Verkehrssicherungspflicht V: Erkennbare Sonnenschirmständer sind keine Gefahrenquelle

Michael PeusMichael Peus

OLG Hamm, Beschl. v. 22.12.2021 – 11 U 169/21

 

Leitsatz (amtlich)

In der Fußgängerzone aufgrund ihrer Größe und farblichen Absetzung zum Pflaster deutlich zu erkennende Sonnenschirmständer stellen keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar, wenn sie von vorbeigehenden Fußgängern durch einen beiläufigen Blick erkannt und problemlos umgangen werden können.

 

Sachverhalt

Der Kläger verlangt infolge eines Sturzes von der Beklagten u.a. Schmerzensgeld i.H.v. 5.000€. Die Beklagte betreibt ein Café in der Fußgängerzone in der Stadt C. Die Gehwegflächen durfte die Beklagte aufgrund einer Sondergenehmigung der Stadt C. als Außengastronomie nutzen. Dort stellte die Beklagte Sonnenschirme, Tische und Stühle auf. Infolge einer Unwetterwarnung des Deutschen Wetterdienstes baute die Beklagte die Schirme, Tische und Stühle vorrübergehend ab. Die Sonnenschirmständer, die mit jeweils vier Gehwegplatten beschwert waren, ließ sie stehen. Die Ständer sind 86x86cm groß und haben einen Ständerrand von 6cm Höhe und einen mittigen Ständerholm mit 42cm Höhe.

Der Kläger behauptet infolge dessen, dass sie einem Kinderwagen habe ausweichen wollen, über einen der Schirmständer gestolpert, anschließend gefallen sei und sich dabei eine nicht-dislozierte Radiusfraktur mit Einstrahlung in den radiokarpalen Gelenkspalt zugezogen zu haben. Die Beklagte habe durch die Schirmständer eine nicht erkennbare Stolperfalle geschaffen und dadurch, dass sie diese nicht beseitigt habe, gegen ihre Verkehrssicherungspflicht verstoßen.

Das Landgericht wies die Klage ab. Sein Begehren verfolgt der Kläger mit der Berufung weiter.

 

Entscheidung

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schmerzensgeld gem. §§ 823 Abs. 1, 31, 831 BGB. Die Schirmständer stellen keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar. Jeder Verkehrssicherungspflichtige, der eine Gefahrenlage schafft, hat grds. alle ihm notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um möglichst eine Schädigung anderer zu verhindern. Jedoch muss nicht für alle denkbaren, auch entfernt liegenden Möglichkeiten eines Schadenseintritts vorgesorgt werden. Geschützt werden muss der Dritte nur, wenn er sich in der konkreten Situation mit der von ihm zu erwartenden Sorgfalt erfahrungsgemäß nicht vor der Gefahr schützen kann, weil diese nicht oder nicht rechtzeitig erkannt werden und sich deshalb nicht darauf eingerichtet werden kann.

Wenn der Verkehrssicherungspflichtige die Gefahrenquelle selbst schafft, ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Gerade in Fußgängerzonen, die von vielen Leuten benutzt werden und in denen die Schaufenster der Geschäfte die Aufmerksamkeit der Leute erregen, sind bei der Vermeidung von Stolperfallen erhöhte Anforderungen zu stellen.

Vorliegend stellen die Schirmständer jedoch keine abhilfebedürftige Gefahrenquelle dar. Die Sonnenschirmständer waren für Fußgänger ohne weiteres erkennbar. Die hellen Gehwegplatten, die zur Beschwerung der Ständer dienen, bilden einen deutlichen Kontrast zum dunklen Pflastersteinboden und eine größere Fläche und sind dadurch gut zu erkennen. Der dunkle Ständerholm war aufgrund der hellen Platten ebenfalls gut erkennbar. Hierfür spricht auch der Vergleich mit dem sich am Rand befindlichen Pflanzbeet. Dieses Pflanzbeet ist mit Steinen eingefasst, die ungefähr gleich hoch wie die Gehwegplatten sind. Die Platten sind allerdings nochmal viel heller als die Steine des Beetes. Daher stellen die Schirmständer keine Stolperfalle dar. Der Schirmständer warnte vielmehr „vor sich selbst“.

