Gestörte Gesamtschuld

OLG Stuttgart, Urteil vom 3.8.2016 — Aktenzeichen: 4 U 106/16

Leitsatz
Erschöpft sich der Mitverursachungsanteil des Fahrzeughalters allein darin, dass er das Fahrzeug einem Fahrer überlässt, mit dem dieser eine Körperverletzung eines Mitfahrers verschuldet, so kommt eine Haftung des Halters im Verhältnis zum Fahrer nach den Grundsätzen der gestörten Gesamtschuld nicht in Betracht.

Sachverhalt
Die klagende Unfallkasse nimmt den Beklagten zu 1) als Halter und die Beklagte zu 2) als Haftpflichtversicherin eines PKW auf Schadensersatz aus nach § 116 Abs. 1 SGB X übergegangenem Recht auf Grund eines Verkehrsunfalles in Anspruch, den die Fahrzeugführerin des PKW durch einfach fahrlässiges Verhalten verschuldete. Die Fahrzeugführerin sowie drei weitere im Fahrzeug befindliche und durch den Unfall verletzte Mitfahrerinnen befanden sich auf einer vom gemeinsamen Lehrer veranlassten Fahrt im Rahmen eines Klassenausflugs. Die Klägerin kam für die Heilbehandlungskosten der Mitfahrerinnen auf. Die Hälfte davon macht sie gegen die Beklagten geltend. Sie hat die Meinung vertreten, dass im Innenverhältnis der Fahrerin und des Halters jede Seite zur Hälfte auf Ersatz der Aufwendungen hafte.

Entscheidung
Ohne eigene Begründung bestätigt das OLG die Entscheidung des Landgerichts, welches die Klage abgewiesen und damit begründet hat, dass sich der Mitverursachungsanteil des Beklagten zu 1) als Halter allein in der Zurverfügungstellung des PKW an die Fahrzeugführerin erschöpfte, weshalb letztlich ein Haftungsanteil des Beklagten zu 1) nicht mehr in Betracht komme. Da der Fahrzeughalter dem Fahrzeugführer nicht für die Betriebsgefahr des Fahrzeugs einzustehen habe, führt dies dazu, dass der aus Verschulden gegenüber einem Dritten haftende Fahrzeugführer im Innenverhältnis zum Fahrzeughalter allein hafte. Deshalb kann der gesetzliche Unfallversicherer in Anwendung der Grundsätze zur Lösung des „gestörten“ Gesamtschuldverhältnisses den Halter des Kfz nur in dem Umfang in Anspruch nehmen, in dem der Halter den Schaden im Innenverhältnis zu den wegen der Schulbezogenheit haftungsprivilegierten Mitschülern zu tragen hätte. Die im Innenverhältnis zwischen der Fahrerin und dem Halter angenommene Alleinhaftung der Fahrerin findet ihre Rechtfertigung darin, dass vom Halter kein neuer, anderer Handlungsstrang eröffnet wurde, sondern sein Mitverursachungsanteil sich allein darin erschöpft, dass er der Fahrerin das Fahrzeug überlassen hat, mit dem diese die Körperverletzung der Mitfahrerinnen verschuldet hatte. Dass hierin der entscheidende Gesichtspunkt zu sehen ist, folgt auch aus der Entscheidung des VI. Zivilsenats des BGH vom 23.3.1993 (VI ZR 164/92, NJW-RR 1993, 911 f). Im Abschnitt II. 3. b) weist der BGH in einer im Wesentlichen vergleichbaren Sachverhaltskonstellation darauf hin, dass eine Haftung des Halters im Verhältnis zum Fahrer in solchen Fällen nicht in Betracht kommt.

Eine gestörte Gesamtschuld bei Pkw-Unfällen ist selten, kann aber wie hier insbesondere dann vorliegen, wenn es sich um Schulfahrten oder betriebliche Sammeltransporte — auch mehrerer Unternehmen — handelt. In diesen Konstellationen kommen die §§ 104 ff. SGB VII häufig zugunsten des den Unfall verursachenden Fahrer zur Anwendung. Es stellt sich dann die Frage, ob auch der Halter wegen § 7 Abs. 1 StVG haftet, wenn er nicht selbst etwa als Fahrer im Pkw saß. Ebenso wie der Arbeitgeber bei Sammeltransport dann nur aus vermutetem Verschulden aus § 831 Abs. 1 BGB haftet, so dass es sich im Innenverhältnis auf § 840 Abs. 2 BGB berufen kann und letztlich frei wird, kann sich auch bei der Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG über die Grundsätze der gestörten Gesamtschuld wegen seiner Haftung nur für die Betriebsgefahr im Innenverhältnis quasi analog § 840 Abs. 2 und 3 BGB voll entlasten, wenn der Fahrer schuldhaft gehandelt hat.

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