Dies ist eine wichtige Entscheidung für eine funktionierende Praxis.

Wenn die qualifizierte elektronische Signatur nach § 130a ZPO allein reicht, muss gerade nicht mühsam die einfache Signatur des Kollegen gelöscht und die eigene maschinenschriftliche Unterschrift eingesetzt werden. Selbstverständlich kann ich mit meiner Signatur einen Schriftsatz verantworten, den eine Kollegin verfasst hat, deren Name als Schriftzug unter dem Schriftsatz zu lesen ist.

Dies klar zu haben bedeutet eine große Erleichterung. Wir müssen nur noch darauf achten, dass der Schriftsatz qualifiziert signiert und dann versendet wird. An dieser Stelle hat aus meiner Sicht der Leitsatz eine kleine Ungenauigkeit: Es ist nicht erforderlich, dass der Schriftsatz vom Signierenden „über sein elektronisches Anwaltspostfach‟ versendet wird, sondern das kann durchaus irgendwo aus der Praxis geschehen, aus welchem Postfach auch immer. Die qualifizierte elektronische Signatur braucht keine weiteren Absicherungen. Die Entscheidungsgründe des BGH lassen daran auch keinen Zweifel.

Abgesehen davon, dass die Entscheidung überzeugend ist und eine konsequente Fortführung der Spruchpraxis aus dem Papierzeitalter darstellt, tut es einfach gut, wie der BGH eine praxistaugliche Lösung hochhält. Von manchen Gerichten im Lande hat man eher den Eindruck, dass diese zwar selbst vorzugsweise noch per Telefax kommunizieren, aber die Anforderungen an die Anwälte, die seit Jahren zur elektronischen Übersendung verpflichtet sind, nach Möglichkeit hochsetzen – für „eine Handvoll Dollar‟ oder eben „eine glorreich verworfene Berufung‟.

(Dr. Harald Scholz)

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Keine Wartepflicht nach § 17 Abs. 2a BeurkG bei einseitigen Rechtsgeschäften

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

Gilt die notarielle Wartepflicht nach § 17 Abs. 2a BeurkG bei Beurkundung eines Schuldanerkenntnisses? Wie ist der Wille der Beteiligten bei einseitigen Rechtsgeschäften zu erforschen?

OLG Saarbrücken, Urteil vom 18.05.2022, 5 U 41/21

Sachverhalt

Der beklagte Notar wurde von der Klägerin beauftragt, ein selbständiges Schuldversprechen mit Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung zugunsten eines Unternehmens zu beurkunden. Im Hintergrund stehen nicht näher bekannte strafrechtliche Verfehlungen; die Klägerin will offenbar strafrechtliche Schritte des Unternehmens vermeiden.

Ein Jahr später nimmt die Klägerin den beklagten Notar auf Freistellung von dieser Verbindlichkeit in Anspruch. Es liege ein Verstoß gegen die Wartepflicht nach § 17 Abs. 2a BeurkG vor, denn sie habe erst einige Stunden vor der Beurkundung den Text erhalten. Außerdem habe sie ausdrücklich gewünscht, dass eine Passage, wonach die Schuld „aus vorsätzlichen und schuldhaften Handlungen“ geschuldet sei, gestrichen werde. Dies habe der Notar aber nicht getan.

Der Beklagte hatte unstreitig mit den Vertretern des Unternehmens telefoniert und gefragt, ob diese Streichung einvernehmlich möglich sei. Als dies abgelehnt wurde, hat er die Klägerin dahin belehrt, sie könne über die Formulierung frei befinden, möglicherweise sei die Urkunde dann aber für den gedachten Zweck wertlos.

Das Landgericht weist die Klage ab, weil keine Pflichtverletzung festgestellt werden könne. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin.

Entscheidung

Die Berufung bleibt erfolglos.

Ein Verstoß gegen § 17 Abs. 2a BeurkG liege nicht vor. Bei dem abgegebenen Schuldversprechen handele es sich um ein einseitiges Rechtsgeschäft, das nicht auf den Abschluss eines Verbrauchervertrages gerichtet sei. Was ein Verbrauchervertrag ist, folgt aus der Legaldefinition in § 310 Abs. 3 BGB. Für eine analoge Anwendung sei mangels planwidriger Regelungslücke kein Raum. Der Gesetzgeber habe – in Abweichung vom ursprünglichen Gesetzesentwurf – bewusst nur Verbraucherverträge regeln wollen.

Dass die Passage „aus vorsätzlichem und schuldhaftem Handeln“ gestrichen werden sollte, konnte bereits faktisch nicht festgestellt werden. Der Notar habe geäußert, nach dem Telefonat und seiner Belehrung habe sich die Klägerin dazu entschlossen, die Passage im Text der Urkunde zu belassen. Dies sei auch plausibel. Zwar müsse der Notar den „wahren Willen der Beteiligten“ erforschen, die Urkunde verfolgte jedoch einen Zweck gegenüber dem begünstigten Unternehmen. Der „wahre Wille“ geht plausibel dahin, diesen Zweck auch erreichen zu können und nicht – nutzlos – Notarkosten auszulösen.

Praxishinweis

Die Wartepflicht nach § 17 Abs. 2a BeurkG hat die Gerichte in den letzten Jahren landauf, landab beschäftigt. Soweit ersichtlich, ist dies aber der erste obergerichtliche Fall, der sich mit einer analogen Anwendung auf einseitige Erklärungen befasst. Gänzlich fern liegt die Erwägung nicht, denn immerhin gab der Verbraucher eine Erklärung ab und im Hintergrund stand das „begünstigte“ Unternehmen als Quasi-Beteiligter. Dennoch ist die Entscheidung des OLG Saarbrücken zutreffend und auch überzeugend aus dem Gesetzgebungsvorgang abgeleitet. Die Entscheidung entspricht der herrschenden Meinung in der Literatur.

Beachtung verdienen die Ausführungen zur Frage der Pflichterfüllung nach § 17 Abs. 1 und 2 BeurkG. Man könnte meinen, anders als bei einem Vertrag könne der „wahre Wille des Beteiligten“ leicht festgestellt und umgesetzt werden. Dabei ist aber der intendierte Zweck der Urkunde zu beachten. Bei einem Testament kann der Erblasser vielleicht seinen Willen frei ausleben. Soll aber ein bestimmter Zweck gegenüber Dritten erreicht werden – wie hier mit dem Schuldversprechen – ist der Wille des Beteiligten auch dadurch geprägt, dass dieser Zweck erfüllt werden kann. Dann ist die Urkunde eben kein „Wunschkonzert“ und der Beteiligte muss sich – nach entsprechendem Hinweis des Notars – entscheiden, ob er lieber seine subjektiven Vorstellungen formuliert sehen will oder ob der Zweck im Vordergrund stehen muss. Niemand gibt schließlich freiwillig und gern ein Schuldanerkenntnis ab.

(Dr. Harald Scholz, Hamm)


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Wann muss ein Verbraucher den Notar an den Vollzug einer Urkunde erinnern?

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

Ein Urkundsbeteiligter muss den Notar nicht bereits nach 5½ Monaten an den Antrag auf Eintragung eines dinglichen Wohnungsrechts erinnern, um einen Haftungsausschluss zu verhindern.