Trotz des strengeren Maßstabs, der hier anzulegen ist, ist der Fußgänger jedoch nicht von seiner Pflicht befreit, durch regelmäßige beiläufige Blicke auf den Untergrund, deren Beschaffenheit, entgegenkommende Fußgänger und mögliche Hindernisse zu achten. Unter Beachtung dieser Sorgfalt, hätte der Kläger den Schirmständer genauso früh wie den Kinderwegen erkennen und sich hierauf einrichten können. Zumindest kurz vor dem Ausweichen hätte sich der Kläger durch einen kurzen Blick vergewissern müssen, dass der Weg frei ist. In diesem Falle hätte der Kläger den Schirmständer auch erkannt und sich hierauf einrichten können.

Dies bestätigte der Kläger letztlich auch selbst, indem er in seiner persönlichen Anhörung angab, dass der Schirmständer nicht von Gegenständen oder Personen verdeckt und er auch nicht abgelenkt gewesen sei. Er habe nur nicht darauf geachtet.

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Verkehrssicherungspflicht IV: Abstehende Schrauben am Handlauf sind eine Gefahrenquelle

Michael PeusMichael Peus

OLG Hamm, Urt. v. 09.02.2022 – 11 U 71/21

 

Leitsatz (amtlich)

Aus dem Handlauf einer Brücke für den Fußgänger- und Radverkehr hervorstehende, scharfkantige Schraubenköpfe können eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle darstellen.

 

Sachverhalt

Der Kläger verlangt von der Beklagten aufgrund einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht Schmerzensgeld.

Der Kläger fuhr mit dem Fahrrad über eine von der Beklagten unterhaltenen Radfahrer- und Fußgänger-Brücke, die einen Handlauf mit hervorstehenden, scharfkantigen Schraubenköpfen aufwies. Als er auf der Brücke anhielt, fasste er mit der Hand an das Brückengeländer. Dabei zog er sich eine Schnittwunde am rechten Handballen zu.

Die Beklagte lässt die Verkehrssicherheit der Brücke regelmäßig kontrollieren. Der hierfür zuständige Zeuge E vermerkte jedoch, diese sei in Ordnung gewesen.

 

Entscheidung

Dem Kläger steht ein Anspruch auf Schmerzensgeld i.H.v. 200,00€ gem. § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG, §§ 9, 9a, 47 StrWG zu. Die Beklagte hat die Brücke nicht verkehrssicher gehalten und dadurch schuldhaft ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Vorliegend stellte der Handlauf der Brücke eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle dar. Der Handlauf wies mehrere herausstehende, scharfkantige Schrauben auf, an denen sich Verkehrsteilnehmer, die sich an dem Handlauf festhielten verletzen konnten. Gewidmet ist die Brücke dem allgemeinen Fußgänger- und Radverkehr. Das Festhalten an dem Handlauf und das darüberstreichen u.a. älterer Leute und Kindern gehört zum normalen Gebrauch. Hiermit musste der Verkehrssicherungspflichtige auch rechnen.

Die Beklagte verletzte ihre Verkehrssicherungspflicht dadurch, dass sie die herausragenden Schrauben nicht beseitigte oder zumindest aufgrund der anstehenden Sanierung der Brücke vor diesen warnte.

Die Beklagte ließ die Verkehrssicherheit der Brücke zwar durch den Zeugen E kontrollieren, jedoch vermerkte dieser im Kontrollbuch, dass die Brücke in Ordnung gewesen sei und gab an, er habe keine konkrete Erinnerung mehr an den Zustand der Brücke und würde bei solchen Kontrollen vorwiegend den Geh- und Fahrbereich zu kontrollieren. Die hervorstehenden Schrauben hätte er jedoch als Gefahrenstelle gemeldet, wenn er sie gesehen hätte.

Dies spricht dafür, dass der Zeuge die scharfkantigen Schrauben am Handlauf fahrlässig übersah. Hierfür hat die Beklagte aufgrund der Amtshaftung einzustehen.

