Fachkunde des Behandlers im Prozess

BGH, Urteil vom 16.6.2015 — Aktenzeichen: VI ZR 332/14

Sachverhalt
Die im Wege einer Notsectio geborene Klägerin nahm die Beklagten wegen fehlerhafter Aufklärung über die Risiken der Geburtsvarianten in Anspruch.

Das Landgericht hatte die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Das OLG Koblenz hat die dagegen gerichtete Berufung im Wesentlichen zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen.

Es hat ausgeführt, die vom beklagten Arzt erst in der Berufungsinstanz erhobenen Einwendungen seien gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr zulässig, sondern verspätet; als fachkundiger Arzt hätte der Beklagte auch in erster Instanz substantiierter vortragen müssen.

Entscheidung
Die gegen die Entscheidung des OLG gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde hatte Erfolg und führte gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur direkten Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

Der BGH betonte zunächst noch einmal, dass das Gericht von Amts wegen verpflichtet ist, den ihm zur Entscheidung unterbreiteten Sachverhalt auszuschöpfen und sämtlichen Unklarheiten, Zweifeln und Widersprüchen nachzugehen.

Er sah es auch nicht als verspätet an, dass der Beklagte erst mit der Berufungsbegründung rügte, dass entscheidungserhebliche Fragen von einem Gutachter des falschen Fachgebiets (hier: Gynäkologe statt Neonatologe) beantwortet worden sind.

Schließlich verneinte der BGH Verspätung und Nachlässigkeit bei der Erhebung von Einwendungen in der Berufungsinstanz, nur weil der Beklagte fachkundig sei; hiermit würden die Anforderungen an die Informations- und Substantiierungspflicht des Arztes überspannt. Denn der Beklagte war selbst kein Neonatologe. Bei einer solchen Sachlage durfte es nicht als nachlässig angesehen werden, wenn der Arzt erst in zweiter Instanz seinen Angriff konkretisiert, nachdem er durch medizinische Recherchen zusätzliche Informationen erlangt hat. Denn ein Arzt sei nicht verpflichtet, sich zur Prozessführung spezielles medizinisches Fachwissen außerhalb seines Fachbereichs anzueignen.

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