Gabelstapler und grobe Fahrlässigkeit gem. § 110 SGB VII

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OLG Frankfurt, Urteil vom 4.4.2014 — Aktenzeichen: 2 U 93/13

Leitsatz
Die Berufsgenossenschaft besitzt bei grob fahrlässiger Herbeiführung eines schweren Arbeitsunfalls eines Leiharbeitnehmers durch einen Gabelstaplerfahrer des Leihunternehmers einen Regressanspruch gegen den Unternehmer, wenn dieser wesentliche Regelungen der Unfallverhütungsvorschrift für „Flurförderzeuge“ (BGV D 27) missachtet hat (hier: Absetzen/Herunterfallen eines ungesicherten Metallrahmens).

Sachverhalt
Die Klägerin ist gesetzliche Unfallversicherung der Fa. B GmbH, bei der der Zeuge V tätig war und in wechselnden Unternehmen eingesetzt wurde. Die Beklagte zu 1) führt Pulverbeschichtungen an Metallen durch. Der Beklagte zu 2) ist der Geschäftsführer der Beklagten zu 1). Am Unfalltag war der Zeuge V als entliehener Arbeitnehmer bei der Beklagten zu 1) eingesetzt, wobei er mit Schleif- und Transportarbeiten beauftragt war. Der Beklagte zu 2) wollte mit einem Gabelstapler einen Metallrahmen transportieren. Der Zeuge V sollte auf Geheiß des Beklagten zu 2) dabei zur Hand gehen. Der Rahmen lag unbefestigt auf der Gabel des Gabelstaplers auf. Das Metallteil fiel auf den Zeugen V, wodurch dieser eingeklemmt wurde und Frakturen der Halswirbelsäule erlitt. Als Folge der Verletzung besteht bei dem Zeugen V eine Lähmung aller vier Extremitäten und eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 %.

Entscheidung
Das OLG hat zutreffend angenommen, dass die Beklagten gemäß §§ 106 Abs. 3, 104 Abs. 1 SGB VII in ihrer Haftung beschränkt sind. Zum streitgegenständlichen Unfall ist es gekommen, als der Beklagte zu 2) und der Zeuge V jedenfalls vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte ausführten (§ 106 Abs. 3 SGB VII). Für die Annahme einer gemeinsamen Betriebsstätte reiche nach Ansicht des OLG bereits ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstelle. Hier kam der Zeuge V dem Beklagten zu 2), der im Betrieb der Beklagten zu 1) tätig und deren Geschäftsführer ist, auf dessen Geheiß beim Absetzen eines Stahlrahmens zu Hilfe, so dass eine im Arbeitsablauf ineinandergreifende Aktivität beider Beteiligten und kein zufälliges Nebeneinander oder eine bloße Arbeitsberührung gegeben war.

Da im vorliegenden Fall der Leiharbeitnehmer der Schädiger war, brauchte im vorliegenden Fall und nicht entschieden zu werden, ob sich bei der Leiharbeit neben dem Verleiher, dem der entliehene Arbeitnehmer nach § 133 Abs. 2 SGB VII zuzuordnen ist, auch der Entleiher noch auf ein Haftungsprivileg nach § 104 SGB VII berufen kann.

Der Beklagte zu 2) hat den Unfall nach Auffassung des OLG grob fahrlässig im Sinne des § 110 Abs. 1 S. 1 SGB VII herbeigeführt, wofür die Beklagte zu 1) gemäß § 111 SGB VII einstehen muss. Das OLG begründet dies wie folgt: Für „Flurförderzeuge“ gelte die Unfallverhütungsvorschrift BGV D27. Diese soll die Versicherten vor tödlichen Gefahren schützen, welche bei dem Betrieb eines solchen Fahrzeugs eintreten können. Bei einem Gabelstapler handle es sich um ein Flurförderzeug im Sinne von § 2 Abs. 2 dieser Unfallverhütungsvorschrift. Nach der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme und nach dem unstreitigen Vorbringen der Parteien stand zur vollen Überzeugung des Senats fest, dass der Beklagte zu 2) wesentliche Regelungen der Unfallverhütungsvorschrift für „Flurförderzeuge“ nicht beachtet und damit auch subjektiv die erforderliche Sorgfalt in so hohem Maße missachtet habe, dass er grob fahrlässig im Sinne des § 110 SGB VII handelte. Der Beklagte zu 2) habe schon deswegen gegen die Vorschriften in § 27 Abs. 2 der Unfallverhütungsvorschrift verstoßen, weil er den Metallrahmen nicht so gesichert hat, dass dieser nicht unbeabsichtigt herabfallen konnte. Dem Beklagten zu 2) sei auch subjektiv ein gegenüber der einfachen Fahrlässigkeit gesteigerter Schuldvorwurf zu machen. Hierfür spiele insbesondere eine Rolle, ob der Schädiger nur unzureichende Sicherungsmaßnahmen getroffen oder von den vorgeschriebenen Schutzvorkehrungen völlig abgesehen hat, obwohl die Sicherungsanweisungen eindeutig waren.

Letzteres bejahte des OLG im vorliegenden Fall. Kritisch zu Hinterfragen ist die Einschätzung des OLG, ob die Unfallverhütungsvorschrift BGV D27 tatsächlich vor dem Eintritt tödlicher Gefahren schützen soll. Denn es leuchtet nicht ein, dass jeder Unfall mit einem Gabelstapler zwingend tödliche Risiken nach sich ziehen muss. Grundsätzlich will jede UVV vor Gesundheitsgefährdungen schützen, die im Extremfall auch zum Tode führen können. Dies ist theoretisch immer denkbar. Dann aber wäre letztlich jeder Verstoß gegen eine UVV für die Annahme grober Fahrlässigkeit ausreichend. Dies kann aber nicht Intention der vom OLG zitierten Rechtsprechung des BGH sein.

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