Hinsichtlich der Bemessung des Schmerzensgeldes ist dem Kläger ein Mitverschulden i.H.v. einem Drittel anzulasten, § 254 Abs. 1 BGB. Die Schrauben waren bei näherer Betrachtung erkennbar. Daher hätte auch damit gerechnet werden müssen, dass diese scharfkantig sein könnten. Grds. ist mit solch einer Gefahrenstelle zwar nicht zu rechnen, der Kläger konnte jedoch die Oberseite des Handlaufes sehen und die Schrauben bemerken.

Nach der Kürzung des Anspruchs aufgrund des Mitverschuldens des Klägers verbleibt ein Anspruch auf Schmerzensgeld i.H.v. 200,00€.

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Verkehrssicherungspflicht II: Gullydeckel sind grds. keine Gefahrenquelle

Michael PeusMichael Peus

OLG Hamm, Beschl. v. 08.04.2022 – 11 U 147/21

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Straßenablaufdeckel am Fahrbahnrand in der Nähe eines Fußgängerüberwegs, dessen Schlitzbreite den gültigen DIN entspricht, stellt keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle dar, wenn er für Fußgänger durch einen beiläufigen Blick unschwer erkennbar ist, so dass er vorsichtig betreten oder ihm ausgewichen werden kann.

 

Sachverhalt

Die Klägerin verfolgt Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung bei einem Sturz auf einer Gemeindestraße. Sie trägt vor, beim Überqueren der Straße über eine Kanalabdeckung gefallen zu sein. Die Kanalabdeckung befindet sich im Bereich eines hohen Bordsteins und besteht aus mehreren, breiten Metallstreben, die etwa 3-4cm Abstand zueinander haben und senkrecht zur Fahrtrichtung verlaufen.

Nach DIN EN 124, DIN 1229 und DIN 19583 dürfen Gullydeckel im Straßenbereich mit vorwiegender Beanspruchung durch Straßenfahrzeuge eine Schlitzbreite von 16-42mm (bei Schlitzen, die quer zur Fahrtrichtung verlaufen) haben.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, die Kanalabdeckung verstoße gegen die GUV-I 588 Richtlinie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung.

Das Landgericht wies die Klage ab. Die Beklagte treffe schon keine Verkehrssicherungspflichtverletzung.

 

Entscheidung

Die Klägerin hat keine Schmerzensgeld- oder Schadensersatzansprüche gem. § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG, §§ 9, 9a, 47 Abs. 1 StrWG NRW gegen die beklagte Stadt.

  1. Die beklagte Stadt ist als Straßenbaulastträgerin passivlegitimiert.
  2. Auch wenn die Klägerin zunächst behauptete, die Abstände zwischen den Gittern entsprächen nicht den DIN-Normen, ist das falsch. Die Gitterabstände sind DIN-konform.
  3. Die Richtlinie der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung GUV-I 588 ist nicht anwendbar. Diese enthält Empfehlungen für die Gestaltung hochgelegter gewerblicher und industrieller Arbeitsplätze und Verkehrswege mit Metallgittern- und Blechrostprofilen. Diese Anforderungen sind jedoch nicht auf Kanaldeckel im öffentlichen Straßenverkehr übertragbar.
  4. Eine haftungsbegründende Amtspflichtverletzung der Beklagten lässt sich auch nicht aufgrund der allgemeinen Grundsätze der Verkehrssicherung Hiernach haben sie für die Sicherheit für die in ihren Verantwortungsbereich fallenden Gebietskörperschaften zu sorgen. Es muss darauf hingewirkt werden, dass die Verkehrsteilnehmer möglichst nicht zu Schaden kommen. Diese Pflicht geht jedoch nicht so weit, dass der Verkehrssicherungspflichtige für alle Möglichkeiten Vorsorge zu treffen hat, denn dies ist schlicht unmöglich. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht beurteilt sich nach der Art des Verkehrs einer Verkehrsfläche nach ihrem Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse, der die allgemeine Verkehrsfläche gewidmet ist und danach, was ein vernünftiger Verkehrsteilnehmer an Sicherheit erwarten kann. Grds. haben die Verkehrsteilnehmer die Verhältnisse, die sie vorfinden hinzunehmen, sich anzupassen und mit typischen Gefahrenquellen, z.B. Unebenheiten zu rechnen. Der Verkehrssicherungspflichtige muss erst handeln, wenn nach sachkundigem Urteil die Möglichkeit einer Rechtsgutverletzung naheliegt.