OLG Hamm, Urteil vom 14.01.2022, 11 U 11/21

Sachverhalt

Der beklagte Notar hatte zum Vollzug einer Urkunde den Antrag auf Eintragung eines dinglichen Wohnungsrechts beim Grundbuchamt zu stellen. Dieses Wohnungsrecht war in einem Ehevertrag am 11.03.2015 vereinbart worden. Am 28.08.2015 bewilligte der inzwischen geschiedene Ehemann bezüglich des Grundstücks Grundschulden über insgesamt 290.000,00 €, die am 29.09.2015 eingetragen wurden. Erst am 18.05.2016 erinnerte sich der Notar daran, den Eintragungsantrag für das Wohnungsrecht zu stellen.

Das Landgericht Paderborn hat den beklagten Notar für schadensersatzpflichtig gehalten. Dagegen richtete sich die Berufung.

Entscheidung

Das OLG Hamm bestätigt die Haftung. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeglichen Schaden aus der verspäteten Stellung des Umschreibungsantrages zu ersetzen.

Anträge im Vollzug einer Urkunde sind nach § 53 BeurkG zu stellen, sobald die Urkunde eingereicht werden kann. Anders nur dann, wenn die Beteiligten gemeinsam etwas Anderes verlangen. Dies war hier nicht geschehen.

Dadurch, dass inzwischen die Grundschuld mit besserem Rang eingetragen war, wurde ein hinreichend konkreter Schaden dem Grunde nach ausgelöst. Das Feststellungsinteresse wurde daher bejaht, weil bereits Verjährung drohte. Der Schaden sei hinreichend konkret, besonders deshalb, weil der geschiedene Ehemann den Erlös aus der Veräußerung eines Flurstücks nicht genutzt hatte, um die Grundschuld löschen zu lassen. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass auch zukünftig weitere Zahlungsverpflichtungen des Mannes über diese Grundschuld abgesichert werden könnten.

Das Gericht folgt nicht der Auffassung des Notars, die Klägerin habe ihn an den Umschreibungsantrag erinnern müssen. Solche „Rechtsmittel“ darf der Geschädigte zwar nicht schuldhaft versäumen, denn dann folgt daraus ein vollständiger Haftungsausschluss gemäß § 19 Abs. 1 S. 3 BNotO in Verbindung mit § 839 Abs. 3 BGB.

Nach der Rechtsprechung des BGH muss sich vielmehr jeder, der an einem Notariatsgeschäft beteiligt ist, nach seinen Kräften dafür interessieren, ob die Eintragungen entsprechend den in der Urkunde gestellten Anträgen unverzüglich vorgenommen werden. Er muss sich daher „nach einiger Zeit“ bei dem Notar danach erkundigen, ob die Eintragung nun erfolgt ist, und muss ihn gegebenenfalls an die Erledigung erinnern.

Das OLG Hamm hält den verstrichenen Zeitraum von 5½ Monaten (danach war die Grundschuld in der Welt) nicht für ausreichend lang, um der Klägerin einen Vorwurf machen zu wollen. Denn dieser Zeitraum halte sich noch in den üblichen Bearbeitungszeiten von Grundbuchämtern, sodass bei einem Verbraucher kein Verdacht aufkommen müsse.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist interessant, weil damit weitere konkrete Orientierung gegeben wird, um den etwas konturlosen Tatbestand des „Rechtsmittels“ zu konkretisieren, wenn es sich dabei um die Erinnerung an eine erforderliche Tätigkeit des Notars handelt, die dieser vergessen hat.

Nachdem die letzten veröffentlichten Entscheidungen lange zurücklagen, darf man vermerken: Die Rechtsprechung geht nach wie vor davon aus, dass auch Verbrauchern ein ausreichendes Verständnis zugetraut wird, um überhaupt mit einer Erinnerung vorstellig werden zu müssen. Dies ist zu bejahen, wenn ein Recht erworben werden soll. Der durchschnittliche Erwerber weiß, dass für sein Eigentum oder sonstiges Recht eine Eintragung im Grundbuch erforderlich ist und dass hierüber eine Bestätigung erfolgen muss. In der Urkunde steht dies üblicherweise auch nochmals. Bei komplizierteren Geschäften kommt man dann wohl schon in Grenzbereiche.

Überzeugend ist der Hinweis des OLG Hamm, dass ein Zeitraum von knapp 6 Monaten noch nicht ausreicht, denn hier muss sich der Verbraucher bei den üblichen Bearbeitungszeiten noch nicht wundern. – In früherer Rechtsprechung wurde nach einem Zeitraum von 9 Monaten eine Erkundigungspflicht bejaht (OLG Düsseldorf), in einem weiteren Fall bei einem Zeitraum von 5 Jahren (BGH).

Ausblick

Der Fall kontrastiert in sehr interessanter Weise mit einem vom Unterzeichner zu führenden Rechtsstreit, bei dem es der Notar gut 10 Jahre lang versäumt hatte, einen Umschreibungsantrag für das Eigentum an Grundstücken zu stellen. Das Eigentum ging so erst ca. 11 Jahre nach der Beurkundung über. Der Fall lag aber anders, weil keinerlei Zwischeneintragungen zu verzeichnen waren. Sogar steuerlich waren die neuen „Eigentümer“ durchweg schon als solche behandelt worden. Lange Jahre merkte niemand, dass der formale Akt der Umschreibung im Grundbuch noch fehlte.

Jene Angelegenheit endete nicht mit einem Urteil. Das Landgericht hatte aber darauf hingewiesen, dass das Feststellungsinteresse fehlen könne. Denn ein Schaden war in dieser besonderen Grundkonstellation noch gar nicht entstanden, so dass mangels fälligem Anspruch auch keine Verjährung drohte. Es wurde nur spekuliert, ob in Zukunft vielleicht einmal eine „10-Jahres-Fristen“ nach der einen oder anderen Rechtsvorschrift zu Nachteilen führen könne. Dies reichte dem Landgericht aber nicht aus, um einen konkreten Schaden anzunehmen. Demgegenüber war im Fall des OLG Hamm durch die Zwischeneintragung der Grundschuld und dem Verhalten des Eigentümers genügend geschehen, um nach der Risiko-Schaden-Formel des BGH die Schwelle von der Vermögensgefährdung zum Schaden zu überschreiten.

(Rechtsanwalt Dr. Harald Scholz, Hamm)


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Schwarzarbeit schon bei vereinbarter Verschiebung der Rechnung

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

OLG Düsseldorf, Urteil vom 27.11.2020 – 22 U 73/20

 

Leitsätze 

  1. Vereinbart ein Planer mit seinem Auftraggeber einen Aufschub der Rechnungsstellung für seine Leistungen, bis der Auftraggeber seinerseits Leistungen für ein Bauvorhaben des Planers erbracht hat, ist der Vertrag nichtig.
  2. Eine Häufung von Indizien kann dazu Anlass geben, einen Verstoß gegen das Schwarzarbeitsverbot auch dann anzunehmen, wenn keine Partei sich auf eine solche Abrede beruft. Allein durch die Äußerung der Rechtsansicht seitens der Parteien eines Rechtsstreits, ein Verstoß gegen das Verbotsgesetz liege nicht vor, wird dessen Anwendung nicht ausgeschlossen.
  3. Einem nichtigen Vertrag kann nicht dadurch zur Wirksamkeit verholfen werden, dass nachträglich Rechnungen gestellt werden.

