Endlich Klarheit in beA beim Signieren von Schriftsätzen der Kollegen

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

Qualifiziert Signieren für Praxiskollegen geht ohne Fallstricke

 

BGH; Beschluss vom 28.02.2024, IX ZB 30/23

Leitsatz 

Signiert ein Mitglied einer mandatierten Anwaltssozietät einen Schriftsatz, den ein anderes Mitglied der Anwaltssozietät verfasst und einfach elektronisch signiert hat, in qualifiziert elek-
tronischer Form und reicht diesen Schriftsatz über sein besonderes elektronisches Anwaltspostfach bei Gericht ein, ist dies wirksam. Eines klarstellenden Zusatzes („für‟) bei der einfa-
chen Signatur des Schriftsatzverfassers bedarf es nicht.

Sachverhalt

Alltag in der Anwaltspraxis. Eine Berufungsbegründung muss eingereicht werden. Ein Anwalt einer Sozietät verfasst den Schriftsatz, und sein Name erscheint in maschinenschriftlicher Form unter dem Schriftsatz (einfache Signatur). Die qualifizierte elektronische Signatur mittels Signaturkarte wird von einem Kollegen aus der Praxis angebracht, ohne dass der Schriftsatz selbst noch irgendwie geändert wird. Es wird kein Zusatz „für‟ angebracht, auch wird die einfache Signatur nicht auf den Kollegen umgeschrieben.

Entscheidung

Das Landgericht Koblenz ist sich nicht zu schade, die Berufungsbegründung als unzulässig zu verwerfen. Der qualifiziert signierende Anwalt trete „im Schriftsatz‟ nicht ausreichend als verantwortende Person in Erscheinung.

Der BGH hebt die Entscheidung auf: Die Berufungsbegründung ist wirksam eingelegt. Die erste Variante des § 130a ZPO ist erfüllt, denn der Schriftsatz ist mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen. Diese entspricht der eigenhändigen Unterschrift auf einem Papierschriftsatz. Es besteht – auch dies eine Parallele zur Papierwelt – kein Anlass daran zu zweifeln, dass der signierende Kollege den Schriftsatz mittels seiner Signatur auch „verantworten‟ wollte. Dies müsse nicht noch einmal zusätzlich auf dem Schriftsatz zum Ausdruck gebracht werden.

Anmerkung

Dies ist eine wichtige Entscheidung für eine funktionierende Praxis.

Wenn die qualifizierte elektronische Signatur nach § 130a ZPO allein reicht, muss gerade nicht mühsam die einfache Signatur des Kollegen gelöscht und die eigene maschinenschriftliche Unterschrift eingesetzt werden. Selbstverständlich kann ich mit meiner Signatur einen Schriftsatz verantworten, den eine Kollegin verfasst hat, deren Name als Schriftzug unter dem Schriftsatz zu lesen ist.

Dies klar zu haben bedeutet eine große Erleichterung. Wir müssen nur noch darauf achten, dass der Schriftsatz qualifiziert signiert und dann versendet wird. An dieser Stelle hat aus meiner Sicht der Leitsatz eine kleine Ungenauigkeit: Es ist nicht erforderlich, dass der Schriftsatz vom Signierenden „über sein elektronisches Anwaltspostfach‟ versendet wird, sondern das kann durchaus irgendwo aus der Praxis geschehen, aus welchem Postfach auch immer. Die qualifizierte elektronische Signatur braucht keine weiteren Absicherungen. Die Entscheidungsgründe des BGH lassen daran auch keinen Zweifel.

Abgesehen davon, dass die Entscheidung überzeugend ist und eine konsequente Fortführung der Spruchpraxis aus dem Papierzeitalter darstellt, tut es einfach gut, wie der BGH eine praxistaugliche Lösung hochhält. Von manchen Gerichten im Lande hat man eher den Eindruck, dass diese zwar selbst vorzugsweise noch per Telefax kommunizieren, aber die Anforderungen an die Anwälte, die seit Jahren zur elektronischen Übersendung verpflichtet sind, nach Möglichkeit hochsetzen – für „eine Handvoll Dollar‟ oder eben „eine glorreich verworfene Berufung‟.

