Fehlende Kenntnis des beklagten Sozialversicherungsträgers

OLG Hamm, Urteil vom 19.8.2014 — Aktenzeichen: I-27 U 25/14

Zur (fehlenden) Kenntnis des beklagten Sozialversicherungsträgers vom Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen.

Leitsatz
Zahlt der Schuldner Sozialversicherungsbeiträge über einen längeren Zeitraum jeweils mit einer Verspätung von bis zu drei Monaten, so kann im Rahmen des § 133 InsO nicht automatisch auf die Zahlungseinstellung sowie die Kenntnis des Sozialversicherungsträgers von dieser Einstellung ausgegangen werden. Erforderlich ist nach dem Urteil des OLG Hamm eine Gesamtschau.

Sachverhalt
Der Insolvenzverwalter als Kläger ficht Zahlungen des Schuldners an den Sozialversicherungsträger in Höhe von ca. 260.000,00 € an. Die Zahlungen flossen von Mitte 2007 bis Ende 2009. Aufgrund des Zeitablaufes kam nur eine Anfechtung gemäß § 133 InsO in Betracht.

Das Landgericht hat insoweit die Klage abgewiesen, auf die Berufung des Insolvenzverwalters hat das OLG Hamm die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Das OLG Hamm stellt zwar fest, dass typischerweise von einer Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens auszugehen ist, wenn Sozialversicherungsbeiträge nicht bei Fälligkeit ausgeglichen werden (s. auch BGH NJW 2009, 1202, 1204). Ungeachtet dessen nimmt das OLG Hamm eine Gesamtschau vor. Das OLG stellt darauf ab, dass die Rückstände fälliger Beträge der Höhe nach nur für ein bis drei Monate entstanden sind, die Zeiträume beliefen sich zwischen einem und knapp drei Monaten. Die Schuldnerin zahlte also ca. 2,5 Jahre lang binnen jeweils eines Zeitraumes von einem Monat bis knapp drei Monaten die alten Rückstände nebst Mahngebühren und Säumniszuschlägen. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung ist das Oberlandesgericht Hamm sogar dem Kläger gefolgt, der vorgetragen hat, dass der Schuldner erst gezahlt habe aufgrund von Mahnungen und Vollstreckungsandrohungen des Sozialversicherungsträgers. Das OLG hat hierzu ausgeführt, diese Umstände seien angesichts der kontinuierlichen Fortführung des Geschäftsbetriebes als Beweisanzeichen für eine Zahlungseinstellung von geringerer Bedeutung. Gegen die Kenntnis der Beklagten (Sozialversicherungsträger) spreche gerade der Umstand, dass die Schuldnerin stets mit maximal drei Monaten Verspätung gezahlt habe. Es sei für die Beklagte nicht ersichtlich gewesen, dass die Schuldnerin am Rande des wirtschaftlichen Abgrundes operiert hätte. Unter Berücksichtigung dieser Gesamtschau der zu beurteilenden Beweisanzeichen sei nicht von einer Kenntnis des beklagten Sozialversicherungsträgers vom Vorsatz des Schuldners auszugehen.

Entscheidung
Insolvenzverwalter versuchen zunehmend, Zahlungen von Schuldnern im Rahmen des § 133 InsO anzufechten, um so in den „Genuss“ des 10-Jahres-Zeitraumes zu kommen. Oft wird unter Vorlage exorbitanter Zahlungslisten dargelegt, dass der Schuldner über Jahre sich in Verzug befunden habe, im Übrigen ausweislich der Unterlagen es zahlreiche Mahnungen und Vollstreckungshandlungen des Sozialversicherungsträgers gegeben habe. Hier ist sorgfältig zu differenzieren. Nach der ausgewogenen Entscheidung des OLG Hamm ist eine Gesamtschau vorzunehmen. Im Ergebnis wird man die Länge der Verzugszeiträume ebenso zu berücksichtigen haben wie die Höhe jeweils sich aufstauender Rückstände. Diese Entscheidung des OLG Hamm gibt Hoffnung, dass die Versuche der Insolvenzverwalter, über § 133 InsO auch über den Drei-Monats-Zeitraum hinaus Zahlungen des späteren Schuldners anzufechten, eingedämmt werden.

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