 

Sachverhalt

Der Kläger (ein Architekt) begehrt Honorar für Planungsleistungen für ein von den Beklagten (Gesellschafter bzw. Geschäftsführer der E-GmbH) errichtetes Mehrfamilienhaus, die spätestens im September 2016 abgeschlossen waren. Rechnungen wurden hierfür erstmals am 06.06.2017/07.06.2017 erstellt.

Nach dem Vortrag des Klägers sollten seine Planungsleistungen durch eine Zahlung sowie auch durch unentgeltliche Bauleistungen der E-GmbH an seinem privaten Haus vergütet werden.

Nachdem die Kammer des Landgerichts Bedenken äußert, dass mangels Rechnungsstellung ein Schwarzgeschäft vorliege, erklärt der Kläger jedoch, dass eine wechselseitige Rechnungsstellung beabsichtigt war. Sodann erklärt er wiederum, erst als er der E-GmbH am 31.05.2017 kündigte, sei er dazu veranlasst worden, Rechnungen zu stellen. Beide Parteien leugnen einen Verstoß gegen das Schwarzarbeitsgesetz. Das Landgericht weist die Honorarklage ab: Bei Verstoß gegen das Schwarzarbeitsgesetz könnten die Parteien keine gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen. Dagegen richtet sich die Berufung des Architekten.

 

Entscheidung

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Der geschlossene Vertrag ist gem. § 134 BGB i.V.m. § 1 SchwarzarbeitsG nichtig, da der Kläger gegen die gesetzliche Pflicht verstößt, innerhalb von sechs Monaten nach Erbringung der Leistung eine Rechnung auszustellen (§ 14 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 UStG).

Diesen Verstoß räumte der Kläger durch seinen Vortrag sogar selbst ein, indem er vortrug, dass er bis zur Kündigung der E-GmbH davon ausging, dass diese im Gegenzug Arbeiten an seinem Privathaus durchführe. Demnach hätte er mit der Rechnungserstellung im Falle einer Verzögerung der Arbeiten noch bis zu deren Abschluss gewartet. Auch auf der Beklagtenseite war ein Aufschub der Rechnungsstellung beabsichtigt.

Es kommt nicht darauf an, ob die Parteien beabsichtigten, noch Rechnungen auszustellen, denn selbst eine nachträgliche Rechnungserstellung könnte den Vertrag nicht mehr wirksam werden lassen, wenn zunächst über 6 Monate hinaus ein Geschäft ohne Rechnung bestehen sollte.

Das Schwarzarbeitsgesetz sei bei ernsthaften Indizien im Zivilrecht anzuwenden, auch wenn beide Parteien dessen Anwendbarkeit mangels Vorsatzes leugnen. Abweichend vom Grundsatz, dass nur dasjenige berücksichtigt wird, was zumindest eine Partei vorträgt, folge das aus dem Zweck der Rechtsnorm, deren Wirksamkeit auch ins Zivilrecht transportiert werden müsse.

Dies ist vorliegend der Fall: Der widersprüchliche Vortrag des Klägers, die langwierige Geschäftsbeziehung der Parteien ohne schriftliche Verträge sowie die Rechnungserstellung nach über sechs Monaten nach der Leistungserbringung deuten auf Schwarzarbeit hin. Es liegt nahe, dass Leistung und Gegenleistung, soweit sie gleichwertig waren, „schwarz“ miteinander verrechnet werden sollten.

Infolgedessen sind aufgrund des Verstoßes gegen das Verbot der Schwarzarbeit Werklohnansprüche wegen der Unwirksamkeit des Vertrages ausgeschlossen. Auch der Wert der Leistung, um den der Empfänger ohne Gegenleistung bereichert ist, kann wegen § 817 S. 2 BGB nicht verlangt werden.

 

Anmerkung

Der Fall lässt bereits die vorübergehende Abrede der Leistung ohne Rechnung für den Gesetzesverstoß ausreichen, soweit gegen die Pflicht zur zeitigen Rechnungsstellung verstoßen werden soll. Die Anwendung des Schwarzarbeitsgesetzes auch bei entgegenstehendem Vortrag beider Parteien ist scheinbar eine Durchbrechung der sogenannten Parteimaxime, wonach im Zivilrecht allein die Parteien des Rechtsstreits den Streitstoff bestimmen. Es gab allerdings durch die Einlassungen des Klägers eine Tatsachenbasis, auf die sich das Urteil stützen konnte; darauf, ob die Parteien den Rechtsstandpunkt des Gerichts teilten oder gar eine Anwendung des SchwArbG ablehnten, kommt es nicht an.

Wie wichtig der Sachvortrag der einzelnen Parteien ist, zeigt der Fall auch. Hier hat der Kläger aus Versehen zugunsten des Beklagten vorgetragen, weil er die Rechtsfolgen anders beurteilte. Der eigene Vortrag muss gründlich überlegt und die damit verbundenen Rechtsfolgen müssen bedacht werden. Es fällt allerdings im Ergebnis schwer, von einem Missverständnis auszugehen: Welche harmlose Begründung könnte es dafür geben, dem Geschäftsführer für dessen private Bestellung keine Rechnung zu schicken, sondern erst einmal abzuwarten, welche Leistungen dessen GmbH am eigenen Haus erbringt?

 

(Dr. Harald Scholz unter Mitarbeit von stud. jur. Antonia Hinte)

 

 

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Grenzen der Notarhaftung bei Verstoß gegen Wartepflicht (§ 17 Abs. 2a BeurkG)

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

BGH, Urteil vom 22.04.2021 – III ZR 164/19

Bei einem Verstoß gegen die notarielle Informations- und Wartepflicht (§ 17 Abs. 2a Satz 2 BeurkG) kann das Verhalten des Käufers nach Vertragsschluss für die Bewertung herangezogen werden, wie der Verlauf bei richtigem Verhalten des Notars gewesen wäre.

Sachverhalt:

Die Käufer erwerben im Jahr 2008 eine 55 m² große Eigentumswohnung zum Preis von 87.500,00 €. Sie nehmen nachfolgend zur Finanzierung des Kaufpreises ein Bankdarlehen in Höhe von 87.940,00 € auf und lassen eine Grundschuld als Sicherheit beurkunden. Nach fünf Jahren verklagen die Käufer die damalige Verkäuferin der Wohnung und die Vermittlerin wegen fehlerhafter Kapitalanlageberatung und sittenwidriger Überteuerung und erhalten durch einen Vergleich einen Teil des eingeklagten Schadensbetrages erstattet. Nochmals fünf Jahre später wird der Notar auf Zahlung des verbleibenden Schadens verklagt.

Der Kläger macht aus eigenem und aus abgetretenem Recht seiner Ehefrau geltend, die Wartepflicht sei damals nicht eingehalten worden. Seine Ehefrau und er hätten den Vertragstext vorab nicht erhalten und sogar den Kaufpreis erst bei der Beurkundung erfahren.

Landgericht und Oberlandesgericht haben die Klage abgewiesen. Aus dem Verhalten nach Vertragsschluss, als sich die Käufer um die Durchführung des Kaufvertrages bemühten, haben die Richter den Schluss gezogen, dass die Käufer auch bei richtigem Verhalten des Notars (also nach korrekter Information und nach Ablauf der Wartefrist) den Vertrag ebenso abgeschlossen hätten. Ihnen sei daher aus dem Fehler des Notars kein Schaden entstanden.