Eine solche Handlungspflicht besteht, wenn auch ein sorgfältiger Verkehrsteilnehmer unter Beachtung der zu erwartenden Eigensorgfalt die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann und sich hierauf nicht rechtzeitig einrichten kann. Bei der Beurteilung kommt es dabei auch auf das äußere Erscheinungsbild der Verkehrsfläche und ihre Bedeutung für den Verkehr an.

Daher ist der Beklagten keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorzuwerfen. Die Kanalabdeckung ist bei zu erwartender Sorgfalt der Verkehrsteilnehmer keine unvorhersehbare und unbeherrschbare Gefahrenquelle. Dass seitlich an der Straße Kanalabdeckungen verbaut sind, kann als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Die Klägerin hätte daher mit diesem zumindest – wie vorliegend – im Bereich der hohen Bordsteine des Fußgängerüberwegs, rechnen müssen. Die Fußgänger müssen sich immer wieder kurz, aber regelmäßig auf den Weg vor ihnen blicken, um die Beschaffenheit und mögliche Hindernisse und Gefahrenquellen frühzeitig zu sehen. Der Gullydeckel war auch trotz des hohen Bordsteins auch aus der Ferne nahezu vollständig erkennbar. Im Bereich eines erhöhten Bordsteins muss zudem mit erhöhter Vorsicht gegangen werden. Der Klägerin war es ohne weiteres möglich, bei gebotener Sorgfalt die Kanalabdeckung so zu betreten, dass sie nicht umknickt oder die Straße an einer anderen Stelle des Fußgängerüberwegs zu überqueren.

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Verkehrssicherungspflicht I: Anforderungen an einen Feld- und Waldweg

Michael PeusMichael Peus

OLG Hamm, Beschl. v. 31.08.2022 – 11 U 9/22

 

Leitsatz (amtlich)

Zu den Anforderungen der Verkehrssicherungspflicht für eine Gemeindestraße, deren Verkehrsbedeutung auf einen den Fußgänger- und Radverkehr zulassenden örtlichen Feld- und Waldweg beschränkt wurde.

 

Sachverhalt

Die Klägerin verlangt infolge eines Fahrradunfalls von der Beklagten (Trägerin der Straßenbaulast für die Gemeindestraßen) Schmerzensgeld und Schadensersatz. Sie fuhr mit dem Fahrrad hinter ihrem Ehemann her, über einen Wald- und Feldweg der Beklagten, der für den Fußgänger- und Radverkehr bestimmt war. In dem mit losem Geröll bedeckte und mit Gras bewachsene Weg hatte sich im Laufe der Zeit eine Spurrille gebildet. Am oberen Abschnitt des Weges befand sich ein zur verkehrsrechtlicher Beschränkung aufgeschütteter Erdhügel. Die Klägerin gelangte in die Spurrille, blieb mit ihrer Pedale an dem Erdhügel hängen und stürzte.

 

Entscheidung

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes und Schadensersatz gem. § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG, § 9, 9a, 47 StrWG NRW. Die Beklagte hat keine Verkehrssicherungspflicht verletzt.