(Dr. Harald Scholz)

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Recht im Winter – Geschwindigkeitsmesswagen mit Winterreifen

Michael PeusMichael Peus

AG Landstuhl, Beschluss vom 05.02.2022 – 2 OWi 4211 Js 8338/21

Geschwindigkeitsmesswagen müssen geeicht sein. Vorliegend war es so, dass der Geschwindigkeitsmesswagen zwar geeicht war, aber mit Sommerreifen. Zum Zeitpunkt der Geschwindigkeitsmessung waren Winterreifen montiert. „Leider‟ hatten diese Winterreifen dieselbe Größe, weshalb das Gericht den Vorwurf der fehlerhaften Messung zurückwies:

„Der Verstoß wurde gemessen mit dem geeichten Messfahrzeug des Typs Provida 2000 modular. Laut Eichschein (AS19) wurde das Messgerät im Kraftfahrzeug am 1.9.2020 geeicht, wobei die Eichfrist am 31.12.2021 endete. Die Eichung erfolgte mit Sommerreifen der Größe 255/40 R19. Zum Messzeitpunkt waren Winterreifen derselben Größe aufgezogen (AS84), sodass nur eine formale Diskrepanz, aber keine eichrechtliche oder messtechnische Relevanz vorliegt (OLG Hamm Beschl. v. 7.6.2011 – III – 1 RBs 75/11, BeckRS 2011, 20102).‟

 

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Kein Anspruch auf Löschung personenbezogener Daten auf Ärzteprofil „jameda.de“

BGH, Urteil v. 13.12.2022 – VI ZR 54/21
Erläutert von Tom Rexhausen

Zum Fall:
Die Klägerin ist Kinder und Jugendärztin. Auf dem Portal „jameda.de“, werden unter einem sogenannten Basis-Profil ohne ihr Einverständnis ihre personenbezogenen Daten angeführt. Sie verlangt vom Betreiber des Ärzteportals „jameda.de“ die Löschung des über sie veröffentlichten Profils, insbesondere ihrer personenbezogenen Daten. Zudem verlangt sie Unterlassung der Veröffentlichung eines sie betreffenden Profils in einer sich von den sogenannten Premium-Profilen deutlich unterscheidenden Weise dahingehend, dass es die Aufschrift „Premium-Kunden können ein Profilbild hinterlegen“ trägt, die Anzahl der Aufrufe und Bewertungen sowie Verlinkung zu einem Fachartikel aus ihrem Bereich und eine Werbung mit Verlinkung für ein Produkt gegen Erkältung enthält.

Die Entscheidung:
Das Gericht hat der Klägerin die von ihr begehrten Ansprüche nicht zugestanden. Die Voraussetzungen eines Löschungsanspruchs aus Art. 17 I DS-GVO seien nicht gegeben. Die betreffenden Daten seien in rechtmäßiger Weise verarbeitet worden. Es läge ein Interesse an der Veröffentlichung vor, da die Beklagte sowohl eigene als auch die Interessen der Nutzer des Portals wahrnehme. Diese seien auch berechtigt, da das Portal eine von der Rechtsordnung gebilligte und gewünschte Funktion im Gesundheitswesen erfülle. Des Weiteren sei die jeweilige Datenverarbeitung für die Verwirklichung dieses Interesses zwingend erforderlich, da die Identifizierbarkeit der einzelnen Ärzte für einen Überblick und eine Bewertung unabdingbar sei.

Im Rahmen einer Interessenabwägung überwiege das Beklagteninteresse deutlich das Interesse der Klägerin. Für die Klägerin würden vorliegend neben ihrem Recht auf den Schutz ihrer personenbezogenen Daten gem. Art. 8 Grundrechte-Charta die Gefahren für ihren beruflichen Geltungsanspruch streiten. In einem „worst case-Szenario“ könne es gar durch missbräuchliche Verwendung des Portals und somit zu einer Bedrohung der beruflichen Existenz der Klägerin kommen.
Auf der anderen Seite sieht das Gericht das gewichtige öffentliche Interesse, welches die Beklagte durch den Betrieb der Homepage bediene. Das Portal sei eine wichtige und jedermann zugängliche Informationsquelle und trage zu mehr Transparenz im Gesundheitswesen bei. Diesem Zweck könnte allenfalls nur noch eingeschränkt Rechnung getragen werden, wenn die Datenverarbeitung die Zustimmung der Betroffenen erfordern würde. Auch der monierte Aufbau der Homepage führe zu keinem anderen Ergebnis. Die Annahme, dass sich ein Nutzer lediglich wegen eines Profilbildes für einen Arzt entscheide sei fernliegend. Ebenso wenig sei ein Basis-Profil ohne Bild nicht geeignet, den „Besucher“ auf das Profilbild eines Konkurrenten, der ein Premium-Profil besitzt, zu lenken. Entscheidend sei allein die Bewertung der Profile.

