Darf ein Insolvenzverwalter persönlich eine Geschäftschance nutzen, die er auch für die Insolvenzschuldnerin nutzen könnte?

BGH, Urteil vom 16.3.2017 — Aktenzeichen: IX ZR 253/15

Leitsatz
Ob der Insolvenzverwalter für eine unternehmerische Fehlentscheidung haftet, ist am Insolvenzzweck der bestmöglichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger unter Berücksichtigung der von den Insolvenzgläubigern getroffenen Verfahrensentscheidung zu messen.

Der Insolvenzverwalter darf keine Geschäftschance persönlich nutzen, die aufgrund der Umstände des jeweiligen Falles dem von ihm verwalteten Schuldnerunternehmen zuzuordnen ist.

Sachverhalt
Der Kläger ist Verwalter einer Wohnungs- und Baugesellschaft. Er nimmt den Beklagten, seinen Vorgänger im Amt des Insolvenzverwalters, auf Schadensersatz in Anspruch. Die Schuldnerin war Verwalterin einer Wohnungseigentumsanlage und bleib dies auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Im Jahr 2007 wurde die Liquidation und bestmögliche Verwertung des Immobilienbestandes beschlossen. Der Geschäftsbetrieb sollte vorläufig fortgeführt werden. Im Jahre 2008 wollten Käufer eine Wohnung veräußern. Sie wandten sich an den Geschäftsführer der Schuldnerin. Der beklagte Insolvenzverwalter kaufte daraufhin persönlich die Wohnung zu einem Kaufpreis von 3.000,00 €. Als Insolvenzverwalter der Schuldnerin in ihrer Eigenschaft als WEG-Verwalterin stimmte er der Veräußerung zu. Als Insolvenzverwalter der Schuldnerin in ihrer Eigenschaft als frühere Eigentümerin der Wohnung bewilligte er zudem die Löschung einer Rückauflassungsvormerkung. Die Wohnung wurde von der Schuldnerin verwaltet und vermietet. Der gesamte Immobilienbestand der Schuldnerin wurde dann veräußert, wobei sich die Erwerberin des Immobilienbestandes an den Beklagten wandte und ihm für die streitgegenständliche Wohnung einen Betrag i.H.v. 45.000,00 € anbot. Der Kläger begehrt nun von dem ehemaligen Insolvenzverwalter Schadensersatz i.H.v. 42.000,00 €. Die Klage ist in den Vorinstanzen abgewiesen worden.

Entscheidung
Die Revision führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht war der Auffassung, dass es keine Verpflichtung des Beklagten zum Erwerb der Wohnung für die Masse gegeben habe. Es hätten noch drei weitere Wohnungen in der Anlage nicht im Eigentum der Schuldnerin gestanden. Zudem sei ein Hinzuerwerb der Wohnung wegen eines Leerstandes riskant gewesen. Ein Wettbewerbsverbot für den Insolvenzverwalter gebe es nicht, weshalb der Beklagte die Wohnung selbst erwerben konnte.

Der BGH erteilt dieser Auffassung eine Absage. Grundsätzlich ist der Insolvenzverwalter allen Beteiligten zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er schuldhaft die Pflichten verletzt, die ihm nach der InsO obliegen. Zu seinen Pflichten gehört es, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu bewahren und ordnungsgemäß zu verwalten. Diese Pflicht hat sich am gesetzlichen Leitbild des ordentlichen und gewissenhaften Insolvenzverwalters auszurichten, welches an die handelsgesellschaftsrechtlichen Sorgfaltsanforderungen angelehnt ist. Maßstab aller unternehmerischen Entscheidungen des Insolvenzverwalters im Rahmen einer Betriebsfortführung ist der Insolvenzzweck der bestmöglichen gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger sowie das von den Gläubigern gemeinschaftlich beschlossene Verfahrensziel. Diese Pflicht ist vielfach nicht schon dann erfüllt, wenn es dem Verwalter gelingt, den Bestand der Masse zu erhalten. Vielmehr kann der Verwalter gehalten sein, bis zur endgültigen Verteilung der Masse nicht benötigte Gelder nicht nur zu sichern, sondern auch zinsgünstig anzulegen. Zur Masseverwaltungspflicht gehört auch ein allgemeines Wertmehrungsgebot. Das gilt auch und gerade im Rahmen einer Betriebsfortführung, wenn auch unter Berücksichtigung der besonderen Bedingungen des Insolvenzverfahrens. Die konkreten Pflichten des Insolvenzverwalters hängen dabei vom Einzelfall ab. Vorliegend war die Wohnung äußerst günstig zu erwerben, obwohl der objektive Wert deutlich höher war. Darüber hinaus gehörte die Wohnung zu der Eigentumsanlage, die ohnehin bis auf drei Wohnungen der Insolvenzschuldnerin gehörte. Die Wohnungseigentumsanlage wurde zudem von der Insolvenzschuldnerin verwaltet und sollte bis zum Verkauf der Wohnungen weiter betrieben werden. Darüber hinaus konnte die Wohnung vermietet werden; der Beklagte vermietet die Wohnung dann auch für 214,00 € netto im Monat. Im Ergebnis handelte es sich nach Auffassung des BGH um ein Geschäft, welches die Masse ohne sonderlichen Aufwand und ohne großes Risiko erheblich vermehrt hätte.

Zudem sieht der BGH einen Verstoß gegen die Pflichten eines ordentlichen und gewissenhaft handelnden Insolvenzverwalters darin, dass der Beklagte eigennützig, ohne Berücksichtigung der Interessen der Insolvenz- und Massegläubiger ein vorteilhaftes Geschäft an sich gezogen hat, welches im engen Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb der Insolvenzschuldnerin stand und daher dieser zuzuordnen war.

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