Entscheidung:

Der BGH hebt das Berufungsurteil auf und verweist die Sache zurück.

Seine bisherige Rechtsprechung der letzten Jahre fasst der BGH zusammen und bestätigt sie. Danach ist der Verstoß gegen die Wartepflicht stets kausal für den konkreten Vertragsschluss, denn sonst hätte man frühestens 14 Tage später zur Tat schreiten können. Der Notar kann sich jedoch darauf berufen, dass die Käufer nach Ablauf der Wartefrist den Vertrag genauso geschlossen hätten. Für diesen hypothetischen Verlauf trifft den Notar die Darlegungs- und Beweislast. Zu seinen Gunsten gilt aber das herabgesetzte Beweismaß des § 287 ZPO, es reicht also die Überzeugung des Gerichts von einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit. Dem Käufer (Verbraucher) obliegt außerdem eine sekundäre Darlegungslast; er muss also vortragen, inwiefern sich die Dinge innerhalb der Wartefrist anders entwickelt hätten.

Der BGH bekräftigt, dass die Würdigung dieses Vortrags eine tatrichterliche Frage ist. Bei der Würdigung dürfen auch die Umstände im Anschluss an den tatsächlichen Vertragsschluss gewürdigt werden, hier also die Bemühungen der Käufer, den Erwerb weiter abzuwickeln. Dabei ist allerdings zu beachten, dass nachfolgenden Schritte nicht immer bedeuten müssen, dass die Käufer vom Geschäft weiter überzeugt sind, sondern darin kann sich auch „resignierte Vertragstreue‟ zeigen, also die Annahme, „jetzt ist eh´ nichts mehr zu ändern‟.

Der BGH hätte die tatrichterliche Würdigung aber wohl stehen lassen, wenn die angebotenen Beweise ausgeschöpft gewesen wären. Der Kläger hatte jedoch Beweis durch seine Ehefrau angetreten, dass bei Ablauf der Wartefrist der Vertrag nicht zustande gekommen wäre, weil der Kaufpreis ihnen eigentlich zu hoch gewesen sei. Diesen Kaufpreis hätten sie erst bei der Beurkundung erfahren. In der Tat kann wohl nicht ausgeschlossen werden, dass sich unter diesen Umständen bei längerer Überlegungsfrist die Waage gegen das Geschäft geneigt hätte.

Die Entscheidung konnte also nicht getroffen werden, ohne die Zeugin zu vernehmen.

Anmerkung:

Der Fall zeigt, dass die Entwicklung der BGH-Rechtsprechung zu dem Themenkreis inzwischen abgeschlossen ist. Es geht nur noch um die tatrichterliche Würdigung, ob bei Einhaltung der Informations- und Wartepflicht ein anderer Verlauf wahrscheinlich gewesen wäre.

Der BGH gestattet die Einbeziehung des Verhaltens der Käufer nach dem Vertragsschluss in diese Gesamtwürdigung, weist aber darauf hin, dass sich in der weiteren Abwicklung nicht Überzeugung und Begeisterung, sondern auch Fatalismus spiegeln mag. Daher sind – eigentlich selbstverständlich – vom Gericht Vorgänge aufzuklären, die dem Beweis zugänglich sind und ein Licht auch auf dieses nachträgliche Verhalten werfen können. Meines Erachtens bleibt es aber höchst erklärungsbedürftig, wenn in der Zeit nach dem Vertragsschluss keinerlei Anzeichen für Reue sprechen und nicht wenigstens ein zaghafter Versuch stattfindet, entweder beim Verkäufer oder beim Vermittler oder beim Notar nachzufragen, ob sich noch etwas ändern ließe. Oft liegt nach alledem doch der Schluss nahe, dass die heutige reuigen Käufer damals von dem Geschäft überzeugt waren – und sei es auch nur, weil sie ihr Vertrauen in manchmal zweifelhafte Beratung investiert hatten.

In den kommenden Jahren darf mit einem Restbestand an Fällen nach § 17 Abs. 2a BeurkG gerechnet werden. Geht man davon aus, dass ab Anfang 2013 durch die Leitentscheidung des BGH die Alarmglocken bei allen Notaren laut und vernehmlich läuteten, dann kann man damit rechnen, dass die letzten unentdeckten Fälle aus der „Altpraxis‟ im Jahr 2023 verjähren.

(Rechtsanwalt Dr. Harald Scholz)

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Sorgfaltsanforderungen an eine Übermittlung per Telefax

Michael PeusMichael Peus

BGH, Beschluss vom 15.09.2020 – VI ZB 60/19

 

Anmerkung

Wenn ohne oder nur mit geringem Verschulden eine Frist versäumt wurde, kann gem. § 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt werden. Ist der Antrag auf Wiedereinsetzung begründet, gilt die versäumte Frist als eingehalten und die Rechtskraft der Entscheidung ist beseitigt. Die nicht rechtzeitig erfolgte Prozesshandlung muss jedoch nachgeholt werden.

 

Leitsätze (redaktionell)

  1. Bei der Übermittlung eines Telefaxes ist zusätzlich zur Übertragungszeit ein Sicherheitszuschlag von etwa 20min einzurechnen.
  2. Im Falle einer technischen Störung hat der Versender alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Fristwahrung zu ergreifen.
  3. Misslingt die Übermittlung an eine Telefaxnummer mehrfach, so ist das Telefax an eine andere Telefaxnummer des Gerichts zu versenden.

 

Sachverhalt

Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin übermittelte am 06.05.2019 (letzter Tag der Berufungsbegründungsfrist) um 23:40 Uhr per Telefax neun komplette und eine angefangene Seite der zwölfseitigen Berufungsbegründung an die Zweigstelle des Oberlandesgerichts Frankfurt in Darmstadt. Auf den übermittelten Seiten befand sich keine anwaltliche Unterschrift.

Da der komplette Schriftsatz mit der Unterschrift erst am 07.05.2019 um 00:13 Uhr vollständig an die Hauptstelle in Frankfurt übermittelt wurde, beantrage die Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Diese trägt vor, der Prozessbevollmächtigte habe am 06.05.2019 um 23:43 Uhr versucht, die Berufungsbegründung zu übermitteln. Das Faxgerät unternehme bei fehlgeschlagenen Sendeversuchen selbstständig vier weitere Wahlversuche und breche dann erst den Sendeauftrag ab.

Nach dem ersten Fehlerbericht um 23:47 Uhr unternahm der Prozessbevollmächtigte einen zweiten Sendeversuch an dieselbe Nummer, der jedoch um 23:57 Uhr fehlschlug. Auch ein dritter Versuch war laut Sendebericht um 00:01 Uhr nicht erfolgreich. Zusätzlich habe er um 23:55 Uhr oder 23:56 Uhr einen Sendeauftrag an die Hauptstelle des OLG in Frankfurt am Main eingegeben, der sich jedoch in die Warteschlange der anderen Aufträge einreihte.