Auch der Einwand der Klägerin, wonach auf einem Basis-Profil keine Internetadresse des jeweiligen Arztes angeführt sei, auf einem Premium-Profil eine solche hingegen vorhanden sei, verfängt nach Auffassung des Gerichtes nicht. Die Belastung für einen nichtzahlenden Arzt sei darauf beschränkt, dass potentielle Patienten die Homepage desselben „googeln“ müssen, und sei daher als gering anzusehen. Die Klägerin moniert zudem, es handele sich bei den neben den Basis-Profilen befindlichen Verlinkungen zu jeweiligen Fachartikeln von Kunden aus dem Premiumbereich um einen verdeckten Vorteil für die Premium-Kunden. Dem tritt das Gericht zum einen damit entgegen, dass es zwischen den Profiltypen kein allgemeines Gleichbehandlungsgebot gäbe. Darüber hinaus sei die Belastung der Basiskunden gering, da die Arztsuche zuvorderst über Kriterien wie Fachgebiet, Niederlassungsort oder der Bewertungen laufe. Eine Weiterleitung auf die Seite eines Premium-Nutzers erfolge allenfalls, wenn das Thema des jeweiligen Artikels beim Portalnutzer Interesse weckt.
Im Ergebnis hat die Ärztin also weder einen Anspruch auf Löschung ihrer Daten, noch auf Unterlassung der Veröffentlichung auf „yameda.de“.

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Schuldrechtsreform 2022 – was ist neu im BGB?

Dr. Harald ScholzDr. Harald Scholz

Schuldrechtsreform 2022

 

Alles wird digitaler. Verträge werden online abgeschlossen, Daten werden online übermittelt. So war es nur eine Frage der Zeit, bis die Digitalisierung auch das BGB erreicht.

Der Gesetzgeber hat im vergangenen Jahr die größte und wichtigste Reform des Schuldrechts seit 2002 beschlossen.

Unter anderem will der Gesetzgeber mit den neuen Regelungen vor allem den Verbraucherschutz stärken, sowie die Digitalisierung im Vertragsrecht – insbesondere bei Kaufverträgen über digitale Elemente – und die Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen direkt einbeziehen.

Die Änderungen sind – mit einigen Ausnahmen – bereits am 01.01.2022 in Kraft getreten. Daher ist es notwendig, sich einen Überblick über die Änderungen zu verschaffen. Im Folgenden werden die wichtigsten Neuerungen dieser umfassenden BGB-Reform in gebotener Kürze verständlich dargestellt und erläutert.

 

Die Schuldrechtsreform untergliederte sich in vier Reformgesetze:

 

1.Regelung des Verkaufs von Sachen mit digitalen Elementen und anderer Aspekte des Kaufvertrags

Ein Kaufvertrag wird schon seit einem längeren Zeitraum nicht mehr nur über „Ware zum Anfassen“ abgeschlossen. In den letzten Jahren ist vielmehr besonders der Verkauf von digitalen Medien und Waren sowie von Sachen mit digitalen Elementen angestiegen. Das sind also Produkte, die man nicht greifen kann, sondern die nur oder u.a. in digitaler Form dem Verbraucher zur Verfügung gestellt werden – beispielsweise Apps oder eine Smartwatch mit entsprechender Software.

Doch wie verhält es sich, wenn die digitale Ware einen Sachmangel aufweist?

Im Rahmen dieser Reform wurde der Sachmangelbegriff allgemein neu geregelt. Nach § 434 Abs. 1 BGB ist eine Sache frei von Sachmängeln, wenn die Sache bei Gefahrübergang den subjektiven und objektiven Anforderungen sowie den Montageanforderungen entspricht.