  1. Maßstab sind die allgemeinen Grundsätze der Verkehrssicherungspflichten. Nach den allgemeinen Grundsätzen ist die Beklagte gem. §§ 9, 9a, 47 StrWG NRW grds. verpflichtet, Gefahrenquellen auf den Verkehrsflächen, die von ihr unterhalten werden, zu beseitigen und im Rahmen des Zumutbaren darauf hinzuwirken, dass kein Verkehrsteilnehmer zu Schaden kommt. Jedoch muss nicht für jede denkbare Möglichkeit eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht richtet sich danach, für welche Art des Verkehrs die Verkehrsfläche nach ihrem Befund unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse und der allgemeinen Verkehrsauffassung gewidmet ist und danach, was ein vernünftiger Verkehrsteilnehmer an Sicherheit erwarten darf. Die Verkehrsteilnehmer müssen die Verhältnisse grds. hinnehmen und haben sich auf diese und die typischen Gefahren einzustellen. Eine Verkehrssicherungspflicht besteht erst dann, wenn nach sachkundigem Urteil die Möglichkeit einer Rechtsgutverletzung naheliegt, d.h., wenn ein sorgfältiger Verkehrsteilnehmer unter Beachtung der zu erwartenden Sorgfalt die Gefahrenquelle nicht (rechtzeitig) erkennen kann und sich nicht (rechtzeitig) auf diese einstellen kann. Bei dieser Beurteilung, kommt es auch auf das äußere Erscheinungsbild der Fläche und ihrer Bedeutung für den Verkehr an.

 

  1. Der Weg ist erkennbar von untergeordneter Bedeutung. Der in Rede stehende Wald- und Feldweg ist seit den 90er-Jahren nur noch für den Fußgänger- und Fahrradverkehr bestimmt und wird eher selten von diesen genutzt. Daher kommt dem Weg nur noch eine untergeordnete Verkehrsbedeutung als Abkürzungsstrecke zu. Der Untergrund besteht nur noch aus Gras und losem Geröll.

 

  1. Das führt zu eingeschränkten Sicherheitserwartungen: Verkehrsteilnehmer, die diesen Weg benutzen, können daher nur eingeschränkte Sicherheitserwartungen haben. Auf solchen unbefestigten Wegen muss mit Unebenheiten und Hindernissen, wie hier den Spurrillen gerechnet werden. Insb. darf nicht davon ausgegangen werden, diesen ohne Absteigen befahren zu können.

 

  1. Wegen der Reduktion der Sicherheitserwartungen sind auch an die Verkehrssicherungspflichten nur geringe Anforderungen zu stellen, die vorliegend erfüllt sind. Auch aufgrund des aufgeschütteten Erdhügels trifft die Beklagte keine erhöhte Verkehrssicherungspflicht. Die Aufschüttung des Erdhügels ist keine unzulässige Verkehrsanordnung und stellt auch keine Schaffung einer Gefahrenquelle dar. Diese ergab sich erst in Kombination mit der Spurrille. Ebenso war die Beklagte nicht zur Beseitigung der Spurrille verpflichtet, denn diese war bei gebotener Eigensorgfalt rechtzeitig zu erkennen und zu bewältigen. Daran ändert es auch nichts, dass der Ehemann der Klägerin vorausgefahren ist und sie deshalb die Spurrille möglicherweise nicht mehr rechtzeitig erkennen konnte. Die Klägerin ist gem. §§ 3, 4 StVO zur Einhaltung eines Abstandes zu dem vorausfahrenden Ehemann verpflichtet. Dieser Abstand muss so groß sein, dass jederzeit innerhalb der überschaubaren Strecke problemlos angehalten werden kann. Hätte die Klägerin diesen Abstand eingehalten, hätte sie die Gefahrenstelle problemlos meistern können.

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Amtshaftung: Verwaltungshelfer

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

BGH, 06.06.2019, Az.: III ZR 124/18

Leitsätze

Die Mitarbeiter eines privaten Unternehmens, die zur Ausführung einer verkehrsbeschränkenden Anordnung der Straßenbaubehörde und des der Anordnung beigefügten Verkehrszeichenplans (§ 45 Abs. 2 und 6 StVO) Verkehrsschilder nicht ordnungsgemäß befestigen, handeln als Verwaltungshelfer und damit als Beamte im haftungsrechtlichen Sinne. Ihre persönliche Haftung gegenüber einem durch das Verkehrsschild Geschädigten scheidet daher gemäß Art. 34 Satz 1 GG aus.