 

Das OLG Frankfurt lehnte den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Die Versäumung der Frist sei durch den Prozessbevollmächtigen verschuldet und der Klägerin gem. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

Es zeuge von einer mangelnden Kenntnis der Gerichtsstruktur, dass der Prozessbevollmächtigte bei der Eingabe der Worte „olg frankfurt darmstadt“ bei Google keine weitere Faxnummer gefunden habe. Er hätte wissen müssen, dass Schriftsätze auch an die Hauptstelle in Frankfurt fristwahrend übermittelt werden können. Die Nummer des OLG Frankfurt sei jedoch leicht mit den Suchbegriffen „OLG Frankfurt“ zu finden. Dass er nicht versucht habe, die Berufungsbegründung an die Hauptstelle des OLG Frankfurt zu übermitteln sei ebenso wie die mangelnde Kenntnis der Gerichtsstruktur schuldhaft.

 

Entscheidung

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, da die Entscheidung nicht gem. § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

Der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand steht entgegen, dass zumindest die Möglichkeit besteht, dass das Versäumnis der Frist auf einem Verschulden des Prozessbevollmächtigten beruht.

Dieser hat Übermittlungsverzögerungen wie z.B. durch die Belegung des gerichtlichen Telefaxgerätes oder durch schwankende Übertragungsgeschwindigkeiten von vornherein zusätzlich zur Übertragungszeit einzurechnen. Dieser Sicherheitszuschlag beträgt ca. 20 min.

Kommt es zu einer unverschuldeten technischen Störung, müssen alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zur Fristwahrung ergriffen werden. Schlagen mehrere Versuche, das Telefax zu übermitteln fehl, muss der Versender aus einer allgemein zugänglichen Quelle – wie die Startseite des Internetauftritts des OLG Frankfurts – eine weitere Telefaxnummer des Gerichts in Erfahrung bringen und den Schriftsatz an diese senden. Dies hat insb. zu erfolgen, wenn das betreffende Gericht durch seine Gerichtsstruktur über mehrere Faxanschlüsse verfügt.

Im vorliegenden Fall ist der Prozessbevollmächtigte dem nicht nachgekommen. Dieser Sorgfaltsverstoß kann ihm jedoch nicht mit der Begründung des OLG Frankfurt vorgeworfen werden.

Ob mit der Übermittlung so früh begonnen wurde, dass diese noch rechtzeitig hätte erfolgen können, kann dahinstehen. Der Prozessbevollmächtigte hätte nach den ersten zwei gescheiterten Sendeversuchen versuchen müssen, den Schriftsatz an die Hauptstelle des OLG in Frankfurt am Main zu übermitteln, anstatt noch ein weiteres Mal an die Zivilsenate in Darmstadt.

 

Hinweis

Der BGH hält zurzeit an seiner Rechtsprechung bzgl. des Sicherheitszuschlages von etwa 20min bei der Versendung von Telefaxen fest. So auch in dieser Rechtsprechung: beA-Pflicht bei Faxproblemen: BGH zweifelt – SCHLÜNDER | RECHTSANWÄLTE (schluender.info).

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Grenzen des Regresses des Rechtsschutzversicherers

OLG München, Urteil vom 25.11.2020 – 15 U 2415/20

(nicht offizieller) Leitsatz:

In Grenzfällen zwischen erfolgloser Klage und Klage mit geringen Erfolgsaussichten ist ein Regress des Rechtsschutzversicherers gegenüber einem Anwalt nach erteilter Deckungszusage unabhängig von der Frage einer Pflichtverletzung oder eines kausalen Schadens abzulehnen, wenn der Rechtsschutzversicherer durch den Anwalt zuvor zutreffend über den Sachverhalt aufgeklärt worden ist.

Sachverhalt:

Die Klägerin, ein Rechtsschutzversicherer, macht gegen den beklagten Anwalt Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrags geltend.

Der Beklagte vertrat den Versicherungsnehmer der Klägerin. Der Versicherungsnehmer ist selbst Anwalt. Im Rahmen eines durch ihn betreuten Mandats wurde er wegen falscher Verdächtigung angezeigt. Der zuständige Staatsanwalt leitete ein Ermittlungsverfahren ein und ließ die Mandanten des Versicherungsnehmers über die Polizei als Zeugen vernehmen. Das Ermittlungsverfahren ist letztlich eingestellt worden. Der Versicherungsnehmer der Klägerin beauftragte anschließend den Beklagten, um zivilrechtliche Ansprüchen gegen den Staatsanwalt persönlich durchzusetzen. Die Klägerin erteilte auf Anfrage des Beklagten Deckungszusage für das außergerichtliche Tätigwerden und für das gerichtliche Verfahren in erster Instanz. Die daraufhin erhobene Klage wurde abgewiesen. Zur Begründung führte das mit der Klage befasste Gericht aus, dass der beklagte Staatsanwalt nicht passivlegitimiert sei, da er nicht neben seiner Amtstätigkeit als Privatperson tätig geworden sei. Für das Berufungsverfahren verweigerte die Klägerin die Deckungszusage.

Die Klägerin behauptet, dass ihr Versicherungsnehmer keinen Auftrag zum außergerichtlichen und gerichtlichen Tätigwerden erteilt hätte, wenn er durch den Beklagten über die fehlenden Erfolgsaussichten eines Vorgehens gegen den Staatsanwalt persönlich aufgeklärt worden wäre. Der Beklagte trägt vor, dass er seinen Mandanten hinreichend auf die Risiken und allenfalls geringen Erfolgsaussichten aufgrund eines rechtlichen „Einfalltors‟ hingewiesen habe. Er habe sogar von der Einholung einer Deckungszusage abgeraten. Sein Mandant habe aber sowohl auf die Einholung der Deckungszusage, als auch auf die Klageerhebung bestanden, sofern Deckungszusage erteilt wird.

Das Landgericht gab der Klage der Klägerin statt. Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass ein Vorgehen gegen den Staatsanwalt persönlich von vornherein keinerlei Aussicht auf Erfolgt gehabt hätte. Darüber habe der Beklagte den Versicherungsnehmer der Klägerin nicht ordnungsgemäß belehrt. Es stehe auch nach der Beweisaufnahme fest, dass der Mandant die Klage bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht erhoben hätte.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung rügt der Beklagte insbesondere, dass der Rechtsschutzversicherer seine aus § 128 VVG resultierende Pflicht verletzt habe, die Erfolgsaussichten der zu deckenden Rechtsverfolgung zu prüfen und im Falle eines negativen Ergebnisses dieses dem Versicherungsnehmer mitzuteilen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten hat Erfolg.

