Grenzen des Regresses des Rechtsschutzversicherers

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OLG München, Urteil vom 25.11.2020 – 15 U 2415/20

(nicht offizieller) Leitsatz:

In Grenzfällen zwischen erfolgloser Klage und Klage mit geringen Erfolgsaussichten ist ein Regress des Rechtsschutzversicherers gegenüber einem Anwalt nach erteilter Deckungszusage unabhängig von der Frage einer Pflichtverletzung oder eines kausalen Schadens abzulehnen, wenn der Rechtsschutzversicherer durch den Anwalt zuvor zutreffend über den Sachverhalt aufgeklärt worden ist.

Sachverhalt:

Die Klägerin, ein Rechtsschutzversicherer, macht gegen den beklagten Anwalt Schadensersatzansprüche aus übergegangenem Recht wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrags geltend.

Der Beklagte vertrat den Versicherungsnehmer der Klägerin. Der Versicherungsnehmer ist selbst Anwalt. Im Rahmen eines durch ihn betreuten Mandats wurde er wegen falscher Verdächtigung angezeigt. Der zuständige Staatsanwalt leitete ein Ermittlungsverfahren ein und ließ die Mandanten des Versicherungsnehmers über die Polizei als Zeugen vernehmen. Das Ermittlungsverfahren ist letztlich eingestellt worden. Der Versicherungsnehmer der Klägerin beauftragte anschließend den Beklagten, um zivilrechtliche Ansprüchen gegen den Staatsanwalt persönlich durchzusetzen. Die Klägerin erteilte auf Anfrage des Beklagten Deckungszusage für das außergerichtliche Tätigwerden und für das gerichtliche Verfahren in erster Instanz. Die daraufhin erhobene Klage wurde abgewiesen. Zur Begründung führte das mit der Klage befasste Gericht aus, dass der beklagte Staatsanwalt nicht passivlegitimiert sei, da er nicht neben seiner Amtstätigkeit als Privatperson tätig geworden sei. Für das Berufungsverfahren verweigerte die Klägerin die Deckungszusage.

Die Klägerin behauptet, dass ihr Versicherungsnehmer keinen Auftrag zum außergerichtlichen und gerichtlichen Tätigwerden erteilt hätte, wenn er durch den Beklagten über die fehlenden Erfolgsaussichten eines Vorgehens gegen den Staatsanwalt persönlich aufgeklärt worden wäre. Der Beklagte trägt vor, dass er seinen Mandanten hinreichend auf die Risiken und allenfalls geringen Erfolgsaussichten aufgrund eines rechtlichen „Einfalltors‟ hingewiesen habe. Er habe sogar von der Einholung einer Deckungszusage abgeraten. Sein Mandant habe aber sowohl auf die Einholung der Deckungszusage, als auch auf die Klageerhebung bestanden, sofern Deckungszusage erteilt wird.

Das Landgericht gab der Klage der Klägerin statt. Zur Begründung führte das Landgericht aus, dass ein Vorgehen gegen den Staatsanwalt persönlich von vornherein keinerlei Aussicht auf Erfolgt gehabt hätte. Darüber habe der Beklagte den Versicherungsnehmer der Klägerin nicht ordnungsgemäß belehrt. Es stehe auch nach der Beweisaufnahme fest, dass der Mandant die Klage bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht erhoben hätte.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung rügt der Beklagte insbesondere, dass der Rechtsschutzversicherer seine aus § 128 VVG resultierende Pflicht verletzt habe, die Erfolgsaussichten der zu deckenden Rechtsverfolgung zu prüfen und im Falle eines negativen Ergebnisses dieses dem Versicherungsnehmer mitzuteilen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten hat Erfolg.

Das OLG München betont, dass zwischen einer Klage ohne (jegliche) Erfolgsaussicht und einer Klage mit (äußerst) geringer Erfolgsaussicht zu differenzieren ist. Eine Zuordnung ist im Einzelfall äußerst schwierig zu treffen, einem Anwalt jedoch grundsätzlich zuzumuten. Auf der anderen Seite ist der Anwalt als Interessenvertreter seines Mandanten auch verpflichtet, den Wunsch nach einer Rechtsverfolgung zu berücksichtigen und soweit möglich umzusetzen. Nachdem der Beklagte mit seinem Mandanten die (äußerst) geringen Erfolgsaussichten besprochen habe, sei man so verblieben, dass eine Klage nur dann eingereicht werden solle, wenn eine entsprechende Deckungszusage erteilt wird. Dieses Vorgehen stellt nach Ansicht des OLG München keine Pflichtverletzung des Anwalts dar. In ausdrücklicher Abstimmung mit dem Mandanten kann die Frage der Klageerhebung von einer Deckungszusage abhängig gemacht werden. Die Belehrungspflichten eines Anwalts gegenüber einem rechtsschutzversicherten und einem nicht rechtsschutzversicherten Mandanten sind dieselben. Gerade in den Grenzfällen zwischen einer völlig aussichtslosen Klage und einer solchen mit nur geringen Erfolgsaussichten ist ein solches Vorgehen jedoch zulässig. Als Interessenvertreter des Mandanten darf der Anwalt insbesondere kostenwahrende Gesichtspunkte der alleinigen Beurteilung des Rechtsschutzversicherers überlassen. Solange der Anwalt den Rechtsschutzversicherer zutreffend über das tatsächliche Geschehen informiert, wird das Mandanteninteresse gewahrt. Der Versicherungsnehmer hat keine Aufklärungspflichten in rechtlicher Hinsicht. Wenn der Mandant zuvor das grundsätzliche Klagebegehren mitgeteilt hat, muss der Anwalt bei schwieriger Einordnung nicht immer von einer völlig aussichtslosen Klage ausgehen und daher gar keine Deckungsanfrage stellen. Vielmehr obliegt die Beurteilung der rechtlichen Erfolgsaussichten im Rahmen der Erteilung der Deckungszusage alleine dem Rechtsschutzversicherer.

Unabhängig davon, ob in dem jeweiligen Einzelfall eine Pflichtverletzung des Anwalts zu bejahen ist, ist in derartigen Grenzfällen ein Rückgriff des Rechtsschutzversicherers nach erteilter Deckungszusage jedenfalls dann abzulehnen, wenn eine zutreffende Aufklärung über das tatsächliche Geschehen erfolgt ist. Der Rechtschutzversicherungs- und der Mandatsvertrag sind voneinander zu trennen. Im Verhältnis zur Rechtsschutzversicherung hat der Anwalt die Obliegenheiten seines Mandanten zu beachten, insbesondere die vollständige und wahrheitsgemäße Unterrichtung über die tatsächlichen Umstände, jedoch nicht über rechtliche Fragen, erst recht nicht zu Ungunsten des Mandanten. Insofern ist der Anwalt Wissenserklärungsvertreter des Mandanten. Auf eine (evtl.) Aussichtslosigkeit muss der Anwalt daher nicht hinweisen. Folglich kann in einer Deckungsanfrage eines Anwalts auch dann kein zum Schadensersatz verpflichtendes Verhalten gesehen werden, wenn die Erfolgsaussichten objektiv extrem risikobehaftet oder nicht gegeben sind, solange über die zugrundeliegenden Tatsachen des Falles zutreffend informiert wurde.

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