Sachverhalt

Die Beklagte ist als privates Unternehmen auf dem Gebiet der Straßenverkehrssicherung tätig. Sie übernahm die Verkehrssicherung zur Durchführung von Straßenbauarbeiten an einer Bundesautobahn gemäß der verkehrsbeschränkenden Anordnung des Landesbetriebs Mobilität Rheinland-Pfalz als Straßenbaubehörde. Der Anordnung war ein Verkehrszeichenplan beigefügt, der die Verkehrsführung auf einem etwa drei Kilometer langen Streckenabschnitt vorschrieb. Der Plan gab vor, an welcher Stelle welche Verkehrsschilder aufzustellen waren. Die Beklagte nahm die Beschilderung im Baustellenbereich entsprechend dem Plan und den Vorgaben der Anordnung vom 13. November 2013 vor. Die Klägerin ist Eigentümerin und Halterin eines Kraftfahrzeugs. Sie hat vorgetragen, ihr sei im Baustellenbereich ein eine Geschwindigkeitsbeschränkung anordnendes Verkehrsschild (Zeichen 274) entgegengeflogen, das auf dem rechten Standstreifen aufgekommen und gegen die Beifahrerseite ihres Fahrzeuges geschlagen sei. Das Schild habe sich gelöst, weil es von der Beklagten nicht ordnungsgemäß befestigt worden sei, die daraufhin von ihr direkt auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird.

Entscheidung

Der BGH verneint einen Direktanspruch gegen das beklagte Privatunternehmen, da es sich dabei im Zeitpunkt der Pflichtverletzung um einen sog. Verwaltungshelfer gehandelt habe, sodass eine Haftung nur gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG gegen den zuständigen Hoheitsträger richten kann. Hierzu skizziert der BGH zunächst die Bewertungskriterien: Ob sich das Handeln einer Person als Ausübung eines ihr anvertrauten öffentlichen Amtes darstellt, bestimmt sich danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wird, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen. Hiernach können auch Mitarbeiter eines privaten Unternehmens Amtsträger im haftungsrechtlichen Sinne sein. Dies kommt neben den Fällen der Beleihung eines Privatunternehmens mit hoheitlichen Aufgaben auch dann in Betracht, wenn Private als Verwaltungshelfer bei der Erledigung hoheitlicher Aufgaben tätig werden. Dafür ist erforderlich, dass ein innerer Zusammenhang und eine engere Beziehung zwischen der Betätigung des Privaten und der hoheitlichen Aufgabe bestehen, wobei die öffentliche Hand in so weitgehendem Maße auf die Durchführung der Arbeiten Einfluss nimmt, dass der Private gleichsam als bloßes „Werkzeug‟ oder „Erfüllungsgehilfe‟ des Hoheitsträgers handelt und dieser die Tätigkeit des Privaten deshalb wie eine eigene gegen sich gelten lassen muss. Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe in den Vordergrund tritt, je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der öffentlichen Hand zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Privaten ist, desto näher liegt es, ihn als Beamten im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen. Jedenfalls im Bereich der Eingriffsverwaltung kann sich die öffentliche Hand der Amtshaftung für fehlerhaftes Verhalten ihrer Bediensteten grundsätzlich nicht dadurch entziehen, dass sie die Durchführung einer Maßnahme durch privatrechtlichen Vertrag auf einen privaten Unternehmer überträgt.