Unter den Sachbegriff fallen neben den klassischen „analogen“ Waren jetzt über den Verweis des § 327a Abs. 3 S. 1 BGB n.F. auch Waren mit digitalen Elementen (z.B. Smart-TV, Smartwatch). Bei digitalen Elementen, die mit einer Sache gar nicht besonders verbunden sind (z.B. rein digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen wie Computerprogramme, Apps, eBooks, Musikdateien) richtet sich die Mangelfreiheit jedoch speziell nach den §§ 327 e BGB n.F.

Was nun genau unter den subjektiven, objektiven und den Montageanforderungen von Sachen zu verstehen ist, regeln in § 434 BGB die Absätze 2-4.

Den subjektiven Anforderungen entspricht die Kaufsache nicht, wenn z.B. ein Fernseher als „Smart-TV“ verkauft wird, aber über keine Internetfähigkeit oder über keine funktionierende Software verfügt.

Den objektiven Anforderungen genügt eine Sache nicht, wenn z.B. in der Werbung angepriesen wird, dass eine Smartwatch den Blutdruck kontrollieren kann, in Wahrheit aber gar nicht über eine solche Funktion verfügt oder eine bestimmte Wandfarbe nicht der des Musters der RAL-Tabelle entspricht.

Den Montageanforderungen entsprechen beispielsweise Möbel nicht, die unsachgemäß zusammengebaut sind oder unmontiert sind und nur eine sehr schlechte Aufbauanleitung enthalten.

Der neue Sachmangelbegriff kennt keinen Vorrang der Beschaffenheitsvereinbarung mehr. Die Anforderungen sind nun gleichrangig. Jedoch können die Parteien abweichende Vereinbarungen treffen, § 476 BGB. Dies muss allerdings ausdrücklich und gesondert im Vertrag vereinbart werden, sodass die AGB allein nicht ausreichen.

Weiterhin wurde für den Verbrauchsgüterkauf die neue Kategorie des „Sachmangels einer Ware mit digitalen Elementen“ eingeführt, § 475b BGB. Dies sind gem. § 327a Abs. 3 S. 1 BGB n.F. Waren, die digitale Produkte enthalten oder mit ihnen verbunden sind, sodass die Waren ihre Funktion ohne die digitalen Produkte nicht erfüllen können (z.B. Smartphones, Tablets).

Bei Waren mit digitalen Elementen mit dauerhafter Bereitstellung der digitalen Elemente unterliegt die Gewährleistung strengeren Maßstäben. Der Unternehmer muss für den gesamten Bereitstellungszeitraum (von mindestens zwei Jahren) für die Mangelfreiheit einstehen und ist nun verpflichtet, Aktualisierungen bereitzustellen (insbesondere Sicherheitsupdates), §§ 475b BGB.

Weiterhin die digitalen Elemente betreffend wurden Sonderbestimmungen für Rücktritt, Schadensersatz und Verjährung eingeführt (vgl. §§ 475d, 475e BGB), sowie für den Rückgriff des Unternehmers und für Garantien (vgl. §§ 478, 479 BGB).

Außerdem wichtig ist die Beweislastumkehr, die nach § 477 BGB anstelle von sechs Monaten auf ein Jahr ab Gefahrübergang verlängert wurde. Bei digitalen Produkten, die dauerhaft bereitgestellt werden, gilt dieser Zeitraum für die gesamte Dauer der Bereitstellung (mindestens zwei Jahre).

 

 

2.Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen

 

Ab dem 01.01.2022 wird durch die Regelung in §§ 327b ff. BGB die europäische Digitale-Inhalte-Richtlinie umgesetzt, welche Verbraucherverträge über digitale Produkte erfasst. Davon umfasst werden die Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen, bei denen der Verbraucher gegen Zahlung eines Preises (Geld oder digitale Wertdarstellung) darauf zugreifen kann. Zu diesen zählen unter anderem Apps, Cloud-Speicher, soziale Netzwerke, aber auch E-Books und Musikdownloads. Es geht also um Produkte, die gar nicht mehr an eine körperliche Sache gebunden sind.

