Grob fahrlässige Unkenntnis des Insolvenzverwalters von Anfechtungsansprüchen

BGH, Urteil vom 15.12.2016 — Aktenzeichen: IX ZR 224/15

Leitsatz
Die Unkenntnis eines Insolvenzverwalters in einem umfangreichen Verfahren von einem Anfechtungsanspruch ist nicht allein deswegen grob fahrlässig, weil der Verwalter Zugriff auf die Buchhaltung des Schuldners hatte.

Sachverhalt
Ein Insolvenzverwalter ficht Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Zahlung an und erhebt Klage gegen den Zahlungsempfänger. Bei Beginn der Insolvenzverwaltung hatte der Verwalter Zugriff auf die Buchhaltung der Schuldnerin. Diese sei aber nicht geordnet und nicht funktionsfähig gewesen. Eine Zuordnung der angefochtenen Zahlung habe daher erst im Jahre 2009 erfolgen können. Der Zahlungsempfänger erhebt die Einrede der Verjährung. Die Vorinstanzen sind der Auffassung, der Insolvenzverwalter habe zumindest grob fahrlässige Unkenntis von den anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt.

Entscheidung
Der BGH hat die Entscheidung aufgehoben und zurückverwiesen. Zu der Frage der Annahme einer grob fahrlässigen Unkenntnis führt der BGH aus, dass nicht allein deshalb von einer grob fahrlässigen Unkenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen bei dem Insolvenzverwalter auszugehen ist, weil dieser Zugriff auf die Buchhaltung des Schuldners hatte. Vielmehr ist der Umfang des Insolvenzverfahrens unter Berücksichtigung der anzufechtenden Einzelansprüche und die Anzahl der zu verwaltenden Firmen in die Abwägung einzubeziehen. Bei dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin handelte es sich um ein umfangreiches Insolvenzverfahren. Nicht nur die Schuldnerin selbst, sondern Tochter- und Schwestergesellschaften waren ebenfalls in Insolvenz gegangen. Eine Vielzahl von Insolvenzgläubigern hatte Forderungen angemeldet; es war Grundvermögen vorhanden, das verwertet werden musste; es musste eine Vielzahl von Anfechtungsansprüchen geprüft werden (nahezu 4.000 Einzelanfechtungsansprüche). Angesichts des Umfangs des Verfahrens durfte der Insolvenzverwalter strukturiert etwaige Anfechtungsansprüche prüfen und so vorgehen, dass zunächst die Buchhaltung der Schuldnerin nach inkongruenten Zahlungen im letzten Monat vor Antragstellung durchforstet wurde, sodann die Prüfung auf Zahlungen in den letzten drei Monaten vor Antragstellung hin erfolgte und anschließend immer weiter zeitlich zurück gegangen wurde. Dass bei einem solchen strukturierten Vorgehen der Anspruch gegen den Beklagten bereits im Jahr 2007 hätte festgestellt werden können, war nach Auffassung des BGH nicht festzustellen.

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