Diese Voraussetzungen sah der BGH als erfüllt an. Denn die Aufstellung des Schildes war sehr eng mit der gemäß § 45 Abs. 2 StVO getroffenen Verkehrsregelung als Maßnahme der Eingriffsverwaltung verbunden, bei der der hoheitliche Charakter im Vordergrund steht. Die Verkehrsregelung war – wie ausgeführt – ohne die Aufstellung des Verkehrsschildes nicht wirksam. Diese besonders enge Beziehung zwischen Verkehrsregelung und ihrer Umsetzung hat zur Folge, dass beide Maßnahmen haftungsrechtlich einheitlich zu behandeln sind. Erfolgt mithin durch ein privates Unternehmen die Aufstellung von Verkehrszeichen zur Herbeiführung der Wirksamkeit der entsprechenden, diese Verkehrszeichen anordnenden Verkehrsregelung, sind die Mitarbeiter des Unternehmens als Verwaltungshelfer im vorgenannten Sinne anzusehen. Der Hoheitsträger hat auch auf die Durchführung der Arbeiten, das heißt auf die Aufstellung der Verkehrszeichen, derart Einfluss genommen, dass die Mitarbeiter der Beklagten gleichsam als bloße „Werkzeuge‟ oder „verlängerte Arme‟ des LBM handelten. Dessen verkehrsbeschränkende Anordnung als Straßenbaubehörde war von den Mitarbeitern der Beklagten strikt umzusetzen. Der Verkehrszeichenplan, der der Anordnung beigefügt war, gab präzise vor, welches Verkehrsschild an welcher Stelle aufzustellen war. Ein eigener Entscheidungs- und Ermessensspielraum kam, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, der Beklagten und ihren Mitarbeitern hierbei nicht zu.

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Amtspflicht zur Kontrolle ordnungsgemäßer Reinigungsarbeiten nach Beendigung einer Baustelle

Stefan MöhlenkampStefan Möhlenkamp

Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 26.11.2020, Az.: 7 U 61/20

Leitsätze

1. Die Verkehrssicherungspflicht des Straßenbaulastträgers für den Bereich einer Baustelle kann nicht vollständig auf die bauausführende Firma übertragen werden. Es verbleiben eigene Aufsichts- und Überwachungspflichten.

2. Das Verweisungsprivileg aus § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB (subsidiäre Haftung) kommt bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten im Straßenraum grundsätzlich nicht zum Zuge.

3. Für die örtliche Zuständigkeit verschiedener Baulastträger untereinander wird grundsätzlich auf den Ort des Vorliegens der Straßenbeeinträchtigung abgestellt. Für Kreuzungen von Bundes- und Gemeindestraßen gilt, dass den Träger der höheren Straßengruppe (Land) die Unterhaltungspflicht für die Breite seiner Straße trifft und nur im Übrigen der Träger der kreuzenden Straße (Gemeinde) zuständig ist.

4. Die Warnfunktion eines Baustellenschildes gilt solange fort, bis sie entweder durch eine Beschilderung aufgehoben wurde oder der äußere Anblick der Straße eindeutig die Beendigung der Baustelle indiziert.

5. Die Verkehrssicherungspflicht erstreckt sich auch auf die Kontrolle ordnungsgemäßer Reinigungsarbeiten (hier die Beseitigung von Rollsplitt) nach Beendigung einer Baustelle. Es genügt nicht, im Zuge von Reinigungsarbeiten auf einer Landesstraße den vorhandenen Rollsplitt im Bereich von Einmündungen/Kreuzungen auf die benachbarte Gemeindestraße zu fegen. Ein Verweis des Landes auf die mangelnde örtliche Zuständigkeit für die in diesem Fall betroffene Gemeindestraße übersieht, dass es nicht um die Zustandshaftung für die Straße eines anderen Baulastträgers geht, sondern um die mangelhafte Kontrolle von Reinigungsarbeiten der eigenen Straße.
Sachverhalt

Die Klägerin (Krankenkasse) macht aus übergegangenem Recht Ansprüche aus Verkehrssicherungspflichtverletzung gegen das beklagte Land geltend. Streithelferin ist das von dem Beklagten mit der Straßensanierung einer Landstraße beauftragte Bauunternehmen. Der Geschädigte befuhr mit seinem Motorroller die Landesstraße. Für diese Straße wurde in der damaligen Zeit die Fahrbahndecke durch die Streithelferin erneuert. Von der Landesstraße bog der Geschädigte nach links in die Gemeindestraße ab. Bereits im Einmündungsbereich auf der Gemeindestraße befindlich kam der Geschädigte wegen dort befindlichen, aus der Baustelle der Landstraße stammenden Rollsplitt zu Sturz.