Der Unternehmer ist dabei verpflichtet, die erworbenen digitalen Produkte bereitzustellen, § 327b BGB. Wenn er seiner fälligen Bereitstellungspflicht nicht unverzüglich nachkommt, steht es dem Verbraucher nach § 327c BGB zu, den Vertrag zu beenden (bzw. Schadensersatz oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen geltend zu machen, vgl. Abs. 2).

Produktmangel- sowie Rechtsmängel werden in § 327e und § 327g BGB geregelt. Bei Mängeln kann der Verbraucher Nacherfüllung verlangen (§ 327l BGB), den Vertrag beenden bzw. den Preis mindern (§ 327m BGB) oder Schadensersatz (§ 280 Abs. 1, § 327m Abs. 3 BGB) bzw. den Ersatz vergeblicher Aufwendungen (§ 284 BGB) verlangen.

Ergänzend sind auf die Verträge zwischen Unternehmern die Vorschriften der §§ 327t bis 327u BGB anzuwenden, die unter anderem die Rückgriffe (Regress) unter Unternehmern regeln, bei denen ein Verbrauchsgüterkauf über digitale Produkte am Ende der Handelskette steht.

 

 

3.Faire Verbraucherverträge

 

Eines der zentralen neuen Gesetze soll die Position der Verbraucher gegenüber den Unternehmern verbessern. Unter anderem wurden die Regelungen über stillschweigende Vertragsverlängerungen geändert. Dem anderen Vertragsteil wird nach § 309 Nr. 9 BGB bei einem Vertragsverhältnis, das die regelmäßige Lieferung von Waren oder die regelmäßige Erbringung von Dienst- oder Werkleistungen durch den Verwender zum Gegenstand hat (z.B. Mitgliedschaft im Fitnessstudio, Zeitschriftenabonnement, Streamingdienst), das Recht eingeräumt, nach Ablauf der Mindestlaufzeit (die weiterhin zwei Jahre betragen darf) das verlängerte Vertragsverhältnis jederzeit mit einer Frist von höchstens einem Monat zu kündigen. Bisher war gebräuchlich, dass sich nach der AGB-Regelung die Verträge ohne rechtzeitige Kündigungum ein ganzes Jahr verlängerten, was künftig nicht mehr zulässig sein wird.

Außerdem werden mit § 308 Nr. 9 BGB AGB-Regelungen, die eine Abtretung ausschließen, für unwirksam erklärt.

Eine weitere zentrale Änderung, die ab dem 01.07.2022 in Kraft tritt, betrifft die Kündigung von Verbraucherverträgen im elektronischen Geschäftsverkehr. Dies gilt für Verträge, die Verbraucher über eine Website schließen, welche auf die Begründung eines Dauerschuldverhältnisses gerichtet sind und einen Unternehmer zu einer entgeltlichen Leistung verpflichtet.

Nach der neuen Fassung des § 312k BGB ist der Unternehmer nun verpflichtet, bei einfach zu schließenden Verträgen auf der Website ebenfalls eine gut lesbare und leicht zugängliche Kündigungsschaltfläche einzurichten, mit deren Gebrauch der Verbraucher seine ordentliche oder außerordentliche Kündigung erklären kann. Wenn diese Regelung missachtet wird, steht dem Verbraucher das Recht zu, den Vertrag jederzeit und ohne Einhaltung der Kündigungsfrist zu kündigen (vgl. § 312k Abs. 6 BGB n.F.). Ziel des Gesetzgebers war es, mit dieser Regelung eine verbraucherfreundliche, einfache, schnelle und unmittelbare Kündigungsmöglichkeit zu schaffen. Die Praxis, Vertragsabschlüsse bequem und online zu ermöglichen, Kündigungen aber nur schriftlich per Brief zuzulassen oder die prinzipiell mögliche Online-Kündigung durch bewusst unübersichtlich gestaltete Websites zu erschweren. Nicht mehr möglich sind nun z.B. Kündigungsmöglichkeiten, die nicht ständig verfügbar, langwierig, schwierig zu finden oder durch weitere Fenster und/oder Zwischenhandlungen unterbrochen sind (z.B. der Nachfrage, ob man wirklich kündigen möchte oder nicht doch noch ein gutes Angebot zur Vertragsfortführung erhalten möchte).