Das OLG München betont, dass zwischen einer Klage ohne (jegliche) Erfolgsaussicht und einer Klage mit (äußerst) geringer Erfolgsaussicht zu differenzieren ist. Eine Zuordnung ist im Einzelfall äußerst schwierig zu treffen, einem Anwalt jedoch grundsätzlich zuzumuten. Auf der anderen Seite ist der Anwalt als Interessenvertreter seines Mandanten auch verpflichtet, den Wunsch nach einer Rechtsverfolgung zu berücksichtigen und soweit möglich umzusetzen. Nachdem der Beklagte mit seinem Mandanten die (äußerst) geringen Erfolgsaussichten besprochen habe, sei man so verblieben, dass eine Klage nur dann eingereicht werden solle, wenn eine entsprechende Deckungszusage erteilt wird. Dieses Vorgehen stellt nach Ansicht des OLG München keine Pflichtverletzung des Anwalts dar. In ausdrücklicher Abstimmung mit dem Mandanten kann die Frage der Klageerhebung von einer Deckungszusage abhängig gemacht werden. Die Belehrungspflichten eines Anwalts gegenüber einem rechtsschutzversicherten und einem nicht rechtsschutzversicherten Mandanten sind dieselben. Gerade in den Grenzfällen zwischen einer völlig aussichtslosen Klage und einer solchen mit nur geringen Erfolgsaussichten ist ein solches Vorgehen jedoch zulässig. Als Interessenvertreter des Mandanten darf der Anwalt insbesondere kostenwahrende Gesichtspunkte der alleinigen Beurteilung des Rechtsschutzversicherers überlassen. Solange der Anwalt den Rechtsschutzversicherer zutreffend über das tatsächliche Geschehen informiert, wird das Mandanteninteresse gewahrt. Der Versicherungsnehmer hat keine Aufklärungspflichten in rechtlicher Hinsicht. Wenn der Mandant zuvor das grundsätzliche Klagebegehren mitgeteilt hat, muss der Anwalt bei schwieriger Einordnung nicht immer von einer völlig aussichtslosen Klage ausgehen und daher gar keine Deckungsanfrage stellen. Vielmehr obliegt die Beurteilung der rechtlichen Erfolgsaussichten im Rahmen der Erteilung der Deckungszusage alleine dem Rechtsschutzversicherer.

Unabhängig davon, ob in dem jeweiligen Einzelfall eine Pflichtverletzung des Anwalts zu bejahen ist, ist in derartigen Grenzfällen ein Rückgriff des Rechtsschutzversicherers nach erteilter Deckungszusage jedenfalls dann abzulehnen, wenn eine zutreffende Aufklärung über das tatsächliche Geschehen erfolgt ist. Der Rechtschutzversicherungs- und der Mandatsvertrag sind voneinander zu trennen. Im Verhältnis zur Rechtsschutzversicherung hat der Anwalt die Obliegenheiten seines Mandanten zu beachten, insbesondere die vollständige und wahrheitsgemäße Unterrichtung über die tatsächlichen Umstände, jedoch nicht über rechtliche Fragen, erst recht nicht zu Ungunsten des Mandanten. Insofern ist der Anwalt Wissenserklärungsvertreter des Mandanten. Auf eine (evtl.) Aussichtslosigkeit muss der Anwalt daher nicht hinweisen. Folglich kann in einer Deckungsanfrage eines Anwalts auch dann kein zum Schadensersatz verpflichtendes Verhalten gesehen werden, wenn die Erfolgsaussichten objektiv extrem risikobehaftet oder nicht gegeben sind, solange über die zugrundeliegenden Tatsachen des Falles zutreffend informiert wurde.

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BGH: Vertrauen auf übliche Postlaufzeiten auch in Zeiten der Corona-Pandemie

Simone EibenSimone Eiben

BGH, Beschluss vom 19.11.2020 – Aktenzeichen: V ZB 49/20

(nicht offizieller) Leitsatz

Eine Partei darf grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags – innerhalb der Briefkastenleerungszeiten – aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Anders liegt es nur, wenn dem Postkunden besondere Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen können. Eine Briefaufgabe in Zeiten der Corona-Pandemie ist für sich genommen kein Umstand, der das Vertrauen auf die üblichen Postlaufzeiten erschüttert.

 

Sachverhalt
Das Landgericht hatte die Klage der Klägerin abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Klägerin nach fristgerecht eingelegter Berufung darauf hingewiesen zu beabsichtigen, die Berufung der Klägerin zu verwerfen, weil es an einer fristgerechten Berufungsbegründung fehlte. Die Klägerin hat daraufhin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und zugleich die Berufung begründet. Sie hat geltend gemacht, die Frist ohne ihr Verschulden versäumt zu haben. Ihr Prozessbevollmächtigter habe rechtzeitig eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Er habe den Brief mit dem Verlängerungsantrag am späten Donnerstagnachmittag vier Tage vor Fristablauf persönlich in einer Postfiliale abgegeben. Er habe sich darauf verlassen dürfen, dass der Brief bei der gewöhnlichen Postlaufzeit spätestens zwei Tage später und damit vor Fristablauf beim Berufungsgericht eingehen würde. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Zwar könne eine Partei grundsätzlich darauf vertrauen, dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert würden. Da aber die Briefaufgabe in die Zeit der Corona-Pandemie gefallen sei, hätten besondere Umstände vorgelegen, aufgrund derer die Klägerin auf die Zuverlässigkeit des Postversandes nicht habe vertrauen dürfen, sondern einen sichereren Weg (durch Telefaxschreiben oder Schreiben durch besonderes elektronisches Anwaltsfach) habe wählen müssen. Unerheblich sei, dass es zu dieser Zeit noch nicht zu Einschränkungen des Postversandes gekommen sei. Ferner habe der Prozessbevollmächtigte aber auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, den Schriftsatz mit dem Verlängerungsantrag rechtzeitig bei der Post aufgegeben zu haben. Gegen seine Darstellung spreche, dass der Originalfristverlängerungsantrag nach wie vor nicht zur Akte gelangt sei. Dagegen hat die Klägerin Rechtsbeschwerde eingelegt.

 

Entscheidung

Die Rechtsbeschwerde war erfolgreich. Der BGH hat den Beschluss aufgehoben und die Sache zurückverwiesen.

Das OLG habe die Sorgfaltsanforderungen, die an einen Rechtsanwalt bei der Wahrung prozessualer Pflichten zu stellen seien, überspannt. Grundsätzlich dürfe darauf vertrauen werden, dass im Bundesgebiet werktags – innerhalb der Briefkastenleerungszeiten – aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden, es sei denn, es seien besondere Umstände bekannt, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen könnten, etwa ein Poststreik. Solche Umstände habe das OLG nicht festgestellt. Dass die Briefaufgabe in die Zeit der Corona-Pandemie falle, genüge allein nicht, um das Vertrauen auf die üblichen Postlaufzeiten zu erschüttern. Konkrete Anhaltspunkte für Verzögerungen, etwa entsprechende Hinweise durch die Post oder die Medien habe das OLG nicht aufgezeigt. Aus der Begründung der begehrten Fristverlängerung, eine Besprechung mit der Klägerin sei coronabedingt nicht möglich, folge nichts anderes. Denn daraus könne nicht auf Einschränkungen auch bei der Postzustellung geschlossen werden.