Das Land hat behauptet, soweit Rollsplitt vorhanden gewesen sei, sei jedenfalls durch entsprechende Hinweisschilder darauf hingewiesen worden. Die auf die Streithelferin übertragenen Verkehrssicherungspflichten seien regelmäßig durch die Straßenmeisterei überwacht worden, wobei Gefahren oder Unregelmäßigkeiten nicht festgestellt worden seien. Im Übrigen sei das Land für den Anspruch nicht passivlegitimiert, da der Unfall auf einer Gemeindestraße stattfand. Zudem träfe sie lediglich eine subsidiäre Haftung. Das Landgericht hat der Klage überwiegend, nämlich nach einer Haftungsquote von 70 % (30 % Mitverschulden des Geschädigten), stattgegeben. Dagegen richtet sich die Berufung des Landes.

 

Entscheidung

Das OLG stellt zunächst klar, dass der Träger der Straßenbaulast für Verkehrssicherungspflichtverletzungen auf den von ihm vorgehaltenen Straßen hafte. Dem Land sei es auch nicht möglich, sich bei einer Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht auf den Grundsatz der nur subsidiären Haftung aus § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB zu berufen. Denn das Verweisungsprivileg komme bei der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten im Straßenraum aufgrund der inhaltlichen Übereinstimmung der öffentlich-rechtlich ausgestalteten Amtspflicht zur Sorge für die Verkehrssicherheit und der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht grundsätzlich nicht zum Zuge. Der Haftung des Landes stehe ferner nicht grundsätzlich entgegen, dass es die Verkehrssicherungspflicht inkl. der baustellenbedingten Verkehrsregelungspflicht (Warnschilder) auf die Streitverkündete übertragen hat. Denn es verblieben Aufsichts- und Überwachungspflichten. Auch sei nicht von einem Verstoß der Verkehrsregelungspflicht auf der Landstraße auszugehen, da das bloße Vorhandensein von Rollsplitt auf der Fahrbahn noch keine Verkehrssicherungspflichtverletzung begründe und die Warnfunktion des hier 400 m vor der Kreuzung mit der Gemeindestraße auf des Landesstraße aufgestellte Baustellenschildes solange fortwirke, bis sie entweder durch eine Beschilderung aufgehoben werde oder der äußere Anblick der Straße eindeutig die Beendigung der Baustelle indiziere, was hier nicht der Fall gewesen sei.

Im vorliegenden Fall habe das Land aber seine Kontroll- und Überwachungspflichten für die Reinigungsarbeiten auf der in seinen Verantwortungsbereich fallenden Landesstarße verletzt. Zwar sei das Land nicht für die Kontrolle der Reinigung der Gemeindestraße zuständig gewesen und es sei nicht ohne Weiteres möglich, dem Träger der höheren Straßengruppe eine Verantwortung für die Verkehrssicherung auf der niederen Straßengruppe zuzuschreiben (s. auch BGH, 19.01.1989 – III ZR 258/87). Für Kreuzungen von Bundes- und Gemeindestraßen gelte grundsätzlich, dass den Träger der höheren Straßengruppe (Land) die Unterhaltungspflicht für die Breite seiner Straße treffe und nur im Übrigen der Träger der kreuzenden Straße (Gemeinde) zuständig sei. Somit sei das Land für den Splitt auf der Gemeindestraße zwar nicht unmittelbar zuständig gewesen. Trotzdem sei das beklagte Land aber in diesem Fall zur Kontrolle verpflichtet gewesen. Denn, wenn eine Baufirma Reinigungsarbeiten im Zuge von Bauarbeiten übernehme, dann sei der Träger der Straßenbaulast, der die Bauarbeiten veranlasst hat, auch zur Kontrolle verpflichtet, ob im Zuge der Reinigungsarbeiten eine Beeinträchtigung anderer Straßenzüge eingetreten ist. Das gelte auch dann, wenn er für diese Bereiche (eigentlich) nicht verkehrssicherungspflichtig sei. Es gehe dann nicht um eine Verkehrssicherung für die Straße eines anderen Baulastträgers, sondern um die hinreichende Kontrolle der Arbeiten einer Baufirma für die eigene Straße. Diese Kontrollpflicht habe die Beklagte nicht erfüllt, weil sie sich hierfür schon im Ansatz nicht zuständig wähnte.

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