 

 

4.Durchsetzung und Modernisierung der Verbrauchervorschriften

Neu eingeführt werden außerdem die „Allgemeinen Informationspflichten“ für Betreiber von Online-Marktplätzen. Ein Online-Marktplatz ist eine Website oder auch App, die das Inventar verschiedener Anbieter den Kunden präsentiert, um einen möglichen Kauf zu erleichtern (ein typischer Fall ist eBay).

Nach § 312d Abs. 1 BGB ist der Betreiber eines Online-Marktplatzes verpflichtet, den Verbraucher nach der Maßgabe des Artikels 246a EGBGB zu informieren. Diese Informationspflicht umfasst unter anderem die wesentlichen Eigenschaften der Waren oder Dienstleistungen, die Identität des Verkäufers und den Gesamtpreis einschließlich aller Steuer und Abgaben.

Ergänzend dazu wurden die Regelungen über das Erlöschen des Widerrufsrechts bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen und Fernabsatzverträgen gem. § 356 Abs. 4 und 5 BGB geändert. Die Rechtsfolgen des Widerrufs nach § 357 BGB wurden ebenfalls angepasst.

 

 

Anmerkung

Der Gesetzgeber hat mit der Reform das Kaufrecht an den digitalen Wandel angepasst, um Rechtsprobleme und Anwendungsunsicherheiten auszuräumen. Ob dies fehlerfrei gelingt oder ob einige Gesetzeslücken bleiben, wird sich in den kommenden Jahren in der Praxis zeigen. Besonders darf man darauf gespannt sein, ob die aus dem EU-Recht kommenden Vorgaben für Verbrauchergeschäfte mit digitalen Produkten auch auf das B2B-Geschäft ausstrahlen werden. Wir erwarten angesichts der bisher großen Unsicherheiten bei der rechtlichen Einordnung solcher Geschäfte zumindest einen „Anlehnungseffekt“.

 

Falls Sie Fragen haben, stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

 

(Rechtsanwalt Dr. Harald Scholz unter maßgeblicher wissenschaftlicher Mitarbeit von Frau stud. iur. Elif-Nur Okcu und Frau stud. iur. Antonia Hinte)

 


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Verwaltungshelfer

Michael PeusMichael Peus

Der Staat und öffentlich-rechtliche Körperschaften bedienen sich um ihre Funktionen wahrzunehmen an juristischen und natürlichen Personen, die entweder mit hoheitsrechtlichen Kompetenzen ausgestattet sind (Beliehene) oder nur im Einzelfall Tätigkeiten nach Vorgabe verrichten (Verwaltungshelfer). Diese gelten als Beamte im haftungsrechtlichen Sinn.

 

Verwaltungshelfer sind private Hilfsorgane, Erfüllungsgehilfen oder Vollzugshelfer, die in die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben einbezogen werden. Eine Verwaltungshilfe liegt dann vor, wenn ein Privatsubjekt freiwillig eine Behörde bei deren Wahrnehmungen von hoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unterstützt und dabei nicht über eine Hoheitsbefugnis verfügt (vgl. BGH, Urteil vom 06.06.019 – III ZR 124/18).

Verwaltungshelfer können beispielsweise vorbereitend bei der Entscheidung der Behörden mitwirken oder auch als ausführende Verwaltungshilfe tätig werden, allerdings haben sie keine eigene Entscheidungsbefugnis. Dabei bleibt die Aufgabe als solches in staatlicher bzw. kommunaler Verantwortung; das Handeln des Verwaltungshelfers aber stets privatrechtlicher Natur.

Die Sachnähe der übertragenen Tätigkeit zur hoheitlichen Aufgabe ist dabei entscheidend.

„Je stärker der hoheitliche Charakter der Aufgabe und je enger die Verbindung zwischen der übertragenen Tätigkeit und der von der Behörde zu erfüllenden hoheitlichen Aufgabe und je begrenzter der Entscheidungsspielraum des Unternehmers, desto näher liegt es, ihn [den Verwaltungshelfer] als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne anzusehen.“

(AG Wuppertal, Urteil vom 25.02.2021 – 39 C33/20, vgl. auch BGH, Urteil vom 06.06.2019 – III ZR 124/18 )

 

Der Verwaltungshelfer handelt als „Werkzeug“ oder verlängerter Arm des Hoheitsträgers. Er ist ein unselbstständiger und weisungsabhängiger Helfer (anders als Beliehene), da er nicht im eigenen Namen, sondern im Namen des Hoheitsträgers tätig wird.