Der Auffassung des OLG, die Klägerin habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter den Fristverlängerungsantrag rechtzeitig bei der Post aufgegeben hat, hat der BGH ebenfalls eine Absage erteilt. Der Prozessbevollmächtigte, so der BGH, habe die Richtigkeit seiner Angaben anwaltlich versichert. Von der Richtigkeit einer anwaltlichen Versicherung sei grundsätzlich auszugehen, es sei denn, konkrete Anhaltspunkte schlössen es aus, dass der geschilderte Sachverhalt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zutreffend ist. Solche Anhaltspunkte lägen hier nicht vor. Insbesondere rechtfertige der Umstand, dass der Fristverlängerungsantrag nicht zur Akte gelangt ist, keinen solchen Schluss, da nicht auszuschließen sei, dass Poststücke aus nicht mehr aufklärbaren Umständen auf dem Postweg endgültig verloren gehen. Schenke das Rechtsmittelgericht einer anwaltlichen Versicherung im Verfahren der Wiedereinsetzung keinen Glauben, müsse es die um Wiedereinsetzung nachsuchende Partei darauf hinweisen und ihr Gelegenheit geben, entsprechenden Zeugenbeweis anzutreten. Zudem sei dann die Prüfung veranlasst, ob bereits in der Vorlage der anwaltlichen Versicherung zugleich ein Beweisangebot auf Vernehmung des Prozessbevollmächtigten als Zeugen zu den darin genannten Tatsachen liege. Sei das der Fall, liege in der Ablehnung der Wiedereinsetzung ohne vorherige Vernehmung des Zeugen eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung

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Verjährungsbeginn bei Anwaltshaftung – nicht uferlos!

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

 

BGH, Urteil vom 29.10.2020, IX ZR 10/20

Die in der Rechtsberaterhaftung für den Beginn der Verjährungsfrist erforderliche Kenntnis von den einen Schadensersatzanspruch begründenden Umstände liegt vor, wenn der Mandant aus den ihm bekannten Umstände den Schluss auf einen gegen den Berater gerichteten Schadensersatzanspruch gezogen hat.

Die Aufforderung an den Anwalt, seinen Haftpflichtversicherer einzuschalten, zeigt in der Regel eine ausreichende Kenntnis an.

Sachverhalt:

Die Klägerin ist eine Beamtin im Ruhestand und ließ sich von ihrem Ehemann scheiden. Dabei war der Versorgungsausgleich durchzuführen.
Das zuständige Landesamt für Besoldung und Versorgung erteilte im familiengerichtlichen Verfahren eine falsche Auskunft. Die früheren Bezüge zu DM- Zeiten wurden fälschlicherweise als Bezüge in Euro ausgewiesen.
Weder die Anwältin der Klägerin noch das Gericht bemerkten dies. Der Versorgungsausgleich wurde auf Basis der erteilten Auskunft unrichtig – viel zu hoch – festgelegt. Die Entscheidung wird rechtskräftig.

Nachdem der Fehler auffällt und alle Versuche scheitern, dies noch beim Familiengericht zu korrigieren, nimmt die Klägerin ihre frühere Anwältin in Anspruch.
Diese beruft sich auf Verjährung.

Entscheidung:

Nach dem revisionsrechtlich zugrundgelegten Sachverhalt ist der Anspruch verjährt.

Der Fall gibt dem IX. Zivilsenat beim Bundesgerichtshof Anlass, die bisherige Rechtsprechung zur Verjährung in der Anwaltshaftung zu konkretisieren.
Die Verjährung beginnt, wenn Kenntnis vom Anspruch oder grob fahrlässige Unkenntnis besteht, und sie endet drei Jahre nach dem Schluss des betreffenden Jahres.
Nach üblicher Lesart reicht es, die Tatsachen zu kennen, welche eine Haftung begründen, ohne dass man die richtigen rechtlichen Schlussfolgerungen gezogen haben muss. Seit einigen Jahren, und dabei bleibt es auch, hat der IX. Zivilsenat für die Anwaltshaftung eine Modifikation vorgenommen. Danach muss zumindest das Bewusstsein bestehen, dass der Anwalt etwas „falsch‟ oder „abweichend vom Standard‟ gemacht hat. Denn der Bedarf nach Rechtsberatung beruht gerade darauf, dass der Mandant entsprechende Kenntnisse nicht hat – und mithin auch einen Fehler in der rechtlichen Beratung mangels Expertise nicht so wahrnehmen kann wie – sagen wir – die Beule am eigenen Auto.

Die Klägerin hatte vorliegend im Dezember 2013 ihre frühere Anwältin angeschrieben und sie gebeten, den Fall ihrer Haftpflichtversicherung zu melden.
Unter dieser Voraussetzung, so der BGH, war bereits Ende 2013 eine ausreichende Kenntnis vorhanden und die Klage hätte folglich bis zum 31.12.2016 erhoben werden müssen. Sie war aber erst im Verlauf des Jahres 2017 erhoben worden.
Eine Kenntnis aller Facetten oder ein abgeschlossener Schadensverlauf sei für den Verjährungsbeginn nicht erforderlich. Wer einen Anspruch anmelden könne, der habe auch die erforderliche grundsätzliche Kenntnis.

Die Auffassung des Oberlandesgerichts in der Vorinstanz, dass ja noch um eine Korrektur beim Familiengericht gerungen werde und erst nach der Ablehnung im Jahr 2014 die Kenntnis gegeben war, erteilt der BGH eine Absage. Der Schaden ist nämlich bereits mit der ersten Entscheidung des Familiengerichts eingetreten, mag auch noch Aussicht bestehen, den Schaden wieder zu heilen. Das würde eine Feststellungsklage also nicht hindern.

Das Urteil des Oberlandesgerichts wurde aufgehoben und zur Aufklärung des entscheidenden Sachverhaltselements zurückverwiesen.

Anmerkung:

Sicherlich handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung.

Der BGH musste den Fall entscheiden, weil die Revision zugelassen worden war.
Dadurch findet sich der Anlass, noch einmal auf die bisherige Rechtsprechung zu dem „Sonderweg‟ der Verjährung bei der Haftung von Rechtsberatern zurückzublicken.
Der Fall eignet sich aber eben auch, um darzustellen, dass auch auf dem „Sonderweg‟ der Beginn der Verjährung nicht unbegrenzt hinausgeschoben wird.

Es kann auch andere Konstellationen geben, in denen man wird sagen müssen, dass der Mandant die Sache bereits „durchblickt‟ hat und die Verjährung daher beginnt.

Hier kann nun die Klägerin bei Verjährung hoffentlich das – nur nachrangig haftende – Land für den Fehler des  Landesamtes für Besoldung heranziehen. Dort sitzen immerhin die Experten für Versorgungsbezüge. Insoweit wäre das kein ungerechter Ausgang.

Auf mittlere Sicht kann man sich überlegen, ob solche offenkundigen Fehler nicht doch noch im Nachhinein korrigierbar sein sollten. Immerhin leisten wir uns Behörden für die Ermittlung von Renten und Versorgungsbezügen, denen am Ende des Tages zu trauen ist, wenn man sich die Frage stellt, ob ein Urteil noch einmal aufgrund eines Irrtums korrigiert werden darf. Die Kriterien dürften ruhig weniger streng sein als bei der Wiederaufnahme von Verfahren.

Kein gutes Ergebnis wäre es nämlich, wenn die betroffene Person erst nach 15 Jahren – z. B. bei Renteneintritt – feststellt, dass man damals bei der Auskunft und bei deren Umsetzung im Familiengericht einen schwerwiegenden Fehler gemacht hat. Dies könnte den Verlust der Rente durch einen bloßen Umrechnungsfehler bedeuten, und alle Verjährungsfristen wären dann aufgrund der Höchstfrist von 10 Jahren abgelaufen.

(Rechtsanwalt Dr. Harald Scholz)

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Fassadenschallschutz im Fertighaus

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

Fassadenschallschutz im Fertighaus – Welcher Maßstab ist beim Schallschutz eines Fertighauses gegen Außenlärm anzulegen?

