Gem. Betriebsstätte / Wie-Beschäftigung / Bindungswirkung

BGH, Urteil vom 30.4.2013 — Aktenzeichen: VI ZR 155/12

Leitsatz
Die Aussetzung des Verfahrens gemäß § 108 Abs. 2 SGB X wegen unterlassener Beteiligung des Schädigers am Verwaltungsverfahren ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn sie eine bloße Förmelei wäre.

Diente die Tätigkeit des Schädigers sowohl dem Interesse des Unfallbetriebs als auch dem seines eigenen bzw. seines Stammunternehmens, kann sie dem Unfallbetrieb nur dann im Sinne des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII zugeordnet werden, wenn sie der Sache nach für diesen und nicht für das eigene Unternehmen geleistet wurde.

Zum Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII.

Sachverhalt
Der Kläger ist bei der B. AG angestellt und arbeitet in deren Werk in D. Er wird an Arbeitstagen von einem sogenannten Werksbus der B. AG von seinem Wohnort in E. abgeholt und an seine Arbeitsstelle gebracht. Mit der Durchführung der Fahrten der Werksbusse beauftragte die B. AG die Beklagte zu 2, die hierfür u.a. den bei ihr als Busfahrer angestellten Beklagten zu 1 einsetzte. Am 22. Juni 2009 holte der Beklagte zu 1 den Kläger mit einem Bus der Beklagten zu 2, der bei der Beklagten zu 3 haftpflichtversichert ist, in E. ab und erreichte die Ausstiegsstelle für den Werksbus der B. AG in D. Der Kläger stieg an der hinteren Tür des Busses aus, kam dabei zu Fall und zog sich eine distale Unterarmfraktur links mit Gelenkbeteiligung zu. Die für die B. AG zuständige BG erkannte den Unfall als Arbeitsunfall an.

Mit der Behauptung, der Beklagte zu 1 habe die hintere Bustür geschlossen, als er gerade im Begriff gewesen sei, auszusteigen, begehrt der Kläger u.a. die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes. Die Beklagten machen geltend, ihre Haftung sei gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ausgeschlossen, weil der Beklagte zu 1 zum Unfallzeitpunkt in den Betrieb der B. AG wie ein Beschäftigter im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII eingegliedert gewesen sei.

Entscheidung
Nach Auffassung des Berufungsgerichts war die Haftung der Beklagten gemäß § 106 Abs. 3 Fall 3, § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ausgeschlossen. Der Unfall habe sich aber bei einer vorübergehenden Tätigkeit auf einer gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII ereignet.

Der BGH hebt auf und urteilt, den Beklagten komme kein Haftungsprivileg zugute: Gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII sei der Zivilrichter an unanfechtbare Entscheidungen der Unfallversicherungsträger und der Sozialgerichte auch hinsichtlich der Frage gebunden, ob der Verletzte den Unfall als Versicherter aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 oder Abs. 2 Satz 1 SGB VII erlitten hat und welchem Betrieb der Unfall zuzurechnen sei. damit stünde mit dem Bescheid der BG fest, dass der Unfall nur der B. AG zuzuordnen sei, so dass eine Einordnung des Verletzten in den Betrieb des Busunternehmens unmöglich sei. Das hier die Beklagten zu 1 und 2 gemäß § 12 Abs. 2 SGB X nicht in der gebotenen Weise an dem Verfahren beteiligt worden waren, sei ausnahmsweise unschädlich, da die im Fall einer unterlassenen Beteiligung des Schädigers an sich gebotene Aussetzung des Verfahrens gemäß § 108 Abs. 2 SGB X im Streitfall eine bloße Förmelei gewesen wäre. Die Belagten hatten sich hierauf nicht einmal berufen und die Entscheidung der BGB akzeptiert.

Auch der Beklagte zu 1 habe im Unfallzeitpunkt keine betriebliche Tätigkeit für die B. AG erbracht. Er sei für sie insbesondere nicht wie ein Beschäftigter im Sinne des § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII tätig geworden, sondern habe vielmehr die Aufgaben seines Stammunternehmens (Bus), der Beklagten zu 2, wahrgenommen.

Schließlich habe sich der Unfall, auch nicht bei einer vorübergehenden betrieblichen Tätigkeit des Klägers und des Beklagten zu 1 auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ereignet. Ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken des Klägers mit dem Beklagten zu 1 in der konkreten Unfallsituation sei nicht gegeben. Es fehle sowohl an einem bewussten Miteinander im Betriebsablauf als auch an dem erforderlichen wechselseitigen Bezug betrieblicher Aktivitäten. Selbst wenn in dem Aussteigen des Klägers eine betriebliche Tätigkeit im Sinne des § 106 Abs. 3 Fall 3 SGB VII zu sehen wäre, sei diese in keiner Weise auf die Tätigkeit des Beklagten zu 1 bezogen, mit ihr verknüpft oder auf gegenseitige Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet gewesen. Es fehle somit das Merkmal der Betriebsbezogenheit.

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