Der Hoheitsträger muss die Handlung des Verwaltungshelfers gegen sich gelten lassen, da das Handeln des Verwaltungshelfers der Behörde zugerechnet wird, für die er tätig ist (Ausschluss persönlicher Haftung nach Art. 34 GG). Auch bei Fehlverhalten des für die Behörde handelnden Verwaltungshelfers können Amtshaftungsansprüche nach Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB im Regelfall nur gegen die Behörde geltend gemacht werden (vgl. BGH, Urteil vom 14.10.2004 – III 169/04).

 

Beispiele:

In der Praxis gibt es ein weites Anwendungsspektrum der Verwaltungshelfer. Ein privater Abschleppunternehmer ist beispielsweise als Verwaltungshelfer tätig, wenn er im Auftrag der Polizei einen im Halteverbot stehenden Pkw abschleppt. Kanalarbeiten gelten auch als Verwaltungshilfe (vgl. AG Wuppertal, Urteil vom 25.02.2021 – 39 C33/20), wie auch der Winterdienst für die Gemeinde (vgl. Saarländisches OLG Saarbrücken, Urteil vom 17.09.2015 – 4U 27/15, BGH, Urteil vom 21.01.1993 – III ZR 189/91). Auch Bauarbeiten im Auftrag der Stadtwerke (vgl. OLG Köln, Urteil vom 21.01.2015 – 16 U 99/14) oder bei Umbauarbeiten von Haltestellen des öffentlichen Personenverkehrs (vgl. AG Essen, Urteil vom 21.09.2021 – 20 C45/20) können eine Verwaltungshilfe darstellen.

 

Zu beachten:

  • Es besteht ein Haftungsausschluss bzgl. des Verwaltungshelfers nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 S.1 GG, da in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amts gehandelt wurde. Dabei verdrängt 839 BGB alle konkurrierenden Ansprüche aus §§ 823 ff. BGB (vgl. OLG Köln, Urteil vom 21.01.2015 – 16 U 99/14).
  • Die Einbeziehung des Verwaltungshelfers in eine Aufgabenwahrnehmung unterliegt keinem institutionellen Gesetzesvorbehalt (anders als bei der Beleihung), da der Verwaltungshelfer weder im eigenen Namen noch unter Einsatz von Hoheitsbefugnissen auftritt.
  • Es liegt kein Legitimationsproblem vor, wenn das Handeln des Verwaltungshelfers der Behörde zugerechnet wird.
  • Der Funktionsvorbehalt gem. Art. 33 Abs. 4 GG wird nicht berührt.
  • Das Haftungsprivileg beim „Innenregress“ (Art. 34 S. 2 GG) wendet der BGH nicht für Verwaltungshelfer an, die als selbstständige private Unternehmer von der Behörde eingesetzt worden sind.

 

 

Abgrenzung:

Abzugrenzen ist der Verwaltungshelfer von dem Beliehenen. Im Gegensatz zu dem Verwaltungshelfer, sind Beliehene selbständig tätig bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben. Beliehene sind natürliche oder juristische Personen, die durch das Gesetz oder Verwaltungsakte hoheitlich befugt werden. Sie erfüllen ebenfalls Hoheitsaufgaben, handeln jedoch im eigenen Namen und eigener Verantwortung und (falls erforderlich) unter Einsatz der ihnen übertragenen Hoheitsbefugnisse. Zum Beispiel sind Notare, der TÜV oder auch Schiffskapitäne Beliehene.

 

 

Weiterführend:

BeckOK VwGO / Reimer, VwGO § 40 Rn. 80, 59. Ed. 01.04.2021.

BeckOK VwVfG / M. Ronellenfitsch, VwVfG § 1 Rn. 74, 53. Ed. Stand: 01.10.2020.

Schoch/Schneider VwVfG/Schoch, VwVfG § 1 Rn. 170-174, Grundwerk Juli 2020.

NK-VwVfG / Klaus Schönenbroicher, VwVfG § 1 Rn. 76-78, 2. Aufl. 2019.

MüKo / Papier/Shirvani, BGB § 839 Rn. 187, 188, 8. Aufl. 2020.