OLG Saarbrücken, Urteil vom 30.07.2020 – 4 U 11/14

 

Leitsätze

Ist eine Beschaffenheit nach den „allgemein anerkannten Regeln der Technik“ vereinbart, sind technische Regeln zu beachten, die sich unter einer hinreichenden Zahl kompetenter Fachleute als theoretisch richtig durchgesetzt und sich in der Baupraxis als richtig bewährt haben.

  1. Anhaltspunkte für einen üblichen Qualitäts- und Komfortstandard können sich aus den Schallschutzstufen II und III der VDI-Richtlinie oder aus dem Beiblatt 2 zur DIN 4109 ergeben; es bedarf im Einzelfall der Beratung durch einen Sachverständigen.
  2. Für den Schallschutz von Außenbauteilen gilt auch heute im Grundsatz die DIN 4109 (Mindestschallschutz). Der Hersteller hat den Besteller über die schallschutztechnische Gestaltung mit Blick auf einen höheren Schallschutz zu beraten.

Sachverhalt

Die Klägerin (Fertighaushersteller) und die Beklagten (Besteller) schlossen einen Vertrag über die Errichtung eines Fertighauses an einer stark befahrenen Landstraße.

Die Klägerin verlangt Zahlung aus der Schlussrechnung. Die Beklagten wenden ein, dass der Schallschutz des Hauses gegen den Straßenlärm zu gering und die Fassade deswegen mangelhaft sei. Widerklagend verlangen die Beklagten Kostenvorschuss für die Fassadensanierung.

Entscheidung

Der Anspruch auf Kostenvorschuss besteht, weshalb die Widerklage weitgehend Erfolg hat und die Klageforderung durch Aufrechnung erloschen ist.

Da das Haus abgenommen worden war, kommt ein Kostenvorschussanspruch nach § 637 BGB in Betracht. Besondere Vereinbarungen zum Schallschutz haben die Parteien nicht getroffen, so dass die allgemein anerkannten Regeln der Technik und die berechtigte Erwartungshaltung der Erwerber eine Rolle spielen.

Auf Basis der BGH-Rechtsprechung, wonach die DIN 4109 veraltet ist, ermittelt das OLG Saarbrücken den geschuldeten Schallschutz mit Hilfe eines Sachverständigen. Dieser stelle im Ergebnis fest, dass auf jeden Fall die Mindestanforderungen der DIN 4109 einzuhalten sind, die es auch für den Schutz vor Außenlärm gibt. Bereits diese Anforderungen werden nicht vollends eingehalten.

Bezüglich eines höheren Schutzniveaus, so referiert der Sachverständige, habe sich hier noch keine klare Auffassung in der Fachwelt herausgebildet. Vielmehr sollten die Anforderungen im Einzelfall geprüft und mit dem Bauherrn besprochen werden. Dabei entscheide sich durchaus die Mehrzahl der Bauherren für den Mindestschallschutz und gegen einen höheren Aufwand. Der Mindestschallschutz in der DIN 4109 sieht grob gesagt vor, dass eine Fassade desto mehr Lärm schlucken muss, je lauter es draußen ist. Das schafft die Fassade in diesem Fall nicht, da durch den hohen Außenlärmpegel auch hohe Schalldämmwerte gefordert werden.

Das OLG Saarbrücken sieht in dem Verfehlen der Mindestanforderungen einen Mangel und in der fehlenden Beratung einen Planungsfehler (diese Aufgabe dem Fertighausbauer, da dieser auch die Planung übernommen hatte), wobei es die Folgen des zweiten Fehlers letztlich offenlässt.

Der Höhe nach war dem geforderten Vorschuss nach Auffassung des OLG nicht hinreichend widersprochen worden. Hier hatte es das Gericht daher leicht, den geforderten (abrechenbaren) Vorschuss zuzusprechen.

Anmerkung

Die Entscheidung verdient unsere Aufmerksamkeit, weil einige wichtige Erkenntnisse für die Praxis abzuleiten sind:

  1. An einen Fertighaushersteller werden keine anderen Anforderungen gestellt als an übrige Schlüsselfertigunternehmen. Auch wenn die Häuser vorgefertigt sind, muss der Fertighaushersteller die Situation des einzelnen Grundstücks prüfen und den erforderlichen Schallschutz darauf abstimmen. Das mag banal klingen, aber gerade das Standardbaukastenprinzip bietet die Gefahr, die hier bestehenden Unterschiede zu nivellieren.
  2. Neu ist das Thema Schallschutz der Außenbauteile: Die „klassischen‟ BGH-Urteile betreffen den Luftschallschutz und Trittschallschutz im Mehrfamilienhaus oder zwischen Doppelhaushälften. Dort ist mittlerweile etabliert, dass ein erhöhter Schallschutz nach DIN 4109 (Beiblatt 2) oder VDI 4100 Schallschutzstufe II, bei besonderem Komfort vielleicht auch III, geschuldet wird. – Der Schallschutz einer Hausfassade (Außenbauteile) gegenüber Außenlärm ist damit nicht ohne weiteres gleichzusetzen, und das OLG Saarbrücken hat gut daran getan, sich fachlich beraten zu lassen und nicht einfach die bekannte Rechtsprechung dem Fall „überzustülpen“. Das hat allerdings gedauert, wie man am Aktenzeichen aus dem Jahr 2014 erkennt.
  3. Demnach liegt es bei den Außenbauteilen wohl anders: Allgemein anerkannt ist nach den Ausführungen des Sachverständigen nur der Mindestschallschutz und daneben die Regel, dass der Bauherr über weitere Möglichkeiten beraten werden soll. Interessant zu wissen, dass sich die überwiegende Mehrzahl dann für den Mindestschallschutz entscheidet. Mit selbstverständlichen höheren Komforterwartungen scheint es auf diesem Feld also nicht ganz so weit gekommen zu sein.
  4. Bei der Höhe musste das OLG Saarbrücken nicht „ans Eingemachte‟ gehen: Die entscheidende Frage wäre sonst gewesen, auf welches Sanierungsziel der Vorschuss bemessen werden musste: Auf die Erreichung des Mindestschallschutz oder – als Folge der nicht erfolgten Beratung – auf einen höheren Schallschutz. Diese Frage bleibt offen. Aus meiner Sicht kann man kein „beratungsgerechtes Verhalten“ unterstellen und ohne klare Anhaltspunkte nicht von einem „mehr“ ausgehen, das dann auch Sowiesokosten ausgelöst hätte.

Apropos Sowiesokosten: Die Bauherren hatten Schallschutzfenster als Extra abgelehnt, benötigen solche nun aber wohl für den Mindestschallschutz. Nach Auffassung des OLG Saarbrücken begründet dies keinen Anspruch auf Sowiesokosten, denn für den vereinbarten Preis durften die Hauskäufer jedenfalls erwarten, dass den anerkannten Regeln der Technik entsprochen wurde. Sie wollten nur kein „Extra“ kaufen. Dass durch die laute Umgebung das „Extra“ zum geschuldeten Standard wird, muss der Fertighausbauer einkalkulieren! Diese Auffassung halte ich – vielleicht gegen den ersten Impuls – daher für richtig.

(Dr. Harald Scholz unter Mitarbeit von stud. jur. Antonia Hinte)

 

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