NK-VwGO / Helge Sodan, VwGO § 40 Rn. 356-369, 5. Aufl. 2018.

 

 

 

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Keine „taggenaue Berechnung‟ bei Schmerzensgeld

Dr. Ingo SchmidtDr. Ingo Schmidt

BGH Urteil vom 15. Februar 2022 – VI ZR 937/20

 

Sachverhalt

Der Kläger erlitt erhebliche Verletzungen aufgrund eines schweren Verkehrsunfalls.

In einem Zeitraum von mehr als zwei Jahren verbrachte er im Rahmen von 13 stationären Aufenthalten 500 Tage im Krankenhaus. Unter anderem musste der rechte Unterschenkel amputiert werden. Er ist nun zu mindestens 60 % in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert und kann nur bedingt einer Arbeit nachgehen.

Vor Gericht sollte geklärt werden, wie hoch das Schmerzensgeld ist, das der Unfallverursacher dem geschädigten Kläger zahlen muss.

 

Entscheidung

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat das Schmerzensgeld „taggenau berechnet“ und hat so ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000 Euro ermittelt. Der Bundesgerichtshof erteilt dieser Berechnungsmethode des Oberlandesgericht Frankfurt eine Absage und verweist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

 

Nach der vom Oberlandesgericht Frankfurt hierbei angewendeten Methode der sog. „taggenauen Berechnung‟ des Schmerzensgeldes ergibt sich dessen Höhe in einem ersten Rechenschritt (Stufe I) unabhängig von der konkreten Verletzung und den damit individuell einhergehenden Schmerzen aus der bloßen Addition von Tagessätzen, die nach der Behandlungsphase (Intensivstation, Normalstation, stationäre Reha-Maßnahme, ambulante Behandlung zuhause, Dauerschaden) und der damit regelmäßig einhergehenden Lebensbeeinträchtigung gestaffelt sind. Das Oberlandesgericht hat diese Tagessätze für die verschiedenen Behandlungsstufen auf 150 € (Intensivstation), 100 € (Normalstation), 60 € (stationäre Reha) und 40 € bei 100 % Grad der Schädigungsfolgen angesetzt. In einem zweiten Rechenschritt (Stufe II) können von der zuvor „taggenau‟ errechneten Summe je nach Gestaltung und Schwere des Falles individuelle Zu- und Abschläge vorgenommen werden. Das Oberlandesgericht hat auf dieser Stufe wegen der erheblichen Vorerkrankungen des Klägers einen Abschlag vorgenommen. Von der nach der oben aufgeführten Methode grundsätzlich vorgesehenen abschließenden Erhöhung des Schmerzensgeldes bei Dauerschäden und besonders schwerwiegenden Verfehlungen des Schädigers (Stufe III) hat das Oberlandesgericht in diesem Fall keinen Gebrauch gemacht.

Der Bundesgerichtshof hat dies nicht mitgemacht. Der u.a. für Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche aus Kfz-Unfällen zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Entscheidung des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

 

Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes seien im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das unfallbedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei gehe es nicht um eine isolierte Betrachtung einzelner Umstände, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei seien in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung sei eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lasse.

Diesen Grundsätzen werde – so der Bundesgerichtshof – die vom Oberlandesgericht vorgenommene „taggenaue Berechnung‟ des Schmerzensgeldes nicht gerecht. Die schematische Konzentration auf die Anzahl der Tage, die der Kläger auf der Normalstation eines Krankenhauses verbracht habe und die er nach seiner Lebenserwartung mit der dauerhaften Einschränkung voraussichtlich noch werde leben müssen, lasse wesentliche Umstände des konkreten Falles außer Acht. So sei unbeachtet geblieben, welche Verletzungen der Kläger erlitten habe, wie die Verletzungen behandelt worden seien und welches individuelle Leid bei ihm ausgelöst worden sei. Gleiches gelte für die Einschränkungen in seiner zukünftigen individuellen Lebensführung. Auch die Anknüpfung an die statistische Größe des durchschnittlichen Einkommens trage der notwendigen Orientierung an der gerade individuell zu ermittelnden Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten nicht hinreichend Rechnung.

 

Das Berufungsgericht wird daher erneut über die Höhe des Schmerzensgeldes zu befinden haben.

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